LAß DEN DRACHEN STEIGEN

Mit 40 Drachen um die Welt

[Flugdrachen]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
REISEN DURCH DIE VERGANGENHEIT
GESCHICHTEN AUS DER GESCHICHTE

Die meisten Menschen reisen im Internet-Zeitalter völlig ohne Sinn durch die Welt. Das gilt besonders für Politiker und Geschäftsleute, die 99% ihrer Verhandlungen per Video-Konferenz führen könnten - mit weitaus weniger Aufwand an Zeit, Geld und Nerven. Aber auch die meisten Urlaubsreisen Privater sind überflüssig - nicht nur wenn sie dazu ausarten, sich möglichst schnell und billig einen Sonnenbrand, Tripper oder Schlimmeres zu holen. Auch die so genannten "Erlebnis-Reisen" (auf Neudeutsch: "Event travels"), sei es pauschal oder individuell, sind oft nicht besser: Dikigoros hat durchaus Respekt vor der Leistung, die etwa darin besteht, einsam hohe Berge zu bekraxeln, den Atlantik im Schlauchboot oder die Wüste auf dem Rücken eines Kamels zu durchqueren und was der Heldentaten mehr sind; aber persönlich kann er auf diese Art Extremsport gut und gerne verzichten. A propos Sport: Viele reisen ja auch zu einem Boxkampf, einem Autorennen, einem Fußball- oder Tennismatch. Kein Zweifel, solche Reisen sind auf ihre Art notwendig, denn diese seine Kräfte kann man ja nicht (jedenfalls noch nicht :-) per Video-Konferenz messen. Aber selbst wenn man derartigen Sportarten etwas abzugewinnen vermag (Dikigoros vermag es nicht) - warum sollte man den aktiven Sportlern als passiver Zuschauer nachreisen? Um "live" dabei zu sein? Aber auch das geht doch am Fernseher oder im Internet viel billiger und besser: in "Echtzeit", aus jeder Kamera-Perspektive, beliebig oft wiederholbar, sogar in Zeitlupe - all das könnte man vor Ort gar nicht haben! Und vor allem: Was hat man denn davon, wenn man bloß passiv zuschaut? Ist das eine Reise wert? (Nebenbei bemerkt ist es für die aktiven Sportler meist ebenfalls keine Reise wert, denn auch die sehen in der Regel außer den Boxringen, Tennisplätzen und Fußballstadien nichts - oder jedenfalls nicht viel, es könnte ja ablenken -, und die sind überall auf der Welt mehr oder weniger gleich, und sie treffen auch überall die selben Mit- bzw. Gegenspieler :-) Und andere "Events"? Gewiß, man könnte ein ganzes Jahr durch Indien reisen und sich jede Woche ein anderes Fest anschauen - aber im Laufe der Jahre würde man feststellen, daß sie sich nicht nur selber mehr oder weniger wiederholen, sondern auch immer mehr angleichen; und wenn sich mal etwas ändert, dann meist zum Schlechteren, d.h. Traktoren statt Elefanten, Glühbirnen statt Fackeln und Konserven- statt Live-musik. Und viel mehr noch als für Indien gilt das für die Reste derartiger Volksfeste im Rest der Welt: Gewiß, man kann zum Carnevale nach Venedig fahren, zum Carnaval nach Nizza, Rio oder Caracas, zum Mardi Gras nach Mobile oder New Orleans, zu den Fallas nach Valencia, zur Fassenacht nach Basel, zum Fasching nach München oder zum Rosenmontag in eine der rheinischen Narrenhochburgen Mainz, Köln oder Düsseldorf und sich auf einer "Prunksitzung" zum x. Male die gleichen ausgelutschten Witze anhören und dazu mit irgendwelchen Alkoholika besaufen. Aber im Ernst, liebe Leser, selbst wenn Ihr - im Gegensatz zu Dikigoros, der nun mal gebürtiger "Nordi" und daher notorischer Karnevalsmuffel ist - daran Gefallen findet, ist das wirklich eine Reise wert? Da gilt doch eigentlich das gleiche wie für die "Sport-Events": Man kann nur entweder als Aktiver mitmachen - im Zug, und dann sieht man nichts davon - oder als passiver Zuschauer - und dann kann man sich auch das besser gleich im Fernseher anschauen, denn es wird ja zu den besten Sendezeiten stundenlang übertragen - an so vielen Orten könntet Ihr gar nicht zugleich sein, und besaufen könnt Ihr Euch auch mit Gleichgesinnten zuhause oder in der Kneipe.

