* SPORT UND SPIELE *
Ein verregnetes Frühjahr zieht über Griechenland. In Olimbía - dem antiken Olympia, das Ihr, liebe deutsche Leser, doch bitte nicht immer wie "Olümmpia" aussprechen wollt - ist es um diese Jahreszeit gähnend leer. (Die Anlage ist noch nicht zum "Weltkulturerbe" der UNESCO erklärt worden, und Brandstiftung lohnt sich noch nicht für Baulöwen und Bodenspekulanten, die in der Umgebung statt der Wälder lieber teure Hotels für devisenschwere Touristen aus aller Welt stehen sähen.) In einem kleinen Restaurant nicht weit vom eingezäunten Ruinenfeld sitzt Dikigoros und ärgert sich, daß er sich von zwei australischen Touristinnen in ihrem greulichen Englisch hat überreden lassen, eine Flasche des trockenen, sauren Weißweins der Marke "Domestikós" zu bestellen. Eine Schande, dieses Gesöff - galt doch die Weinkelterei des antiken Olympia als eine der besten Griechenlands. Ein Glück, daß auf dem Hotelzimmer noch eine große Flasche des süßen, roten Likörweins auf ihn wartet, die er wohlweislich aus Korinth mitgebracht hat - damit wird er die Kuchenteilchen besser herunter bekommen, die ebenso trocken sind wie der Weißwein und seine beiden Tischnachbarinnen. Sie erzählen von der Olympiade 1956 in Melbourne, die sie mitgemacht haben - zwar nur als Zuschauerinnen, aber immerhin. Bei den alten Griechen hätten sie nicht einmal das sein dürfen (geschweige denn aktiv mitmachen), denn da traten die Athleten nackt an, ihren (mutmaßlich schwulen) Göttern zum Wohlgefallen. [Das hatte übrigens nichts mit Frauenfeindlichkeit zu tun, denn unmittelbar im Anschluß an die Olympischen Spiele der Männer zu Ehren der Götter im Ólimbos (nicht "Olümmp", liebe deutsche Leser!), insbesondere des Götter-Vaters Zevs (der sich mit weichem "Z" - wie "rundes" s - ausspricht, also "Sews", nicht "Tsojß"!), gab es die Olympischen Spiele der Frauen zu Ehren der Göttinnen, insbesondere der Götter-Mutter Hera, bei denen keine Männer mitmachen oder zuschauen durften.] Und es gab auch noch nicht diese Heuchelei mit dem "Amateur"-Statut: Wie im modernen Boxsport oder in der Formel I waren die meisten Aktiven hoch dotierte Angestellte irgendwelcher Rennställe und reicher Mäzene, denen die Medaillen, pardon Lorbeerkränze zufielen. (Ja, was dachtet Ihr denn, liebe Leser? Daß sich ein Hieron von Syrákous - der zwischen 482 und 468 v.C. wiederholt das Wagenrennen in Pythώ und Olympia gewann - sich persönlich hinter die Deichsel gestellt hätte? Er war bei seinem ersten Sieg fast 60 und bei seinem letzten, ein Jahr vor seinem Tode, schon über 70, wohl ein klein wenig zu alt, um eine solche Disziplin noch als Aktiver auszuüben :-)
Freilich hatten auch die siegreichen Aktiven finanziell ausgesorgt - für einen rasch welkenden Lorbeerkranz und einen warmen Händedruck setzte niemand sein Leben aufs Spiel. Denn die Olympischen Spiele waren Kämpfe auf Leben und Tod; deshalb hießen sie auch (und heißen auf Griechisch bis heute) "Agώnes" [Todeskämpfe - daher unser Wort "Agonie", das die Engländer auf der ersten, die Deutschen und Franzosen auf der dritten Silbe betonen (nur die blöden Griechen wissen es nicht besser und betonen es hartnäckig auf der zweiten; Agonía ist nämlich die Unfruchtbarkeit :-)], und die Athleten beteten vor dem Kampf um "Siegeskranz oder Tod". [Der erstere mußte übrigens nicht immer aus Lorbeer geflochten sein, das ist nur so ein Vorurteil der Moderne. In der Antike gab es einen Lorbeerkranz nur in Pythώ zu gewinnen; in Neméa gab es einen aus Efeu, in Korinth einen aus Fichtenzweigen, und in Olympia - einen vom Olivenbaum.] Eine andere Alternative gab es nicht, zumindest keine ehrenhafte. Wußtet Ihr das nicht, liebe nicht-griechische Leser? Dann wißt Ihr es jetzt. [Die modernen Archäologen haben inzwischen in Olympia "Schatzkammern" ausgegraben, in denen sich "das größte Waffenlager der Antike" befand, wie es einer von ihnen formuliert hat. Die Historiker versuchen das damit zu erklären, daß dankbare Feldherren, die das Orakel befragten, das es dort vor den Olympischen Spielen gegeben haben soll, vor lauter Dankbarkeit jede Menge Waffen spendeten. Ach Du lieber Zevs - wer soll denn so etwas glauben? Dikigoros will Euch des Rätsels Lösung verraten: Das waren die Kampfgeräte der bei den Olympischen Spielen getöteten Sportler!]
Haupt-(ursprünglich wohl einzige) Disziplin war der "Péntathlon [Fünfkampf]", der stets mit dem "Pankration" endete, was meist beschönigend mit "Faustkampf" oder "Ringkampf" übersetzt wird, aber tatsächlich eine Art Freistil-Catchen war, bei dem alles, aber wirklich alles erlaubt war, und das erst endete, wenn einer der beiden Kontrahenten tot war. (Theoretisch konnte man zwar auch aufgeben; aber das galt geradezu als Gotteslästerung. Jeder anständige Athlet zog den ruhmreichen Tod zu Ehren der Götter einem Weiterleben in Schande vor.) Zu diesem Zweck zogen die Kämpfer nicht etwa weiche Boxhandschuhe an, wie die Waschlappen heutzutage, sondern sie banden sich mit Lederriemen Schlagringe oder harte Steine um. Wenn nach Ablauf der regulären Wettkampfzeit und Verlängerung noch keine Entscheidung gefallen war, gab es Elfmeterschießen, pardon "Klimáx": Abwechselnd mußten die Kämpfer je einen Schlag ohne Abwehr hin nehmen, bis zum bitteren Ende.
Bei den Frauen war das anders; die veranstalteten bloß einen Wettlauf in Unterhemden - wenn man der schriftlichen Überlieferung glauben darf -, vielleicht auch eine Art Jojo-Spiel - wenn man der bildlichen Darstellung glauben darf -; deshalb hießen ihre Veranstaltungen auch nicht "Todesspiele", sondern "Heräen", nach der Götter-Mutter Hera. (Wenn diese hier mit Speer und Diskus dargestellt wird, so ist das eine Vorstellung aus späterer Zeit; Dikigoros hält die Plastik schlicht für eine Fälschung, denn die Griechen hätten ihre Frauen wenn überhaupt, dann schwerlich mit einem kleineren Diskus werfen lassen - das ist eine Schnapsidee des 20. Jahrhunderts.
Entgegen der herrschenden Meinung glaubt Dikigoros übrigens nicht, daß die Frauen-Olympiade jüngeren Datums ist als die Männer-Olympiade - eher umgekehrt; denn ursprünglich gab es in Olympia nur das Heraion - den Tempel der Hera -, in dem zwar auch ihr Götter-Gatte Zevs verehrt werden durfte; aber einen eigenen Tempel bekam der erst in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts v.C. Die männlichen Endkämpfer brachten einander bisweilen auch gegenseitig um, dann mußte das Kampfgericht eine der beiden Leichen posthum zum Sieger erklären - eine Angelegenheit, bei der es regelmäßig Streit und die ersten olympischen Skandale gab, zum Beispiel anno 564: Arachion aus Figalia ist zum dritten Mal in Folge in den Endkampf vorgedrungen, und das Publikum würde ihn gerne erneut als Sieger vom Platz gehen sehen. Der Ärger ist bloß, daß sein Gegner anderer Meinung ist, den alten Champ erwürgt (das ist wohlgemerkt erlaubt und kein Grund für eine Disqualifikation!) und selber zu allem Überfluß - trotz einiger Knochenbrüche - überlebt. Da hat das Wettkampfgericht eigentlich gar nichts zu entscheiden - die Götter haben entschieden. Tut es aber trotzdem, indem es Arachion zum Olympia-Sieger erklärt. Ob der so verschaukelte Athlet daraufhin auch die Kampfrichter erwürgt hat, ist nicht überliefert.
