Über Land von Meer zu Meer
von Port Said nach Es-Suwés
von Kiel nach Brunsbüttel
von Colón nach Panamá
(und von Kawthaung nach Kra?)

[Ferdinand de Lesseps, Vater des Suez- und des Panamá-Kanals] [Kaiser Wilhelm II, Namensgeber des heutigen Nordostsee-Kanals]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
REISEN DURCH DIE VERGANGENHEIT
GESCHICHTEN AUS DER GESCHICHTE

Über den Wert und Unwert von Reisen kann man lange und trefflich streiten, besonders wenn man "Reisen" in seiner ursprünglichen Bedeutung versteht, über die Dikigoros an anderer Stelle mehr schreibt. Doch über die grundsätzliche, filosofische, akademische und letztlich sinnlose Frage, ob die Eroberung, pardon "Befreiung" heißt das ja heute, von Stadt, Land, Fluß - oder gar Mensch - einen Krieg "wert" ist, ist schon so oft und so ausführlich geschrieben und gestritten worden, daß Dikigoros darauf keine eigene Antwort (die wahrscheinlich lauten würde: "Es kommt darauf an" :-) geben, sondern vielmehr die umgekehrte Frage stellen will: Welchen Wert haben bestimmte - nein, nicht Städte, Landschaften und Flüsse, denn die sind ja sowieso da - künstliche, eigens zum Zwecke des Reisens (in beiderlei Bedeutung) vom Menschen geschaffene Wasserstraßen gehabt? Haben sie dem letzteren seine Reisen ermöglicht, erleichtert, gewinnen helfen - oder waren sie letztlich ihr Geld (und all die anderen Einsätze) nicht wert, vielleicht sogar völlig wertlos? Als Dikigoros dieses Kapitel seiner "Reisen duch die Vergangenheit" entwarf, gab er ihm den Titel "Canale grande"; aber dann ließ er sich überzeugen, daß dies Suchmaschinen und Surfer in zweierlei Hinsicht irre führen könnte: Zum einen dadurch, daß dies ja ein feststehender Name für einen ganz bestimmten Kanal ist, nämlich im schönen Venedig; und wiewohl Dikigoros immer mal wieder mit dem Gedanken gespielt hat, eine seiner "Reisen durch die Vergangenheit" den "Kanalstädten" Amsterdam, Su-chou, Venedig usw. zu widmen, hat er sich denn doch nie dazu aufgerafft. Zum anderen durch das "grande"; denn die Bedeutung der hier vorgestellten Kanäle beruht nicht auf ihrer Länge - sonst hätte er hier ganz andere Projekte vorstellen müssen, wie den 1.800 km langen Kaiser-Kanal in China, der den Yangtse mit dem Huangho verbindet (übrigens ohne Nord- und Südchinesen einander näher gebracht zu haben, nicht einmal handelsmäßig) oder die Kanalisierung des Sankt-Lorenz-Stroms in Nordamerika, welche die großen Erwartungen - und Investitionen -, die man in sie steckte (Dikigoros erinnert sich noch an den diesbezüglichen Abschnitt in seinem ersten Geografie-Lehrbuch), nie rechtfertigte. Nein, auf dieser Reise geht es darum, wie man zwei Meere durch eine Wasserstraße über Land miteinander verbinden und dadurch eine möglichst große Fahrtstrecke einsparen kann, und - wie viel Sinn das macht. Klingt der letzte Teil der Frage nicht etwas absurd? Muß es nicht jedermann einleuchten, daß solche Projekte per se sinnvoll sein müssen und deshalb nur Gutes bewirken können? Theoretisch schon, liebe Leser; aber wie schon ein bekannter Dichter sagte: "Grau ist alle Theorie..." Schau'n wir mal, welche Antwort uns die Praxis gibt...

* * * * *

Als Frau Dikigoros - noch ein junges Mädchen - kurz vor dem so genannten "Sechs-Tage-Krieg" zum ersten Mal mit ihren Eltern, einem braven Schulmeister und einer Hausfrau, die den Lehrerjob an den Nagel gehängt hatte, wie sich das damals gehörte, wenn frau heiratete und Kinder bekam, nach Ägypten reiste, um die Pyramiden und andere Sehenswürdigkeiten anzuschauen, besuchte sie auch den Tempel von Karnak bei Theben, der alten Hauptstadt der Faraonen. Am meisten beeindruckte sie eine alte Wandmalerei in der so genannten "großen Banketthalle" (die wahrscheinlich eher das Zimmer des Generalstabschefs war), aus der sich unzweifelhaft ergab, daß schon die alten Ägypter mit dem Gedanken gespielt hatten, eine schiffbare Verbindung zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer herzustellen. Zu ihrem Glück mußten sich die damaligen Herrscher noch nicht um Berater, Minister, Parlamentarier und andere Dummschwätzer scheren (geschweige denn um "das Volk" - aber daran soll sich ja auch im Zeitalter der Meinungsforschungs-Institute nicht gar so viel geändert haben :-), sondern sie hatten vielmehr ihre bewährten Orakel. Ein solches suchte Mitte des 7. vorchristlichen Jahrhunderts der Farao Neho auf, und er erhielt die Auskunft: "Vergiß diesen Sch...-Kanal, der kostet bloß Geld, Arbeitskraft und Menschenleben; und wenn er wirklich mal fertig werden sollte, werden die Israëlis - pardon, die hießen damals ja noch Fönikier - uns überfallen, um ihn uns abzunehmen. Wir haben doch alles im eigenen Land und sind autark - müssen wir uns wirklich Luxusgüter und anderen Schrott aus dem Ausland kommen lassen?" Nun, Arbeitskräfte und Menschenleben standen damals nicht allzu hoch im Kurs - dafür gab es einfach zu viele (fast wie heute :-) -, aber die Sache mit dem Geld und den Fönikiern leuchtete dem Farao ein. Also warf er die Pläne auf den Müll und ließ sich statt dessen ein paar schöne neue Paläste bauen.

[Suez-Kanal]

Als Ferdinand de Lesseps - noch ein junger Mann - kurz nach der so genannten "Juli-Revolution" zum ersten Mal nach Ägypten kam, war Frankreich zwar noch keine Demokratie und kein Kaiserreich (Ihr könnt das "noch" auch weg lassen und hier ein "mehr" einfügen, liebe Leser; bei den Franzosen geht das offenbar immer irgendwie Hand in Hand - auch heute noch, man merkt es nur nicht immer gleich, weil es nicht mehr so offen beim Namen genannt wird :-), aber gerade dabei, sich sein "Empire" in Übersee aufzubauen. Es hatte schon in Algerien Fuß gefaßt, auch Marokko und Tunesien ins Visier genommen und den alten Traum Napoleons von einer Herrschaft über Ägypten noch längst nicht aufgegeben. Damit hätte den Franzosen fast ganz Nordafrika gehört - außer Libyen, aber das war uninteressant, denn dort gab es ja bloß Sand und Erdöl, und was hätte man mit dem stinkenden Zeug schon anfangen sollen, eine Generation bevor die Petrolëum-Lampe und zwei Generationen bevor das Automobil erfunden wurde? Pferde brauchten Hafer, und Schiffe Wind - und eine befahrbare Wasserrinne. Ägypten gehörte zwar formell noch zum Osmanischen Reich, aber mit Betonung auf dem "noch", denn mit dem "Kranken Mann am Bosporus" würde man schon fertig werden. Lesseps lernte Saïd Paşa kennen, den Kronprinzen von Ägypten, und überzeugte ihn von der Notwendigkeit, einen Kanal von Port Saïd nach Es-Suwés - das die Franzosen "Suez" schrieben - zu bauen. (Das zu diesem Zweck benötigte Gelände wurde der Kanal-Gesellschaft 1857 auf 99 Jahre verpachtet - bitte merkt Euch das Datum, liebe Leser.) An den Ausgaben brauchte Ägypten sich nicht zu beteiligen, nur an den Einnahmen - mit 15%. Ein kleiner Haken war freilich dabei: Ägypten sollte die Arbeitssklaven, pardon Bauarbeiter stellen, die für einen Hungerlohn (den sie nicht ausgezahlt, sondern gegen Fressalien verrechnet bekamen) schuften mußten, denn Lesseps war auf die Idee gekommen, das notwendige Kapital durch die Gründung einer Aktien-Gesellschaft aufzubringen und gleich mal etwas für den Shareholder-value zu tun, wie man heute sagt. Das gefiel aber einigen anderen gar nicht, nämlich denen, die keine Aktien abbekommen hatten, zum Beispiel den Briten (die Ägypten auch schon längst auf ihrer Wunschliste stehen hatten - schließlich ging es um die Möglichkeit, den Seeweg nach Indien ganz erheblich zu verkürzen). Die protestierten - natürlich aus purer Gefühlsduseligkeit -, pardon Humanität, daß man doch die armen Arbeiter nicht gar so fürchterlich ausbeuten und sich zu Tode schuften lassen dürfe - und rasselten dazu kräftig mit dem Säbel. Damit hatten sie auch Erfolg und erreichten genau das, was sie erreichen wollten, nämlich daß die Arbeiter besser behandelt und bezahlt wurden - und daß die AG bald vor dem Bankrott stand.

