EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
REISEN DURCH DIE VERGANGENHEIT
GESCHICHTEN AUS DER GESCHICHTE
Wer auf eine Text-Fassung dieser Seite gestoßen
ist, kann eine bebilderte Fassung hier aufrufen.
Welch eine Überschrift, die Dikigoros da verwendet - dabei sind sich die Gelehrten noch nicht mal einig, woher der Satz kommt und was er ursprünglich genau bedeuten sollte. Aber das ficht ihn nicht an, denn er meint ihn ganz wörtlich. Gräber gibt es viele auf der Welt, auch Grabmäler, die nach Dikigoros' persönlicher Auffassung eine Reise wert sind; aber oft stand er vor denen ganz alleine. (Leser seiner Indien-Seite werden sich vielleicht an seinen Besuch am Grabmal der Rānī von Jhānsī erinnern.) Nur wenige haben es zu einer solchen Berühmtheit gebracht, daß viele Millionen Menschen zu ihnen gepilgert sind und wohl noch weiter pilgern werden - ob "zu Recht" oder "zu Unrecht", das ist Geschmackssache. Meist sind sie Herrschern gewidmet; und was ein kluger Herrscher ist, der sorgt schon zu Lebzeiten dafür, daß ein entsprechendes Bauwerk errichtet wird (was freilich keine Garantie dafür ist, daß die Nachwelt es nicht wieder abreißt - jüngstes Beispiel ist Santa Cruz del Valle de los Caídos, das von Franco errichtete Denkmal für die Gefallenen des Spanischen Bürgerkriegs - oder daß irgendwann niemand mehr anreist :-); denn wie schon Errol Flynn alias General Custer in dem Film They Died With Their Boots On sagt: "You can take glory with you, when it is time for you to go". Aber Dikigoros meint wie gesagt keine kleinen Kriegs- oder sonstigen Helden, denen in der Regel allenfalls ein Denkmal gewidmet wird, sondern Grabanlagen, die regelrecht zu Zwecken des Pilger-Tourismus angelegt worden sind, sei es von ihrem Insassen selber, sei es von einer dankbaren Nachwelt. Für uns heutige ist das schwer vorzustellen, denn wir leben in einer Zeit der Unzufriedenheit mit jeglicher Obrigkeit. "Herrscher" sind heute kein Gegenstand der Verehrung mehr, sondern nur noch der Kritik an allen möglichen Mißständen, denen abzuhelfen man von ihnen erwartet als seien sie gottgleiche Kaiser und Könige mit "gutem Draht" nach oben - bei allem vordergründigen Geschwafel von "Demokratie" und "Herrschaft durch das Volk" verlangt doch gerade jenes Volk nicht nach rationellem Regieren, sondern eben nach solchen wundertätigen "Heilsbringern" (noch Iesos von Nazareth trug neben dem Beinamen "der Pomadisierte [christos]" auch den Beinamen "der Heilsbringer [soter]" - von Martin Luder alias Martinus Lutherus ungenau mit "Heiland" übersetzt), auch wenn dieses Wort heute in der BRDDR stigmatisiert ist - anders als in allen anderen Ländern der Welt, wo der Gruß "heil (jay, salam, shalom, salut, saludo, salute usw.)" nach wie vor eine Selbstverständlichkeit ist.
Keinem einzigen "demokratischen" Staatsoberhaupt der Welt würde man heute noch ein großartige Grabanlage bauen (allein
der Gottkönig von Thailand
hätte vielleicht eine Chance, vorausgesetzt, das derzeitige Regime würde nach seinem Tode weiter bestehen, was Dikigoros indes bezweifelt); den meisten würde
das Volk, wenn es wirklich frei wäre, das nachrufen, was die Römer laut Sueton ihrem Kaiser Tiberius nachriefen: "Tiberius in Tiberim!" Tiberius in den Tiber,
Obama in den Kongo (Dikigoros meint den Fluß, nicht den Staat: Obama ist ja gebürtiger Kenyaner, wie sich mittlerweile auch in den USA herum gesprochen hat,
und nur mit Hilfe einer falschen Geburtsurkunde überhaupt zur Präsidentschaftswahl zugelassen worden :-), Wulff in den Saleph (das schreibt Dikigoros nicht,
um in das aktuelle Gezetere über "Türken-Wulff" einzufallen, sondern weil dort dessen Vor-vor-vor-etc.-gänger endete, dem ein längerer Abschnitt dieser Reise
gewidmet ist, und weil neuerdings auch dessen Gesicht eine jener
Terracotta-Kopien verunziert, von denen gleich die Rede sein wird) usw. Aber wir wollen nicht
vergessen, daß die Staats- und Gesellschaftsformen, die sich heute über die Erde ausgebreitet haben, bisher nur von kurzer Dauer waren und es aller
Voraussicht nach von noch kürzerer Dauer weiter sein werden; über die meiste Zeit der menschlichen Geschichte - jedenfalls in den Jahrtausenden, die wir aus
der historischen Überliererung einigermaßen erfassen können - war es anders: Da verehrte das Volk nicht nur seine Herrscher, solange sie lebten, sondern auch
über ihren Tod hinaus; und den beliebtesten errichtete es nicht nur Grabmäler, sondern es pilgerte auch in Scharen dorthin. Dikigoros hätte viel zu tun, wenn
er sie alle beschreiben wollte; aber er will hier mal von den nationalen "Helden" absehen (über die er
an anderer Stelle
schreibt) und sich auf diejenigen beschränken, die erstens sowohl im eigenen Lande als auch im Ausland, und zwar weltweit, und zweitens sogar in dieser
herrschaftsungläubigen, kritischen Zeit anhaltende Verehrung genießen in der Form, daß ihre Gräber zu Anziehungspunkten für Millionen Menschen geworden sind,
auch für solche, die wenig oder so gut wie gar nichts über sie wissen. Dem abzuhelfen schreibt Dikigoros diese Seite. (Und zu welchem Ergebnis er dabei
gelangt ist... nun, das nimmt die Überschrift doch schon vorweg, auch wenn die Hunde Betroffenen von der Nachwelt in der Regel nicht liegend,
sondern vielmehr sitzend dargestellt wurden :-)
Wie ist Dikigoros auf dieses Thema und auf die Liste der zu bereisenden Orte gekommen? Darf er etwas weiter ausholen? Er erinnert sich nicht mehr genau, es
war wohl Anfang der 1990er Jahre, als er in Köln unweit des Verwaltungsgerichts zum ersten Mal ein merkwürdiges "Kunstwerk" sah: ein altes Auto, mit
Goldfarbe bemalt und mit überdimensionalen Adlerschwingen versehen auf einem Gebäudedach. Er fand das zwar etwas unpassend, aber er dachte nicht weiter
darüber nach - die Kölschen Jecken waren halt ein merkwürdiges Völkchen, das so etwas duldete... Hatte nicht anno 1958 sogar ihr oberster Jeck, der
Kohleklau Erzbischof Kardinal Frings (der ein gebürtiger Neusser war und deshalb von Hause aus eigentlich der karnevalistischen
Konkurrenz aus Düsseldorf näher stand - vielleicht war das der wahre Grund für das kühl-distanziertes Verhältnis zwischen ihm und dem anderen berühmten
Kölner Jecken jener Zeit,
Adenauer :-),
25 von der Volkswagen AG gestiftete "Käfer" (damals noch ohne Dieselmotor und Abgas-Software :-) vor dem Kölner Dom auffahren lassen und sie dort feierlich
eingesegnet, bevor er sie den Missionaren nach Afrika schickte, damit die den Negerlein den Glauben an das liebe Jesulein besser vermitteln konnten? (Ja, was
glaubt Ihr denn, weshalb er wenig später die Gründung von
"Misereor e.V." initiierte? Wirklich nur aus Nächstenliebe, wie es als Vereinszweck in der Satzung
stand, "um gegen Hunger und Krankheit in der Welt zu kämpfen"? Weit gefehlt: Damals verschenkte die katholische Kirche noch nichts ohne missionarischen
Hintergedanken, schon gar nicht in die "Dritte Welt" - ebenso wenig wie es der Islam heute tut!)
Viele Jahre später, anno 2006, war Dikigoros wieder mal in Köln, und da dort immer Parkplatznot herrscht, fuhr er wie fast immer mit der Bahn. Wer Köln kennt, weiß, daß der Hauptbahnhof direkt unterhalb des Kölner Doms liegt, dem Dikigoros denn auch immer einen Besuch abstattet - nicht aus Frömmigkeit, auch nicht zum Andenken an jene denkwürdige Autoeinsegnung, sondern um zu sehen, wie sich das Zahlenverhältnis zwischen Touristen und Schäfchen gestaltet. Aber diesmal kam noch eine dritte Kategorie hinzu: ein Haufen bunter, aus gepreßtem Müll bestehender Figuren.
Wie es der Zufall wollte, lernte Dikigoros auch den
"Künstler"
kennen, der diese Machwerke verbrochen hatte. Höflich, wie er manchmal sein kann, behielt er seine Meinung über ihn und seine Schöpfungen zurück und fragte
ihn nach den näheren Umständen dieses "Events". So erfuhr er, daß es sich um insgesamt 1.000 "Trash People [Schrott-Leute]" handelte, und auf die Frage, wie
er denn auf diese bahnbrechende Idee gekommen sei, antwortete der "Künstler": "Durch die Terracotta-Armee des Kaisers von China, von der neulich einige
Exponate in den Bonner Rheinauen ausgestellt waren, deshalb nenne ich sie alternativ auch 'Schrott-Armee'." Dikigoros erinnerte sich dunkel: Richtig, anno
2003 war der Japanische Garten in den Rheinauen durch ein paar
billige Kopien
jener Terracotta-Soldaten verschandelt worden, für deren Besichtigung viele Dummköpfe Kulturinteressierte, denen man sie als echt verkauft hatte,
hohe Eintrittspreise gezahlt hatten. Nun ja, selbst die Kopien sahen noch besser aus als die Schrott-Soldaten... "Was gedenken Sie denn, damit anzustellen,
wenn Sie hier fertig sind?" fragte er weiter. "Oh, mit denen gehe ich auf Welt-Tournee." Dikigoros konnte sich ein müdes Lächeln nicht verkneifen; doch der
"Künstler" fuhr unbeirrt fort: "Sie mögen es nicht wissen, aber mit denen habe ich schon die halbe Welt bereist, und glauben Sie mir: die andere Hälfte
schaffe ich auch noch!" Dikigoros Staunen wuchs, als Hans-Jürgen S. - der sich ihm bei der Gelegenheit auch als Schöpfer des geflügelten Goldautos vorstellte
- erzählte, wo er schon überall mit seinem Schrott aufgetreten war; und als er erfuhr, mit wieviel Verstand er jene Orte ausgewählt hatte, begann er seine
Meinung über ihn wenigstens teilweise zu revidieren. Nein, Dikigoros will das hier nicht länger ausführen; aber seine Leser werden sicher schon ahnen, daß
die "Trash People" schon vor allen Grabstätten, zu denen Dikigoros sie jetzt auf eine virtuelle Reise mitnehmen will, gestanden haben.
Es gibt Grabstätten, die sind so berühmt, daß viele Menschen sogar ihr Leben riskieren, um sie aufzusuchen. Jeder weiß - oder müßte es nach Dikigoros'
eindringlichen Warnungen vor Reisen in islamische Länder eigentlich wissen -, daß man als westlicher, nicht-muslimischer Tourist nur noch unter Lebensgefahr
nach Ägypten reisen kann; und gerade an Orten wie den Pyramiden von Gizeh ist diese Gefahr besonders groß. Und, um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen:
Die meisten Menschen riskieren ihr Leben am völlig falschen Objekt, denn was Ihr da oben liegen seht, ist nicht die Sfinx, sondern der Sfinx;
und was Ihr dahinter stehen seht, ist nicht die Cheops-Pyramide, sondern vielmehr die Chefren-Pyramide. Eine Cheops-Pyramide gibt es überhaupt nicht,
denn der 2. Farao der 4. Dynastie hieß gar nicht Cheops (das war nur ein Spitzname, den ihm
Heródot
verpaßte :-), sondern vielmehr Chufu, und dessen Pyramide seht Ihr ganz oben auf dem Titelbild klein und unscheinbar in der rechten hinteren Ecke.
(...)