"KALOS K'AGATHOS" - heute meist mit "edel und gut" übersetzt; die ursprüngliche Bedeutung
dürfte jedoch vielmehr "gut [im Sport] und [dadurch] wohlhabend [reich an Gütern]" gewesen sein
("Athlet[äs]" kommt von "Athlon" [Kampfpreis], bezeichnet also den Gewinner eines Preisgeldes)
Und die anderen Disziplinen? Die meisten Sporthistoriker behaupten [un]verschämt, sie wüßten nicht genau, nach welchen Regeln damals Speer und Diskus geworfen wurde - es herrscht lediglich Einigkeit, daß wohl aus dem Stand geworfen wurde und daß es nicht um die Weite ging, sondern um ein Ziel. Aber welches? Nun, der Speer und der Dískos waren Waffen, um Gegner zu töten; und dreimal dürft Ihr raten, liebe Leser - nachdem Ihr bereits wißt, wie der Pankration endete -, nach welchen Regeln die Speer- und Diskuswerfer antraten. Der alte Diskus war etwa doppelt so breit und zweieinhalb mal so schwer wie unsere heutigen, viel flacher und ganz aus Metall - damit konnte man einen Gegner auf Entfernungen von bis zu 30 m ohne weiteres köpfen; der Speer durfte mit Hilfe einer Schlinge geschleudert werden, die wie ein Katapult wirkte und die Durchschlagskraft erheblich steigerte. Natürlich wurde nicht einfach so aufeinander los geworfen - das wäre ja unkriegerisch, pardon unsportlich gewesen -, sondern die Gegner standen sich mit Schild und Speer gegenüber und hatten so viele Versuche, bis einer tot war. Auch die Weitspringer trugen Waffen, nämlich schwere Eisenscheiben ähnlich dem Diskus, aber nur halb so schwer und mit Griffen versehen, mit denen sie einander ansprangen - Fäuste vorweg. (In späteren Jahrhunderten - die Geschichte der antiken Olympischen Spiele dauerte immerhin rund 1.200 Jahre, also fast zwölfmal so lange wie die der modernen, da kann sich einiges am Regelwerk ändern - wurde nur noch Zielwerfen auf Schilde und eine Art Drei-, genauer gesagt Fünfsprung aus dem Stand - aber immer noch mit Gewichten - veranstaltet.) Auch der Lauf war kein Wettrennen um Schnelligkeit, sondern ein "Waffenlauf" in voller Rüstung, mit Helm und Schild - da war an wirklich schnelles Laufen gar nicht zu denken; die Wettkämpfer (die also gar nicht so "nackt" waren wie man immer meint) mußten in erster Linie darauf achten, selber lebend ins Ziel kommen und die anderen eben daran zu hindern. (Ursprünglich hatten sie dafür eine Bahn - knapp 200 m geradeaus - Zeit, später zwei Bahnen, d.h. einmal hin und zurück. Noch später wurde auch ohne Waffen gelaufen, aber das Ziel blieb wohl noch einige Zeit das gleiche, nämlich die Gegner am Erreichen desselben zu hindern; erlaubt waren dabei wohl auch Ellbogenstöße und Handkantenschläge, wie Ihr sie auf der Medaille oben links angedeutet seht.)
Für das Wagenrennen galt das erst recht: Ziel war es, den Gegner verunfallen zu lassen, und das möglichst tödlich. Weshalb gehen denn die meisten Zuschauer zum Formel-I-Rennen? (Von ein paar "Boxen-Ludern" mal abgesehen, die einen gut versicherten Rennfahrer auf sich aufmerksam machen wollen - schließlich wird frau in keiner anderen Sportart so schnell eine so reiche Witwe!) Um irgend welche Wagen, in denen sowieso niemand mehr die Gesichter der Fahrer erkennen kann, für Sekunden-Bruchteile an sich vorbei rasen zu sehen? Oder hoffen sie nicht - zumindest im Unterbewußtsein - viel mehr, hautnah Zeugen eines tödlichen Unfalls zu werden? Beziehen solche Rennen ihren Nervenkitzel, ihre Faszination (die Dikigoros für seine Person so gar nicht nachvollziehen kann) nicht gerade aus dieser makabren Möglichkeit? Und wer geht schon zum Boxen, um einen müden Punktsieg zu sehen (zumal da der Schiebung der Punktrichter Tür und Tor geöffnet ist)? Nein, der k.o. ist gefragt, und wenn der zu Boden geschlagene Kämpfer nicht wieder aufsteht - umso besser! (Scheiß-Ringärzte, die das heutzutage meist verhindern; bisher ist noch jeder Kampfabbruch vor der Zeit, d.h. vor dem - möglicherweise tödlichen - k.o., mit einem gellenden Pfeifkonzert der um ihr Vergnügen geprellten Zuschauer quittiert worden.)
Solche Todesspiele fanden übrigens nicht nur in Olympia statt - das waren vielleicht nur die ältesten. (Sie waren jedenfalls viel älter als die ersten Aufzeichnungen aus dem Jahre 776 v.C.; man hat inzwischen vor Ort Überreste gefunden, die auf das Jahr 2.100 v.C. datiert werden. Ursprünglich wurden solche Spiele aus Anlaß von Totenfeiern wahrscheinlich überall dort ausgetragen, wo Griechen zugange waren. Hómäros schreibt ja in der Iliáda, daß schon Achilléas welche vor den Toren Troias veranstaltete, nachdem Héktor ihm seinen Schwulfreund Patrokläs erschlagen hatte. Überhaupt kann sich Dikigoros das Ende des Troianischen Krieges nur "olympisch" erklären - oder warum hätten die Troier wohl sonst so dumm sein sollen, ein angeblich als Siegespreis gestiftetes Holzpferd durch eine eigens zu diesem Zweck in die Stadtmauer geschlagene Bresche in ihre Stadt zu ziehen? Jene List des Odysseus - von der die Iliáda übrigens nichts weiß, darüber berichtet Hómämeros nur im 8. Gesang der Odyssee - hätte doch in keiner nicht-griechischen Stadt - nicht umsonst trugen die Troier durchweg griechische Namen und wurden auch von einigen griechischen Göttern unterstützt - verfangen, genauer gesagt in keiner Stadt, die nicht mit der guten alten griechischen Tradition vertraut war, für heimkehrende Olympioniken eine Bresche in die Stadtmauer zu schlagen und sie auf einem extra-großen Pferdewagen in die Stadt zu ziehen, wie es Plutarch und Cassius Dio übereinstimmend berichten. Aber das scheint vor Dikigoros noch kein Sagenforscher bemerkt zu haben - als ob sich Hómäros so etwas ausgedacht hätte!) Daneben gab es die Agώnien in Elis, in Pythώ bzw. Delfí (zu Ehren des Apóllonas), am Isthmós von Korínth (zu Ehren des Poseidώnos - nein, liebe Leser, die Ihr, um Dikigoros zu kontrollieren, im Wörterbuch nachgeschlagen habt, Kórinthos wird zwar im Nominativ auf der ersten Silbe betont, aber da es trotz der männlichen Endung "-os" weiblich ist, verschiebt sich der Akzent im Genetiv auf die zweite: [h]o isthmós tis Korínthou - "deutsche Sprache, schwere Sprache"? Griechisch ist auch nicht ganz ohne!), in Neméa (wie in Olympia zu Ehren des Zevs veranstaltet) und angeblich auch in Athen, wo schon Lykoúrgos, der König von Spártä, um 800 v.C. ein Stadion gebaut haben soll - das behauptete jedenfalls gut 900 Jahre später Herodes Attikus, als er dort ein neues Stadion stiftete. (Die Spartaner betrieben übrigens keinen Péntathlon auf Leben und Tod, sondern diverse Ballspiele, die wahrscheinlich unserem Hockey und unserem Rugby ähnelten; aber auch dabei soll es ziemlich brutal zugegangen sein. Vielleicht waren die "Bälle" ursprünglich Totenschädel?)
A propos Ballspiele: Die Tennis- und Golfspieler der Moderne kennen als höchsten Titel, den einer der ihren erringen, pardon erschlagen kann, den "Grand Slam", d.h. den Sieg in den vier größten Turnieren des Jahres - so etwas gab es auch im Altertum: Wer die Todeskämpfe in Olympia, Pythώ/Delfí, Kórinth und Nemea gewann, erhielt den Titel "Periodonike [Rundumsieger]" - das war der Gipfel des Ruhms für einen antiken Sportler. Kurzum, die Profis - denn das waren sie wie gesagt - hatten schon einiges zu tun, um von Wettkampf zu Wettkampf zu reisen, zumal das Reisen damals viel beschwerlicher war als heute {wenn man mal davon absieht, daß man keinen negativen Corona-Test und kein Impfzeugnis vorzuweisen brauchte, um eine Einweisung ins Konzentrationalager Quarantänelager zu vermeiden}: Es gab keine Auto- oder Eisenbahnen, geschweige denn Flugzeuge; die meisten Wege mußte man vielmehr zu Fuß zurück legen, was schon Stress, pardon Training genug war. Und schließlich konnte immer nur einer der "Cracks" den Todeskampf überleben - aber offenbar gab es immer genug Nachwuchs. Und damit der nicht anderswo sein Leben aufs Spiel setzte und so das Vergnügen der Götter schmälerte, durften während der Spiele keine Kriege geführt werden, jedenfalls nicht zwischen den Stadtstaaten, die Teilnehmer zu den "pan-hellenischen" Agώnien entsandten. Ausländische Barbaren durfte man selbstverständlich weiterhin bekriegen - aber die hatten ja auch kein Teilnahmerecht an den geheiligten Todeskämpfen in Olympia oder anderswo. Erst als später die Römer Griechenland erobert hatten, durften auch die mitmachen (und die von ihnen unterworfenen Völker, aber nur unter römischer Flagge - darauf kommen wir später zurück). Die Römer hatten übrigens auch ihre eigenen Spiele auf Leben und Tod in Italien, die "ludi" (die sie wahrscheinlich von den
Etruskern
übernommen hatten - wie so vieles, was die Nachwelt für eine ureigenste Erfindung der Römer gehalten hat); und wenn der Caesar anwesend war, entboten ihm die Athleten den olympischen oder den - zufällig identischen - Caearen-Gruß ["Ave Caesar"] und sprachen die geflügelten Worte: "Morituri te salutant" [die Todgeweihten - wörtlich "die sterben werdenden" - grüßen dich]. (Dikigoros zieht diesem Achtsilber den englischen Viersilber aus der siebten Zeile der Überschrift als kürzer und bündiger vor; aber er verrät noch nicht, von wem der stammt.) So weit so gut. Als dann freilich das Christentum im Römischen Reich zur Staatsreligion wurde, wurden diese heidnischen Spiele (die ja nicht nur den alten Göttern, sondern längst noch mehr dem Götzen Mammon gewidmet waren, wie heute wieder) Ende des 4. Jahrhunderts verboten und verfielen in einen anderthalb Jahrtausende währenden Dornröschen-Schlaf.