[Eröffnungsfeier des Suezkanals 1869 in Port Said]

Um den zu vertuschen, übernahm Saïd Paşas Nachfolger Ismaïl Paşa die Aktien-Mehrheit an der Kanal-Gesellschaft (knapp 20.000 shares [Anteile] à 20 Pfund - 1 britisches Pfund war damals knapp 7 preußische Thaler wert [die Mark gab es noch nicht], ca. 200 Teuro heutiger Kaufschwäche, pardon Kaufkraft), und so konnte Lesseps denn weiter machen. 1869, nach zehn Jahren Bauzeit, war der Suez-Kanal fertig, nur nicht die Oper "Aïda", die man eigens in Italien bei Herrn Verdi - dem Komponisten von "La forza del destino [Die Macht des Schicksals]" - bestellt hatte. So mußten die Eröffnungs-Feierlichkeiten eben ohne diese statt finden - sie sollen auch so 4,2 Millionen Pfund verschlungen haben. (In einschlägigen Publikationen findet sich diese Summe - Dikigoros mag sie dennoch kaum glauben; schon ein Zehntel wäre Irrsinn gewesen, wenn man bedenkt, daß das gesamte Stammkapital der Kanal-Gesellschaft nur 8 Millionen Pfund betrug. Verdi bekam für die mit einem Jahr Verspätung gefertigte Oper umgerechnet 4.000 Pfund, ca. 800.000 Teuro.) Kein Wunder, daß Ismaïl Paşa bald darauf pleite war.

[Medaille auf die Eröffnung des Suezkanals 1869]

Unterdessen hatte sich jenseits eines anderen Kanals - des englischen - einiges getan. Der liberale alte Trottel, pardon Premierminister William Gladstone [Freudenstein] hatte sich allzu sehr mit Sozialgesetzgebung und Verbesserung des einfachen Volkes aufgehalten (nicht nur des englischen, sondern zu allem Überfluß auch noch des irischen), und das verziehen ihm die englischen Wähler nicht. (Damals war nur der Geldadel wahlberechtigt - von fortschrittlichen Einrichtungen wie dem preußischen "Dreiklassen-Wahlrecht" konnten die unteren Klassen in Großbritannien nur träumen.) 1874 wählten sie Freudenstein ab. An die Macht brachten sie statt seiner den erz-konservativen Schriftsteller Benjamin D'Israeli. [So schrieb er sich richtig, liebe Leser, nicht, wie in Euren Geschichts- und Märchen-Büchern steht, "Disraeli"; Queen Victoria, die jüdische Namen nicht ausstehen konnte (da sie unwissend war, hielt sie die seiner Vorgänger - der vor Gladstone hieß Palmerstone - für arisch, pardon christlich :-) machte ihn alsbald zum "Lord Beaconsfield [Bojenfeld]", später sogar zum Earl of Beaconsfield [der englische "Earl" wird zwar meist mit "Graf" übersetzt, ist aber viel mehr als ein deutscher Graf, gehört vielmehr zum Hochadel] und sprach oder schrieb nie anders von ihm.) Er war der erste jüdische Premierminister Englands, und zugleich der fähigste, den es im 19. Jahrhundert hatte. Er sah das alles ganz nüchtern: Sein Vorgänger hatte die Sache mit dem Suez-Kanal verpennt bzw. das Geld für Sozialprogramme verplempert. Nun war die Staatskasse leer und guter Rat teuer. Aber wozu hatte er persönliche Freunde? Zum Beispiel seinen Glaubensbruder und Banker Löw "Nathan" Rothschild. Der spuckte mal eben 4 Millionen Pfund aus - etwas weniger als die Summe, die Ismaïl Paşa bei der Eröffnungsfeier verbraten haben soll. Davon kaufte D'Israeli ihm seine Anteile an der Suez-Kanal-Gesellschaft ab; und plötzlich gehörte der Kanal - und damit der Schlüssel zum Seeweg nach Indien - zur Hälfte (und bald ganz) England. Nun mußte nur noch die lästige Konkurrenz beseitigt werden, die diesem auf dem Überlandweg drohte, nämlich die Bagdadbahn, die 1914 fertig zu werden drohte - aber das ist eine andere Geschichte.

Ende der Geschichte? Nicht doch! Im Ersten Weltkrieg versuchten die Türken, den Suez-Kanal zu erobern, was ihnen freilich ebenso wenig gelang wie im Zweiten Weltkrieg Rommels "Wüstenfüchsen"... Moment mal, wozu brauchte England denn noch den Seeweg nach Indien, das es doch 1947 in die Unabhängigkeit entließ? Das ist eine gute Frage, liebe Leser. Sagen wir mal so: Der ursprüngliche Zweck mag weg gefallen - oder jedenfalls nicht mehr so wichtig - sein; aber dafür kam nun ein neuer: Inzwischen war Erdöl zu einem wichtigen Rohstoff geworden, und das gab es nun einmal am besten und billigsten im Nahen Osten. Die Öltanker aber rund um Afrika zu schippern, kostete viel mehr Zeit und Geld, als wenn man sie durch den Suez-Kanal durchs Mittelmeer schickte und dann durch die Straße von Gibraltar (diese ihre spanische Kolonie verteidigten die Engländer mit Zähnen und Klauen) direkt nach England schickte. So weit so gut. Ärgerlicher Weise blieb es nicht immer so, denn in Ägypten rumorte es: 1952 hatten die Militärs den fetten Pornografen, pardon König Faruķh den Ersten (und Letzten) gestürzt. 1954 war Oberst Ģamal Abd' al-Nasr Ministerpräsident geworden, zwei Jahre später machte er sich zum Präsidenten. Und ausgerechnet jetzt lief der Pachtvertrag für die Suez-Zone ab. Ģamal - ein Typ wie Gladstone - hatte Ägyptens Geld in großartige Sozialprogramme gesteckt und war bald so pleite wie Ismaïl Paşa ein Jahrhundert zuvor. Er ging bei den Amerikanern betteln: Wenn sie ihm den geplanten Staudamm bei Aswan finanzierten wollten, wäre er bereit, den Pachtvertrag zu erneuern. - Ja, was ging denn das die Amerikaner an? Er zog weiter zu den Engländern - aber die hatten auch kein Geld für ihn übrig. Also verstaatlichte Ģamal kurzerhand die Suez-Kanal-Gesellschaft. Wohlgemerkt, liebe Leser, verstaatlichte, nicht enteignete; vielmehr zahlte er den Aktionären eine ordnungsgemäße Entschädigung. Ģamal mag ein Dummkopf gewesen sein - ja er war sogar ganz bestimmt einer -, aber ein Krimineller war er nicht, auch wenn seine Feinde ihn immer wieder dazu stempeln wollten. Der Aswan-Staudamm war eine Schnapsidee - er sollte, nachdem die Sowjet-Russen ihn finanziert hatten, die ägyptische Landwirtschaft entlang des Nils gründlich ruinieren -, und die Verstaatlichung des Kanals brachte rein gar nichts, denn nun blieben die ausländischen Schiffe aus, die harte Valuta für die Durchfahrt berappt hätten.

Statt dessen kamen ganz andere Gäste: Die Engländer, Franzosen und Israëlis griffen im Oktober 1956 an und eroberten die Sinaï-Halbinsel bis zum Kanal. Damit war freilich nur ein Patt erreicht, denn nun hatte niemand mehr etwas vom Kanal - wer wollte schon riskieren, daß sein Schiff von einer der beiden Seiten beschossen und versenkt wurde? Schließlich gaben die Alliierten nach und zogen ihre Truppen wieder ab - während die Sowjet-Russen und die Rot-Chinesen die Gunst der Stunde genutzt hatten, vor der eigenen Haustür ordentlich aufzuräumen: Die ersteren walzten den Aufstand nieder, den die Ungarn aus Frust über die nicht gewonnene Fußball-Weltmeisterschaft von 1954 angezettelt hatten; die letzteren machten das bisher halb-autonome Tibet platt. Und alles wegen dieses dämlichen Kanals, der bald nichts mehr wert war; denn die großen Reedereien gingen - aus Schaden klug geworden - bald dazu über, Tanker einer Größe zu bauen, die eh nicht mehr durch den Suez-Kanal paßten.