Exkurs. An dieser Stelle fehlen zwei Abschnitte - für den einen ist es noch zu früh, für den anderen schon zu spät. Dikigoros bedauert das in beiden Fällen sehr, denn der erste betrifft einen Ort, den er früher besucht hat als alle anderen hier vorgestellten, noch bevor er zum großen Touristen-Rummelplatz wurde, und der andere betrifft ein Grabmal, das in der Antike zu den "sieben Weltwundern" gezählt wurde und lange Zeit so berühmt war, daß man imposante Grabmäler in aller Welt nach ihm benannte. Also will Dikigoros ihnen hier wenigstens ein paar Zeilen widmen. Bis vor kurzem wurde man von den so genannten "Wissenschaftlern" - so nennen sich widersinniger Weise meist Leute, die kein neues Wissen schaffen, sondern nur altes, vermeintliches Wissen, wiederkäuen - bestenfalls milde belächelt, wenn man als interessierter Laie die Pyramiden in Ägypten mit denen in Mexiko verglich. Die "Ägyptologen" pflegten einen dann zu belehren, daß die so verschieden seien, daß sie eigentlich nicht mal den selben Namen tragen dürften: Die "echten" Pyramiden Ägyptens waren viel größer, hatten eine beinahe glatte Oberfläche und einen sehr löblichen Zweck, sie dienten nämlich als Grabmale großer Faraonen; die Dinger in Mexiko dagegen seien seien ja nur primitive "Stufen-Pyramiden", die wahrscheinlich einem viel profaneren Zweck dienten, nämlich Menschenopfern auf ihrer stumpfen Spitze, damit diese den Himmelsgöttern, denen sie mußmaßlich dargebracht wurden, näher waren. Ach, liebe Leser, das zeigt nur, wie weit die Fachidiotie heuer voran geschritten ist, und wie wenig Ahnung die Ägyptologen von Mexiko haben. Zunächst einmal wollt Ihr bemerken, daß Dikigoros selber nie von "mexikanischen Pyramiden" spricht, sondern immer nur von "Pyramiden in Mexiko". Denn die "Meschika", nach denen wir das Land heute so nennen, waren ein Stamm der Azteken, und die haben nie Pyramiden gebaut; sie kamen erst viel später und zerstörten die alten Kulturen, kurz bevor die Spanier kamen und sie hätten retten können - aber darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle. Um die Pyramiden zu zerstören, kamen freilich auch sie zu spät, denn die Maya-Kultur, die jene auf Yucatán errichtet hatte, war längst untergegangen - warum und wieso, darüber rätseln die Gelehrten bis heute, und auch Dikigoros hat keine schlüssige Antwort auf diese Frage, auch nicht nachdem man bei Campeche das Grab eines imaginären Königs "Yuknoom Yich'aak K'ak" entdeckt und ihm auch ein paar nicht nachprüfbare Heldentaten angedichtet hat -; Und über die Erbauer von Teotihuacán weiß man gleich gar nichts, außer daß ihre Pyramiden wahrscheinlich um die 2.500 Jahre alt sind, also nicht viel weniger alt als die in Ägypten.
Ende des 20. Jahrhunderts begann ein Team japanischer (!) Archäologen, unter der Ruinenstätte zu graben (mühsam, mit von außen angelegten Tunneln, um das Tourismus-Geschäft an der Oberfläche nicht zu stören :-). Im November 2004 wurden sie erstmals fündig: Unter der "Mond-Pyramide" - der zweitgrößten am Ort - lag ein Grab mit 12 menschlichen und 41 tierischen Skeletten. Na ja, dachte man, das ist zwar interessant, aber wahrscheinlich waren das die Leichen irgendwelcher Opfer-Zeremonien... O sancta simplicitas! So können doch nur "Wissenschaftler" denken! Ein paar Leute "opfern", und dann ein solches Bauwerk über ihren Leichen errichten? Wer soll denn so etwas glauben? Man buddelte weiter, und im August 2010 stieß man, unweit der "Tempel des Quetzalcoatl" genannten drittgrößten Pyramide vor Ort - oh Wunder - auf einen anderen Tunnel, und zwar einen, den schon die Erbauer von Teotihuacán angelegt haben müssen, und an dessen Ende fand man... eine Grabkammer, hinter der sich die in den Pyramiden der ägyptischen Faraonen verstecken konnte. Leider haben die Forschungsarbeiten noch nicht ernsthaft begonnen, denn dieser Fund zählt zu denen, welche die sprichwörtlichen Bibliotheken zur Makulatur werden lassen, d.h. die "Wissenschaftler" müssen ganz von vorne beginnen, ohne abschreiben zu können; und bis die sich etwas ausgedacht haben, etwa wer jener Herrscher war, der dort begraben wurde, und was er so getrieben hat... Und bevor man gar die Fundstätte der Öffentlichkeit zugänglich macht, um wieder mehr Touristen anzulocken (die sich in letzter Zeit wegen der innenpolitischen Lage und der steigenden Kriminalität in Mexiko etwas rar gemacht haben) wird wohl noch einige Zeit vergehen. (Man hat inzwischen noch weitere, weniger schöne Gräber in Teotihuacán entdeckt; aber über die schreibt Dikigoros an anderer Stelle.)
Erkennt Ihr das Ding da oben, liebe Leser? Wahrscheinlich nicht, denn ist steht nirgends, sondern ist bloß eine modellhafte Rekonstruktion anhand von Beschreibungen.
(...)
Doch nicht jeder wohnt in Bonn am Rhein, deshalb kann sich nicht jeder falsche Terracotta-Soldaten made in Hongkong oder Schanghai anschauen.
Wart Ihr mal in Ravenna, liebe Leser? Und wenn, was habt Ihr Euch in der letzten Hauptstadt des Weströmischen Imperiums angeschaut? Sicher das Mausoleum
von Theoderich dem Großen, dem berühmten König der Ostgoten. Nanu, will Dikigoros dem etwa auch an den Wagen karren? Nein, keine Angst; aber wenn er
schon mal in Ravenna ist, muß er wenigstens erklären, warum nicht: Zum einen war Theoderich keineswegs so berühmt, wie man lange Zeit glaubte, als man
die Thidrekssaga noch für eine - mit viel Fantasie zusammen getragene - Sammlung seiner nicht belegbaren Heldentaten hielt. Aber spätestens seit
Heinz Ritter-Schaumburg wissen wir, daß der "Dietrich von Bern" jener Sage gar nicht den Gotenkönig meinte, sondern einen fränkischen Gaukönig, der
ungefähr zur gleichen Zeit lebte (aber darüber kann man
trefflich streiten),
nämlich Thidrek von Bonn am Rhein, der den historischen Kern jener Sage wahrscheinlich selber im Alter nieder schrieb, den dann im Laufe der Jahrhunderte
allerlei "Bearbeiter" zu einem immer unwahrscheinlicheren Märchen-Zyklus ausgewalzt und mit einer falschen Bezugsperson versehen haben, eben jenem
Theoderich von Ravenna. Zum anderen war letzterer kein so krummer Hund wie die anderen hier vorgestellten Herrscher. Gewiß, er war an die Macht gekommen,
indem er seinen Vorgänger
Odoaker eigenhändig tötete. Aber wer, der nicht gerade einer Erb-Dynastie entsprang, wurde in der Spät-Antike (und davor - und danach) nicht auf
diese Art und Weise Herrscher? Theoderich war auch kein Mörder. Eigenhändigkeit ist kein qualifizierendes Tatbestandsmerkmal - damals mußten Herrscher
noch selber die Waffe führen können; warum sollten sie also die Ausführung ihrer Tat[en] einem anderen überlassen, auf die Gefahr hin, daß der sich
womöglich selber an die Macht brachte? Gewiß, Theoderich erschlug Odoaker auch nicht "ritterlich" auf dem Schlachtfeld, sondern bei einem Bankett. Das
mag hinterhältig gewesen sein - aber verwirklichte es auch das Tatbestandsmerkmal "heimtückisch"? Die herrschende Rechtsprechung definiert das als
Ausnutzung von Arg- oder Wehrlosigkeit des Opfers. Konnte Odoaker angesichts der Vorgeschichte - auf die wir gleich kommen - tatsächlich arg- oder
wehrlos sein? Wohl kaum, sondern allenfalls dumm und leichtsinnig. Die Dummheit oder den Leichtsinn des Opfers auszunutzen macht einen Totschlag aber
nicht gleich Mord. Und selbst über den Tatbestand des Totschlags kann man streiten, denn auch der setzt ja die rechtswidrige Tötung eines Menschen
voraus. Odoaker war aber kein rechtmäßiger Herrscher, sondern ein skirischer Söldner, der sich an die Macht geputscht hatte; anschließend hatte er den
oströmischen Kaiser provoziert, indem er ihm die erbeuteten Herrschafts-Insignien nach Konstantinopel schickte mit der Bemerkung, der Krempel werde
fortan nicht mehr benötigt; er herrsche qua eigenen Rechts. Und er unterschrieb das alles auch noch als "basileios", also nicht, wie das fast alle
deutschen Geschichtsbücher fälschlich übersetzen, als "König" (das hätte man ja noch als Stellung 2. Ranges interpretieren können, wie sie Ostrom für
andere Germanenfürsten schon anerkannt hatte), sondern mit dem Titel, den auch der oströmische Herrscher führte, d.h. "Kaiser". [Liest Dikigoros da in
einem weit verbreiteten "Geschichtsbuch", Odoaker sei "gewählt" worden? Das ist ja wohl ein schlechter Witz: Lediglich die putschenden Militärs, die die
Macht im Staate an sich gerissen hatten, wählten ihn zu ihrem Anführer! Aber das Lachen über diesen Witz möge Euch im Halse stecken bleiben, liebe Kinder
des 20. und 21. Jahrhunderts, vor allem denen von Euch, die glauben, daß ihre Obertanen auf rechtmäßige Art und Weise "gewählt" worden seien:
Lediglich die politischen Parteien, die die Macht im Staate an sich gerissen haben, haben sie gewählt und auf die Kandidatenliste gesetzt, auf die der
"Wähler" keinerlei Einfluß hat. Und das Grundgesetz, das sie damit gebrochen haben (denn das billigt jenen Parteien nur das Recht zu, an der politischen
Willensbildung mit zu wirken, nicht aber, alle drei politischen Gewalten an sich zu reißen und für sich zu monopolisieren!) haben sie nur deshalb nicht
mit einem höhnischen Schreiben nach Konstantinopel geschickt und für überflüssig erklärt, weil es kein Konstantinopel und keinen oströmischen Kaiser mehr
gibt.] Wie dem auch sei, Odoaker war das, was man einen Usurpator nannte - wenngleich es eine unzulässige Vereinfachung ist zu behaupten (wie es die
heutigen Geschichts- und Märchenbücher tun), er habe das Weströmische Reich zerstört, weil er dessen letzten "Herrscher" Romulus Augustulus in
Frühpension schickte. [Als Dikigoros studierte, war "The Decline and Fall of the Roman Empire" von Edward Gibbon zumindest an englischen Universitäten
noch Pflichtlektüre für alle angehenden Historiker; heutzutage lesen selbst angehende Mediävisten allenfalls noch die paar Kapitel, die J.J. Norwich
diesem Thema in "Byzantium" gewidmet hat - ein weich gewaschener, nicht mal 10%iger Extrakt aus Gibbons Monumentalwerk, der viel zu kurz greift. (In
Sachen Theoderich - und Galla Placidia, auf die wir gleich kommen werden - griff freilich auch Gibbon etwas zu kurz: Ersterer lag nach der Zeit seines
Hauptinteresses; und in letzterer sah er "nur" die Mutter und Regentin eines unfähigen, da von ihr zur Unfähigkeit erzogenen Kaisers; was sie zuvor alles
ausgefressen hatte, überging er mit gnädigem Schweigen; deshalb muß Dikigoros das hier nachholen :-) Und die Deutschen? Die haben 100 Jahre lang nur
Felix Dahn gelesen - die meisten bloß "Ein Kampf um Rom", einige auch "Die Völkerwanderung" - und danach gar nichts mehr.]
Theoderich kam mit dem offiziellen Auftrag des oströmischen Kaisers Zenon nach Italien, ihm Odoaker zu bringen - tot oder lebendig. Es war also
juristisch gesehen kein Mord oder Totschlag, sondern das Zur-Strecke-bringen eines steckbrieflich gesuchten Verbrechers, und Theoderich führte diesen
Vollstreckungsauftrag aus. Leicht wurde es nicht, denn Odoaker war kein Weichei - er wehrte sich militärisch; der Krieg dauerte beinahe fünf Jahre; dann
bot Theoderich Frieden an und lud Odoaker nebst Familie zu besagtem Versöhnungs-Bankett. Wie konnte Odoaker bloß darauf herein fallen? Theoderich war mit
Kind und Kegel gekommen (nein, nicht zum Bankett, aber nach Italien), denn Zenon hatte dem "Volk der Ostgoten" - einem aus vielerlei Stämmen zusammen
gewürfelten Haufen germanischer und nicht-germanischer "Flüchtlinge" aus Syrien, pardon Skythien (aus Syrien kam damals nur Wein nach Europa; es
war ja noch nicht muslimisch :-) - für den Fall eines gelungenen Feldzugs den ganzen Stiefel als legitime neue Heimat zugesprochen. Ja, glaubte Odoaker
denn im Ernst, daß die wieder abziehen und in ihre längst von den Hunnen besetzte, ausgepowerte Heimat zurück kehren würden, um sich dort von letzteren
massakrieren zu lassen? Aber vielleicht klammerte sich Odoaker nur an den letzten Hoffnungs-Strohhalm. Der Krieg war eh verloren; Theoderichs Truppen
hatten ihn in seiner Hauptstadt Ravenna eingeschlossen; Entsatz war nicht mehr zu erwarten. Odoaker hätte nur noch zwei andere Alternativen gehabt:
einen Ausbruch wagen und im Kampf fallen, oder kapitulieren und sich in Gefangenschaft begeben; und der Tod, den Zenon ihm dann bereitet hätte, wäre
wahrscheinlich erheblich unangenehmer gewesen, als von Theoderich mit einem Schwertstreich vom Leben zum Tode befördert zu werden.
Was man Theoderich sonst noch vorwirft - zumal heute, im Zeitalter der "politischen Korrektheit" (und damit der historischen Unkorrektheit) ist,
daß seine "rassistische" Politik zum Untergang der Ostgoten ein paar Jahre später geführt habe, weil die kleine [Ober-]Schicht der Goten, die er sich
nicht mit seinen römischen Untertanen vermischen ließ, zu schwach war, um sich nach seinem Tode gegen die oströmischen Wiedereroberer zu behaupten.