Ja, gibt es denn gar kein abwechslungsreiches, interessantes Ereignis, an dem man sowohl als Aktiver wie auch als Zuschauer teilnehmen kann, ob dessen es lohnen würde, um die Welt zu reisen, weil es eben nicht regelmäßig jahrein, jahraus auf allen Kanälen übertragen wird, das nicht in bloßen Touristen- oder sonstigen Nepp ausartet und dazu noch kulturgeschichtlich interessant ist? Doch, liebe Leser, das gibt es, und auf eine solche Reise möchte Euch Dikigoros hier mitnehmen.

* * * * *

In Dikigoros Kindheit gab es auf der "Volksschule" noch ein Fach namens "Heimatkunde". (Bitte entschuldigt, liebe moderne Gutmenschen, daß er hier so schreckliche Wörter gebraucht, die so fascistoïde Bestandteile wie "Volk" und "Heimat" enthalten - er kann doch nichts dafür, daß die damals so hießen; zuvor ging er sogar auf einen "Kindergarten" - veraltet für "Kita"; denn damals wurden die Kinder noch nicht für den ganzen Tag an irgendeiner "Stätte" abgeladen, damit die Mütter zur Arbeit gehen konnten fürs Finanzamt, den Zweitwagen und andere wichtige Dinge, sondern nur ein paar Stunden einer Kindergärtnerin in Obhut gegeben, damit die Mutter am Vormittag auf den Markt gehen, kochen und ihnen mittags ein gutes Essen vorsetzen konnte - denn es gab noch keine tiefgefrorenen Fertiggerichte aus dem Supermarkt und keine Mikrowellengeräte, um sie aufzutauen.) Eines Tages fragte die Lehrerin ihre Schüler, was man denn im Herbst draußen schönes spielen könnte. Den dummen Jungen (ja, zu allem Überfluß war es auch noch eine reine Jungenschule :-) fiel nichts anderes ein als Fußballspielen; aber Fräulein S. (sie war schon über das 60. Lebensjahr hinaus, aber auf diese Anrede legte sie wert - sie war stolz darauf, unverheiratet zu sein und auf eigenen Beinen zu stehen :-) belehrte sie eines Besseren; und in der nächsten Werkstunde mußten alle 40 Zweitkläßler der Schule des Heiligen Georg einen Flugdrachen basteln.

Eigentlich hieß die Schule gar nicht so, sondern nur die Pfadfindergruppe 100 m Luftlinie weiter, in der (fast) alle Schüler Mitglied waren. (Sie existiert theoretisch noch heute, ist allerdings längst nicht mehr so populär; das schöne alte Haus in der Bonner Kaiserstraße - über das Dikigoros an anderer Stelle mehr schreibt, gehört ihr längst nicht mehr; und die Post AG wäre nie und nimmer auf die Idee gekommen, anläßlich ihres 100-jährigen Bestehens anno 2011 eine Sondermarke heraus zu geben, wie sie dies 1961 zum 50. Gründungstag noch getan hatte.) Aber die Schüler nannten sie halt so, weil sie sie nicht nach der Kirche nennen wollten, in deren Nachbarschaft sie seit ihrer Verlegung aus der Innenstadt in eine Straße jenseits des Hofgartens gar nicht mehr lag. (Inzwischen ist sie mit der damals viel gehaßten evangelischen Volksschule von schräg gegenüber zu einer Gesamt- und Ganztags-Schule zusammen geschlossen worden, sehr zum Leidwesen einiger Ehemaliger.) Wie dem auch sei, alle Schüler wußten damals, was es mit dem bösen Drachen auf sich hatte, den ein frommer christlicher Ritter wie St. Georg zu erlegen hatte, damit er nicht die armen unschuldigen Jungfern vernaschte. (Dikigoros' bester Freund in Volksschultagen hieß Georg; und Dikigoros' Eltern hätten es zu gerne gesehen, wenn der einmal ihre Tochter Helli geheiratet hätte; denn er war ein braver Junge aus gutem Hause - Vater und Großvater Rechtsanwalt mit eigener Praxis in einer imposanten Gründerzeit-Villa, die den Krieg unbeschadet überstanden hatte -; aber "Schorsch" hat die Freundschaft nicht aufrecht erhalten, als sich ihre Schulwege trennten - er kam auf ein teures Internat in der Schweiz -, und später auch die Anwaltspraxis nicht fort geführt; Dikigoros weiß nicht, was aus ihm geworden ist, und seine Schwester hat inzwischen andere Ehemänner gefunden, aber das ist eine andere Geschichte.)