Die folgenden Kriege wurden zwar noch am, aber nicht mehr um den Suez-Kanal geführt: Im "Sechs-Tage-Krieg" von 1967 eroberte Israël noch einmal die Sinaï-Halbinsel, im "Yom-Kippur-Krieg" von 1973 verteidigte es sie erfolgreich; ein paar Jahre später gab es sie gegen einen trügerischen Fetzen Papier wieder an Ägypten zurück (einige strohköpfige Politiker hatten sich einreden lassen, daß man Frieden gegen Land eintauschen könne); und das wars dann. Wollt Ihr eine Bilanz ziehen, liebe Leser, was der Suez-Kanal gebracht hat, militärisch und wirtschaftlich, und was er gekostet hat, und ob es das alles wert war? Bitte sehr - Dikigoros' Meinung dazu kennt Ihr; er hat sich ja im voraus festgelegt.

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[Der Kanal durch den Isthmos von Korinth]

Exkurs. Da im folgenden viel von Landengen die Rede sein wird, für die sich die Bezeichnung "Isthmos" eingebürgert hat, will Euch Dikigoros an dieser Stelle noch berichten, woher der Ausdruck kommt: natürlich aus dem Griechischen. (Deshalb wollt Ihr das bitte schön auf der letzten Silbe betonen, also Isthmós - so schreibt er sich auch im Original.) Die Griechen meinten damit die enge Landverbindung zwischen dem Golf von Korinth und dem Golf von Ägina; und schon lange hatte es Überlegungen gegeben, diese zu durchbrechen. Das war nun freilich nicht so einfach, wie einen Kanal durch die Wüste des Sinaï zu graben - und selbst das hatte, wie wir gerade gesehen haben, gute zehn Jahre gedauert. Aber hier war der Felsen hoch und hart, und es bedurfte erst modernerer Technik, um da etwas auf die Beine zu stellen, das nicht gleich wieder in sich zusammen fiel. 1881 fingen die Griechen an zu bauen. Der Kanal wurde nur lächerliche sechseinhalb Kilometer lang und ebenso lächerliche 21 Meter breit (weshalb ihn bis heute nur jeweils ein Schiff durchfahren kann; es ist also eine abwechselnde Einbahnstraße, oder genauer gesagt Einwasserstraße). Dennoch brauchten die Griechen 12 Jahre, bis 1893, um den Kanal von Korinth fertig zu stellen. Ob sich das gelohnt hat? Eigentlich nicht, denn zum einen gab es keinen großen Bedarf an Schiffahrtsverkehr in jener verlorenen Ecke; zum anderen unterbrach er ja nun die Landverbindung zwischen Attikí und dem Pelopónnisos. Also mußte noch eine Brücke über den Kanal gebaut werden, und jedes Mal, wenn später ein etwas schwereres Kraftfahrzeug oder gar ein Zug hinüber fuhr (letzterer höchst vorsorglich nur im Schnecken-Tempo), gab es Erschütterungen in der 80 m hohen Felswand und die Gefahr von Steinschlag - Dikigoros würde da kein Schiff durch schicken... Exkurs Ende.

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[Karte von Dithmarschen: oben die Eider, unten der Kaiser-Wilhelm-Kanal - heute Nordostsee-Kanal]

Als Dikigoros noch ein Kind war - sechs Jahre jung, aber er erinnert sich noch heute genau - nahm ihn sein Vater mit nach Kiel, zum Marinehafen, zum Ehrenmal von Laboe und zum Nord-Ostsee-Kanal. Bei der Gelegenheit erklärte Urs seinem Sohn, was ein Kriegsschiff ist, was ein Krieg ist, daß im 20. Jahrhundert schon zwei Weltkriege geführt worden waren und warum: "Neidische Menschen gönnten Deutschland seine Flotte und seine Kolonien nicht; deshalb hat die ganze Welt sich zusammen getan, um sie ihm wegzunehmen; beim ersten Mal haben sie vier Jahre gebraucht, beim zweiten Mal sogar sechs." Was Kolonien sind, weiß klein Niko noch nicht, und "die ganze Welt" ist für ihn ein ziemlich schwammiger Begriff - hatte ihm sein Vater nicht gerade erst vor ein paar Wochen mit Hilfe einiger kleinerer und größerer Murmeln Sonne, Mond und Sterne erklärt, die Milchstraße, das Sonnensystem und wie das alles zusammen hängt? (Wobei der Mond ärgerlicher Weise hinter den Kühlschrank gerollt war - aber Niko fand ihn später wieder :-) Haben die auch Krieg geführt gegen Deutschland? Daß es damals kein Deutschland mehr gab - jedenfalls nicht das, was sein Vater darunter verstand -, wußte Niko dagegen schon recht gut; schließlich fuhren sie jeden Sommer einen Tag auf Besuch zu Tante Erna, die direkt an der Zonengrenze wohnte, in der alten Hansestadt Lübeck, von der "die ganze Welt" keinen Stein auf dem anderen hatte stehen lassen. (Die Ruinen der Lübecker Kirchen, die dem alliierten Bombenterror zum Opfer gefallen waren, hatte Urs seinem Sohn schon im Vorjahr gezeigt.) Urs hatte eine merkwürdige Affinität zu alledem, obwohl er selber nie zur See gefahren war (außer mal im Ruderboot über die Alster :-), nicht in der Marine, sondern im Heer gedient hatte (inzwischen war er wieder Reservist) und nie in Afrika, geschweige denn in irgend einer der ehemaligen deutschen Kolonien war. Aber sein Klassenlehrer hatte ihm zum Abschluß der Handelsschule Ostern 1941 "Heia Safari", die Memoiren des Generals v. Lettow-Vorbeck, des "Löwen von Afrika", geschenkt, mit einem Lesezeichen, auf dem der markige Satz geschrieben stand: "Wir brauchen Kolonien!" Wegen Flotten, Kanälen und Kolonien führt man also Kriege, lernte Niko damals - und das war gar nicht so abwegig, denn es war noch nicht lange her, daß England, Frankreich und Israel jenen Krieg gegen Ägypten um die Suez-Kanal-Zone begonnen hatten, von dem Euch Dikigoros oben berichtet hat. (Heute sieht er das mit den Kriegsgründen und -zielen etwas differenzierter, aber das ist eine andere Geschichte.)

Aber beginnen wir von vorne, wie sich das gehört. Lange bevor auf dem Boden von Wagrien, Stormarn und Dithmarschen so etwas wie eine politische Einheit entstand, die man "Holstein" nannte, gab es bereits eine Wasserverbindung zwischen Nord- und Ostsee: Zwischen dem, was wir heute "Kieler Förde" nennen (oder jedenfalls in wenigen Kilometern Entfernung) und Eiderstedt floß - na was wohl: die Eider. Das ist der Grenzfluß zwischen Schleswig und Holstein, genauer gesagt zwischen Schleswig und Dithmarschen, dessen wehrhafte Bauern sich nie so richtig von den Holsteinern vereinnahmen lassen wollten, und von den Dänen schon gar nicht - aber das ist eine andere Geschichte. An Grenzen ist - wie wir schon beim Suez-Kanal gesehen haben - schlecht Kanäle bauen. Wozu auch? von der Nordsee in die Ostsee (und umgekehrt) konnte man doch auch so gelangen, indem man das "Skågerrak" nördlich Jütlands umschiffte - jedenfalls wenn man sich mit den Dänen gut stand. Das war allerdings nicht immer der Fall, und so beschlossen Ende des 14. Jahrhunderts die Hansestädte erstmals, einen Kanal zu bauen, der dieses Problem umging. Genauer gesagt war es die größte und mächtigste Hanse-Stadt, Lübeck, die diese Aufgabe in Angriff nahm, und zwar nicht, indem sie eine Ost-West-Verbindung schuf, sondern eine von Norden nach Süden: von der Trave über die Stecknitz bis nach Lauenburg an der Elbe, weit oberhalb des kleinen Hansestädtchens Hamburg, das näher an der Elbmündung lag, genauer gesagt an einem ihrer Arme, der Alster. So weit, so gut. Ende des 18. Jahrhunderts nahmen die Dänen eine Verlängerung der Eider in Angriff, die "Eiderkanal" genannt wurde und ohne größere Bedeutung blieb.