Aber auch das stimmt so nicht. Theoderich hatte ja gar keine römischen Untertanen; das waren vielmehr die Untertanen des oströmischen Kaisers, der ihn
lediglich als "König der Ostgoten" anerkannt hatte. Das war wichtig, denn diese Zuordnung entschied darüber, wer die Steuerhoheit hatte, die damals nicht
territorial, sondern personell begründet war. Die Ehe zwischen einem Römer und einer Gotin - die theoretisch, d.h. juristisch, durchaus zulässig war -
hätte dazu geführt, daß die Kinder aus dieser Verbindung in den zweifelhaften Genuß des römischen Bürgerrechts gelangt wären, d.h. Steuern nach Ostrom
hätten abführen müssen. Daß Theoderich das nicht gern sah, liegt auf der Hand. Aber in der Praxis stand solchen Eheschließungen ein noch viel größeres
Hindernis entgegen, das nicht rassisch, sondern ideologisch bedingt war. Ideologie hieß damals "Religion". Die Ostgoten waren - wie die meisten anderen
bekehrten germanischen Völker und Stämme auch - "Arianer", d.h. sie hingen einer etwas weniger hirnrissigen Dreifaltigkeitslehre (deren theologische
Spitzfindigkeiten im einzelnen Dikigoros Euch ersparen will) an als diejenige Richtung des Christentums, aus der sich später die katholische und die
orthodoxe Kirche entwickeln sollten. Wie aber viele Leser - zumal solche, die in gemischt-religiösen Ehen leben - wissen werden, bestand die katholische
Kirche dort, wo sie die Mehrheit der Schäflein hatte, noch bis vor kurzem darauf, daß der oder die Andersgläubige konvertierte, bevor sie ihren Segen zu
einer solchen Eheschließung gab; und selbst in der "Diaspora", wo sie in diesem Punkt großzügiger war, bestand sie bis zuletzt darauf, daß jedenfalls
die Kinder aus solchen "Mischehen" katholisch getauft wurden. So war es auch schon zu Theoderichs Zeiten - und mal im Ernst: Welcher halbwegs gescheite
Mensch hätte wohl seinen arianischen Glauben aufgegeben, um zu so einem bekloppten Glauben zu konvertieren, wie es der katholische war und ist? (Frau
Dikigoros wäre dazu nicht bereit gewesen - eher hätte sie auf eine kirchliche Trauung verzichtet :-) Eben... Nein, Theoderich da einen Vorwurf zu machen,
liegt völlig neben der Sache. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Es waren die rassistischen [Ost-]Römer, die eine Generation später die Ostgoten in Italien
mit Stumpf und Stil ausrotteten, weil sie Ostgoten waren; aber das konnte zu Theoderichs Lebzeiten niemand ahnen. Wäre nicht seine Tochter Amalaswintha
(die er vorsorglich mit dem König der Westgoten verheiratet hatte; daß sowohl der als auch ihr gemeinsamer Sohn früh starben, war einfach Pech und nicht
vorher zu sehen) eine derart dumme Gans gewesen, die erst das von ihrem Vater sorgsam geknüpfte Bündnis mit den Vandalen zerreißen ließ (die Chronisten
und die ihnen folgenden Historiker geben daran zwar allein den Vandalen die Schuld; aber zu so einem Bruch gehören immer zwei Seiten), dann den Oströmern
tatkräftig half, die Vandalen auszurotten (das eine folgt nicht zwingend aus dem anderen - letzteres wäre ihrem Vater, selbst bei einem etwaigen
Bündnisbruch mit den Vandalen, nie passiert) und sich schließlich von ihrem 2. Ehemann um die Ecke ließ - was wiederum ihren oströmischen Verbündeten
einen Kriegsvorwand lieferte -, hätte das ostgotische Reich das oströmische wahrscheinlich überlebt. Aber das nur zur Einleitung.
Habt Ihr auch dieses Mausoleum in Ravenna besichtigt, liebe Leser? Wohl eher nicht, denn es macht äußerlich ja nicht gar so viel her. Von innen
ist es jedoch recht ansprechend, nicht nur wegen der Särge von Galla Placidia, ihrem 2. [Halb-]Bruder, ihrem 2. Ehemann und ihrem 2. Sohn, sondern auch
wegen der Mosaïken. (Wo immer es bessere gab, haben die Muslime, die Sowjets oder andere Kultur-Bolschewiken sie zerstört.) Wenn Ihr also etwas für
jene Steinchen-Bilder übrig habt, dann macht doch bei Eurem nächsten Rimini-Urlaub einen Stop in Ravenna und geht einfach mal rein! Galla Placidia - nie
gehört? Das solltet Ihr aber, denn, um es vorweg zu nehmen, das war die krümmste Hündin (na klar, im Zeitalter der Gleichberechtigung muß man doch auch
die weibliche Form verwenden werden dürfen - die deutsche Sprache hat ja keine dem englischen "bitch" entsprechende Vokabel :-), die je in Europa
geherrscht hatte, und die erst nach mehr als anderthalb Jahrtausenden von einer noch schlimmeren Verbrecherin übertroffen werden sollte. Womit soll
Dikigoros anfangen, um jenes Urteil zu untermauern? Vielleicht mit der allgemeinen Feststellung, daß Frauen in der Politik unendlich viel mehr Unheil
anrichten können als Männer. Warum das so ist?
Shakespeare
hätte geantwortet: weil hinter jeden Mannes böser Tat eine Frau steht! Aber das beantwortet die Frage nicht wirklich. Es liegt wohl daran, daß ein Mann
nur so lange Unheil anrichten kann, wie er selber an der Macht ist, eine Frau dagegen fast ihr Leben lang: Sie kann schon als Tochter ihren Vater
"beraten", später ihre Brüder und Ehemänner, und am Ende ihre Söhne und Enkel. Macht Euch auf eine Geschichte gefaßt, wie sie sich kein Märchenschreiber
ausdenken könnte, und nehmt nur die unstreitigen Fakten, dann macht Euch selber einen Reim darauf. Aber vorher wollt vor allem Ihr, liebe rechte Leser,
Euch von dem Gedanken frei machen, daß zur Zeit der 1. Völkerwanderung "die" Germanen immer die "Guten" waren und "die" [Ost- und/oder West-]Römer die
"Bösen". Orientiert Euch allein an der Frage, was in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts falsch oder richtig war bzw. gewesen wäre, wenn es darum ging,
das Imperium Romanum, d.h. das Abendland zu... schreiben wir ruhig "retten", denn es war in höchster Not, in Todesnot, so wie es das Abendland in der
ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts bei der 2. Völkerwanderung wieder sein sollte. Und so wie es einer einzigen Frau gelang, den Untergang Europas herbei
zu führen - was ein Menschenalter zuvor vier Männer:
Churchill,
Hitler,
Roosevelt und
Stalin
(Dikigoros hat bewußt die alfabetische Reihenfolge gewählt) zusammen nicht geschafft hatten -, nämlich Sarah Sauer, so gelang es einer einzigen Frau, den
Untergang des Imperium Romanum herbei zu führen - was zuvor alle unfähigen Kaiser zusammen nicht geschafft hatten -, eben jener Galla Placidia.
Als sie das Licht der Welt erblickte, herrschte ihr Vater zum letzten Mal über das wiedervereinigte Römische Reich, über Ossis und Wessis. Er selber war
Wessi, aber sie war in Ossiland geboren; und als sie die politische Bühne betrat, gab es schon wieder zwei Römische Reiche. (Ein kleiner Unterschied zu
Sarah Sauer muß doch bestehen, liebe Leser :-) In Ossiland regierte ihr Halbbruder Arkadios, in Wessiland ihr Halbbruder Honorius. Beide waren keine
großen Lichter, und "regieren" ist vielleicht zu viel gesagt. Im Westen gaben Honorius und seine "Berater[innen]" zwar die Richtlinien der Politik, wie
man heute
sagt, vor; aber ausführen taten sie andere, vor allem der sehr tüchtige General Stilicho. (Noch einmal, liebe rechte Leser, vergeßt, daß er "Germane" war -
das machte ihn weder besser noch schlechter!) Er war also de facto der starke Mann, aber er war eine tragische Gestalt, der Wallenstein der Spät-Antike.
Solche Leute gibt es, die überragende Militärs sind, keine Politiker, aber eines Tages mit der Kraft des gesunden Menschenverstandes erkennen, daß ihre
Herrscher eine falsche Politik betreiben - nicht nur etwas falsch, sondern von grundauf falsch, so falsch, daß sie in den Untergang des Staates oder des
Volkes führt. Die aber andererseits Skrupel haben, ihre Herrscher gleich zu beseitigen und selber die Macht zu ergreifen, um das Steuer noch rechtzeitig
herum zu reißen, und nur laut darüber nachdenken, so lange und so laut, daß man ihnen auf die Schliche kommt und sie als "Verräter" selber beseitigt. Wir
wissen, daß Kaiser Honorius eine falsche Politik betrieb; wir wissen auch, daß Stilicho das erkannt hatte; aber wir wissen nicht genau, wer hinter seinem
Sturz und seiner "Hinrichtung" (die nicht weniger ein "Mord" war als diejenige Odoakers durch Theoderich) anno 408 n.C. steckte, ebenso wenig, wer den
Justizmord an Stilichos Sohn Eucherius (der mit Galla verlobt war, so wie seine Töchter mit ihrem Halbbruder, dem Kaiser, verheiratet waren - nacheinander
natürlich, aber beide kinderlos) im selben Jahr veranlaßte. Aber wir wissen, welcher Name unter dem Todesurteil - ebenfalls im selben Jahr und ebenfalls ein
glatter Justizmord - an Prinzessin Serena (der Ehefrau Stilichos und Mutter Eucherius') stand: Es war der ihrer Nichte, Adoptivschwester, Pflegetochter und
Schwiegertochter in spe: Galla Placidia. (An dieser Tatsache kommt auch deren Hagiograf Albert Rausch alias "Henry Benrath" nicht vorbei.) Jawohl, die
16-jährige vertrat ihren Halbbruder, Kaiser Honorius, denn dessen Gegenzeichnung bedurfte die Vollstreckung des Todesurteils. Wie es danach weiter ging,
konnte sich jeder ausrechnen: So ähnlich wie der 30-jährige Krieg für die Kaiserlichen nach der Beseitigung Wallensteins. Stilicho zu beseitigen, war das
dümmste, was man tun konnte, denn allein seinem militärischem Genie war es bis dahin gelungen, die Angriffe der Völkerwanderer abzuwehren. Nein, natürlich
nicht ganz allein seinem Genie, sondern auch der Tüchtigkeit seiner Offiziere - die man ebenfalls umzubringen begann; aber viele flohen rechtzeitig
zu - na, zu wem wohl? Richtig, zu Alarich, dem König der Westgoten, und verstärkten dessen Heer. Das zweitdümmste war zu glauben, daß man mit diesem
Alarich ebenso mies umspringen könnte. Er sah zwar auf seinem Siegel aus wie ein dummer Junge; aber wer so früh im Leben so viel Schreckliches durchgemacht
hat wie er, der reift schneller zum Mann als andere - mitunter so schnell, daß die Siegelschneider nicht mehr nachkommen. Darüber, wie mies die Oströmer ihm
und seinem Volk mitgespielt hatten, schreibt Dikigoros
an anderer Stelle;
er will sich hier nicht wiederholen. Und wie die Wessis versuchten, es den Ossis nach zu machen, ist schnell erzählt, schneller als sie sich hätten träumen
lassen, denn Alarich war kein Wallenstein und kein Stilicho, sondern er marschierte kurz entschlossen in Italien ein, zog bis nach Rom und präsentierte dort
seine Forderungen. Die waren, nüchtern betrachtet, keineswegs überzogen: Noricum (das heutige Österreich - wahrlich keine besonders wertvolle Gegend, die man
nicht hätte entbehren können) als Siedlungsgebiet, Verpflegung, bis die erste Ernte reif war, etwas anzuziehen (seidene Gewänder für sich und seine Familie;
Fellkleidung für das einfache Volk :-), etwas Reisegeld (Gold für sich, Silber für das Volk :-), außerdem für sich den Titel (und das Gehalt :-) eines
römischen Generalobersten. Die Römer überlegten kurz, dann spuckten sie das Verlangte aus; und Alarich marschierte ab gen Norden. Kaum war er weg, ließ
Kaiser Honorius wissen: April, April! Über die Vergabe von Siedlungsgebiet und militärische Ränge habe nur er zu entscheiden, und er saß ja im sicheren
Ravenna. [Das müßt Ihr Euch ganz anders vorstellen als heute, liebe Leser, da es wohl kaum zu verteidigen wäre. Aber damals lag es noch ziemlich nah an der
Adria, über die es mit Nachschub versorgt werden konnte, gut geschützt hinter Lagunen - ähnlich wie etwa Venedig - und zur Meerseite hin stark befestigt;
zur Landseite hin lagen ausgedehnte Sümpfe, verteidigt von einer Armee Moskitos und der Malaria, die sie übertrugen - erst ein gewisser
Mussolini
sollte gut anderthalb Jahrtausende später auf die fascistoïde Idee kommen, jene Sümpfe trocken zu legen - aber da war der Hafen längst versandet, und
die Adria war weit.] Alarich zog prompt wieder vor Rom, dessen Senat Honorius für abgesetzt erklärte und einen Gegenkaiser ausrief. Jetzt kam alles darauf
an, für wen sich der Generalgouverneur von Afrika entschied.