Und jeder Schüler kannte den bei schönem Wetter von Bonn aus gut sichtbaren "Drachenfels", etwas weiter südlich jenseits des Rheins im "Siebengebirge" gelegen, mit der Ruine einer alten Burg, die der Sage nach ein böser Drache zerstört hatte (und dem neuen Restaurant, wo es so leckere Eiscreme gab :-).

Andere behaupteten freilich, daß der böse Fafnir vom braven Drachentöter Siegfried erlegt worden sei, schon lange bevor die Burg erbaut wurde, besonders in der Nachbarstadt Königswinter; dort konnte man sogar die Drachenhöhle besichtigen und die Nibelungenhalle, die man Siegfried zu Ehren erbaut hatte, ferner eine lebensgroße Steinskulptur von Fafnir. (Daß die "Nibelungenhalle" nicht in grauer Vorzeit in Erinnerung an Siegfried, sondern erst anno 1913 in Erinnerung an den 100. Geburtstag von Richard Wagner gebaut worden war - die "Drachenhöhle" sogar erst 1933 zu seinem 50. Todestag - und daß für den steinernen Drachen "Fafnir" in Wahrheit der zahme Alligator "Heinrich" Modell gestandengelegen hatte, der ungefähr zur gleichen Zeit in den Reptilienpark von Königswinter gekommen war wie Dikigoros nach Bonn, sollte letzterer erst viel später erfahren. Und erst Helli sollte Dank der "Augsburger Puppenkiste", genauer gesagt Dank Robert Bolt und dem "kleinen dicken Ritter" Oblong Fitz Oblong, mit der Überzeugung aufwachsen, daß Drachen eigentlich doch auch recht putzige Tierchen sein können.)

Und wieder andere - die gänzlich unromantischen - behaupten, daß das alles bloß ein Mißverständnis sei, welches auf der schlampigen Aussprache gewisser Zeitgenossen beruhe, die aus den harten Konsonanten "p" und "t" die Schlabberlaute "b" und "d" machten: Das "Siebengebirge" habe gar nichts mit "sieben Bergen" zu tun, die irgendwelche Drachen jagende Riesen aufschaufelten (tatsächlich sind es ja auch viel mehr :-), sondern mit den "Siepen", kleinen Tälern mit ebensolchen Bächen, die sich in jenem Gebirge besonders häufig finden; und was sich dort ebenso häufig fand, war der vulkanische Trachytstein, den schon die alten Römer aus dem Fels schlugen, und aus dem im Mittelalter die meisten christlichen Kirchen und Klöster der Umgebung gebaut wurden; man müsse also richtig nicht vom "Drachenfels im Siebengebirge" sprechen, sondern vom "Trachytfels im Siepengebirge". Aber das kann Dikigoros hier getrost dahin stehen lassen, denn es trägt nichts zum Gegenstand dieser "Reise durch die Vergangenheit" bei.