Etwas später faßten die Schweden eine größere Lösung ins Auge: Was eine Verbindung da unten an Eider, Elbe und/oder Trave wert war - bzw. nicht nicht wert war - hatten ihnen die Napoleonischen Kriege drastisch vor Augen geführt: Die Franzosen hatten alle größeren deutschen Nord- und Ostseehäfen besetzt (Bremen, Hamburg, Lübeck, Wismar und Rostock - nur Stralsund war in schwedischer Hand geblieben, bis zum Wiener Friedenskongreß anno 1815, als es an Preußen fallen sollte). Und wer von der Nordsee auf dem Wasserweg nach Schwedens Hauptstadt Stockholm gelangen wollte, der mußte vom Skågerrak erst südöstlich durchs Kattegat und den Øresund fahren, dann nordöstlich durch den Kalmarsund - allesamt Mausefallen, die kaum zu verteidigen waren, wie die britische Flotte nachhaltig demonstriert hatte, die zweimal - 1801 und 1807 - Køpenhavn, die Hauptstadt des neutralen Dänemark, überfallen und niedergebrannt hatten - beim zweitenmal hatten sie auch das bis dahin dänische Helgoland besetzt, von wo aus sie die Elbemündung sperren konnten. Nein, so ging es nicht weiter; es mußte doch möglich sein, den Weg von der Nord- zur Ostsee irgendwie anders zu überbrücken - und sicherer, nämlich über eigenes Territorium. Die Schweden nahmen ein fast 200 km langes Projekt in Angriff: den Götakanal, der Göteborg mit Norrköping, genauer gesagt mit dessen südlichem Nachbarort Söderköping, verbinden sollte. Dazu brauchte man nur den Vänersee mit dem Vättersee zu verbinden und die bestehenden Flüsse zum Meer etwas auszubauen. Na schön, für den schwedischen Binnenverkehr mochte das ganz praktisch sein, und auch sicher - aber schneller als um die Südküste von Schonen herum war es auch nicht; und die meisten Ostseeanrainer wollten ja nicht nach Stockholm, sondern weiter gen Osten, ins Baltikum und vielleicht bis Sankt Peterburg, da war die Fahrt durch den Götakanal ein Umweg - auch der erlangte also keine größere Bedeutung.

[Eröffnung des Kaiser-Wilhelm-Kanals 1895]

Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Idee einer direkten Verbindung zwischen Ostsee und Nordsee wieder interessant - für die Preußen, denen plötzlich einfiel, daß sie dringend eine eigene Flotte brauchten. Sie kauften den Oldenburgern ein Fleckchen Land am Jadebusen ab, wo sie 1869 - im selben Jahr, als der Suez-Kanal eingeweiht wurde - Wilhelmshaven gründeten. Sie nahmen den Dänen Schleswig und Holstein ab - in dessen Hauptstadt Kiel sie einen weiteren Kriegshafen anlegten -, und kauften sich eine Flotte zusammen: alte, ausrangierte Pötte aus England und Frankreich. Als dann das Deutsche Reich gegründet worden war - nein, nicht erst als Wilhelm II Kaiser wurde! - kam jemand auf die Idee, beide Kriegshäfen miteinander zu verbinden, und so wurde zwischen Kiel und Hamburg, genauer gesagt zwischen Holtenau und Brunsbüttel, ein fast 100 km langer Kanal gebuddelt. 1887 fing man an, gut sieben Jahre später war man fertig. (Ein weiteres Jahr später sollte auch der Ausbau des Stecknitz-Kanals in Angriff genommen werden; als er nach vier Jahren fertig - und selbstverständlich ebenso wie zuvor der Kaiser-Wilhelm-Kanal von Wilhelm II höchstpersönlich eingeweiht - wurde, bekam er den neuen Namen "Elbe-Trave-Kanal"; nach dem Ersten Weltkrieg wurde er in "Elbe-Lübeck-Kanal" umbenannt.) Was lernen wir daraus? Erstens, daß der neue "Kaiser-Wilhelm-Kanal" nicht nach Wilhelm II, sondern nach dessen Großvater Wilhelm I benannt wurde, zweitens, daß er in erster Linie für Kriegsschiffe gedacht war - die Handelsschiffe sollten über den Elbe-Kanal fahren. Und drittens, daß der Kanal schon bei seiner Fertigstellung überholt war - sonst hätten die Engländer seinen Bau nämlich verhindert. So sahen sie nur mit heimlichem Spott zu, wie die blöden Deutschen einen Haufen Zeit und Geld für so einen unnützen Graben verschwendeten, während sie selber das ihre in ein ordentliches Flotten-Bauprogramm steckten: Die "Großkampfschiffe" der nahen Zukunft paßten durch den neuen Kanal ebenso wenig wie die großen Öltanker der noch fernen Zukunft durch den Suez-Kanal passen sollten.

Zwölf Jahre vergingen, dann merkten auch die Deutschen - die inzwischen mit der Nachrüstung ihrer Flotte begonnen hatten (aber das ist eine andere Geschichte) -, daß der Kaiser-Wilhelm-Kanal mindestens eine Nummer zu klein geraten war, und so begannen sie anno 1907 wieder zu buddeln. 1914, also 27 Jahre nach dem ersten Spatenstich (und Kosten von insgesamt fast 400 Millionen Goldmark - ca. 4 Milliarden Teuro heutiger Kaufschwäche, pardon Kaufkraft), hatten sie zwar immer noch keine Flotte, die es mit ihren Feinden hätte aufnehmen können, aber dafür einen Kanal, auf dem ihre Schiffchen hin und her fahren konnten - wie schön. Kaiser Wilhelm kam regelmäßig vorbei und sah sich das an - wie ein Kind sein Spielzeug, meinten böse Zungen. Die Engländer dagegen hatten zwar keinen Kanal (außer dem, der vor ihrer Südküste dahin floß und sie keinen Penny kostete :-), aber dafür eine formidable Flotte, mit der sie den Ausgang der ganzen Nordsee kalt lächelnd abriegeln konnten - und das taten sie denn auch, sobald diese Flotte im Sommer 1914 fertig geworden war - unter dem Vorwand, pardon mit der völlig korrekten Begründung, daß die deutschen Frauen und Kinder, die so verhungern mußten (denn die vorhandene Verpflegung ging, wie das im Krieg mal so ist, zu den ännern an der Front), ja genug daran hatten, belgische Babies am Spieß zu braten und aufzufressen. Die deutsche Ostsee-Flotte aber mußte, wenn sie diese Blockade durchbrechen wollte, die alte Route nehmen: nördlich um Jütland herum, durchs Skågerrak. Nachdem sie zwei Jahre im Hafen gelegen hatte, unternahm sie einen - genau einen - Versuch. Er mißlang, weil die Deutschen die Engländer zwar schlugen, aber unter hohen eigenen Verlusten, und nicht genügend Schiffe hatten, um den Krieg zur See ernsthaft fort zu führen. Aber dafür hatten sie ja einen schönen Kanal zwischen Hamburg und Kiel... Dikigoros weiß nicht, warum Hafenstädte immer und überall "rot" sind; aber sie sind es nun einmal. Zwei Jahre später meuterten die Matrosen in Kiel und Hamburg, stürzten den Kaiser und das Kaiserreich - sein eigener Großonkel war dabei und auch noch stolz darauf. War das der viel zitierte "Dolchstoß" in den Rücken der kämpfenden Front? Ja, gewiß, aber es war kein Mord mehr, sondern allenfalls noch Leichenschändung. Das, was die Leute eigentlich meinten, war schon viel früher geschehen, und mit einer anderen Waffe: Es war der Spatenstich in den Kaiser-Wilhelm-Kanal. Denn wie schrieb Dikigoros an anderer Stelle: Kriege werden nicht durch die Soldaten auf dem Schlachtfeld gewonnen oder verloren, sondern durch strategische [Fehl-]Entscheidungen der militärischen und politischen Führung im Vorfeld. Der Bau des Kaiser-Wilhelm-Kanals im Verbund mit der nur halbherzig betriebenen Flottenaufrüstung - die Deutschland nichts half, ihm aber England zum Feind machte - gehörte dazu; die Matrosen, die dafür den Kopf hinhalten mußten, haben das vielleicht irgendwie gespürt, fühlten sich von Gott, Kaiser und Vaterland verraten und machten deshalb Revolution. (Aber vielleicht lag es auch nur daran, daß man ihnen die Rum- und Zigaretten-Rationen gekürzt hatte :-) Große Projekte, k[l]eine Wirkung: Für jedes nutzlose Großkampfschiff hätte man zehn kleine Torpedoboote und zehn U-Boote bauen können, mit denen man den Seekrieg wahrscheinlich gewonnen hätte - und das Geld für den kostspieligen Ausbau des Kaiser-Wilhelm-Kanals hätte man sich ganz sparen können.

Brachte der Kaiser-Wilhelm-Kanal denn wenigstens nach dem Krieg etwas, für die zivile Schiffahrt, also die friedliche Nutzung? Na klar: für die Alliierten, denn er wurde ebenso "internationalisiert" wie der Rhein, d.h. künftig durften ihn alle ausländischen Schiffe kostenlos befahren. An den Einnahmen brauchte Deutschland sich nicht zu beteiligen, nur an den Ausgaben - zu 100%. Rund 100 Millionen DM seligen Angedenkens kostet der Kanal seitdem jedes Jahr den deutschen Steuerzahler allein an Unterhalts- und Betriebskosten, denn er ist die meist befahrene künstliche Wasserstraße der Welt (im Schnitt 50.000 Schiffe pro Jahr - besonders die Dänen und andere Skandinavier nutzen ihn gerne), und mit jeder einzelnen Durchfahrt macht er Verlust. Seit Mitte der 1960er Jahre wird außerdem wieder herum gebuddelt, um den Kanal "noch attraktiver" zu machen - das hat bisher knapp eine Milliarde DM zusätzlich verschlungen.