Exkurs. A propos Dornröschen-Schlaf. Ihr glaubt doch nicht etwa, liebe deutsch-sprachige Leser, daß das mit den Todesspielen bei den alten Germanen, jenen edlen Kriegern, anders gewesen sei? Bloß weil in einem weit verbreiteten etymologischen Wörterbuch steht, daß das Wort "spielen" ursprünglich soviel bedeutete wie "tanzen"? Ha ha... Denkt mal an die germanischen Sagen, an die "Edda" und an das
"Nibelungenlied."
Erinnert Ihr Euch? Siegfried erweckte Brunhild, indem er durch die Flammenwand ritt - wie Dornröschens Märchenprinz durch die Dornenwand -, und seitdem ließ sie jeden anderen Freier abblitzen. Als König Gunther sie gewinnen wollte - im wahrsten Sinne des Wortes - mußte er "Spile" gegen sie bestehen: Kugelstoßen (der Stein ist "wel", also rund), Weitsprung und Speerwerfen - alles in voller Rüstung. Die Bedingungen für die Verlierer dieser "Spile" waren die Gesetze des Krieges: Männer wurden getötet, Frauen gehörten dem Sieger, so einfach ist das. (Deshalb warf Brunhild den Speer auch mit der Spitze vorweg auf Gunther, wohingegen Siegfried den Speer umdrehte und nur mit der stumpfen Seite zurück warf, um Brunhild nicht zu verletzen oder gar zu töten.) Und nun versteht Ihr auch, warum "spilen" (vom Gotischen "spiljan") nicht etwa "tanzen" bedeutete, sondern zweierlei: erstens einen Speer werfen, und zweitens Blut vergießen. (Das sind bis heute die Nebenbedeutungen von "to spill" im Englischen; und bis ins Mittelalter war es auch die Nebenbedeutung des deutschen Wortes "spilen". Die fantasielosen Germanisten übersetzen zwar in Vers 2001 des "Nibelungenliedes" meist: "Da kämpft einer drinnen, der heißt Volker, wie ein Eber, und ist doch nur ein Spielmann." Aber im Original steht nichts von "doch nur", sondern: "[...] und ist ein spilman." Das ist ein Spil, pardon Spiel mit der Doppelbedeutung des Wortes und meint hier natürlich vor allem, daß er das Blut seiner Feinde vergießt - das ergibt sich ja auch aus dem folgenden Text. Und da wir gerade dabei sind: "Game", das englische Wort für Sport und Spiel - für die Olympischen Spiele wird die Mehrzahl, "games", gebraucht -, bedeutete ursprünglich den im Kampf erschlagenen Gegner, später das auf der Jagd erlegte Wild - letzteres bis heute seine Nebenbedeutung. Auch andere alte "Kulturvölker" hatten ihre Todesspiele. So wurden beim "Ullamalitzli" der Olmeken, Mixteken, Azteken und
Maya
- von einigen Banausen auch "Pok-ta-Pok" genannt, so wie einige Tischtennis auch "Ping-pong" nennen - die Verlierer (manche meinen auch die Sieger :-) nach dem Spiel hingerichtet, pardon, ihnen wurde die Ehre zuteil, den Göttern geopfert zu werden, jedenfalls gingen sie in die ewigen BallspielJagd-Gründe ein. Und wer japanische Kanji zu lesen weiß ahnt, daß auch
"Sumō"
nicht immer jenes langweilige, kommerzialisierte Geringe und Geschiebe war, mit dem der Fernsehsender
Eurosport
heuer seine Sendepausen füllt; vielmehr wird es aus den Zeichen für "gegenseitig" und "totschlagen" zusammen gesetzt; und bei den
Ainu
- von denen es die Japaner wahrscheinlich übernommen haben - soll es bis ins 20. Jahrhundert hinein in dieser tödlichen Variante praktiziert worden sein, zu Ehren der Götter, insbesondere des Bärengottes, dessen Körperumfang die Sumotori noch heute nacheifern :-) Auch die alten Griechen kannten übrigens die Brautwerbung auf Leben und Tod, und wenn Dikigoros den Beinamen der schönen Helénä (ja, der Königin von Spartä, derentwegen der Krieg um Troia geführt wurde), "Dorígambros [Lanzenbraut]", richtig interpretiert, dann war Hauptbestandteil auch von diesem "Spil" der Speerkampf [Dorotismós]. Die ursprüngliche Form des Speerkampfes soll indes noch eine andere gewesen sein, und das kam so: Pélops - nach dem die Halbinsel benannt ist, auf der Olympia liegt - freite um Hippodámeia, die Tochter des Königs Oinómaos von Písa. (Nein, nicht Pisa in Italien, liebe Leser - das ist
eine andere Geschichte
-, sondern ein kleiner Ort am Flusse Písäs, dessen Ruinen man ganz in der Nähe von Olympia entdeckt zu haben glaubt.) Doch nicht die Jungfer selber bestritt den Wettkampf - obwohl sie so einen schönen Namen trug, der dazu ideal gepaßt hätte -, sondern ihr Vater, nämlich ein Rennen mit Pferd und Wagen: Der Freier fuhr voraus, der Brautvater hinterher, und wenn letzterer ersteren erreichte, stieß er ihm von hinten einen Speer in die Schulter wie einst Hagen dem Siegfried. Bei Pélops ging das freilich schief, denn der hatte vorher ein Wagenrad seines Schwiegervaters in spe ansägen lassen, Oinómaos stürzte tödlich, und Pélops bekam seine Braut. Glücklich wurde er mit ihr freilich nicht, wie die Sage berichtet, aber angeblich geht darauf die Tradition des Wagenrennens bei den Olympischen Spielen zurück. Und da wir gerade bei Märchen und Sagen sind: Bei den antiken Olympiaden gab es auch einen Wettbewerb im Dichten, der heute ebenso überschätzt wird wie der "Sportsgeist" der alten Griechen; viel von dem Zeug ist ja nicht überliefert; aber aus dem wenigen, das auf uns gekommen ist, würde Dikigoros mal ganz kühn schließen, daß das Niveau nicht viel höher gewesen sein kann als etwa beim Deutschen Schlagerwettbewerb oder beim Grand Prix de la Chanson: "La, la la la" und "Waddehaddeduddeda"... Exkurs Ende.
Nein, ganz anderthalb tausend Jahre werden es gar nicht, denn nicht erst Ende des 19. Jahrhunderts kam jemandem der Gedanke, der (vermeintlichen) olympischen Idee neues Leben einzuhauchen, sondern schon rund hundert Jahre früher. Was Dikigoros hier und im folgenden schreibt werdet Ihr, liebe Leser, fast alles anders finden, wenn Ihr Euch eine herkömmliche "Geschichte der Olympischen Spiele" besorgt und dort nachschlagt. Aber er denkt sich hier nichts aus, sondern er gewichtet lediglich die - an sich unbestrittenen - Fakten anders, frei nach Diwald: "Die Kunst des Historikers besteht nicht in der Entdeckung und Ausbeutung unbekannter Quellen, sondern in etwas weit Einfacherem, nämlich in der Interpretation und Ausbeutung desjenigen Materials, das offen und hell zutage liegt." Deshalb läßt er aus, was er für unwichtig hält, auch wenn andere es für wichtig halten mögen; und er berichtet was andere Autoren auslassen, weil sie es für unwichtig - oder unangenehm - halten. Wenn es anders wäre, könnte er sich und Euch diese "Reise durch die Vergangenheit" ja ersparen. Also, wenn Ihr hier am Anfang etwas über Chandler und/oder Coubertin lesen wollt, dann muß Dikigoros Euch enttäuschen. Der erstere mag zwar auf seinen Reisen mal mehr oder weniger zufällig am Ruinenfeld von Olimbía vorbei gekommen sein, aber ohne daß das irgend einen Einfluß auf die Erneuerung der Olympischen Spiele gehabt hätte; und der letztere war für die Olympischen Spiele der Neuzeit in etwa das, was Einstein für die Physik war: ein Gauner und Betrüger, der anderen die Ideen geklaut, sie als seine eigenen ausgegeben und dafür Ruhm und Geld eingesackt hat. Nicht mehr und nicht weniger. Die Idee mit der Gravitations-Theorie hatte schon Newton 1666 [sie ist übrigens falsch, liebe Nicht-Fysiker, die Ihr das noch nicht wissen solltet, ebenso wie die Relativitäts-Theorie, die eigentlich von Lorentz stammt; und die Quantentheorie, für die Einstein den Nobelpreis bekam, stammt von Planck], und daß Kraft gleich Masse mal Beschleunigung im Quadrat ist, weiß seit der Steinzeit jedes Kind, und erst recht jeder Kugelstoßer - vor Einstein hatte bloß noch kein Charlatán die Chuzpe, diese banale Erkenntnis in eine geheimnisvolle Formel wie "E = m x c²" zu gießen. [Deshalb ist Einstein auch nicht der "Vater der Atombombe", wie einige noch immer glauben. Er war lediglich derjenige, der am lautesten danach schrie, sie gegen Deutschland einzusetzen; und nur deshalb - nicht weil er etwa zum "Atomkraftgegner" mutiert wäre -, bedauerte er später auch, daß sie statt dessen auf Japan abgeworfen wurde, aber das ist eine andere Geschichte.]