Zurück zu den Flugdrachen der Zweitkläßler. Das Ergebnis ihrer Bemühungen war eher bescheiden. (Bei den meisten hing es wohl davon ab, wie geschickt die Väter in solchen Dingen waren; und Dikigoros' Vater war halt kein Handwerker oder Ingenieur, sondern Beamter, wie so viele andere Bonner Väter auch ;-) Und das nicht nur optisch, sondern auch in der praktischen Erprobung, die Frl. S. ihren Schülern nicht ersparte. Eines Tages mußten sie allesamt in der Gronau antreten, wo - hinter dem Regierungsviertel - die größte und schönste Sportanlage Bonns lag: In der Mitte ein modernes Stadium mit einem gepflegten Rasenplatz (eigentlich viel zu schade für die dritt- und viertklassigen Fußballvereine von Bonn und Umgebung); drum herum zahlreiche offizielle Trainingsplätze, vollwertig ausgestattet mit den damals üblichen Aschebahnen, Umkleidekabinen und sogar Duschen. Und auf einem äußersten Ring gab es weitere, einfachere Übungsplätze, z.T. mit Gras, z.T. mit Sand, für alle sonstigen Aktivitäten von Schulklassen, Wochenendausflüglern etc. Dikigoros erinnert sich noch, daß just an jenem Tag wenig Wind war, so daß sie alle froh waren, wenn ihre Drachen wenigstens für ein paar Minuten halbhoch in der Luft hingen, bevor sie abstürzten und einer nach dem anderen jämmerlich zu Bruch gingen. Der Platz, den Frl. S. ausgewählt hatte, war, wie das damals noch üblich war, vernünftig, d.h. windgeschützt gebaut, etwas abschüssig gelegen (wie die Hofgartenwiese - die im Gegensatz zur Gronau nur ein paar hundert Meter von der Schule entfernt lag, aber damals noch nicht für derartige Zwecke "mißbraucht" werden durfte) und mit hohen Bäumen drum herum, so daß der Wind, selbst wenn welcher vorhanden war, nicht von allen Seiten übers Feld pfeifen konnte.

Exkurs. Was aus dieser schönen Sportanlage geworden ist? Nun, als 1969 die Regierung Brandt/Scheel an die Macht kam, die mit zahlreichen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit der "DDR" ["Stasi"] durchsetzt war und die Anerkennung der "DDR" als wichtigstes außenpolitisches Ziel auf ihre Fahnen geschrieben hatte - und damit die Anerkennung Berlins als "Hauptstadt der DDR" -, da witterten einige Bonner Polit-VerbrecherKommunal-Politiker Morgenluft und glaubten, aus der "provisorischen Bundeshauptstadt" die permanente Hauptstadt Westdeutschlands machen zu können; und so begann eine Bande von, nein, nicht von Drachen, sondern von Immobilien-Haien und Bau-Löwen, das schöne alte Bonn völlig zu verschandeln umzugestalten, um seinen Staatsgästen künftig eine imposante Metropole präsentieren zu können: Mitten in die Gronau wurde das häßliche "Abgeordneten-Hochhaus" geklotztgesetzt, das der Volksmund nach einem Bundestags-Abgeordneten, dem häßlichen, etwas zu kurz geratenen Juden Eugen G., als "langen Eugen" bezeichnete. Zugleich begann man im gerade erst eingemeindeten Bad Godesberg, genauer gesagt im Stadtteil Mehlem, einen neue Sportanlage für den Süden Groß-Bonns zu bauen, ebenso wie man im Norden Groß-Bonns, in Auerberg, den "Sportpark Nord" errichtete, in unmittelbarer Nachbarschaft des viel besser gelegenen Post-Stadiums, das man von da an verkommen ließ, ebenso wie die Sportplätze in der Gronau - man brauchte sie nicht mehr. Der äußere Ring der Gronau wurde 1979, anläßlich der großkotzigen "Bundesgartenschau" (die bei dieser Gelegenheit erstmals einen zweistelliges Millionen-Verlust einspielte) platt gemacht und in "Rheinaue[n]" umbenannt (so hatte bisher nur das Gelände auf der anderen Rheinseite vor der Zementfabrik in Oberkassel geheißen). Als dort am Nachmittag des 14. Juni 1989, auf dem Höhepunkt der - noch großkotzigeren - "2.000-Jahr-Feiern" zur angeblichen Gründung Bonns 2.000 Drachen aufstiegen, behinderte sie kein Windschutz mehr: Die schönen alten Bäume der äußeren Gronau waren samt und sonders abgeholzt worden. Die der inneren Gronau folgten bald: Alle Sportplätze wurden platt gemacht; an ihrer Stelle begann man mit dem Bau weiterer Verwaltungsgebäude, wie dem berühmt-berüchtigten "Schürmann-Bau" u.a. Investitions-Ruinen; und das führte man auch noch fort, nachdem sich die Berliner Mauer geöffnet hatte und immer deutlicher wurde, daß Bonn bald keine Hauptstadt mehr sein würde, solche Prestigebauten also künftig nicht nur unnütz, sondern auch unbezahlbar würden. Man klammerte sich an die Hoffnung, daß Bonn statt dessen als "Bundesstadt" zum bevorzugten Austragungsort internationaler Konferenzen o.ä. Veranstaltungen werden könnte. Aber die Ausländer gingen weg, nach Berlin (auch darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle) - jedenfalls die zahlungskräftigen, auf die man es abgesehen hatte; statt dessen kamen immer mehr Asylanten und "aus humanitären Gründen geduldete" andere Immigranten, überwiegend aus islamischen Ländern, und belasteten die ohnehin fast leeren Kassen der Stadt noch weiter; so sank Bonn im Laufe der Jahre zu einer Ansammlung mehr oder weniger herunter gekommener Drittwelt-Dörfer herab, in denen man sich als Deutscher und Nicht-Muslim abends kaum noch auf die Straße trauen konnte. Und so mancher wünschte sich den Drachen aus dem Märchen herbei, der diesem Spuk ein Ende bereiten könnte. Exkurs Ende.