Ihr stutzt, liebe Leser? Nun, Ihr dürft Euch "Afrika" (gemeint ist Nordafrika) nicht so vorstellen, wie es heute, nach anderthalb Jahrtausenden
Muslim-Herrschaft ist, nämlich als unfruchtbare Wüsten-Region. Zu Beginn des 5. Jahrhunderts war es - vor allem das heutige Tunesien - die Kornkammer des
Römischen Reichs, ohne dessen Getreide-Lieferungen die Bevölkerung Italiens nicht mehr ernährt werden konnte. Ihr glaubt das nicht? Hatte sich Italien nicht
noch ein halbes Jahrhundert zuvor spielend alleine versorgen können (jedenfalls, wenn man Sizilien mit zählte, das ebenfalls noch äußerst fruchtbar war)?
Wohl wahr; aber 50 Jahre sind eine lange Zeit. 50 Jahre, bevor Dikigoros diese Zeilen schreibt, produzierten auch die Länder der so genannten EWG
erhebliche Nahrungsmittel-Überschüsse - nicht nur die sprichwörtlichen Milchseen und Butterberge. Sie waren nicht nur autark, sondern wußten kaum, wohin sie
das Zeug exportieren sollte; schließlich brannten sie den überschüssigen Wein zu Industrie-Sprit, machten aus dem überflüssigen Olivenöl Gesichtscreme und
verschleuderten das Rind- und Schweinefleisch für Bruchteile von Pfennigen pro Kilo in den kommunistischen Ostblock - den sie so vor einer Hungersnot
bewahrten. (Welch ein kluger Schachzug das war, sollte man erst erkennen, als der "Eiserne Vorhang" fiel, mit allen Konsequenzen; aber das ist eine andere
Geschichte.) Mitte des 4. Jahrhunderts konnten auch die Römerinnen noch in Eselsmilch baden; und das Getreide war so reichlich, daß man es kostenlos an den
Pöbel verteilte, pardon, an die Plebs (die Ihr doch bitte nicht immerzu maskulinisieren und mit einem kurzem, offenem "e/ä" aussprechen wollt, sondern mit
einem schönen, langen, geschlossenen "e", wie es die Römer taten)! Das zog natürlich immer noch mehr Pöbel an, der nichts produzierte außer immer noch mehr
unnütze Fresser von der gleichen Sorte, die irgendwie mit durchgeschleppt werden mußten. (Eigenen Nachwuchs, der etwas hätte produzieren können, gab es kaum
noch, denn die Römerinnen hatten inzwischen die "Familienplanung" entdeckt und gar keine Lust mehr, mühsam Kinder aufzuziehen. Gerade deshalb ließ man die
Zuwanderer ja ins Land, nach dem Motto: Irgendwer muß doch unsere Renten erwirtschaften! O sancta simplicitas...) Im Laufe eines knappen halben Jahrhunderts
hatte Italien so viel von dem Pack ins Land geholt, daß es ohne Getreide-Importe aus Afrika nicht mehr weiter ging. "Macht nichts," sagten die Politiker,
"wir schaffen das!" (Kommt Euch das irgendwie bekannt vor, liebe Leser? Soll es auch!) Und sie hatten ja Recht: Solange Afrika genügend Getreide lieferte...
Aber was, wenn nicht [mehr]? Es gab zwar schon einen - sehr lockeren Kontakt - nach China (über den Dikigoros
an anderer Stelle
schreibt; aber man konnte noch nicht, wie es Europa heute tut, über die Hälfte seiner Nahrungsmittel aus Übersee (hauptsächlich aus China) importieren.
(Nein, Dikigoros fragt nicht, was wäre, wenn es eines Tages ohne diese Möglichkeit da stünde - darauf weiß er nämlich selber keine Antwort. Er weiß nur, daß
die 40 Millionen "Flüchtlinge" aus aller Welt, die sich Sarah Sauer stark gesagt hat, in die BRDDR zu holen und dort mit durch zu füttern - nach dem Motto:
"Wir schaffen das!" - selbst mit solchen Lebensmittel-Importen auf Dauer nicht zu ernähren sind - von anderen Problemen ganz zu schweigen.) Nun wißt
Ihr also, warum es auf den Gouverneur von Afrika ankam: weil von dort das Getreide kam, das sowohl die Weströmer als auch die Westgoten brauchten. Er
entschied sich... für Honorius, und daraufhin fielen auch die Römer wieder um und Alarich in den Rücken. Diesmal machte er kurzen Prozeß, zog ein drittes
Mal vor Rom, nahm es ein, plünderte es aus und zog weiter gen Süden - um was zu erobern? Afrika natürlich! Wer hätte ihn aufhalten sollen, seit Stilicho
nicht mehr war? Ganz einfach: Moskitos gab es nicht nur vor Ravenna, sondern auch vor Rom - die dortigen Sümpfe wurden ebenfalls erst unter Mussolini
trocken gelegt. Alarich hatte sich Malaria eingefangen; er starb binnen weniger Tage, und die Westgoten zogen unter ihrem neuen König Athaulf wieder zurück
nach Norden; aber nicht nach Nordosten, nach Noricum, sondern nach Nordwesten, nach Südgallien, Aquitanien und Hispanien. Ach so - was das alles mit Galla
Placidia zu tun hatte? Ganz einfach: Die hatte Alarich in Rom als Geisel genommen, und die nahmen die Goten nun im Schlepptau mit.
Athaulf war, entgegen seinem Namen, kein alter Wolf, sondern ein relativ junger Spund; und er hatte nicht die Qualitäten seines Vorgängers, sondern war
sowohl militärisch als auch politisch ein Weichei - genau das Material, aus dem die Männer sind, mittels derer skrupellose Frauen herrschen können. Galla
erkannte das richtig; nachdem sie sich ein paar Jahre bei den germanischen Barbaren eingelebt und eingeschmeichelt hatte, heiratete sie ihn und wurde so zur
Königin der Westgoten. Dessen wurde sie jedoch schon nach einem Jahr überdrüssig, denn mit denen ging es rapide bergab: Sie ließen sich von den Römern ins
heutige Katalonien abdrängen und als Kanonenfutter im Krieg gegen die Vandalen mißbrauchen. Außerdem saß in Italien inzwischen ein General Constantius als
Nachfolger Stilichos fest im Sattel und ließ durchblicken, daß er Galla gerne heiraten würde, wenn sie frei wäre, um seine eigene Stellung zu legitimieren
- sie war immerhin die Tochter des letzten gesamtrömischen Kaisers, und ihr Halbbruder Honorius war noch immer kinderlos. Galla dachte kurz nach, dann
geschah folgendes: Ihr gemeinsamer Sohn mit Athaulf starb wenige Wochen nach der Geburt. Ihr glaubt den Gerüchten, daß er von Anfang an schwächlich war und
aus "natürlichen" Gründen starb? Darf Dikigoros folgendes dagegen halten: 1. waren beide Eltern im besten Alter - Mitte 20 und Anfang 30 -, 2. hatte Athaulf
völlig gesunde Kinder aus erster Ehe; und 3. sollte Galla völlig gesunde Kinder aus ihrer Ehe mit Constantius haben. Nun hat Dikigoros die Katze schon aus
dem Sack gelassen, aber noch nicht ganz. Denn damit Galla "frei" wurde, mußte ja nicht nur ihr Sohn sterben, sondern auch ihr Ehemann. Wenige Monate später
putschten Teile des westgotischen Militärs und brachten ihn um die Ecke. Galla wusch zwar ihre Hände in Unschuld, machte sich aber nicht mal mal die Mühe,
trauernde Witwe zu spielen - bei der Beerdigung vergoß sie nach Augenzeugen-Berichten keine einzige Träne. Dann kam der erfolgreiche Gegenputsch; Athaulfs
Anhänger konnten ihrer Ex-Königin zwar nichts nachweisen; aber sie setzten sie auf's nächste Schiff nach Italien - weg mit Schaden! Genau das hatte sie
gewollt: Sie zierte sich noch etwas, dann heiratete sie General Constantius. Zunächst bekam sie nur eine Tochter - das war ärgerlich -, aber dann auch einen
Sohn, den sie nach ihrem Großvater Valentinian nannte. Kurz darauf folgte Kaiser Honorius ihrem "Ratschlag", General Constantius zum Mitkaiser zu machen.
Ihr ahnt, was jetzt kommt, liebe Leser? Falsch geraten: Constantius war nicht der Bösewicht, als den ihn einige im Nachhinein darstellten; er räumte
Honorius nicht aus dem Weg, um Alleinherscher zu werden; aber er war auch kein Weichei, durch das eine Frau herrschen konnte; und das wurde ihm zum
Verhängnis. Es bedurfte einiger Monate zäher Verhandlungen, bis Ostrom Valentinian als legitimen Erbprinzen anerkannte. (Was blieb den beiden dort gemeinsam
herrschenden Kindern von Gallas anderem, früh verstorbenen Halbbruder Arkadios, Kaiser Theodosius und Prinzessin Pulcheria, letztlich übrig? Sie waren beide
kinderlos!) Am selben Tag, als die Nachricht von der Anerkennung eintraf, starb Constantius ganz plötzlich und unerwartet. Aus Altersschwäche? Kaum, er war
gerade mal 43 Jahre alt. Es muß wohl eine seltene Krankheit gewesen sein - wer denkt da an einen Giftmord? Nicht doch! Ein Jahr später wagte Galla die offene
Machtprobe: Zwischen ihrer persönlichen Garde und der kaiserlichen Garde kam es zu bürgerkriegsähnlichen Straßenkämpfen in Ravenna. Nun hatte Honorius
endlich die Nase voll von seiner Halbschwester und entschloß sich, sie... nein, nicht hinzurichten - dann wäre ihr Mausoleum nie gebaut und dieser Abschnitt
nicht geschrieben worden -, sondern sie aus Ravenna zu verbannen. Sie sollte nach Rom gehen und dort unter Hausarrest bleiben; aber sie dachte gar nicht
daran, aufzugeben, sondern entwischte mit ihren Kindern nach Konstantinopel, wo sie Theodosius und Pulcheria aufforderte, ihr zu ihrem "Recht" zu verhelfen
- schließlich hatten die sie und ihren Sohn ja als Mitkaiserin bzw. Thronerben anerkannt. Aber die beiden waren fromm, kunstsinnig und gar nicht
kriegslüstern. Sie hatten gerade Frieden mit den persischen Sassaniden im Osten geschlossen, ebenso Waffenstillstand mit den Hunnen im Norden (nicht ganz
billig - die verlangten "Kon"-Tribut-"ionen" und erhielten sie auch); warum sollten sie jetzt einen Krieg gegen Westrom anfangen? Solange dort ihr guter
Onkel Honorius saß, der ihnen in Freundschaft verbunden war... Galla hatte verstanden. Ein paar Monate später starb auch Honorius. Aus Altersschwäche? Er
war gerade 41... Offiziell war es auch diesmal eine Krankheit. Denkt, was Ihr wollt, liebe Leser; jedenfalls erneuerte Galla nun ihre Forderung an Neffe und
Nichte, sie bei der Wiedererlangung der Macht in Ravenna zu unterstützen. Zu ihrer unangenehmen Überraschung sagten die wieder "njet" und stellten sie sogar
unter Hausarrest - Pulcheria war nicht dumm; sie roch den Braten. Aber Galla sandte ihre "Boten" aus... Wenige Wochen später ging erst die Kriegserklärung
(Dikigoros erlaubt sich, was andere umständlich mit "Kündigung des Freundschaftsvertrags" umschreiben, als das zu bezeichnen, was es war) der Westgoten in
Konstantinopel ein; binnen 48 Stunden folgten die der Westgoten und der Hunnen. Zufall? Na klar, die kamen ja nicht alle im selben Briefumschlag, sondern
völlig unabhängig von einander, mit drei verschiedenen Briefträgern Sondergesandten! Aber fast gleichzeitig ging eine weitere Erklärung ein, und
deren Absender - General Bonifatius, der neue Militärgouverneur von Afrika - ließ die Maske fallen: Wenn Galla und ihr Sohn nicht sofort wieder in ihre
"Rechte" eingesetzt würden, werde er die Getreidezufuhr sperren und die Vandalen ins Land holen - Willkommenskultur auf Weströmisch!
Theodosius und Pulcheria holten tief Luft, dann ließen sie ihren Oberbefehlshaber kommen. Die Weströmer hatten den Fehler gemacht, Stilicho und Eucherius zu
beseitigen, und sich damit militärisch zu schwächen; die Oströmer dagegen hatten ihre Pendants, den Alanen Ardapur und seinen Sohn Aspar, am Leben und im Amt
gelassen. Wie man's macht, macht man's falsch. Ardapur teilte dem kaiserlichen Geschwisterpaar kalt lächelnd mit, das Heer sei nicht kriegsbereit; er
empfehle daher, die Forderungen der Galla-Partei zu akzeptieren. Der also auch! (Dikigoros schreibt nicht: "Den hatte sie also auch gekauft!" Er will
seine Leser nicht beeinflussen - nur in diesem einen Punkt noch ein weiteres Mal: Denkt auch jetzt bitte nicht in den Kategorien "Germanen" gegen
"Nicht-Germanen": Die Mutter von Theodosius und Pulcheria geistert zwar mit einem bei ihrer Konvertierung zum orthodoxen Christentum - conditio sine qua
non für ihre Heirat mit dem Kaiser - angenommenen griechischen Namen durch die Geschichtsbücher, aber sie war als fränkische Prinzessin geboren; ihre
Kinder waren nach allen überlieferten Quellen blond und blauäugig; und ihre Muttersprache war wahrscheinlich Ur-Kölsch. (Dikigoros bezweifelt, ob man
das auch von den Vandalen, den Westgoten und den Alanen behaupten konnte - geschweige denn von den Hunnen :-) Was nun? Die Geschwister blieben kühl und
dachten nach: Vandalen und Westgoten waren weit weg; ob die das heutige Andalusien und das heutige Okzitanien vorübergehend besetzten, war nicht gar so
wichtig, die konnte man später immer noch gegen einander ausspielen und wieder hinaus werfen. Die Hunnen ließen sich den Frieden mit erhöhten
Goldzahlungen abkaufen; und die Perser hielten still. Die Getreide-Lieferungen aus dem westlichen Nordafrika betrafen nur Italien; das Oströmische Reich
bezog sein Getreide aus Ägypten - und dessen Gouverneur war loyal geblieben. Außerdem ging eine Nachricht von General Castinus aus Ravenna ein, dem
letzten Oberbefehlshaber des verstorbenen Honorius, der sie seiner unverbrüchlichen Treue und Freundschaft versicherte. So what? Aber Gallia hatte noch
zwei Trümpfe im Ärmel: Es gelang ihren Verbündeten in Italien, einen Dummen zu finden, der sich zum Gegenkaiser ausrufen ließ: Ioánnis, den letzten...