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[Panama-Kanal]

Manche Unwissende schreiben die Entdeckung der Landenge von Panamá dem Genuesen Cristofero Colombo (den die Spanier "Cristóbal Colón nannten und die Deutschen "Cristoph Kolumbus" nennen) zu; dabei war der bloß einmal kurz an der Moskito-Küste entlang gesegelt und noch nicht mal an Land gegangen. Dennoch sollte man im 19. Jahrhundert nicht nur das Land nach ihm benennen, dem das Gebiet abgenommen wurde, auf dem die USA den Panamá-Kanal bauen wollten, sondern auch der Ort, wo der letztere auf den Atlantik traf. Tatsächlich war der Entdecker Vasco... nein, nicht Vasco da Gama (das war der, der den Seeweg nach Indien entdeckte, den Colombo vergeblich gesucht hatte), sondern sein Landsmann Núñez de Balboa. [Entgegen der herrschenden Meinung der Schreibtisch-Historiker hält Dikigoros sie beide für Basken; andere hätten schwerlich ihren Vornamen getragen, aber das ist eine andere Geschichte.] Der überquerte den Isthmos von Panamá erstmals 1513 und legte damit den Grundstein für die Eroberung des Inka-Reichs im heutigen Perú. [Ja, was glaubt Ihr denn, wie Franzl Pizarro das sonst hätte machen sollen? Mit der noch nicht vorhandenen Pazifik-Flotte mal eben in Lima landen und dann direkt in die Anden nach Cuzco? Nein, mit ein paar Äppelkähnen nach Portobelo an der Atlantikküste [unweit des heutigen Colón], weiter auf den Spuren Balboas mit Sack und Pack über den Isthmos, und dann mit Booten in die Bucht von Guayaquil, wie sie heute heißt - alles nicht so einfach, wie Otto Normalverreiser sich das vorstellt!] Zum Trost: Sowohl Colombo als auch Balboa wurden ihre Pioniertaten schlecht gedankt: Der erstere starb verurteilt, verarmt, verlacht, vergessen und verbittert in Spanien, der letztere wurde durch eine Intrige und einen Justizmord einen Kopf kürzer gemacht, sechs Jahre nachdem er den Weg vom Atlantik zum Pazifik gefunden hatte. Den beiden konnte es also egal sein, wenn sie denn nicht so gedacht haben sollten wie Raoul Walsh in "They Died With Their Boots On" gut vier Jahrhunderte später General George Armstrong Custer am Vorabend der Schlacht am Little Big Horn laut denken läßt: "You can take Glory with you, when it is time for you to go." Dann läßt sich in der Tat kein größerer Gegensatz denken: Colombo durfte praktisch den ganzen Ruhm mit ins Grab nehmen, während Balboa leer ausging; heute ist sein Name außerhalb Panamás (wo die Amerikaner das Ausländerviertel von Panama City und die 1:1 an den Dollar gekoppelte Währung nach ihm benannt haben) nur noch ein paar Spezialisten bekannt (und natürlich den Fans von Silvester Stallone - aber die denken dabei nicht an den Entdecker, sondern an die Filme um den Boxer "Rocky Balboa" :-).

Das hat Balboa mit Ferdinand de Lesseps gemeinsam, der - wenn überhaupt - nur noch als Erbauer des Suez-Kanals bekannt ist. Was soll der denn mit dem Bau des Panamá-Kanals zu tun gehabt haben? Was hatte ein Franzose mit Portobelo zu tun? Nun, liebe deutsche Leser, was glaubt Ihr denn, um welche Städte, Länder, und Flüsse der in Deutschland so genannte "Siebenjährige Krieg" (1756-1763) zwischen England, Frankreich, Spanien, Preußen, Österreich und Rußland geführt wurde, der in Wirklichkeit der erste, ein Vierteljahrhundert dauernde Weltkrieg war? Um das lächerlich kleine Schlesien, das Friedrich II von Preußen den Habsburgern anno 1740 abgenommen hatte? Von wegen: Der Krieg begann 1739 mit dem englischen Überfall auf Portobelo. Das war damals einer der wichtigsten Häfen der Welt, und jedenfalls der wichtigste außerhalb Europas. [Die ursprünglich holländischen Hafenstädte Neu Amsterdam (inzwischen New York), Kapstadt, Deshima (vor Nagasaki) und Batavia (heute Jakarta) waren damals noch vergleichsweise unbedeutend; die Hafenanlagen von San Francisco, Los Angeles, Bambai, Singapur oder Hongkong waren noch gar nicht gebaut, und die übrigen chinesischen und japanischen Häfen für Ausländer gesperrt.] Zugleich war Portobelo die wichtigste Stadt, um die in jenem Krieg gekämpft wurde; der englische Handstreich ist nur mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor zwei Jahrhunderte später zu vergleichen (aber das ist eine andere Geschichte). Die wichtigsten Länder, nein [Sub-]Kontinente, um die gekämpft wurde, waren Nord-[Ost-]Amerika und Indien (beide fielen an England), und die am meisten umkämpften Flüsse waren der Sankt-Lorenz-Strom und der Ohio. Der Krieg endete auch nicht mit den Friedensschlüssen von Paris oder Hubertusburg (die in Europa alles beim alten ließen), sondern mit der britische Unterwerfung Bengalens - dem wichtigsten und reichsten Land Indiens (zu dem bis zur Teilung von 1905 auch noch das heutige Bihār und das heutige Urīsā - und natürlich das heutige Banglā Desh - gehörten), dessen Bruttosozialprodukt damals ein Mehrfaches des englischen betrug - nach der Schlacht von Bāksar (das die Engländer "Buxar" schreiben) 1764. Nie gehört, liebe deutsche Leser? Natürlich nicht - Ihr müßt Euch ja ein Lebtag mit dem "Holocaust" beschäftigen und dürft nichts anderes aus der Geschichte mehr erfahren, das diesen "relativieren" könnte. Ein auch nur durchschnittlich gebildeter Bengali würde sich an den Kopf fassen ob Eurer Geschichts-"Kenntnisse" und Euren Geschichts-"Verständnisses"... Also: Bāksar - ein altes Heiligtum des Gottes Rām (den Ihr doch bitte nicht immer wie Eure Frühstücks-Margarine aussprechen wollt; er besteht auf Butter oder Ghī!) - liegt im äußersten Westen des damaligen Bengalen, an der heutigen Grenze zwischen Bihār und Uttar Pradesh, etwa auf halbem Weg zwischen Patnā und Wārānasī - das Ihr vielleicht unter dem Namen "Benares" "kennt". Aber tröstet Euch: Die Engländer wissen es seit 1947 auch nicht mehr. Wenn es hoch kommt, haben sie schon mal dunkel von der Schlacht bei Palāshi gehört - das sie "Plassey" nennen -, einem eher unbedeutenden Scharmützel zu Beginn des Krieges, knapp 50 km südlich der alten Hauptstadt Karnasuwarn, die von den Muslimen nach Murshid Ķhan, einem Nawab aus dem 17. Jahrhundert, in "Murshidābād" umbenannt wurde. (Über die neue bengalische Hauptstadt Kålkattā - und andere Städte Indiens - schreibt Dikigoros an anderer Stelle mehr.)

Zurück nach Panamá. Wieso eigentlich ausgerechnet dorthin? Werft doch mal einen Blick auf die Karte und vergeßt die "Luftlinie": War das wirklich die beste Lösung? Wenn z.B. die amerikanische Kriegsflotte von New Orleans aus über den Panamá-Kanal in den Pazifik gelangen wollte, mußte sie erst durch die Straße von Yucatán bis zum Moskito-Golf schippern. Über die Campeche-Bai nach Puerto México an der Nordküste von Veracruz wäre es nicht mal halb so weit; dort mündet ebenfalls ein schiffbarer Fluß (der Río Coatzacoalcos, nach dem heute auch die Hafenstadt an der Mündung benannt ist), den man nur ca. 25 km bis zum Río Tehuantepec bis Salina Cruz am gleichnamigen Golf hätte verlängern müssen; und México war ebenso schwach und erpreßbar wie Kolumbien (und hätte außerdem dankbar sein müssen für ein solches Projekt, von dem es auch selber nur profitiert hätte). Aber auf die Idee scheint niemand gekommen zu sein - jedenfalls hat sie nie jemand ernsthaft verfolgt. Oder vielleicht eine Verlängerung des Río San Juán, des Grenzflusses zwischen Nicaragua und Costa Rica, über den Nicaragua-See bis nach San Juán del Sur am Pazifik? Na klar - so dachten auch die Amerikaner, ganz besonders der gerissene Reeder Cornelius Vanderbilt, der schon in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts ein Grüppchen Abenteurer unter seinem Freund William Walker los schickte, um eine Trasse durch den Dschungel zu hauen und in Besitz zu nehmen. Noch bevor der erste Spatenstich getan war, richtete Vanderbilt den Reiseverkehr zwischen New York City und San Francisco ein - die kurze Strecke durch Nicaragua wurde über Land gemacht. Dann kam eine Revolution in Nicaragua und ein Bürgerkrieg in den USA, und die Sache mit dem Kanalbau zog sich immer weiter hin. Immerhin rissen sich die Amerikaner schon mal die "Corn Islands [Mais-Inseln]" gegenüber der Mündung des Río San Juán in die Karibische See unter den Nagel und harrten der Dinge, die da kommen sollten.