Die Idee einer Wiedererweckung der Olympischen Spiele hat um 1800 ein schwedischer Pfarrer mit Namen Bogislaus. Der weiß nichtmal genau, wo Olympia überhaupt zu suchen ist, denn es ist längst zur Ruine verfallen und noch nicht wieder ausgegraben. Jedenfalls liegt es am Arsch der Welt, in einer ärmlichen Provinz des Osmanischen Reiches. "Griechenland" gibt es noch nicht wieder; die Hellenen müssen erst vom türkischen Joch befreit werden, denn aus eigener Kraft schaffen sie es offenbar nicht, wie wiederholt nieder geschlagene Aufstände beweisen. Aber die Europäer haben noch andere Sorgen - sie müssen sich erstmal selber befreien, von Napoleon. Erst danach können sie daran denken, den Griechen zu Hilfe zu kommen, obwohl die Begeisterung für das (vermeintliche) Griechentum in ganz Europa - besonders bei den "Philhellenen [Griechen-Freunden]" in Deutschland und England - beträchtlich ist. 1829 ist es endlich so weit: Die Alliierten (England, Frankreich und Rußland, wie gehabt - die deutschen Staaten halten sich heraus) besiegen das Osmanische Reich, und der Südzipfel von Griechenland - eigentlich nur der Pelopónnes ("Morea", wo auch die Ruinen von Olympia zu suchen sind), Évboia, Livadien und die Kykláden - wird unabhängig, unter britischem und russischem "Schutz." Noch im selben Jahr reist der französische Baron de Morée (der unsere Erinnerung viel mehr verdient als der andere französische Baron, dessen Name ständig mit den Olympischen Spielen in Zusammenhang gebracht wird) nach Olimbía und beginnt, in den Ruinen herum zu buddeln - leider geht ihm bald das Geld aus, und so reist er wieder ab, ohne allzu weit voran gekommen zu sein. Immerhin trägt er die Kunde von den olympischen Ruinen nach Europa - oder jedenfalls bis nach Tirol, wo sie einen gewissen Jakob Fallmerayer zu einer mehrjährigen Griechenland-Reise inspiriert.
München, Oktober 1830. Otto, der gerne mal eine Maß Bier stemmt (oder auch zwei oder auch drei), geht auf die Wies'n, um sich einen anzutrinken. Er ist zwar Prinz von Bayern (das ist kein Herzogtum mehr, auch noch kein Freistaat, sondern seit einigen Jahrzehnten ein Königreich von Napoleons Gnaden - die Beförderung des bayrischen Herzogs zum König hat den Sturz des korsischen Kaisers von Frankreich überdauert), aber daß er als Nachgeborener dort mal auf den Thron kommt ist äußerst unwahrscheinlich, also kann er sich statt auf Staatsgeschäfte vorzubereiten lieber auf dem Oktoberfest verlustieren. Das gibt es schon seit zwanzig Jahren, seit seine Eltern - der Wiggerl von Wittelsbach und die Resi von Hildburghausen - dort anläßlich ihrer Vermählung ein zünftiges Volksfest gefeiert haben. Aber anders als heutzutage wurde da nicht bloß gesoffen, sondern ausweislich der Bierkrüge auch Sport getrieben: Speerwerfen, Steinstoßen, Pferderennen und vor allem Turnen. (Die vier F, die das Sportlerkreuz bilden, stehen für "frisch, fromm, fröhlich, frei", den Wahlspruch der deutschen Turnerschaft.) Da waren die Bayern damals führend im Deutschen Bund, denn die Preußen hatten es als "staatsgefährdend" verboten; der "Turnvater Jahn" galt als gefährlicher Terrorist. Ja, liebe Leser, Untertanen, die sich fit halten, sind staatsgefährdend; allein der fette, rülpsende, pardon gemütliche Bierbauch macht keine Revolution! (Merkwürdig nur, daß anno 1830 fast überall in Europa Revolution gemacht wird - außer in Bayern; irgend etwas kann also nicht ganz stimmen mit der preußischen Logik.) Der Sieger erhält einen Lorbeerkranz, wie damals im alten Griechenland. Irgend jemand nennt diese Veranstaltung denn auch mehr oder weniger im Scherz "Festspiele im Geiste der Hellenen". Nun ja, warum nicht. Zwei Jahre später suchen die Griechen einen König. Trinkfest muß er sein und seine Apanage selber finanzieren können. Niemand will den Job geschenkt haben, zumal die Griechen ihren vorigen Regenten, den alten Grafen Kapodistrias - der Jahrzehnte lang den Kampf gegen die Türken geführt hatte - zum Dank ermordet haben. Aber Otto stört das nicht (wenn er es überhaupt weiß). Er macht sich wohlgemut auf die Reise, nimmt seine Frau Amalie mit und - seinen Turnlehrer. Und während an den Gymnasien Europas allenthalben das [Alt-]Griechische (oder was manche Deppen dafür halten) zum Pflichtfach gemacht wird, macht Otto an den Gymnasien Griechenlands das Turnen zum Pflichtfach - was nur recht und billig ist, denn "Gymnásion" (richtig "Jimnassion" ausgesprochen, mit weichem "j" und scharfem "s") bedeutete ursprünglich Turnhalle, weil in der Antike nackt (gymnós) geturnt wurde. Das (und vieles andere, was er einzuführen versucht) kommt nicht gut an; er wird mehr und mehr isoliert, und schließlich jagen die Griechen ihn und seine ganze "bayrische Wirtschaft" zum Dank davon.
Kein großer Verlust, wenn man Jakob Fallmerayer glauben darf, der inzwischen Professor in München geworden ist und als der führende Hellenismus-Forscher Europas gilt (außerhalb Europas gibt es noch keine). Er zieht nach mehr oder weniger eingehenden Studien vor Ort die ernüchterte und ernüchternde Bilanz: 1. Es gibt kein Bier in Athen, drum bleib' ich hier. 2. Die Griechen - die er sich, wie wohl die meisten Schreibtisch-Gelehrten und Stubenhocker damals, groß, blond und blauäugig vorgestellt hatte - sind in Wirklichkeit kleine, ja mickrige Kreaturen mit schwarzen Augen und Haaren, die nicht mal sein schönes Alt-Griechisch verstehen. "Das sind ja nur noch Türken-Bastarde", lautet sein vernichtendes Urteil - und bis es Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts verpönt wurde, solche "rassistischen" Sprüche zu zitieren, blieb das die herrschende Meinung. Dikigoros bezweifelt indes, daß die antiken Griechen jemals groß, blond und blauäugig waren (die Römer waren es ja auch nicht!), und was Fallmerayers Sprache anbelangt, so hätte sein Alt-Griechisch schon im Jahre null dort niemand mehr verstanden. Tatsächlich haben die Griechen die bemerkenswerte Leistung vollbracht, ihre alte Sprache - nicht die "klassische", aber die des Neuen Testaments - bis ins 19. Jahrhundert zu bewahren. (Ja sogar bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, als sie zugunsten des Großstadt-Dialekts von Athen abgeschafft wurde, aber das ist eine andere Geschichte). Zurück zu Otto. Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Die Griechen haben ihn nicht wegen, sondern trotz seiner sportlichen Initiativen davon gejagt, aus ganz anderen Gründen, die hier nichts zur Sache tun. Gegen Sport an sich hatten die Griechen nichts, auch nicht gegen Turnen. Noch drei Jahre vor Ottos Sturz werden (für die damalige Zeit sogar ziemlich aufwendige) "Hellenische Spiele" durchgeführt - freilich nicht in Olympia, sondern in Athen. Für Olympia interessieren sich damals weniger die Sportler als die Archäologen. Geredet wird schon lange von seiner Ausgrabung. Jeder ist dafür, aber niemand will sie bezahlen, die Griechen schon gar nicht - die könnten nicht mal, wenn sie wollten. Erst als der bayrische König verjagt ist, beginnen sich die Preußen für das Projekt zu interessieren. (Wenn Ihr mal nach Olimbía fahrt, liebe Leser, besucht das kleine Museum, da ist das alles etwas ausführlicher beschrieben als Dikigoros es an dieser Stelle abhandeln kann.) Allerdings gibt man den Plan, die alten Sportstätten wieder in Betrieb zu nehmen, bald auf. (Heute gibt es ein paar Kilometer entfernt ein wettkampftaugliches Sportstadion; Dikigoros hat sogar eine Veranstaltung dort mit erlebt.)