Dikigoros ist versucht zu schreiben: Büroleiter von Honorius' Hofkanzlei; aber er will mal höflich sein und ihn als eine Art "Kanzleramtsminister"
bezeichnen. (Ein höflicher Brite würde vielleicht "Lordsiegelbewahrer" sagen :-) Durchschaute der denn nicht, daß er von Galla bloß als Bauernopfer
mißbraucht wurde? (Bonifatius dto; wie der sich - als einziger - da wieder heraus wand, ist den Chronisten und Historikern ein Rätsel - Dikigoros
übrigens auch :-) Aber auch das hätte wohl nicht ausgereicht, um einen Krieg Ostroms gegen Westrom zu Gallas Nutzen vom Zaun zu brechen, wenn jetzt
nicht eine Gestalt die politische Bühne betreten hätte, die dort eigentlich gar nichts verloren hatte, die Galla aber wohl schon seit ihrer Ankunft in
Konstantinopel beschwatzt hatte: die Tochter eines verstorbenen Professors für DummschwätzologieRetorik und Filosofie aus Athen, die nicht
mal einen richtigen Namen hatte. (Jedenfalls ist keiner überliefert - sie war ja nur eine Bürgerliche; manche meinen, sie habe anläßlich ihrer Taufe und
Heirat mit Theodosius den gleichen Namen angenommen wie ihre Schwiegermutter; wenn es so war, dann ist das ein Grund mehr für Dikigoros, ihn wegzulassen,
um Verwechslungen vorzubeugen - zumal er auch noch verwechslungsfähig mit dem zweiten Namen ihrer Tochter und dem ihrer Enkelin ist. Die
Mainstream-Historiker sind da übrigens wenig konsequent: Bei den Männern verwenden sie ja auch deren ursprünglichen germanischen Namen weiter -
vermutlich, um Verwechslungen vorzubeugen -, sonst müßten sie sowohl Stilicho als auch Aëtius - auf den wir gleich kommen werden - als auch
Theoderich den Großen ab einem bestimmten Zeitpunkt "Flavius" nennen, denn das war der lateinische Name, den sie allesamt annahmen. Warum? Dikigoros
weiß es nicht. Zufall? Wohl kaum. Programm? Möglich - aber welches? Oder hatten sie einfach alle nur die gleiche Haarfarbe? Doch ganz abgesehen davon,
daß "[rot]blond" auf Lateinisch "flavus", nicht "flavius" hieß, hegt er wie gesagt diesbezüglich erhebliche Zweifel. (Außerdem nahm auch Gallas
zweiter Mann Constantius - ein Daker, den die Quellen übereinstimmend als dunkelhaarig schildern - diesen Namen an.) Wer eine Idee hat, kann ihm
ja mal
mailen.
Einstweilen bleibt er auch für die Frauen, also insbesondere jene Professoren-Tochter, bei der Bezeichnung, die bei Hofe hinter ihrem Rücken verwendet
wurde: "die Athenische" - so wie Galla "die Gotische" genannt wurde :-) Aber sie hatte - eine Tochter von Kaiser Theodosius. (Licinia hieß sie
ursprünglich - und Dikigoros wird ihren Namen wie gesagt nicht ändern.) Und sie hatte - die Nase voll von ihrem quasi-morganatischen Status als
Kaiser-Gemahlin; sie wollte auch herrschen; und hier bot sich endlich die Gelegenheit, ihre verhaßte Schwägerin Pulcheria in der Frage, ob man gegen so
einen "Usurpator" wie diesen Ioánnis militärisch vorgehen müsse oder nicht, zu überstimmen. Galla hatte der Athenischen im Gegenzug ein Angebot gemacht,
das sie nicht ablehnen konnte: die Heirat ihres Sohnes Valentinian mit Licinia - nach menschlichem Ermessen die einzige Chance für letztere, jemals
Kaiserin zu werden, und zwar eines wiedervereinigten Gesamtreichs! Und plötzlich meldete auch General Ardapur seine Truppen wieder klar zum Gefecht -
hatte er je etwas anderes behauptet? Da mußte man ihn wohl mißverstanden haben! Am Ausgang des nun folgenden Krieges konnte kein Zweifel bestehen:
Hunnen und Vandalen hielten still; die Westgoten wahrten wohlwollende Neutralität; Aspar persönlich führte die Stoßarmee, die nach Italien eindrang.
Ioánnis wurde gefangen genommen und öffentlich - im Circus - zu Tode gefoltert; General Castinus verschwand spurlos (Dikigoros würde mal vermuten: im
Magen eines Circus-Löwen; aber die Quellen erwähnen ihn nicht mehr); Galla und ihr Sohn wurden wieder offiziell als "Mit-Kaiserin" (de facto aber
Allein-Herrscherin) bzw. Thronerbe von Wessiland anerkannt.
Was will Dikigoros eigentlich? Setzte Galla Placidia ihre Ideen nicht mit großem Geschick in die Tat um? Und waren es etwa nicht die richtigen Ideen?
Hm... theoretisch vielleicht. Aber praktisch war inzwischen eine Menge geschehen: Die Westgoten hatten sich unter ihrem tüchtigen neuen König Theoderich
(nicht verwandt und nicht verschwägert mit dem o.g. Ostgotenkönig, der ca. 100 Jahre später lebte) von der Bevormundung durch die Römer mehr und mehr
befreit, ihren Siedlungsraum nicht länger auf das heutige Katalonien oder das heutige Aquitanien beschränken lassen, wie unter Athaulf, und sich auch
nicht auf einen mörderischen Vernichtungskrieg gegen die Vandalen eingelassen, auf den Galla spekuliert hatte. Es würde zu weit führen, das hier im
einzelnen aufzudröseln; aber sie hatte wohl geglaubt, daß ihr Schwipp-Schwager aus erster Ehe, Fürst Thanausis (der auch das Bett mit ihr teilte und ihr
hörig war) neuer König der Goten würde - dann wäre ihr Plan vielleicht aufgegangen. Aber mit Theoderich war da nichts zu machen; der drängte die Vandalen
zwar ab in den Südwesten der Iberischen Halbinsel - aber das tat er nicht für die Römer, sondern um seinen eigenen Machtbereich zu erweitern; und mehr
unternahm er einstweilen nicht, zumal auch die Vandalen inzwischen einen äußerst tüchtigen neuen König hatten, mit dem man sich besser nicht anlegte:
Geiserich hieß er; wir werden gleich auf ihn zurück kommen. Bald stellte sich heraus, daß Galla Placidia über all ihren erfolgreichen innenpolitischen
Intrigen übersehen hatte, daß es außenpolitisch längst nicht mehr um die Frage der "Wiedervereinigung" zweier maroder römischer Teilreiche ging, sondern
vielmehr um deren nackte Existenz. Ja, hatte sie denn gar keine tüchtigen neuen Leute zur Verfügung, die sich zu ihren Zwecken einspannen ließen? Doch:
die letzte feindliche Einheit, die im Krieg gegen Ioánnis kapitulierte, wurde von einem Mann unsicherer germanischer Herkunft aus dem Dunstkreis der
Hunnen kommandiert und bestand aus ebensolchen Söldnern; irgendwie scheint Galla im persönlichen Gespräch gespürt zu haben, daß ihr da jemand gegenüber
stand, der es an Gerissenheit mit ihr aufnehmen konnte. Sie ließ ihn am Leben, beförderte ihn zum General und - schickte ihn erstmal in die Wüste, nach
Gallien, um die Grenze gegen weitere mögliche Invasionen aus dem Osten zu verteidigen. Wenn er dabei drauf ging, war er wenigstens zu etwas nutze
gewesen; wenn er sich bewährte und überlebte, konnte man ihn vielleicht zu noch mehr mißgebrauchen. Er trug übrigens den komischen Namen
Aëtius und sah auf zeitgenössischen Darstellungen aus wie ein Zwillingsbruder von Stilicho - daraus dürft Ihr schon schließen, unter welchen
Umständen wir ihm bald wieder begegnen werden.
(...)
Deshalb hatte Geiserich bei den christlichen Chronisten - die nun mal die Geschichte aufgeschrieben haben - und den Historikern, die ihnen unkritisch
gefolgt sind, einen schlechten Ruf. Leider auch bei dem o.g. Gibbon, der doch als der Vater der "kritischen" Geschichtsschreibung gilt. Er nannte ihn
penetrant "Gänserich"; und in diesem Fall war das wirklich bösartig gemeint. (Er übersetzte auch die anderen "barbarischen" Namen; aber als er Athaulf
"Adolf" nannte und Attila als einen "Kalmüken" bezeichnete, konnte er noch nichts von
Hitler und
Lenin
wissen, die ja erst 102 bzw. 83 Jahre später geboren wurden.) Einzig und allein Hans Friedrich Blunck versuchte 1936, unter Berufung auf den Chronisten
Salvian, eine Lanze für "König Geiserich" und seine "Wandalen" zu brechen. Aber erstens gilt Blunck heute als "Nazi-Autor" - alle seine Werke
wurden nach dem Zweiten Weltkrieg verboten -, und zweitens hat seine "Erzählung" tatsächlich mehr von einem Roman als von einem Tatsachenbericht an sich,
d.h. sie beruht in großen Teilen auf Fantasie.
(...)
Aber Geiserich war ein kluger Mann: So wenig, wie er sich auf einen Vernichtungskrieg gegen die Westgoten
eingelassen hatte (obwohl er damals noch ein junger Mann war, der auch das Schwert zu führen wußte), so wenig legte er es auf einen Krieg gegen die Römer
an (die dazu gezwungen gewesen wären, hätte er ihnen die Getreidezufuhr gesperrt). Vielmehr begab er sich an den Verhandlungstisch: Getreidelieferungen
gegen Anerkennung als König von Nordafrika. Na schön, darauf konnten sich die Römer noch einlassen, zumal Geiserich seinen einzigen Sohn, Kronprinz Hunerich,
als "Geisel" nach Ravenna schickte. Als Geisel? Na ja, er sollte vor allem erstmal fließend Lateinisch lernen; und in Gefahr war er kaum, nicht nur, weil er
seine vandalische Leibwache dabei hatte, sondern auch, weil die Rache seines Vaters fürchterlich gewesen wäre - er konnte die Weströmer wie gesagt am
ausgestreckten Arm verhungern lassen. (Die Oströmer nicht - die bezogen ihr Getreide weiterhin aus Ägypten, das noch nicht in vandalischer Hand war.) Nun begab
es sich, daß auch Gallas Sohn Valentinian und seine Frau Liciana keinen Sohn bekamen, sondern nur eine Tochter, Prinzessin Evdokia, die somit designierte
Alleinerbin des West- und Oströmischen Reiches war. Glaubte Galla wirklich, daß sie auch über sie indirekt würde herrschen können? Wenn ja, dann belehrte sie
Geiserich bald eines Besseren: Als Hunerich 25 wurde, erhob ihn sein Vater zum Mitkönig und verlangte als seine Braut... Prinzessin Evdokia, die damals
gerade 7 Jahre alt war. (Er verfehlte den Rekord des Profeten Muhammad, der eine 6-jährige heiraten sollte, also nur knapp :-) Was nun? Das hätte bedeutete,
daß das Imperium in den Grenzen von 395 wieder hergestellt worden wäre - aber nicht mehr als Reich der Römer, sondern der Vandalen! Und Galla Placidia? Sie
stimmte dieser Verbindung zu. Wir wissen nicht, ob sie es zähneknirschend tat oder wie sonst. Aber uns drängen sich doch zwei Fragen auf. Wenn wir
wohlwollend sind: Was blieb ihr anderes übrig? Wenn wir weniger wohlwollend sind: War die noch zu retten? Pardon, beide Fragen sind unfair, da aus
der Rückschau gestellt. Die Zeitgenossen mußten fragen: Was bleibt uns noch übrig, um das abzuwenden? So lange Galla und Aëtius noch am Leben waren -
gar nichts, denn die saßen fest im Sattel und führten das Abendland mit der gleichen Beharrlichkeit in den Untergang wie anderthalb Jahrtausende später Sarah
Sauer, der Wolf im SchafspelzRollstuh, Frankenstein-Meier und der Erzengel Gabriel. Noch war Evdokia nicht mannbar; aber die Bombe tickte. 450
starb Galla Placidia - endlich! Doch die Zeit wurde knapp. Vier Jahre brauchten die Hofschranzen, um ihren Sohn Valentinian dazu zu bringen, Aëtius zu
beseitigen. (Nein, diesen traurigen Rest kann Euch Dikigoros nicht ersparen - denn auch Valentinian gehört wie gesagt zu denen, die im Mausoleum der Galla
Placidia begraben liegen - gleich im nächsten Sarg.) Die Historiker pflegen darin eine Parallele zur Beseitigung Stilichos ein knappes halbes Jahrhundert
zuvor zu sehen. Aber der Vergleich hinkt: Stilicho hatte Honorius geholfen, das Imperium zu verteidigen; Aëtius hatte dessen Halbschwester Galla
geholfen, das Imperium dem Feind auszuliefern! Allerdings machte auch Valentinian keine Anstalten, an seiner Außenpolitik etwas zu ändern. Immerhin war er
unvorsichtig genug, seine Residenz vom sicheren Ravenna weg wieder ins unsichere Rom zu verlegen. Der Senat von Rom konnte und mußte also den nächsten
Schritt tun: 455 ließ der älteste Senator, Petronius Maximus, Valentinian ermorden und sich selber zum Kaiser ausrufen. Die Historiker streiten heute um die
müßige Frage, ob er
damit eventuell sogar durchgekommen wäre, wenn er nicht zu allem Überfluß auch noch versucht hätte, Licinia, die er gerade zur Witwe gemacht hatte, zu
heiraten, um wenigstens einen Anschein von Legitimität zu retten, und wenn diese daraufhin nicht laut um Hilfe geschrien hätte - genauer gesagt geschrieben
hätte, mit Brief und Siegel, nach Karthago. Als ob Geiserich und Hunerich eines solchen Hilferufs bedurft hätten! Sie waren loyale Verbündete des römischen
Kaisers gewesen; die Senatoren waren die Rebellen gegen Rom! Hunerichs Schwiegervater war von ihnen ermordet worden; seine Braut war jetzt 17; die Zeit war
da. Der Einmarsch der Vandalen in Italien war, juristisch gesehen, keine Invasion ausländischer Barbaren, sondern eine Polizeiaktion der legitimen
Staatsmacht gegen ein kleines Häuflein verbrecherischer Attentäter und Aufrührer! (Ja, was glaubt Ihr denn, liebe Leser, wie die Herrscher der Islamischen
Republik Alemanya in ein paar Jahren die Ausrottung aller Nicht-Muslime nennen werden? Sie werden, nachdem man ihnen allen, um sie besser zu "integrieren",
das Wahlrecht gegeben hat, eine Bundestagswahl mit Zweidrittelmehrheit gewinnen, daraufhin das Grundgesetz ändern, genauer gesagt durch die Schariah ersetzen
- alles ganz demokratisch und verfassungsmäßig -, und das bedeutet, daß alle Nicht-Muslime getötet werden müssen. Wer das nicht sehen will und etwas
anderes glaubt, ist ein blinder Narr.)