Aber pardon, liebe Leser, wer spricht denn schon von den Amerikanern? Wir waren doch bei Ferdinand de Lesseps stehen geblieben, und der war bekanntlich Franzose. Nun hatte der es ja schon beim Suez-Kanal fertig gebracht, die Arbeit zu machen, das Geld aufzutreiben und - am Ende für den König von Preußen gearbeitet zu haben. (So nennen die Franzosen das bis heute, obwohl sie ihre Redensart spätestens damals in "für die Königin von England arbeiten" hätten ändern müssen, oder, nach den Ereignissen, von denen Euch Dikigoros hier berichten will, "für den Präsidenten der USA".) Für die Franzosen - deren Flotte ja seit dem Verkauf Louisianas anno 1803 an die USA nicht mehr in New Orleans lag - machte es natürlich überhaupt keinen Sinn, den Kanal weiter nördlich zu bauen - im Gegenteil: sie hatten doch ihre Kolonie Guyana in der Nähe, und außerdem brauchte man den Kanal nur entlang der schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts bestehenden Eisenbahn zu buddeln (die freilich nie eine größere Bedeutung erlangt hatte, sonst hätte Dikigoros darüber an anderer Stelle geschrieben). So dachte jedenfalls Lesseps, der von der Sinaï-Halbinsel auf den Isthmos von Panamá schloß - wo er noch nie gewesen war, außer mit dem Finger auf der Landkarte. (Dazu noch einer, auf der die Kordilleren offenbar nicht eingezeichnet waren :-) Das mußte sich rächen, und das rächte sich auch. 1889, nach zehn Jahren Bauzeit, war die Aktien-Gesellschaft fertig, aber nicht der Kanal. Der französische Staat gründete zwar eine Auffanggesellschaft, welche die Konkursmasse übernahm, aber die ließ die Arbeiten erst einmal ruhen. (Zum Trost: Auch die amerikanische Gesellschaft zum Bau des Nicaragua-Kanals war pleite gegangen, und auch dort ruhten die Arbeiten :-) Lesseps, seinem Sohn und anderen seiner Mitarbeiter wurde der Prozeß gemacht, wegen Veruntreuung der Einlagen von 85.000 Kleinaktionären. (Er hatte das meiste Geld "investiert", um Politiker und Journalisten zu schmieren - aber welche Aktien-Gesellschaft täte das nicht :-). Er wurde auch verurteilt, konnte jedoch rechtzeitig aus Frankreich fliehen (ausgerechnet nach England - über den Kanal :-) und wurde später begnadigt.

Unterdessen hatte sich jenseits der Karibischen See einiges getan. Die USA hatten 1898 einen Krieg gegen Spanien vom Zaun gebrochen, ihm die Filipinen, Puerto Rico und Cuba abgenommen und schielten nun mit immer begehrlicheren Blicken auf den Isthmos von Panamä. Nur ein einziger schielte nicht: der friedfertige alte Trottel, pardon Präsident William McKinley (der schon den Krieg gegen Spanien nicht hatte führen wollen - aber das ist eine andere Geschichte), wollte partout nichts unternehmen, schon gar nicht mit Gewalt, und - die Wähler verziehen ihm das sogar und brachten ihn anno 1900 wieder ins Amt! Da mußte etwas geschehen, und da geschah auch etwas: Im September 1901, bei einem Besuch in Dallas, pardon bei einem Besuch in Buffalo, wurde der Präsident am hellichten Tag erschossen. Der Täter, ein armer Irrer namens Lee Harvey Oswald, pardon, da ist Dikigoros doch ein falscher Name aus einer anderen "Reise durch die Vergangenheit" in die Tasten gerutscht, ein armer Irrer namens Leon Czolgosz, wurde kurz darauf seinerseits erschossen, und McKinleys Vize, Teddy Roosevelt, der schon hinter dem Krieg gegen Spanien gesteckt hatte, kam statt seiner an die Macht. Er war der erste Präsident jüdischer Abstammung in den USA. (Allerdings war er - im Gegensatz zu D'Israeli - nicht nur pro forma getauft, sondern voll assimiliert. Selbst unter den "Nürnberger Gesetzen" der Nazis hätte er als lupenreiner Arier gegolten, denn schon seine Großeltern waren allesamt fromme Christen.) Er sah das alles ganz nüchtern: Seine Vorgänger hatten die Sache mit dem Panamá-Kanal verpennt, und die Staatskasse war leer, denn seine Politik des "New Deal", pardon des "Square Deal" hatte zu zahlreichen Arbeitskämpfen und Firmen-Zusammenbrüchen geführt. Aber wozu hatte er persönliche Freunde im Senat? Der spuckte mal eben 10 Millionen Dollar (ca. 2 Millionen Pfund) aus, um von Kolumbien das Gebiet am Isthmos von Panamá auf 99 Jahre zu pachten. Das war ein Angebot, das die kolumbianische Regierung nicht ablehnen konnte. Als sie es trotzdem tat, zettelte Roosevelt eine kleine Revolution an, die zufällig in "Panama City" ihren Ausgang nahm. Ebenso zufällig kamen bald darauf einige amerikanische Kriegsschiffe angeschwommen, und unter deren Schutz erklärte sich die verbreiterte Kanalzone als "Staat Panamá" für "unabhängig" (jedenfalls politisch von Kolumbien; wirtschaftlich von den USA etwas weniger :-). Die USA pachteten nun für den gleichen Betrag einen 16 km breiten Streifen von der Regierung Panamás "für alle Zeiten", kauften den Franzosen die noch herum liegenden Baumaschinen und Gerätschaften der pleite gegangenen Gesellschaft fürn Appel und'n Ei ab, warfen die Pläne des alten, vertrottelten Lesseps auf den Müll und bauten einen ordentlichen Kanal, mit Schleusen, nach dem Muster des deutschen Kaiser-Wilhelm-Kanals.

[Prosperity to All Nations] [To the Commerce of the World]
Die - angebliche - Idee: Der Panama-Kanal verbindet zwei Ozeane,
dient dem Welthandel und bringt Wohlstand für alle Nationnen

Der Panamá-Kanal wurde am 3. August 1914 eingeweiht. Einen Tag später erklärte Großbritannien, das kurz zuvor das größte Flottenrüstungsprogramm aller Zeiten zum vorläufigen Abschluß gebracht hatte (aber das ist eine andere Geschichte) dem Deutschen Reich den Krieg. Der Kanal konnte also gleich seiner eigentlichen Bestimmung zugeführt werden. Seiner eigentlichen Bestimmung? Ja, liebe Leser, was dachtet Ihr denn? Daß der Kanal für den friedlichen Handel und Wandel bestimmt war? Dann seid Ihr der primitivsten Propaganda aufgesessen. "Handel und Wandel" sind nie friedlich - jedenfalls nicht in den Augen der Angelsachsen. Diesen lästigen Deutschen, von denen ihre Monopole auf den Weltmärkten ernsthaft bedroht wurden, mußte man das austreiben, und dafür brauchte es einen Weltkrieg. Der kam dann auch, und wie er endete, wißt Ihr ja schon. Aber was hat das alles nun mit dem Panamá-Kanal zu tun? Nichts, liebe Leser, das ist es ja gerade: Der Weltkrieg war aus der Sicht sowohl der Engländer als auch der Amerikaner völlig überflüssig, denn erstere ruinierten sich wirtschaftlich, und letztere mußten trotz des Sieges die ihren Alliierten gewährten Kredite überwiegend abschreiben. Und auch der Panamá-Kanal war so gesehen überflüssig, denn er hatte zur Kriegsentscheidung rein gar nichts beigetragen, zumal er für größere Kriegsschiffe eh unbrauchhbar war - wie der Kaiser-Wilhelm-Kanal.

[Der Kanal verbindet zwei Kriegsflotten] [amerikanisches Kriegsschiff im Panama-Kanal]
Die Wahrheit: Der Panama-Kanal verbindet zwei Kriegshäfen der USA
- San Francisco mit der Pazifikflotte und New Orleans mit der Atlantikflotte -,
und da dampft auch schon ein von Kanonen starrendes Schlachtschiff hindurch.