Athen 1859. Evangelos Zappa, ein griechischer Millionär aus Sofia (das lag damals noch im Osmanischen Reich; Bulgarien sollte erst 1878 unabhängig werden - bis dahin verlief die türkische Grenze noch an Donau und Sawe entlang; damals lebten im Osmanischen Reich noch fast dreimal so viele Griechen wie in Griechenland) hat die Idee, die Olympischen Spiele wieder zu beleben - und will sie sogar mit seinem eigenen Vermögen finanzieren. Doch die griechische Regierung lehnt es ab, sich an dem Projekt zu beteiligen - es gebe Wichtigeres zu tun im Lande. Da hat sie zweifellos Recht; aber Zappa organisiert die Spiele trotzdem - privat. Na ja, was Südländer so "organisieren" nennen. Andere würden es vielleicht "Chaos" nennen, was da in Athen abläuft; aber eigentlich paßt es ganz und gar zur althellenischen Tradition: Der Massenlauf - an dem jeder Grieche teilnehmen darf - wird zu einem wüsten Gedränge in den engen Straßen der Hauptstadt, bei dem jeder versucht, den anderen am Erreichen des Ziels zu hindern; er endet für einige im Krankenhaus, für andere im Gefängnis, und für wieder andere sogar im Olymp (oder im Hades, aber jedenfalls bei den Göttern :-). Das war wohl nichts; und obwohl in den nächsten Jahrzehnten noch ein paar ähnliche Anläufe unternommen werden, hat sich Athen - und Griechenland überhaupt - für die nächste Generation nachhaltig disqualifiziert, besonders wenn man sieht, wie so etwas anderswo organisiert wird.
Leipzig 1863. Nicht daß Ihr glaubt, liebe Leser, nur die Bayern interessierten sich in Deutschland für Sport. Da waren ja auch noch die Sachsen. Und die veranstalteten in ihrer heimlichen Hauptstadt (die offizielle war - wie heute wieder - Dresden) ein Sportfest der Superlative, mit über 20.000 Teilnehmern aus ganz Europa (damals eine organisatorische Leistung ersten Ranges), und obwohl diese nur als "3. Deutsches Turnfest" (das erste hatte 1860 in Coburg statt gefunden - das damals noch nicht zu Bayern gehörte, sondern zu Thüringen -, das zweite 1861 in Berlin) in die Geschichte einging, war es doch weit mehr als eine Übung für Geräte-Turner; vielmehr gehörten auch Laufen und Schwimmen, Springen und Werfen zu den Disziplinen. Diese "Turnfeste" finden fortan im Schnitt alle vier Jahre statt und erlangen bald Weltgeltung, denn nunmehr erfreuen sie sich selbst in Preußen allerhöchster Huld und Förderung, glaubt man doch inzwischen, daß sich die körperliche Ertüchtigung auch positiv auf die Wehrtauglichkeit auswirkt. Und das wurde ein immer wichtigerer Gesichtspunkt, denn Preußen und die anderen deutschen Länder begannen gerade, eine Reihe von mehr oder weniger überflüssigen Kriegen zu führen, und das ganz ohne die paramilitärische Ausbildung, denen in anderen Staaten schon die Jugendlichen unterzogen wurden - warum sollte man diese verdienstvolle Aufgabe nicht den Turnvereinen überlassen? Preußen hat diese Kriege übrigens alle gewonnen, und so kam es, daß Deutschland bald geteilt, pardon, wieder vereinigt war. (Was denn nun? In Euren Märchen- und Geschichten-, pardon Geschichts-Büchern, liebe Leser, steht letzteres; aber Dikigoros als halber Ostmärker darf doch die Wahrheit schreiben, oder? Nämlich daß Bismarck, der sture MagPom, sein Mutterland aus Deutschland hinaus gedrängt, damit die deutsche Einheit zerstört und den Grundstein zu jener verhängnisvollen Entwicklung gelegt hat, die zu zwei Weltkriegen und der Zermalmung Mitteleuropas zwischen Amerika und seinen Satelliten einerseits und Rußland und seinen Satelliten andererseits führen sollte.) Aber dies ist nicht der Grund, weshalb Dikigoros kein großer Freund des Turnens ist; vielmehr haben ihn seine Eltern zu früh, als er noch ganz klein war, in den Turnverein gesteckt, und das hat ihm die Sache gründlich verleidet. Bismarcks Zeitgenossen aber wird Deutschland, jenseits des Kanals noch 1863 als "Poor Little Germany" bemitleidet, zum verhaßten Land des Militarismus und - der Turner.
Haß und Neid blühen vor allem jenseits des Rheins, pardon, jenseits der Maas, denn der Rhein ist nun - nach der Rückkehr Elsaß-Lothringens ins Reich - für einige Jahrzehnte Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze. (Wäre Bismarck der große Außenpolitiker gewesen, für den ihn einige Deppen, pardon Berufs-Historiker noch immer halten, hätte er keinen Krieg gegen Napoleon III. von Frankreich - einen durchaus vernünftigen Mann - vom Zaun gebrochen, sondern das damals noch überwiegend deutsche Luxemburg einkassiert und ihm - dem Empereur - als "Kompensation" den französisch-sprachigen Teil Belgiens in den Rachen geschoben, womit er Frankreich der immer währenden Feindschaft Englands versichert hätte. So aber zementierte er völlig unnötig die deutsch-französische "Erbfeindschaft". [Als Jurist erlaubt sich Dikigoros die Anmerkung, daß man ungünstige Erbschaften auch ausschlagen kann; aber in der Vorlesung über Erbrecht hatte Bismarck als Jura-Student wohl gefehlt.])
Mit Neid erfülltem Blick auf die glänzenden deutschen Turnfeste - 1885 findet wieder eines des Superlative statt, im sächsischen Dresden - hält Pierre, ein junger, selbst gänzlich unsportlicher Tunichtgut, in Paris Maulaffen feil. Er stammt aus einem alten, braven Dienstadels-Geschlecht, derer von Coubertin, das Frankreich seit Jahrhunderten mehr oder weniger tüchtige Diplomaten, Offiziere und Verwaltungsbeamte gestellt hat. (Ja, liebe Leser, viele der bekanntesten Franzosen stammten aus Italien, wenngleich der Ruhm der Cu[m]bertini es nicht mit dem der Mazzarini, Buonaparte, Piccoli oder Platini aufnehmen konnte.) Aber Pierre hat keine Lust zu arbeiten oder sonst irgend etwas Sinnvolles zu tun, also gründet er mit 25 Jahren ein "Propaganda-Komitee für den Sport", das praktisch nur aus ihm selber besteht. Als er vier Jahre später dazu aufruft, "Olympische Spiele" zu veranstalten, nimmt man ihn kaum zur Kenntnis, und wenn, lacht man ihn bloß aus. "So etwas kostet Geld, junger Mann", wird er belehrt. Dadurch nicht entmutigt, drängt sich Pierre der Union der französischen Leichtathletik-Vereine als "Sekretär" auf und läßt diese, wiederum zwei Jahre später, den "Beschluß" fassen, die Olympischen Spiele wieder zu beleben. Natürlich in der französischen Hauptstadt Paris - wo sonst? Als sportliches und kulturelles Gegengewicht der "Grande Nation" gegen die Turnfeste der bösen Deutschen - Pierre hat, wie die meisten Franzosen seiner Zeit, den fast ein Vierteljahrhundert zurück liegenden verlorenen Krieg nicht vergessen und lüstet als braves Mitglied der "Liga der Patrioten" nach Revanche für 1870. Das ist freilich nicht das einzige, wonach der junge Baron dürstet. Er kennt sich bestens aus in der Pariser "Szene". Dort florieren die vielen Établissements, denen Paris seinen Ruf als "Königin der Nacht" verdankt, die Bars, die Clubs und die Music-halls. (Mit Rücksicht auf ihre wichtigste Kundschaft, Touristen aus England und USA, trugen diese Läden schon damals englische Bezeichnungen; was die Deutschen "Variété" nennen, heißt auf Französisch "Show"; das französische Wort "variété" bedeutet "Schlager".) Dort sangen, tanzten und tranken die leicht(geschürzt)en Mädchen und erbrachten auch weiter gehende Dienstleistungen für zahlungskräftige Kunden - aber erst später verkamen einige von ihnen zu reinen Strip- und Bums-Lokalen. Coubertin überredet einen der Betreiber, einen russischen Mafioso, mit dem er gut befreundet ist, seinen Laden von "Montagnes Russes" [Russische Berge - gemeint waren natürlich die Rundungen der russischen Gast-Arbeiterinnen; schon damals waren in jenem Gewerbe kaum Französinnen, geschweige denn Pariserinnen tätig, sondern fast nur Ausländerinnen] in "Olympia" umzubenennen. Unter diesem Namen sollte es mit dem Unternehmen steil bergauf gehen (als Dikigoros jung war, hatte es die größte und bedeutendste Bühne für Unterhaltungs-Musik in Westeuropa); und es ist das einzige seiner Art, das sich bis heute gehalten hat, mehr als ein Jahrhundert lang - alle anderen haben im Disco-Zeitalter nach und nach dicht machen müssen.