(...)
Dikigoros hat lange gezögert, an welcher Stelle dieses Berichts er die folgenden Absätze einordnen soll - ist es doch erst wenige Jahre her, daß das Grabmal, um das es hier geht, wieder als Pilgerziel frei gegeben und durch umfangreiche Renovierungsarbeiten in einen besuchenswerten Zustand versetzt worden ist. Aber der krumme Hund, der dort angeblich begraben liegt (um die Ehre, seine diversen Körperteile zu beherbergen, streiten sich ein halbes Dutzend Grabstätten in Nahost, aber die Pilger haben sich halt mehrheitlich für diese entschieden), starb schon anno 680 (jedenfalls nach christlicher Zeitrechnung - die damals freilich noch nicht galt, aber darüber schreibt Dikigoros
an anderer Stelle),
deshalb wollen wir bei der Chronologie bleiben - und zunächst bei der offiziellen Version, wie sie hunderte Millionen seiner Anhänger glauben. Wie weit soll Dikigoros ausholen? Vielleicht etwas weiter als sonst, denn die meisten seiner Leser werden von der Geschichte des Islâm noch weniger Ahnung haben als von der des Christentums und in allerlei dümmlichen Vorurteilen befangen sein. (Nein, Dikigoros hat sich sein negatives Urteil über den Islâm nicht aus Unwissenheit gebildet, wie so viele andere; er bemüht sich, die Dinge sachlich zu sehen :-) Zum Beispiel dem, daß muslimische Frauen nichts zu sagen hätten und von den Männern unterdrückt würden. Das ist eine unzulässige Verallgemeinerung, die überwiegend auf juristische Spitzfindigkeiten zurück geht wie die, daß Töchter weniger erben als Söhne und daß die Aussagen von Zeuginnen vor Gericht weniger gelten als die von Zeugen. Aber verlaßt Euch drauf, der Einfluß muslimischer Frauen ist wenn nicht auf dem Papier, so doch in der Realität des täglichen Lebens ganz gewaltig, und das beschränkt sich nicht bloß auf Küche und Kinder! Die Spaltung des Islâm im 7. Jahrhundert resultierte aus der Feindschaft zweier Frauen aus dem engsten Kreise des Profeten Muhamäd: seiner Lieblingsfrau Âïscha (die er als 6-jährige heiratete) und seiner Lieblingstochter Fâtimah (die von einer anderen Frau stammte und erheblich älter war als ihre Stiefmutter :-) Letztere sah es als selbstverständlich an, daß sie nach dem Tode des Profeten und seiner ersten beiden Nachfolger, pardon Stellvertreter (wir wollen das Wort "Chalîfa" doch richtig übersetzen; die Päpste sind ja auch keine Nachfolger, sondern nur Stellvertreter Gottes auf Erden :-) - die noch seiner eigenen Generation angehört hatten - die politische und religiöse Macht (die im Islâm bekanntlich untrennbar sind) erben würde. Schließlich hatte sie einen tüchtigen Ehemann - einen gewissen Alî -, der auch seinerseits schon Söhne gezeugt hatte, während Âïscha kinderlos, pardon söhnelos war. Das sah die letztere freilich ganz anders, zumal ihr Vater schon Muhamäds erster Chalîf gewesen war und ihrer Familie die heiligen Städte Mäkka und Mädina gehorchten. Aber wie sagt das Sprichwort: Wenn zwei sich streiten, dann freut sich der Dritte, genauer gesagt der dritte Nachfolger des Profeten. Das war ein gewisser Uthmân - und gegen den verbündeten sich die beiden Frauen nun, aber nur kurzfristig, d.h. bis er wie sein Vorgänger ermordet wurde (von wem, oder auf wessen Befehl, ist bis heute umstritten :-), dann gingen sie wieder aufeinander los. Das ist ganz wörtlich zu nehmen: Âïsha schwang sich persönlich aufs Kamel und leitete die Entscheidungsschlacht gegen die Truppen Alîs - die sie verlor. Aber wieder müssen wir das Sprichwort bemühen, denn von diesem Bruder- Schwestern- Zicken-Krieg profitierte erneut der Dritte Mann, nämlich Muâwiya - ein Verwandter des ermordeten Uthmân, der Blutrache suchte. Der war Gouverneur der reichen Provinz Syrien, und Dikigoros stellt sich nicht ohne Wehmut vor, was geschehen wäre, wenn es zwischen ihm und den Anhängern Alîs tatsächlich zu einem langwierigen Krieg gekommen wäre: wahrscheinlich hätten die beiden Seiten einander bis an den Rand der Ausrottung bekämpft, der Islâm wäre zusammen gebrochen, und wir hätten heute eine Menge Probleme weniger auf der Welt. Aber ach, irgendein Idiot brachte - ebenfalls qua Blutrache - Alî um, als der gerade in die Moschee gehen wollte, um für seinen Sieg im kommenden Kampf gegen Muâwiya zu beten; und da verliefen sich die Anhänger des ersteren nach und nach. Sein Sohn Ħusäin konnte anno 680 gerade noch 72 Krieger um sich scharen, wenn man den Quellen glauben darf (Dikigoros hegt da gewisse Zweifel, denn 72 ist eine "magische" Zahl - 2³x3²), um bei Kärbälâ gegen Yazîd, den Sohn Muâwiyas, anzutreten zur letzten Schlacht - "Massaker" dürfte die bessere Bezeichnung sein, und Alîs Parteigänger ("Shî'iten", von "Shî'â [Partei]" - denkt immer an den Satz des großen Historikers
Ronald Syme: "Auch die beste politische Partei ist im Zweifel nichts weiter als eine Verschwörung gegen den Staat!") nannten es schlicht "Mord". Ħusäin wurde von ihnen zum Martyrer hoch stilisiert, und von da an wuchs auch die Zahl ihrer Anhänger wieder an - es gibt sie bis heute, und sie haben inzwischen den Irân, den Irâq und weitere Gebiete des Nahen Ostens unter ihre Fuchtel gebracht.
Um einen solchen Martyrer-Kult am Leben zu halten, bedarf es großer Anstrengungen, und am besten geeignet ist noch immer ein pompöses Grabmal am Ort des (angeblichen) Heldentodes - nicht umsonst versuchen bis heute alle Sieger, die eine nachträgliche, posthume Niederlage fürchten, die Leichen der von ihnen Besiegten zu zerstückeln, zu verbrennen oder sonstwie verschwinden zu lassen. Alles vergebens, liebe Sieger, denn gerade dadurch gebt Ihr Anlaß zur Mythenbildung! Denn so beeindruckend sich die Moschee mit dem Schrein von Ħusäin ibn Alî auch ausnehmen mag - begraben liegt er dort wahrscheinlich nicht. Ist Euch der vorige Abschnitt kompliziert oder gar verworren vorgekommen? Seid versichert, Dikigoros hat sich bemüht, die Geschehnisse so gut wie möglich zu vereinfachen, denn es kommt noch schlimmer, und er kann die Lücke zwischen dem 7. Jahrhundert und heute nicht einfach offen lassen, wenn wir uns auf die Suche nach der Leiche von Ħusäin begeben wollen. So wie es im Christentum nicht nur Orthodoxe, Katholiken und Protestanten gibt (sondern hunderte "protestantische" Sekten), so gibt, pardon gab es auch im Islâm nicht nur Sunniten und Shî'iten, sondern hunderte Sekten, wenngleich insbesondere bei den Shî'iten nur noch wenige übrig geblieben sind. Eine davon waren die Ismâïliten. (Nie gehört? Aber doch sicher vom Agha Khan, oder? Das ist ihr Oberhaupt. Und von den Drusen in Syrien und im Libanon, oder? Das sind die letzten MohikanerIsmâïliten.) Eine besonders faszinierende Persönlichkeit dieser Sekte war Ubaidallâh, der sich als "Mahdî" ausgab und der eine ihrer Unter-Sekten (also gewissermaßen einer Unter-Unter-Sekte der Shî'iten :-) gründete, wobei er sich nicht sehr auf Alî, sondern vielmehr auf dessen Ehefrau Fâtimah berief, die Tochter des Profeten. Er war der einzige Muslim, dem es je gelang, ein Land hauptsächlich nicht mit dem Schwert, sondern mit der Zunge zu unterwerfen; die "Fâtimiden" sollten Ägypten - und das westlich davon gelegene Nordafrika - mehr als zwei Jahrhunderte lang beherrschen. Verständlicher Weise suchten auch sie nach einem "National-Heiligen", und wer war da besser geeignet als Fâtimahs Sohn Ħusäin?
(...)
Deshalb pilgern fromme Shî'iten zwar auch nach Mäkka und Mädina
(aber darüber schreibt Dikigoros
an anderer Stelle
mehr), doch das tun sie nur einmal im Leben; dagegen pilgern sie, so oft sie können, nach Kärbälâ.
Als Dikigoros noch ein Kind war, pflegte sein Vater ihm regelmäßig seine beiden Lieblingsgedichte von Ludwig Uhland vorzutragen: Zum einen das vom Apfelbaum ("Bei einem Wirte wundermild, da war ich jüngst zu Gaste..."), und zum anderen die "Schwäbische Kunde":
"Als Kaiser Rotbart lobesam
ins Heil'ge Land gezogen kam,
erhob sich dort gar große Not:
Viel Steine gab's und wenig Brot [...]
Zur Rechten sah man, wie zur Linken
ein' halben Türken nieder sinken."
Irgendwann viel später schlug Dikigoros den genauen Wortlaut nach und stellte fest, daß er von dem, den sein Vater ihm beigebracht hatte, etwas abwich; aber erstens hat er sich ihm nun mal so eingeprägt, und zweitens weiß er nur zu gut um die ständigen Verfälschungen alter Texte, selbst bei den harmlosesten Inhalten, um die Fassung seines Vaters für falsch zu halten, bloß weil sie von der heute gedruckten abweicht. Aber wie war das mit Kaiser Rotbart - war der wirklich mal im Heiligen Land und hat dort die Türken entzwei gehauen? Oder war das bloß ein Märchen, etwa wie die Geschichte von Jonas im Walfisch? Nun, den Kaiser Rotbart gab es tatsächlich; es war der Staufer Friedrich I, dem die Italiener den Spitznamen "Barbarossa [Rotbart]" gegeben hatten. Das war allerdings lange bevor er sich zur Reise ins Heilige Land anschickte, denn da war er schon uralt, und wenn er überhaupt noch Haare auf dem Kopf oder am Kinn hatte, dann dürften die längst schneeweiß gewesen sein. Und er ist nie bis ins "Heilige Land" gekommen (jedenfalls nicht lebend :-), sondern nur bis in die heutige Türkei; dort gewann er zwar zwei Schlachten gegen die Türken (oder, wie sie damals noch hießen, Selçuken - bitte nicht "Seldschuken" schreiben, liebe Leser, der mittlere Konsonant ist nicht weich, sondern hart, wie ein deutsches "tsch"!); doch ob er dabei auch dem einen oder anderen seiner Gegner eigenhändig das Haupt und mehr gespalten hat, wissen wir nicht - aber darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle. Jedenfalls ertrank er danach im Saleph, und da seine von den Kreuzfahrern mitgeschleppte Leiche bald zu faulen anfing, begrub man ihn peu à peu, je nach Fäulnisstadium: erst die Eingeweide in Tarsos, dann das Fleisch in Antiochia, und die Knochen, pardon Gebeine, schließlich in Tyros.