Das soll nun aber nicht heißen, daß die USA etwa auf den Panamá-Kanal verzichtet hätten - im Gegenteil, sie klammerten sich umso mehr an diese strategisch wertvolle Wasserstraße, auch nach Ablauf der offiziellen Pachtfrist Ende 1989. Sie haben vorgesorgt, indem sie den Staatschef von Panamá, General Torrijos, als bösen Diktator entlarven, verunfallen lassen (aber das ist eine andere Geschichte) und an seiner Stelle eine Junta unter ihrem guten Freund General Noriega installiert haben. Nun entpuppt sich freilich dieser Noriega als undankbarer Kerl, der den Hals nicht voll bekommt: Obwohl man ihn ungestört seine Privat-Geschäfte mit der kolumbianischen Drogen-Mafia machen läßt, und obwohl man ihn zusätzlich noch jedes Jahr ein schönes sechsstelliges Taschengeld aus den Kassen der CIA drauf legt, wird er aufmüpfig und will nicht so, wie die Amerikaner wollen. Da entlarven sie auch ihn als bösen Militär-Diktator, Rauschgift-Dealer und Steuerhinterzieher. Im Dezember 1989 landen U.S.-Marines und "befreien" Panamá von ihm. Seitdem dient der Kanal wieder einem lukrativen Zweck: dem Rauschgifthandel. Die Umsätze sollen sich seit den Tagen Noriegas verzehnfacht haben...

* * * * *

A propos: Wo ist heute der Haupt-Umschlagplatz für Rauschgift außerhalb Amerikas? Als Dikigoros vor drei Jahrzehnten zum ersten Mal nach Asien reiste, stritten sich um diese zweifelhafte Ehre noch Kābūl, die Hauptstadt Afģānistāns, und ein Gebiet, das man "Goldenes Dreieck" nannte, im nördlichen Grenzgebiet zwischen Barmā (das seine heutigen Machthaber "Myanmar" nennen - was nur konsequent ist, denn da man alle Inder vertrieben hat, braucht man ja auch den alten indischen Namen nicht mehr) und Thailand, an der Mündung des Ruak in den Menam. Dort liegt es auch heute noch - Betonung auf noch. Denn der Export zu den lukrativen Märkten dieser Welt - also den westlichen - wird zunehmend als ein Problem empfunden: Man will nicht mehr warten, daß die Junkies persönlich nach Sob Ruak oder Chieng Rai kommen, um vor Ort einzukaufen, oder daß ein paar kleine Schmuggler, korrupte Grenzpolizisten oder Armeeoffiziere das Geschäft machen; sondern die obersten Drogen-Dealer - die inzwischen auch in Thailand an der Regierung sitzen (wie schon längst in Myanmar :-) - wollen, nachdem der Prostitutions-Tourismus wegen AIDS in die Flaute geraten ist, die Staatsfinanzen auf eine andere, solidere Basis stellen: den Rauschgifthandel in ganz großem Stil. Zu diesem Zweck wollen sie den Ort des Geschehens vom äußersten Norden des besagten Grenzgebiets in den äußersten Süden verlegen: an den Isthmos von Kra, wo die Verkehrsanbindung viel günstiger ist - und es bald noch mehr sein soll.

Das war nicht immer so, obwohl der Rauschgifthandel gerade in Fernost seit jeher ein äußerst lukratives Geschäft war. Das wußte niemand besser als die Briten, die im 19. Jahrhundert zwei "Opium-Kriege" gegen die Chinesen geführt, ihnen die Abtretung Hongkongs (die Briten hatten als Insulaner immer einen Blick für strategisch günstig gelegene und leicht zu verteidigende Inseln in aller Welt) und die Öffnung ihrer Märkte für den Drogenhandel aufgezwungen hatten. Wie kommt man von England - genauer gesagt von Britisch-Indien, wo das Rauschgift produziert wird - nach China? Werfen wir einen Blick auf die Karte: Über Land war es viel zu umständlich, das Flugzeug war noch nicht erfunden, also blieb nur der Seeweg. Um vom Indischen Ozean ins Chinesische Meer zu gelangen, gab es zwei Möglichkeiten: entweder durch die Straße von Malakka (zwischen der gleichnamigen Halbinsel und Sumatra) oder durch die enge Sunda-Straße zwischen Sumatra und Jawa. Die Engländer probierten beide aus, als ihnen die Napoleonischen Kriege einen Vorwand gaben, die niedederländische Kolonie Insul-Inde zu überfallen - zu der damals nicht nur das heutige Indonesien, sondern auch das heutige Malaysia gehörte, genauer gesagt Malaya, denn Singapur (von dem das "-sia" stammt) war noch nicht gegründet. Gouverneur Thomas S. Raffles, der anno 1811 Jawa erobert hatte, sah das alles ganz nüchtern: Seine holländischen Vorgänger hatten die Bevölkerungs-Explosion der eingeborenen Jawaner verpennt, einer faulen, aufsässigen Rasse, mit der sich auf lange Sicht kein Staat machen ließ - und schon gar kein Gewinn bringendes Geschäft. Die "Vereenigte Oost-Indië-Compagnie" (deren Abkürzung "VOC" von bösen Zungen längst mit "Vergaan onder Corruptie" übersetzt wurde) hatte 1796 Pleite gemacht; und der 1799 vom niederländischen Staat (der inzwischen eine "Batavische Republik" von Frankreichs Gnaden geworden war) geschickte oberste Beamte, pardon General-Gouverneur, pardon Marschall Hermann Willem Daendels war ein ausgemachter Trottel gewesen - ein früher Vorläufer der ethno-linken Gutmenschen des späten 20. Jahrhunderts. (Erst unter seinem Nachfolger Johannes van den Bosch, der das segensreiche "Cultuurstelsel" einführte, das die faulen Eingeborenen zur Arbeit zwang - die in ihren Augen schändete -, sollte es noch einmal eine kurze Zeit der Blüte geben; aber das ist eine andere Geschichte.

England hatte dagegen das Glück, damals nicht nur einen Raffles zu haben, sondern auch einen Außenminister namens Cunning, pardon Canning - obwohl "Cunning" viel besser gepaßt hätte, denn er war der fähigste Außenminister, den England im 19. Jahrhundert hatte, und das will etwas heißen. Während England die den Holländern ebenfalls während der Napoleonischen Kriege entrissene Kap-Kolonie an der Südspitze Afrikas behielt, gab es ihnen Insul-Inde zurück, legte sogar noch seine Enklave Bencoolen (Bengkulu an der Südküste Sumatras) mit drauf und tauschte dafür im Vertrag von London anno 1824 nur ein paar Siedlungen ("Settlements") an der Straße ("Straits") von Malakka ein: die Insel Penang, das Inselchen Pangkor (das Ihr, liebe Leser, wahrscheinlich gar nicht kennt, da es vom Tourismus noch so gut wie unbeleckt ist; es liegt vor dem Fischerdorf Lumut an der Küste südwestlich von Ipoh), die Stadt Malakka (die älteste europäische Siedlung dortselbst, Anfang des 16. Jahrhunderts von den Portugiesen angelegt anstelle des von ihnen zerstörten muslimischen Handelspostens gleichen Namens) und die Insel Temasek. Die sagt Euch auch nichts? Das sollte sie aber, denn auf der erbauten die Engländer am Ort des Fischerdörfchens "Singapur[a] (Löwenburg)" die künftige Weltstadt Singapore, mit ihren formidablen Hafenanlagen und der stärksten Seefestung Südostasiens. (Theoretisch sogar ganz Asiens, jedenfalls zum Meer hin, da konnten nicht mal Hongkong oder Port Arthur mithalten. Allerdings war es zum gegenüber liegenden Land hin, d.h. nach Johore, nur schwach befestigt, denn von dort erwartete man keinen ernsthaften Angriff - das sollten die Japaner im Zweiten Weltkrieg zu einem erfolgreichen Handstreich ausnutzen - per Fahrrad :-) Damit gruben die Briten zugleich den Holländern in Batavia, jenem malaria-verseuchten Sumpfloch, das Wasser ab, denn mit diesen vier "Straits Settlements" hatten sie den Weg vom Indischen ins Chinesische Meer fest im Griff. (Die Holländer dagegen kamen aus den Aufständen und Bürgerkriegen in Insul-Inde kaum noch heraus. Bis ins 20. Jahrhundert hinein machten vor allem die Jawaner und die Acihnesen Ärger - die letzteren machen es der "indonesischen" Regierung in Jakarta ["Siegburg" - der neue Name Batavias] noch heute :-)

[Die Halbinsel Malakka mit den 'Straits Settlements': Penang, Pangkor, Malakka und Singapur] [Seerouten mit und ohne Kanal von Kra]