Und weil das alles so ist, wird in das "Internationale Olympische Comité" [IOC - so heißt es bis heute] selbstverständlich kein Deutscher berufen, auch kein Deutsch-Österreicher, vielmehr - zur Provokation der Habsburger Doppelmonarchie - je ein Vertreter Böhmens und Ungarns. Doch die Sache gleitet dem hochstapelnden jungen Baron bald aus der Hand - fürs erste wenigstens. In Griechenland, genauer gesagt in den griechischen Auslands-Kolonien von Odessa bis Kairo (so weit hatte sich einst das Osmanische Reich erstreckt, und die Griechen waren als seine Untertanen dorthin gekommen) spitzt man die Ohren: Olympische Spiele im Ausland? Warum nicht in Griechenland? Es gibt kein Stadion? In Olimbía ist kein Platz, um ein neues zu bauen? Und Geld ist auch keines da? Dummes Zeug, denkt Georg Awerow aus Odessa, ein Jude, der sich als griechischer Patriot fühlt, und da er in Ägypten als Kaufmann ein Vermögen verdient hat, greift er mal eben kurz in seine Privat-Schatulle und spendiert die Kleinigkeit von 900.000 Drachmen. (Eine Gold-Drachme von damals hatte in etwa die Kaufkraft von 10 heutigen Teuros.) Der griechische Staat stellt großzügig das Gelände zur Verfügung (das Ruinenfeld, auf dem einst das Stadion des Herodes Attikus stand), und die Differenz zu den übrigen Organisationskosten wird durch den Verkauf von Olympia-Briefmarken gedeckt (es bleibt sogar noch ein netter kleiner Gewinn übrig). Coubertin schäumt vor Wut, daß man ihm "seine" Idee geklaut hat, denn zu allem Überfluß ist auch noch ein waschechter Preuße, der Berliner Willi Gebhardt, ins IOC nachberufen worden. (Als Gegenleistung dafür, daß die Deutschen sich verpflichten, neue Turngeräte mit zu bringen - in Griechenland gibt es nur noch die alten aus der Zeit der "bayrischen Wirtschaft", und die lösen sich langsam aber sicher in ihre Bestandteile auf.) Die meisten Wessis haben wahrscheinlich noch nie von ihm gehört; aber Ihr, liebe gebürtige Ossis, müßtet ihn noch kennen, wenigstens dem Namen nach, denn die DDR hat sein Andenken in Ehren gehalten als das des dritten großen Deutschen, der sich um die Olympiade verdient gemacht hat, nach Karl Marx und Friedrich Engels, versteht sich, die schon 1866 eine Arbeiter-Olympiade gefordert haben sollen. (Dikigoros war nicht dabei und kann es daher nicht beschwören, sondern nur unter Vorbehalt weiter geben.) Auf gut preußische Art reißt Gebhardt die Organisation - die formell dem griechischen Kronprinzen Konstantin untersteht - bald an sich. (Nur böse Zungen behaupten, daß aus der Olympiade sonst auch kaum etwas geworden wäre.)
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Ein verregnetes Frühjahr zieht über Griechenland. In Olimbía - dem antiken Olympia - ist es um diese Jahreszeit gähnend leer. In Athen aber beginnen anno 1896 tatsächlich die ersten, pardon I. Olympischen Spiele der Neuzeit. Das ist damals noch eine hübsche, völlig unversmogte Kleinstadt. (Laßt Euch nicht von der Rauchfahne auf der Medaille rechts oben irre führen, liebe Leser, die gehört zu dem komischen Vogel im Vordergrund, der "Phoenix aus der Asche" darstellen soll!) Und damit kommen wir endlich zu unseren ersten Reisenden in Sachen Olympiade. Wer reist überhaupt hin? Und wie und wann? Und auf wessen Kosten? Wichtige Fragen, gegenüber denen die sportlichen weit zurück treten. Von damals stammt der Spruch "dabei sein ist alles" (über den die alten Hellenen nur herzlich gelacht hätten - nicht umsonst hatten sie die größte und schönste Statue nach der des Zevs der Siegesgöttin Níkä gewidmet :-), denn wer das geschafft hat, hat damit mehr geleistet als heute ein hoffnungsvoller Olympionik, der sich zwar durch die Qualifikation gequält (oder gedopt oder sonstwie gemogelt) hat, aber alle übrigen Probleme von seinem Nationalen Olympischen Komitee aus dem Wege geräumt bekommt. Wer damals durch kommt, für den ist es, damit verglichen, ein Kinderspiel, zu gewinnen - jedenfalls wenn er (nein, nicht "oder sie"! Frauen dürfen selbstverständlich nicht mit machen - aber immerhin zuschauen, die Athleten sind ja nun nicht mehr nackt) den Schiedsrichter auf seiner Seite hat. Ihr glaubt das nischt, liebe Leser? Dann nehmt mal an, Ihr seid zum Segeln oder Rudern angereist, und die Wettkämpfe fallen ins Wasser. Jawohl, ins Wasser, denn es regnet pausenlos (die Olympiade findet nicht im Sommer statt, sondern in der ersten Aprilhälfte), und sie werden ersatzlos gestrichen. Oder zum Cricket, und stellt dann fest, daß Ihr nur gegen Euch selber antreten könntet, weil außer den Engländern niemand da ist, der dieses bekloppte Spiel spielen will. Oder Ihr seid ein braver Student im amerikanischen Harvard, habt, um an der Olympiade teil nehmen zu können, das Semester geopfert, seid dafür - da die Teilnahme an derart unseriösen Spielchen keinen Beurlaubungsgrund darstellt - sogar von der Uni geflogen und habt auf eigene Kosten eine Schiffspassage von New York nach Piräus gebucht, wie Jimmy Conolly. Als Ihr ankommt, wundert Ihr Euch, daß überall die Uhren falsch gehen und die Kalender-Blätter schon viel zu weit abgerissen sind. Sind die Griechen zu blöd, um auf die Uhr zu schauen (ein seltenes, wertvolles Instrument, das damals noch nicht jeder ums Handgelenk trägt, schon gar nicht in Griechenland; übrigens auch nicht in den USA - noch 50 Jahre später sollte es ihr bevorzugtes Beutestück sein, als die Mitteleuropa besetzten und ausplünderten) und auf den Kalender? Das ist Ansichtssache: Sie messen die Zeit halt nicht nach der New Yorker Eastern Time, sondern nach ihrem eigenen Sonnenstand. Das mag ja noch angehen - aber das Datum? Nun, die orthodoxe Kirche hält noch am alten julianischen Kalender fest, nicht nur in Rußland (dort wird er erst 1917 abgeschafft), sondern auch in Griechenland. Die Wettkämpfe sind längst im Gange, Scheiß-Spiel[e]. Aber Jimmy, nicht faul, nimmt den nächsten Eselskarren nach Athen. Da läuft gerade der Dreisprung. Er macht mit und gewinnt; im Hochsprung wird er zweiter, im (einfachen) Weitsprung (mit Anlauf - es gibt auch einen aus dem Stand; den gewinnen die Griechen, ebenso den Hochsprung aus dem Stand) immerhin dritter, so what.