Der Ärger war nur, daß das "Heilige Land" damals nicht wieder erobert wurde, weshalb Pilgerfahrten zu seinem Grab bzw. seinen Gräbern schlecht möglich gewesen wären; man mußte also irgendwie und -wo Ersatz in der Heimat schaffen. Was lag da näher, als ein schönes Märchen zu erfinden und es in Zusammenhang mit einem gut geeigneten Pilgerort zu bringen? So behauptete man einfach, daß Barbarossa im Kyffhäuser-Gebirge (für Nicht-Ossis: das liegt südöstlich vom Harz in Sachsen-Anhalt) schlafe und, wenn Deutschland eines Tages in Not geraten sollte, wieder aufwachen und den Karren aus dem Dreck ziehen würde. Und deshalb baute man ihm zu Ehren anno 1890 dortselbst das schöne Denkmal, das Ihr oben abgebildet seht.
Habt Ihr das auch so gelernt, liebe Leser? Dann muß Dikigoros Euch enttäuschen, denn kein Wort aus dem letzten Absatz ist wahr (außer der Beschreibung, wo der Kyffhäuser liegt :-).
(...)
Exkurs. Da wir gerade bei Barbarossa waren, muß Dikigoros an dieser Stelle noch ein - angebliches - Grabmal von drei - angeblichen - Königen erwähnen, das er nicht gleich an den Anfang dieser Betrachtung stellen wollte, obwohl sie ja in Köln ihren Ausgang genommen hat. Aber es ist in mehr als einer Hinsicht nur einen Exkurs wert, denn bei ihnen stimmt beinahe gar nichts: Weder die Zahl "3" noch daß sie "Könige" waren (in der Bibel steht "Magier aus Anatolien", d.h. Zauberer - oder Priester oder Sterndeuter - aus dem Orient) noch woher sie kamen (der "Orient" ist groß; und daß einer von ihnen ein Mohr war, geht auf einen Übersetzungsfehler zurück - das "schwarz" bezog sich nicht auf seine Haut-, sondern auf seine Haarfarbe :-) noch wie sie hießen (die Zahl ihrer Namen ist Legion - "Caspar, Melchior und Balthasar" ist nur eine von vielen Varianten), und daß sie "Heilige" gewesen sein sollen macht die Wahrscheinlichkeit, daß ihre Gebeine echt sind, noch geringer. Denn wenn man Ziele für Pilger-Wallfahrten zu Heiligengräbern schaffen wollte, machte man es sich für gewöhnlich leichter als wenn es um Herrscher geht: Man baute irgendwo ein Grabmal, möglichst noch eine Kirche daneben (oder drum herum :-), legte ein paar alte Knochen hinein und behauptete einfach, dort liege der Heilige Sankt Jacob (wie in Compostela), der Heilige Sankt Florian, der Heilige Sankt Nimmerlein oder eben die drei heiligen Könige. Nur deshalb reiste man freilich auch im Mittelalter nicht nach Mailand; dafür gab es viel handfestere Gründe, wie den Reichtum der lombardischen Hauptstadt, mit der man Geschäfte machen - oder sie bekriegen, erobern und ausplündern - wollte. Barbarossa wollte letzteres, und zu seiner Beute gehörten halt auch die - angeblichen - Reliquien jener komischen Heiligen, die er anno 1164 dem Erzbischof von Köln schenkte - den heutige Geschichtsbücher etwas ungenau auch als seinen "Kanzler" bezeichnen. Das macht die Knochen aber nicht echter, und um ihnen etwas mehr Glanz - und Glaubwürdigkeit - zu verleihen, bettete man sie in einen kostbaren Schrein und begann überdies mit dem Neubau des Kölner Doms. (Es sollte freilich ein schlappes, pardon knappes Dreiviertel-Jahrtausend dauern, bis er endlich fertig wurde :-)
Es gibt allerdings auch eine Theorie, wonach die Gebeine nicht so sehr die "heiligen" Geburtstagsgäste des lieben Jesuleins meinten, sondern vielmehr für "die ersten Könige der Christenheit" standen, also auch eine politische Bedeutung hatten. Das ist zwar Blödsinn - aber was ist nicht alles für Blödsinn an politischer Propaganda geglaubt worden (nicht nur im Mittelalter :-)?! Dikigoros läßt das also dahin stehen; aber eines wollte er noch am Rande erwähnen, da gerade von politischen Motiven und einem Kanzler die Rede war: Als anno 1919 die edlen Alliierten, pardon, damals nannte man sie ja noch "Entente-Mächte", ins Rheinland einzogen, um es zu besetzenbefreien, da wollten sie die Kölner auch von jener Reliquie befreien - sie hatten bekanntlich auch deutsche Privatleute von ihren Patenten und Rechten nicht nur an geistigem Eigentum befreit, warum also nicht auch die deutschen Kirchen? Der Kölner Oberbürgermeister Adenauer hätte ihnen nur zu gerne Beihilfe geleistet - er versprach sich im Gegenzug ihre Hilfe bei seinen Plänen, die Rheinlande vom Reich abzutrennen und einen eigenen Staat aufzumachen - ein Zwischending von "Rheinbund" und "BRD". Zu seinem großen Ärger verbuddelten einige Klerikalfascisten jedoch den ganzen Domschatz mitsamt dem Dreikönigsschrein und rückten ihn erst wieder heraus, als die BesatzerBefreier 1926 abgezogen waren. Adenauer schnaubte innerlich vor Wut, aber er machte gute Miene zum bösen Spiel, hielt eine salbungsvolle Rede und tat so, als sei es sein Verdienst, daß die Reliquie wieder aufgetaucht war; und als er 1967 - 6 Jahre, nachdem er den Bau der Berliner Mauer angezettelt hatte - endlich starb, wurde er... nein, nicht im Kölner Dom neben den "Heiligen Drei Königen" beigesetzt, auch nicht im Kyffhäuser neben Barbarossa, sondern der krumme Hund wurde in Rhöndorf verscharrt - und zu seinem Grab pilgern im Schnitt nichtmal mehr 100 Unverbesserliche pro Jahr. In Köln sieht es etwas besser aus. Zwar reisen auch dorthin längst nicht mehr Millionen, sondern nur noch ein paar tausend Touristen pro Jahr, jedenfalls wenn man diejenigen abrechnet, wie eigentlich zum Karneval oder zu einem Fußballspiel des 1. FC Köln kommen und eher nebenbei auch noch den Dom belatschen. (Aber das ist ja in Mailand ganz ähnlich; insofern ist es also egal, wo die - angeblichen - Reliquien jetzt liegen :-)
Was, Ihr meint, die Leute kämen doch eh nicht wegen der Knochen (die man ja gar nicht zu Gesicht bekommt), sondern vielmehr wegen des prächtigen Schreins? Dann seid Ihr ja noch cynischer als Dikigoros! Aber das kann man so bestimmt nicht verallgemeinern. Gewiß, Adenauers alliierte Freunde mögen in erster Linie hinter dem wertvollen Schrein her gewesen sein - und bei dem weiß man wenigstens, woher er stammt (von einem Lothringer Goldschmied; deshalb meinen die Franzosen ja auch, wenn sie sich schon ganz Lothringen unter den Nagel gerissen haben, stünde ihnen schon deshalb auch der Schrein zu) -; aber ein gläubiges Schäfchen dürfte doch eher (oder zumindest auch) danach fragen, was drin ist. So war es jedenfalls noch im 19. Jahrhundert, zur 700-Jahr-Feier des Reliquien-Raubsder Reliquien-Überführung nach Köln. Da wurde der Schrein geöffnet und der Inhalt von 35 hochgelehrten Wissenschaftlern untersucht. Drinnen lagen - wer hätte das gedacht - drei mehr oder weniger vollständige männliche Skelette. Seitdem streiten die Gelehrten, wessen Gebeine das wohl sind. Fromme Katholiken sehen sich - bzw. den Evangelisten Matthäus - bestätigt. Andere meinten oder meinen (2014, anläßlich des 850. Jahrestages, flammte die Diskussion noch einmal kurz auf), es seien die des Heiligen Felix, des Heiligen Nabor und des Heiligen Gregor von Spoleto. Aber warum diese drei Heiligen (wenn der letzte denn überhaupt einer war) nun besser oder echter sein sollten als die drei Geburtstagsgäste aus dem Orient vermag Dikigoros nicht nachzuvollziehen. Exkurs Ende.
Wer kennt sie nicht, die märchenhafte Geschichte vom Tāj Mähäl im indischen Āgrā? Der "Großmoghul" Shah Jahān ließ es in Jahre langer Arbeit als Grabmal für seine Lieblingsfrau Mumtaz Mähäl bauen; später wurde auch er selber dort beigesetzt, und am Ende erklärte es die UNESCO gar zum "Weltkulturerbe" - aber schon vorher war es die Pflicht eines jeden braven Touristen, es zu besuchen, und so tat es auch Dikigoros auf seiner ersten Indien-Reise, noch in den 1970er Jahren. Kaum hatte die UNESCO ihr Kultursiegel vergeben (damals noch eine begehrte Auszeichnung, die längst nicht jeder Schrotthaufen bekam, bloß weil das zuständige Fremdenverkehrsamt die richtigen Funktionäre geschmiert hatte), da veröffentlichte das rote Wochenblatt Der Spiegel unter Berufung auf einen gewissen P. N. Oak einen boshaften Artikel, wonach das alles mehr Märchen als Geschichte war; in Wahrheit sei das Gebäude ein Hindu-Tempel oder der Palast eines Hindu-Fürsten gewesen, den der muslimische "Großmoghul" zweckentfremdet habe. Dikigoros recherchierte kurz (damals gab es zwar noch kein Internet, aber das Indologische Seminar der Universität Bonn war recht gut bestückt, und die Bücher, die P. N. Oak seit den 1960er Jahren veröffentlicht hatte, gehörten dazu), dann war seine Meinung gefaßt: Oak war ein Spinner, der nicht nur den Tāj Mähäl für ein Werk der Hindūs hielt, sondern auch den Schwarzen Stein von Mäkka, den Felsendom in Jerusalem und den Petersdom im Vatikan sowieso, und alles auf der dünnen Basis von scheinbaren sprachlichen Ähnlichkeiten, die einer sauberen linguistischen Analyse schwerlich stand hielten. (Oak war kein Historiker oder Archäologe, sondern ein studierter Jurist, der im Propaganda-Ministerium arbeitete, und bestenfalls Amateur-Filologe, etwa auf dem Niveau des Vaters der Braut in "My Big Fat Greek Wedding", der ja auch alles Bedeutende auf die Griechen zurück führt, wenn die Bezeichnungen ähnlich klingen - aber der Film war damals noch nicht gedreht. Kleine Kostprobe gefällig? Bitte sehr: "Vatikan" führt Oak auf indisch "Wātikā" zurück, was "[Kloster-]Garten" bedeutet; aber abgesehen davon, daß es mehr "Garten" als "Kloster" bedeutet, verwechselt er da Gustaf mit Gasthof, denn das erste "a" in "Vatikan" ist nicht lang, sondern kurz, und indisch "Watikā" bedeutet "Pille", "Tablette", "Bällchen" :-) Doch Dikigoros bedachte damals nicht, daß auch große Gelehrte, die viele gute und richtige Theorien aufgestellt haben, mal einen Fehler machen, und daß umgekehrt auch ausgemachte Spinner mal einen guten Gedanken haben und eine richtige Theorie aufstellen können - wie sagt das Sprichwort? Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn... Wie dem auch sei, einstweilen vergaß Dikigoros P. N. Oak, und er behielt auch Āgrā weniger wegen des Tāj Mähälas in Erinnerung als vielmehr wegen der fürchterlichen Monsun-Regen, die er dort erlebte, den schlimmsten seines Lebens. Er kehrte nie wieder dorthin zurück, denn ein Ort, wo sich Millionen ausländischer Touristen auf die Fuße traten, reizte ihn nicht mehr; zumal nachdem er Hindī gelernt hatte, zog er solche Gegenden vor, die sich ihm auch ohne englischsprachige Fremdenführer erschlossen. Seine treuen Leser wissen ja schon, wo für ihn das Herz Indiens schlägt: in Mālwā, wo Indaur, Ujjain, Dhār, Mandu, Maheshwar und Omkāreshwar liegen; und seine Hauptschlagader ist für ihn nicht der Indus, der Ganges, der Brahmaputra oder irgendein anderer berühmter Fluß, sondern der Narmadā, der außerhalb Indiens so gut wie unbekannt ist. Deshalb verirren sich dorthin fast nie ausländische Touristen und nur ganz selten mal indische, genauer gesagt alle 12 Jahre, nach Ujjain, um das Fest des Wassermanns (Kumbh melā) zu feiern. Und hinter jenen Massen von Wallfahrern könnten sich zahlenmäßig sogar die in Kärbälâ verstecken - aber dann macht Dikigoros um die Gegend einen weiten Bogen.