Kaum hatten die Engländer den Vertrag von London mit den Holländern geschlossen, da machten sie sich auch schon daran, diesen Weg weiter abzusichern: Sie überfielen, nachdem sie bereits von Bengalen aus Asām annektiert hatten, Barmā und zwangen es zunächst, ihm seine Küstenstreifen abzutreten, bis hinunter zum "schmalen Land" ("tanah sering", das sie zu "Tanasserim" verballhornten). Sie wären sicher noch weiter gegangen, hätten auch Yünnan und Syām unterworfen, wenn darauf nicht auch die Franzosen ein Auge geworfen hätten, die sich inzwischen Laos, Kambodja, Tonking, Annam und Cochinchina (die letzteren drei kennt Ihr heute unter der Bezeichnung "Vietnam") unter den Nagel gerissen hatten. Da sie sich jedoch nicht auf eine Verteilung der Beute - etwa entlang des Menam - einigen konnten, ließen sie Yünnan bei China und Syām unabhängig bleiben - jedenfalls auf dem Papier. Hinter den Kulissen versuchten beide Seiten, der anderen ein Schnippchen zu schlagen. 1882 schickten die Franzosen... na wen wohl? Ferdinand de Lesseps - Dikigoros kann Euch diesen Unglücksraben auch hier nicht ersparen, allerdings tut es diesmal eine kurze Erwähnung - an den Isthmos von Kra, um die Möglichkeit zu erkunden, einen Kanal zu bauen, der wiederum den Engländern und ihren "Straits Settlements" das Wasser abgraben würde, weil er den Seeweg nach Indien zeitlich glatt halbieren würde. Die Briten reagierten eiskalt - und nun zeigte sich, wie weit sie voraus geschaut hatten, als sie Barmās Küsten an sich rissen: Sie hatten sie nämlich genau bis zu jenem Punkt annektiert, den sie "Victoria Point" nannten und die Barmesen "Kawthaung" (ein Verballhornung des syāmesischen "Ko Sawng" - freilich nur in der Schweibweise, denn ausgesprochen wird es ungefähr gleich, etwa "ko-ßong", mit zwei dunklen, offenen "o"). Ein paar schöne große Kanonen dortselbst aufgestellt, und die Franzosen konnten ihren Kra-Kanal vergessen (zumal sich die Engländer regelmäßig von den Thai-Herrschern Verträge unterschreiben ließen, daß sie niemals einen bauen würden ohne die Erlaubnis der Engländer - die sie natürlich nie bekamen). Das taten sie denn auch, und er wurde bis heute nicht gebaut.

[Der Isthmos von Kra. Rot gepunktet: Die Staatsgrenze zwischen Thailand und Myanmar/Barm#257;]

Ende der Geschichte? Nicht doch! Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind wie gesagt die Drogen-Dealer aus Myanmar und Thailand auf den Plan getreten, die inzwischen allerbeste Beziehungen zur Volksrepublik China haben; und die Rot-Chinesen haben wiederum Interesse an einer schnelleren See-Verbindung zum Indischen Ozean. Als Dikigoros' seliger Reisefreund Melone seine letzte Fahrt nach Thailand unternahm, fuhr er auch nach Ranong, denn dort gab es für fünf US-$ Tagesvisa nach Barmā, außerdem die einzige Möglichkeit, in jenes Land einzureisen, ohne ein teures Flugzeug nehmen zu müssen - die Fähre kostete nur einen US-$, und Melone war geizig, obwohl er damals schon wußte, daß er sein Geld nicht würde ins Grab mitnehmen können. Da er überdies ein stets an wirtschaftlichen Dingen interessierter Mensch war, erfuhr er auch bald von Gerüchten über einen nun endlich bevorstehenden Bau des Kra-Kanals; allerdings hielt er das eher für Hirngespinste - denn wer hätte den finanzieren sollen? Schätzungen der Kosten beliefen sich auf 20-30 Milliarden US-$, und nach der furchtbaren Asien-Krise von 1997 hatte niemand soviel Geld übrig für ein Projekt, das sich erst in Jahrzehnten - wenn überhaupt jemals - amortisieren würde, nicht mal die Japaner (die wegen ihrer Öl-Tanker ein objektives Interesse hätten haben können.) Aber wie das so ist, liebe Leser, die Politiker fragen nicht immer nach ökonomischer Vernunft, denn es ist ja nicht ihr Geld, sondern das der Steuerzahler, das sie für Prestige-Objekte verplempern. Das gilt schon im Westen, wo sie sich alle Jubeljahre mal dem Wahlvieh stellen müssen, um ihren gesammelten Schwachsinn absegnen zu lassen, umso mehr in Staaten, wo sie nicht einmal auf letzteres angewiesen sind. Einer dieser Staaten ist die Volksrepublik China. Fleißige Leser von Dikigoros' "Reisen durch die Vergangenheit" wissen bereits, daß er den großartigen wirtschaftlichen Aufschwung, den Rot-China in den letzten Jahren genommen haben soll, überwiegend für Fassade und Spiegelfechterei hält. Aber jenes korrupte System hat Kredit bei Politikern anderer Länder (besonders der USA und der BRD), die zu dumm sind, um das zu erkennen (oder vielleicht auch zu gut geschmiert und zu klug, um sich erwischen zu lassen :-). All die Dollars, Märker und Teuros, die sie schon im Milliarden-, nein Billionen-, demnächst sogar Trillionen-Grab Rot-China versenkt haben, werden nie wieder auftauchen; denn die Chinesen haben die Angewohnheit, solche Gelder zu verbrennen, um sie ihren Verstorbenen mit in den Himmel (oder in die Hölle :-) zu geben.

[Chinesisches Totengeld]

Als Rot-China Ende des 20. Jahrhunderts Hongkong schluckte, kam wieder frisches Geld in die Kasse - und jede Menge Firmenmäntel scheinbar seriöser Unternehmen aus der britischen Kolonialzeit. Eines dieser Unternehmen mit Sitz in Hongkong war, pardon ist die "Phuket Pass Project Company". Sie bestach den Vorsitzenden des zuständigen staatlichen Ausschusses in Thailand, General C.Y. (von bösen, englischsprachigen Zungen wird das gleich mit "see why [siehste warum]?" assoziiert :-) mit schlappen 50 Millionen US-$, die ihm und seinen Amigos, pardon Spezis, pardon Mitarbeitern für eine "Studie" über die Machbarkeit des Projekts zur freien Verfügung gestellt wurden. (Der General hatte sich lange bitten lassen: insgesamt viermal war er vorher zu "Geschäftsverhandlungen" in Peking gewesen. Und da regt Ihr, liebe deutsche Leser, Euch auf über einen Beratervertrag, den irgend so ein Würstchen von der Bundesanstalt für Arbeit bekommt, mit lächerlichen 800.000 Teuro Jahresgehalt?) Im Januar 2003 erhielt die Phuket-Gesellschaft ganz offiziell den Zuschlag, mit der Planung zu beginnen. Soll Euch Dikigoros etwas verraten? Er teilt in diesem Falle einmal nicht die negative Einschätzung Melones. Der letztere hat offenbar übersehen, daß der Kanal sich ja nicht aus offiziellen Passagegeldern, Zöllen und/oder anderen legalen Einnahmen finanzieren muß, sondern daß er vielmehr - wie heute schon der Panamá-Kanal - von Gewinnen aus dem Drogengeschäft gespeist werden wird (vielleicht ist das sogar eine ideale Möglichkeit zur Geldwäsche?!); und da es sich bei den Betreibern der genannten Gesellschaft um eine kriminelle Vereinigung handelt, haben sie auch nicht das Problem wie einst Ferdinand de Lesseps, irgendwelchen Aktionären Rechenschaft über den Verbleib ihrer Einlagen ablegen zu müssen. (Und selbst wenn: Da die Staatsführung letztlich selber dahinter steckt, könnten sie nie vor einem staatlichen Gericht in Thailand oder China angeklagt, geschweige denn verurteilt werden :-) Harren wir also der Dinge, die da kommen werden und freuen uns auf die nächste Reisemöglichkeit von Meer zu Meer...

* * * * *

Nachwort: Ein - vermutlich jüngerer - Leser hat Dikigoros gemailt, warum er sich denn noch mit Projekten abgebe, auf deren Wegen bloß Wasser fließe, während er die ungleich wichtigeren Pipelines (wieder so ein idiotisches neudeutsches Wort! Nichts gegen Wäscheleinen - aber wozu in aller Welt sollen Pfeifleinen gut sein? :-), durch die so viel wertvollere Stoffe wie Öl und Gas flössen, um die noch viel schlimmere Kriege geführt würden, die bis heute andauerten, z.B. in Syrien und am Hindukusch, links liegen lasse. Nun, darauf könnte er eine Menge antworten; tut er aber nicht, sondern will es bei den folgenden paar Zeilen belassen - mehr ist ihm das Thema nicht wert:

Also, liebe Leser von "Reisen durch die Vergangenheit", wartet bitte nicht auf ein Kapitel mit dem Titel "Der Blick durch (oder in :-) die Röhre[n]. Von Turkmenistān nach Balutschistān" o.ä. - Dikigoros wird es nicht schreiben.


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