Dikigoros verrät Euch absichtlich nichts über die Höhen, Weiten und Zeiten, liebe Leser, sonst könnten einige von Euch ein herablassend-geringschätziges Lächeln aufsetzen - besonders diejenigen, die selber noch nie auf dem Sportplatz gestanden und einen Wettkampf bestritten haben, sondern nur aus dem Fernseher die so genannten "Höchst"-Leistungen der hoch gedopten, pardon gelobten Top-Athleten unserer Zeit kennen, die ihr Lebtag nichts anderes tun, als auf diese "Leistungen" hin zu trainieren. Ja, Dikigoros selber hätte noch vor wenigen Jahren fast alle Leistungen der Olympia-Sieger von 1896 leicht überboten - aber er hatte auch ganz andere Laufbahnen, Startblöcke, Schuhe und Geräte zur Verfügung als die armen Schweine damals. Fritz aus Berlin zum Beispiel. Eigentlich wollte er 800 m laufen. Ist er auch; aber im allgemeinen Gedrängel und Geschubse auf dem verdammten Acker, der sich "Laufbahn" schimpft, ist er ins Straucheln gekommen und ausgeschieden. Na wenn schon; er geht mit seinem irischen Leidensgenossen Johnny einen trinken. Im Laden neben der Kneipe gibt es billig Tennisschläger zu kaufen. Vielleicht sollten sie das Laufen aufgeben und statt dessen auf Tennis umsatteln? Gesagt, getan, sie kaufen sich jeder einen Schläger, und wenn sie schon mal hier sind, können sie ja auch gleich mal üben, am besten gleich bei der Olympiade (ja, damals war Tennis schon olympische Disziplin)! Sie gewinnen das Doppel, und Johnny auch noch das Einzel - so einfach war das. Oder im Diskuswerfen. Nein, liebe Leser, das ist fürwahr keine einfache Disziplin. Außer in Griechenland wurde sie damals eigentlich nirgends praktiziert; aber da man wußte, daß die Griechen in den meisten anderen Disziplinen kaum Sieges-Chancen hätten (jedenfalls wenn alles mit rechten Dingen zuginge), wurde sie halt mit ins Programm genommen. Robby Garret ist eigentlich zum Kugelstoßen angereist. Beim Warmmachen stolpert er über so eine komische Scheibe, wie er sie noch nie gesehen hat. Ärgerlich wirft er sie weg. Sie fliegt erstaunlich gut und weit. Später erfährt er, daß das auch eine olympische Diziplin ist und meldet gleich nach. Am nächsten Tag wird er Olympiasieger im Diskuswerfen - und am übernächsten im Kugelstoßen. Da wollte auch ein gewisser Kalle Schuhmann aus Deutschland mit machen, der eigentlich Turner ist (er wird den Pferdsprung gewinnen) aber als Pipifax von 1,57 m hat er natürlich keine Chance. Also meldet er sich auch noch für den Ringkampf an - zur allgemeinen Erheiterung aller "richtigen" Ringer. (Es gibt keine Gewichtsklassen; ein Koloß von Rhodos kann also gegen einen Zwerg antreten.) Das Lachen vergeht ihnen bald. Das Finale - gegen einen Griechen - gewinnt Kalle in der Wiederholung. (Damals gibt es in den Kampfsportarten noch keine Punktsiege, es wird bis zur Entscheidung gerungen; der erste Kampf mußte wegen Einbruch der Dunkelheit - es gab noch kein Flutlicht, sondern bloß Fackeln - abgebrochen werden.) Die Griechen sind stinksauer, daß es offenbar bei keinem ihrer Athleten zum Sieg reicht - jedenfalls nicht auf reguläre Art und Weise. Kann man da nicht etwas nachhelfen? Aber ja doch: Man türkt einfach die Ergebnislisten: Das 100-m-Schwimmen (bei 12° Wassertemperatur im Saronischen Golf) gewinnen zwei Deutsche, der unter dem falschen Namen "Hajós" für Ungarn startende Arnold Guttmann vor dem für Österreich startenden Otto Herschmann - die Griechen schreiben einfach einen gewissen Efstathios Chorafas als Zweiten auf (der gar nicht mit geschwommen ist); ärgerlich nur, daß auch noch andere Leute Buch führen und der Schwindel auffliegt... Da erfindet man einfach über Nacht das "Matrosenschwimmen" als neue olympische Disziplin. Was das besondere daran ist? Na was wohl: Es dürfen nur griechische Matrosen daran teilnehmen - die brauchen zwar fast doppelt solange wie die "normalen" Schwimmer, aber der Zweck ist erfüllt. Und noch eine neue "olympische" Disziplin wird erfunden: Das "Tauklettern" auf einen 14 m hohen Schiffsmast. Ob wieder nur griechische Matrosen mit machen dürfen, ist nicht überliefert, jedenfalls stellen sie die Sieger - bravo! Dann sorgen noch der griechische König und der griechische Kronprinz als Oberschiedsrichter im Turnen (stellt Euch ein paar lächerliche, gesichtsalte Männer in langen Unterhosen vor, die im Gleichtakt Kniebeugen machen) und im Fechten höchstpersönlich dafür, daß durch Schiebung auch dort wenigstens einige Griechen zum "Erfolg" kommen.
Zum größten Skandal aber werden die Marathons. Moment mal, was haben die denn mit Olympia zu tun? Berechtigte Frage. Antwort: Gar nichts, jedenfalls nichts mit den olympischen Todesspielen der Antike. Aber das ist wie mit dem Diskus-Werfen: Die Griechen wollen ja auch die eine oder andere Medaille gewinnen, und so wird halt der "Marathon" hinzu genommen, weil man meint, daß sie da gute Chancen haben. Über das historische Vorbild dieses Laufs ist jede Menge blühenden Unsinns im Umlauf, etwa wie folgt: Im Jahre 490 v.C. schlug das heldenhafte Heer der Griechen das der bösen Perser bei Maráthon (bitte nicht auf der ersten Silbe betonen, liebe Leser - "márathon" ist der Fenchel). Um die freudige Botschaft dieses Sieges nach Athen zu bringen, wurde ein gewisser Filippides oder Fidippides (oder, wenn Ihr so wollte, liebe Küchen-Griechen-Humanisten, "Philippides" bzw. "Phidippides") los geschickt, der so schnell lief, daß er nach den Worten: "Wir haben gesiegt" vor Erschöpfung tot zusammen brach, publikumswirksam mitten auf dem Athener Forum.
Glaubt Ihr das, liebe Leser? Im Ernst? Dann will Dikigoros Euch mal aufklären. Also, erstens hieß der gute Mann mit Sicherheit weder "Filippides" noch "Fidippides", denn damals pflegten Namen noch einen Bezug zu ihrem Träger zu haben, und wenn der ein "Pferdefreund" gewesen wäre, dann hätte er nicht den Beruf eines Meldeläufers ergriffen (oder sich als solcher einen anderen Namen zugelegt, wenn er denn überhaupt einen trug: Meldeläufer waren oft Sklaven, und diese wiederum oft namenlos - jedenfalls für die Geschichtsschreiber). Nein, die alten Griechen aßen zwar das Fleisch wilder Pferde, aber sie waren seit je her unfähig (und sind es bis heute), Reitpferde zu züchten (ebenso wie sie unfähig waren, Schiffe zu bauen, nur deshalb konnte die persische Flotte ja ungehindert bei Maráthon landen); das konnten nur ihre Nachbarvölker, die Thraker und Makedonier - letztere brachten später auch Namen wie "Filippos", "Filippides" usw. nach Griechenland, und überhaupt die Bezeichnung "híppos" für Pferd. Die Griechen selber nannten dieses Tier ursprünglich "álogo[s]" - das Unlogische, Unvernünftige [so nennen sie es übrigens bis heute, wenn sie die Speise, Pferdefleisch, meinen], und was sie vom Reiten hielten, zeigt nichts deutlicher als ihre Sage von den bösen "Kéntavren", den Pferde-Menschen, die ständig unverdünnten Wein soffen (was für echte Griechen fast so unvorstellbar ist wie unverdünnten Anis-Schnaps [Ouzo] zu trinken; ihr Wort für Wein - Krasí - bedeutet [mit Wasser] "Vermischter") und Frauen raubten (auch das für echte Griechen völlig unverständlich - wenn es noch Lustknaben gewesen wären!): Reiten erschien ihnen nicht nur unlogisch, sondern unheimlich, geradezu gotteslästerlich, deshalb siegten in der Sage auch die Lapithen (die Bewohner Thessalíens) über die Kéntavren (die Bewohner Thrákiens). [An diesen Sieg erinnert übrigens bis heute der Name der Stadt Thessaloníki, denn Níki war die Siegesgöttin (und Nikoláos war ursprünglich nicht der Weihnachtsmann, sondern der "Besieger des Volkes", d.h. derjenige, der einen Aufstand des Pöbels nieder schlägt :-).] Zweitens handelte es sich nicht um ein Heer "der" Griechen, sondern - da die griechischen Stadtstaaten einander für gewöhnlich nicht sonderlich grün waren - nur um eines der Athener. Das ist ein wichtiges Detail, denn als die Athener sahen, daß die Perser ihnen zahlenmäßig weit überlegen waren, schickten sie zähneknirschend ihren besten Meldeläufer (dem man im Nachhinein den Namen "Filippides" oder "Fidippides" andichtete, vielleicht um auszudrücken, daß er laufen konnte wie ein Pferd) mit der Bitte um Hilfe nach Sparta. (Es gab noch keine Post-Kutschen, kein Telefon oder Handy, liebe junge Leser, die Ihr das unlogisch finden möget.) Die Spartiáten waren zwar ihre ärgsten Feinde innerhalb Griechenlands, aber auch dessen beste Soldaten (obwohl es damals noch keine "Spartakiaden" gab). "Fidippides" rannte die 222 km von Athen nach Sparta querfeldein in 36 Stunden, nur um sich eine Abfuhr zu holen: Der Mond stehe nicht günstig, um den Athenern zu helfen; sie sollten schon mal alleine anfangen zu kämpfen, die Spartiáten kämen bald nach.