Als Dikigoros wieder mal in Indaur war, traf er dort in seinem Stammhotel... nein, nicht P. N. Oak, der zwar dort geboren, aber gerade im stolzen Alter von 90 Jahren gestorben war, sondern einen seiner Fans, und das eher durch Zufall, als er diesem über einem Pott Tee erzählte, daß er in den nächsten Tagen nach Jalgaon fahren wolle, und von dort aus weiter zu den Höhlen von Ajanta und Elūra. Da meinte sein Gesprächspartner: "Dann kommen Sie doch in Burhānpur vorbei?!" - "Keine Ahnung." (Was nicht im South Asia Handbook, dem wohl besten Indien-Reiseführer, stand, war für Dikigoros nicht existent, auch nicht eine Stadt von einer Viertelmillion Einwohnern - was ist das schon in Indien :-) - "Dort müssen Sie unbedingt Station machen. Wenn Sie wollen, komme ich mit und zeige Ihnen, wo die Begum Arjumand Bano wirklich begraben liegt." - "Wo wer begraben liegt?" - "Die Frau von Shah Jahān." - "Die Frau? Hatte der nicht ein paar Dutzend?" - "Sogar ein paar hundert; aber Arjumand Bano war angeblich seine Lieblingsfrau." - "Ich dachte, das war Mumtaz Mähäl?!" - "Das war doch bloß ein Beiname, Auserwählte des Palasts; ihr richtiger Name war Arjumand Bano, so wie der richtige Name ihres Mannes Khurram war; Shah Jahān bedeutet doch bloß Herrscher der Welt." Und nun kam Dikigoros langsam die Erinnerung zurück an das Buch von P. N. Oak. 20 Jahre zuvor wäre er auf das Angebot seines Fans wohl nicht eingegangen; aber inzwischen hatte er etwas mehr von der Welt gesehen, das ihn für seine Theorie aufgeschlossener machte, vor allem die vielen Gotteshäuser, die vom Islam usurpiert und zu Moscheen "umgewidmet" worden waren, von der "Mesquita" in Córdoba über die orthodoxen Kirchen in Konstantinopel bis zur Rām-Tempel in Ayodhya - den die Muslime "Babri-Moschee" nennen. Also, warum nicht? Wäre Dikigoros allein, d.h. ohne fachkundigen Führer, nach Burhānpur gefahren, wäre er sicher enttäuscht gewesen: Die Stadt ist das, was V. S. Naipaul "shoddy" nennt (aber der nennt ja ganz Indien so :-) - herunter gekommen, halb verfallen, überhaupt nicht attraktiv. Ausgerechnet hier soll ein Groß-Muģal seine Lieblingsfrau begraben haben? Doch Burhānpur war nicht immer so, wie ihm sein Begleiter versichert. Bis die Muslime es herunter wirtschafteten, war es ein blühender Knotenpunkt von Verkehr und Handel, und sogar eine Art Residenzstadt. Unstreitig starb Mumtaz Mähäl - wie Dikigoros sie der Einfachheit halber weiter nennen will, ebenso wie ihren Mann Shah Jahān - hier, und unstreitig sollte sie hier zunächst auch begraben werden, in angemessenem Rahmen. Aber nach herrschender Meinung kam es aus irgendwelchen Gründen nicht dazu, statt dessen wurde dann das Tāj Mähäl in Āgrā erbaut. "Und eben das ist falsch," sagt der Oak-fan, "das Grabmal wurde sehr wohl hier gebaut; aber es entsprach halt dem Niveau der Muslime, wenn nichts vorhanden war, das sie zweckentfremden konnten, so daß sie selber etwas schaffen mußten. Schauen Sie mal, wir stehen direkt davor!"
Zugegeben, da besteht keine große Ähnlichkeit zum Tāj Mähäl! "Aber das ist noch nicht der springende Punkt," meint der Fan, "es könnte ja sein, daß Shah Jahān dieses Grabmal irgendwann nicht mehr fein genug war und er deshalb in Āgrā ein besseres, größeres bauen ließ. Aber jetzt denken Sie mal an dessen beiden Nebengebäude!" Dikigoros muß zu seiner Schande gesthehen, daß er auf die damals nicht besonders geachtet hatte. "Äh... Sie meinen die Moschee und das Gästehaus? Na ja, sooo bemerkenswert erschienen die mir nicht." - "Wenn heute eine Moschee gebaut wird, wohin wird die ausgerichtet?" - "Nach Mäkka; aber früher gab es wohl auch welche, die nach Jerusalem ausgerichtet wurden." - "Aber nicht mehr im 17. Jahrhundert. Und die neben dem Tāj Mähäl ist weder nach Mäkka noch nach Jerusalem ausgerichtet." - "Nun ja, die meisten von den Muslimen usurpierten Gotteshäuser anderer Religionen sind das doch auch nicht." - "Eben. Und was schließen Sie daraus?" - "Hmm... die Lage dort am Jumna war und ist sehr schön; es könnte ja sein, daß dort vorher etwas anderes stand und daß Shah Jahān das hat abreißen lassen, um ein pompöses Grabmal für seine Lieblingsfrau neu zu bauen." - "Ja, aber dann hätte er den Neubau doch bestimmt nach Mäkka ausgerichtet. Und überhaupt, warum hätte er denn etwas Vorhandenes abreißen und einen kostspieligen und langwierigen Neubau beginnen sollen? Wie lange hätte die Leiche denn noch vermodern sollen? Es mußte doch wenigstens so schnell gehen, daß er selber noch etwas davon gehabt hätte. Aber nach ein paar Jahren war er schon abgesetzt und eingekerkert worden. Und sein Sohn und Nachfolger hätte etwaige Bauarbeiten sofort stoppen lassen, denn die Begum war nicht seine Mutter, sondern nur eine von vielen hundert Stiefmüttern! Nein, der Tāj Mähäl wurde so, wie er war, übernommen, und wir wissen sogar von wem: von Jai Singh aus Amber. Wenn Sie mal seinen dortigen Palast gesehen haben (Dikigoros hat :-) dann wissen Sie doch, daß der eine vergleichbare Qualität hat - ganz im Gegensatz zu diesem Schrotthaufen hier. Und es gibt sogar einen Beweis, daß der Tāj Mähäl viel älter ist: Ein Radiokarbon-Test einer Holztür im Palast ist auf das 13. Jahrhundert datiert worden." Dikigoros denkt nach: Der Radiokarbon-Test ist gerade bei Holz nicht sehr zuverlässig; außerdem pflegte man Holz früher, bevor es verbaut wurde, ordentlich, d.h. ziemlich lange, abzulagern - allerdings wohl keine 400 Jahre. Aber schöne alte Türen - auch solche aus Holz - wurden gerne schon mal bei Neubauten übernommen, genau wie schöne alte Steine aus einem abgerissenen Altbau gerne wieder verwendet wurden. Das Alter des Materials sagt also nicht notwendiger Weise etwas über den Zeitpunkt der Bauarbeiten aus. So fragt er erstmal nur vorsichtig: "Woher weiß man denn das mit dem Voreigentümer?"
"Aus dem Akbarnama, der Chronik seines Großvaters; da steht klipp und klar drin, daß Akbar die Anlage von Jai Singh übernommen hat, im Austausch gegen irgendwelche anderen Gebäude. " - "Aber gibt es nicht auch eine andere Chronik, das Badshahnama, in der steht, daß Shah Jahān das Tāj Mähäl hat bauen lassen?" - "Ja, aber wem würden Sie eher glauben, einem Chronisten, der Jahrzehnte zuvor, also ganz neutral darüber berichtet, oder jemandem, der seinem Herrscher, diesem Möchtegern-Architekten - er behauptete ja, noch viele andere Bauwerke persönlich entworfen zu haben - schmeicheln wollte? Daß das Badshahnama ein Märchenbuch ist, gerade in diesem Punkt, sehen Sie doch schon daran, daß Shah Jahān angeblich zur gleichen Zeit auch ein Grabmal für sich selber bauen ließ, gegenüber vom Tāj Mähäl. Angeblich wurde es dann bloß nicht fertig gestellt und verfiel; aber man hat die Ruinen Jahrzehnte lang gesucht und gesucht und gesucht - und rein gar nichts gefunden." - "Aber wenn das alles ein Märchen ist, wer hat es dann erfunden und warum?" - "Ganz einfach: Die Briten; denn für die waren wir Hindūs doch Heiden, während sie glaubten, daß die Muslime an den selben Gott glaubten wie sie selber, nur daß sie ihn eben Allah nannten. Diese Narren!" Da konnte Dikigoros dem Oak-fan nur beipflichten; und seitdem ist auch er überzeugt, daß im Tāj Mähäl nur der Hund - nämlich Shah Jahān - begraben liegt, nicht aber Mumtaz Mähäl.
[Nachtrag: Inzwischen hat Dikigoros auch Autoren gelesen, nach denen man das gleiche sogar aus dem Badshahnama interpretieren könnte; aber auf dieses Glatteis will er sich nicht begeben, denn er selber kann kein Persisch, Übersetzungen mißtraut er grundsätzlich, und in solch heiklen Punkten erst recht - die Übersetzung der Memoiren von Babar, dem ersten Groß-Muģal von Indien, stehen bis heute größtenteils ungelesen in seinem Bücherschrank, und die beiden anderen hat er sich gar nicht erst angeschafft. Er folgt hier der These, daß der Tāj Mähäl ursprünglich der Palast eines Hindū-Fürsten war - und allenfalls eines der beiden Nebengebäude ein Hindū-Tempel. Er will seinen Lesern jedoch nicht vorenthalten, daß bis heute auch die auf den von Oak erfundenengefundenen sprachlichen Ähnlichkeiten beruhende Theorie vertreten wird, daß das Hauptgebäude ursprünglich ein Tempel Shiwas gewesen sei. Er teilt diese Theorie nicht, 1. weil so kein Shiw-Tempel aussah oder aussieht und 2. weil ihn die filologische Herleitung nicht überzeugt - und im Gegensatz zu Persisch beherrscht er Hindī doch einigermaßen. Lesern, die sich für die Einzelheiten jener Theorie interessieren, aber des Hindī nicht mächtig sind, empfiehlt er den englischsprachigen Artikel "Taj Mahal" auf Vedic Knowledge Online, einem Lexikon, das ähnlich wie Wikipedia aufgemacht ist - aber wie bei letzterem empfiehlt er zugleich, nicht alles blind zu glauben, was dort steht. Daß das Tāj Mähäl auf wedische Zeiten zurück gehe - womöglich sogar Vorbilder in der vor-wedischen Harappa-Zeit habe - und daß man seinen Namen aus dem Sanskrit erklären könne, hält er schlicht für abwegig. Im übrigen geht es hier ja in erster Linie um die Frage, wer dort begraben liegt oder nicht, und dafür spielt es keine Rolle, ob Ex-Tempel oder Ex-Palast - das kann also letztlich dahin stehen. Nachtrag Ende.]
Wenn Ihr mal einen schönen, im Original erhaltenen Säulen-Tempel antiker Bauart sehen wollt, liebe Leser, dann müßt Ihr nicht nach Griechenland oder Rom fahren (dort stehen nur noch Ruinen oder "restaurierte" Nachbauten herum :-), sondern in die USA. Nein, Dikigoros meint nicht nach Las Vegas (obwohl man dort mittlerweile alles mögliche besichtigen kann, was groß und protzig ist, von den ägyptischen Pyramiden nebst Sfinx über den Pariser Eiffelturm bis zum Campanile von Venedig - freilich nur in Kopie :-), sondern in die Südstaaten. Die Leute hatten dort lange Zeit einen gediegen altmodischen Geschmack, gaben nicht nur ihren Kindern alt-testamentarische Namen - wie z.B. Abraham -, sondern pflegten sich auch Säulen im griechischen Stil vor ihre Häuser zu bauen. Die meisten davon wurden im Bürgerkrieg 1861-65 zerstört, aber einige wieder aufgebaute Reste kann man dort mit etwas Glück heute noch entdecken, abseits der Downtowns der Großstadt-Moloche. Auch Washington D.C., die Hauptstadt der Nordstaaten, gehörte ursprünglich zu den Südstaaten, denn es wurde bekanntlich von Virginia abgeknapst, dem nördlichsten Staat der "Confederation". Und als der gerade erwähnte Bürgerkrieg vorbei war, waren alle glücklich und zufrieden - vor allem die Neger, die er ja befreit hatte - und bauten seinem Sieger, Abraham Lincoln, aus Dankbarkeit dortselbst das schöne große "Memorial" im Stil eines griechischen Tempels, das Ihr oben abgebildet seht, Amen.
Aber ach, auch in der US-amerikanischen Geschichte ist vieles nicht so, wie man denkt, und was Lincoln anbelangt schon gar nicht, und so gilt denn wiederum: Kein Wort aus dem letzten Satz ist wahr (außer dem "Amen" :-).
(...)
Zum Abschluß dieser "Reise durch die Vergangenheit" muß Euch Dikigoros doch wenigstens einen krummen Hund vorstellen, der von der Nachwelt nicht sitzend, sondern liegend dargestellt wird. (Ausnahmen bestätigen die Regel - dafür ist er nicht begraben :-) Als Dikigoros und seine Frau in den 1980er Jahren zum ersten Mal nach Moskau reisten, war das im Rahmen einer Gruppenreise, d.h. da mußte man noch ein obligatorisches Besuchsprogramm absolvieren, das die wodka-, pardon rumruhmreiche Sowjetunion dem Veranstalter vorschrieb. Und wenn man sich vor einem Programmpunkt nicht drücken konnte, dann war das der Besuch des Lenin-Mausoleums auf dem Roten Platz, direkt an der Außenmauer des Kreml.
(...)
weiter zu Ein Paß kann [k]eine Brücke sein
zurück zu In vollen Zügen genießen
heim zu Reisen durch die Vergangenheit