Was blieb dem armen "Fidippides" übrig, als mit dieser traurigen Nachricht dieselbe Strecke wieder zurück zu laufen? Er kam gerade rechtzeitig in Maráthon an, um in den Kampf geworfen zu werden - die Athener konnten auf keinen Mann verzichten, egal wie müde oder erschöpft er war. Als die Schlacht vorbei war, hätte "Fidippides" bestimmt etwas besseres zu tun gehabt, als sich nochmal 40 km abzuhetzen, nur um eine Siegesmeldung nach Hause zu bringen - das hätte man auch einem anderen Läufer überlassen können. Aber es war ja nicht so, wie es bis heute in unseren Schulbüchern steht, daß die Athener nun "die Perser" vernichtet hätten. Gewiß, ihnen gelang eine kleine, taktisch gelungene Überrumpelung im Morgengrauen. (Eigentlich war es ein Selbstmord-Kommando: ein verzweifelter Sturmangriff der schweren Infanterie - die Griechen hatten wie gesagt keine Kavallerie - über 1.500 m freies Feld ungeachtet der weltberühmten persischen Bogenschützen; damit konnte auf der Gegenseite niemand rechnen, und es wäre auch beinahe schief gegangen, wenn nicht die Hilfstruppen der Perser versagt hätten.) Die Perser hatten ein paar tausend Gefallene zu verzeichnen; aber kriegsentscheidend war das in keiner Weise. Vielmehr schiffte sich die Hauptmacht der Perser schleunigst ein, um das athenische Heer zu umgehen, genauer gesagt zu umrudern, und in seinem Rücken die von Truppen entblößte Hauptstadt anzugreifen. Also mußte "Fidippides" nochmal ran, um die Athener zu warnen, und diese letzten 40 km brachten das Faß halt zum Überlaufen - vermutlich starb er an Unterzuckerung. Das war dann aber die Folge der gesamten 484 km, die er binnen vier Tagen gelaufen war - von läppischen 40 km fiel damals kein Berufsläufer tot um. Sein Einsatz war übrigens nicht vergeblich, denn inzwischen stand der Mond wohl günstiger, und die Spartiaten hatten sich nun doch bequemt, Athen zu Hilfe zu kommen (und ein paar andere Stadtstaaten auch); gemeinsam wehrten sie die Perser vor Athen ab, und damit war die abendländische Kultur vor dem Ansturm der bösen, persischen Barbaren, der orientalischen Despóten und Týrannen gerettet - so hat es Dikigoros jedenfalls auf der Schule gelernt.
Aber auch das stimmt nicht. Denn drittens waren die alten Perser gar keine bösen Bárbaren (die Griechen betonen dieses Wort auf der ersten Silbe), sondern ein hoch zivilisiertes Kulturvolk - die primitiven Barbaren waren vielmehr die griechischen Stämme, die Achaïer (zu ihnen zählten die Athener), die Dorier (wie die Ger-manen [die Speer-Mannen] nach ihrer wichtigsten Kriegswaffe, dem Speer [Dóry], genannt - zu ihnen zählten die Spartaner) und die Íoner. Letztere waren - entgegen allen Schulbuch-Weisheiten - die wichtigsten, denn sie waren die Hauptträger der Kolonisations-Bewegung nach Kleinasien. Hómäros, der mutmaßliche Verfasser der Iliáda - der sich im Grabe umdrehen würde, wenn er wüßte, daß seine größten Fans, die Deutschen, seinen Namen penetrant auf der zweiten Silbe betonen -, war Íoner aus Smyrnä, dem heutigen İzmir. Nur ein Íoner konnte die Iliáda so schreiben, wie sie geschrieben wurde, denn die baut ja auf dem Groll des Achill auf, der bekanntlich vom Streit um eine Sklavin herrührte; und die Íoner waren das einzige Volk im alten Hellás, bei dem Schwulitäten nicht geduldet wurden; die anderen hätten sich allenfalls um einen Lustknaben gestritten. (À propos: Bitte nennt doch die Dorier nicht "Dorer" und die Íoner nicht "Jonier"; auch wenn es nur um das sprichwörtliche eine "Ióta" zuwenig oder zuviel geht - um das haben, wie einige von Euch vielleicht wissen, die Griechen lange, blutige Religionskriege geführt!) Die Íoner waren es auch, die den Aufstand gegen die Perser angezettelt und damit deren Straf-Expedition provoziert hatten - nach ihnen heißt Griechenland bis heute in den meisten östlichen Sprachen "Yunani". (Wonach die Griechen selber ihr Land "Hellás" nannten, weiß Dikigoros nicht - die Herleitung von einem gewissen Herrn "Hellen" überzeugt ihn nicht -; er kennt auch nicht die Etymologie von "Graecia", dem lateinischen Wort, das sich im Westen durchgesetzt hat - vielleicht hilft ihm mal jemand weiter. Aber bitte nicht nur durch den Hinweis, daß "Hellás" ursprünglich eine Landschaft in Thessalien hieß - das erklärt ja nicht, woher deren Name kam :-) Daß die Perser damals auf ein weiteres Vordringen gen Westen verzichteten war ein großes Unglück für Griechenland und Europa, ebenso wie es ein großes Unglück für Deutschland und Europa war, als die Römer rund ein halbes Jahrtausend später, nach der "Varus"-Schlacht im Teutoburger Wald (oder wo immer die sonst statt gefunden haben mag) auf ein weiteres Vordringen gen Osten verzichteten. Die antiken Perser waren noch nicht die arabisierten und islamisierten Iraner von heute, sondern Indoarier, die an der Schnittstelle der alten ägyptischen, mesopotamischen und indischen Kulturen lagen und diese den primitiven Europäern hätten vermitteln können. Diese drei großen Kulturen sind inzwischen - wie auch die persische selber - dem verfluchten Islam und seinen minderwertigen Trägern zum Opfer gefallen (mit Ausnahme eines kleinen Teils von Indien, über den Dikigoros an anderer Stelle berichtet). Aber uns in Europa hätten ihre Schätze erhalten bleiben können - wohlgemerkt lebend, nicht in Form von toten Exponaten in irgendwelchen verstaubten Museums-Vitrinen -, wenn, ja wenn die alten Griechen es nicht verhindert hätten.
[Exkurs: Dikigoros steht mit dieser Auffassung übrigens nicht allein. Keine Geringeren als der Athener Themistokles und der Spartaner Pausanias - zwei Persönlichkeiten, deren politischer Weitblick über jeden Zweifel erhaben sein dürfte - sahen es genauso und entschieden sich aus freien Stücken und unabhängig von einander, ins Lager der Perser zu wechseln. Thukydides, der olle Kommißkopp, hat sie darob als "Verräter" gebranntmarkt; und da sein Werk das einzige auf uns gekommene jener Zeit ist, glauben ihm die modernen Historiker blind. Tatsächlich war er bloß ein wegen Unfähigkeit geschaßter General im - nicht freiwillig gewählten - Exil, und das, was man heute "Die Geschichte des Peloponnesischen Krieges nennt" - er selber hat weder den Krieg noch sein Werk so genannt -, enthält zwar viele schöne Gemeinplätzchen (die vor allem deutsche Historiker so lieben :-), aber die sind eher filosofischer Natur; und seine Haupttriebfeder dürfte weniger die Liebe zu genauen historischen Fakten gewesen sein als - mehr indirekte als direkte, aber für den Kenner unübersehbare - Seitenhiebe auf den großen Heródot (dem er nicht das Wasser reichen konnte), dessen Spekulationen - die, wie wir heute wissen, meist durchaus fundiert waren - er seine eigenen gegenüberstellt, die überwiegend haltlos sind. Abgesehen davon, daß die griechischen Städte in Kleinasien vom Perserkönig nicht annähernd so brutal unterdrückt und ausgebeutet ("besteuert") wurden wie die griechischen Städte, die unter der Fuchtel Hegemonie Athens standen (den "Attischen Bund", liebe Leser, müßt Ihr Euch in etwa wie die NATO vorstellen, wo die Vasallen Verbündeten der USA ja auch nichts zu [be]stellen haben als Kanonenfutter Soldaten und Zwangsabgaben Mitgliedsbeiträge) - deren Empörung war übrigens der eigentliche Grund für den Krieg -, hätte doch selbst der größte Trottel zumindest im Nachhinein erkennen müssen, daß ein Anschluß von Hellás an das Perserreich den Griechen nicht im entferntesten so viel Unglück hätte bringen können wie der furchtbare 20-jährige Bruderkrieg, in den sie sich nach ihrem Pyrrhossieg, pardon, Pyrrhos war ja noch gar nicht geboren, nach ihrem Sieg über die Perser verstrickten. Exkurs Ende.]
Fazit: Statt die Schlacht von Maráthon bis heute als großes Heldenstück zu feiern, sollte man besser jedes Jahr am Schandtag der Erinnerung an dieses Verderben einen griechischen Berufs-Läufer - vielleicht einen der gedopten Profi-Leichtathleten - öffentlich zu Tode hetzen, notfalls 484 km weit (wobei Dikigoros überzeugt ist, daß die Schlaffis von heute viel früher umfallen würden). Und viertens stimmt auch das Bild nicht: Dikigoros hat zwar auf der Schule gelernt, daß die Plastik vom 2. Titelbild - deren Replik jetzt in einem römischen Museum steht - einen sterbenen Gallier darstelle; aber aus heutiger Sicht scheint ihm das kein Sterbender zu sein, sondern einfach ein Erschöpfter - vielleicht vom Marathon-Lauf?
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heim zu Reisen durch die Vergangenheit