Wie dem auch sei, jenes beinahe traumatische Kollektiv-Erlebnis, das Dikigoros als Volksschüler hatte - seine Klasse hatte sich vor einer alten Frau blamiert, was 7-8-jährige Jungen damals noch als Schande empfanden - war nicht sonderlich geeignet, in einem jungen Menschen Begeisterung fürs Drachenfliegen zu wecken. Deshalb will er diese Reise einmal nicht nach seiner persönlichen Lebens-Chronologie aufziehen - sonst müßte er jetzt gleich nach Malaysia springen, wo er das Drachenfliegen neu "entdeckte" -, sondern nach der des Kalenders.

* * * * *

Darf Dikigoros, nachdem er sich einmal als Karnevalsmuffel geoutet hat, mit dieser Chronologie statt im Januar im Februar beginnen? Es gibt da nämlich eine prima Möglichkeit, jenem Rummel zu entrinnen. Die meisten von Euch, liebe Leser, werden schon mal in Griechenland gewesen sein. Was wißt ihr von jenem Land, außer daß man sich dort im Sommer - mit etwas Glück auch schon im Frühling und auch noch im Herbst - preiswert die Sonne auf den Bauch scheinen lassen und Ouzu hinter die Binde kippen kann? Daß man dort inzwischen Dank deutscher Entwicklungshilfe auch ganz ordentlich Fußball spielen gelernt hat? Daß man dort trotzdem auf die Deutschen neuerdings ziemlich sauer ist, weil die BRD-Regierung weitere Milliardenhilfen an den vor dem Bankrott stehenden griechischen Staat davon abhängig machen will, daß der zuvor die Sozialleistungen kürzt? (Und das mit Recht - nicht daß die BRD dies verlangt, sondern daß die Griechen darob sauer sind; denn Griechenland ist hauptsächlich deshalb pleite, weil es für hunderte Milliarden Waffen bei deutschen Rüstungs-Unternehmen gekauft hat, um sich - und uns - vor den Türken zu schützen; und unter einem Staatsbankrott würden hauptsächlich deutsche Banken leiden, die so blöd waren, in ungeheuren Mengen hoch verzinste - aber so gut wie ungedeckte - griechische Staatsanleihen zu kaufen; die deutschen Hilfsgelder gehen also de facto gar nicht an die Griechen, sondern an die deutsche Industrie und an die deutschen Banken; und die griechischen Normalverbraucher sollen dafür den Gürtel enger schnallen!) Und als gebildete Menschen werdet Ihr überdies wissen, daß es dort Museen und Ruinen gibt, die man belatschen kann, und daß die Wiege der europäischen Kultur... blablabla. Entschuldigt, wenn Dikigoros das hier so kurz abtut; aber man mußte im damals noch christlichen Abendlande nicht auf eine katholische Volksschule gegangen zu sein, um zu wissen, daß Griechenland auch die Wiege der christlichen Religion war. Aber wer außer den Griechen weiß heute noch um die alten regliösen Bräuche, die bei ihnen schon immer viel fester im Volk verwurzelt waren als anderswo in Europa, weil es sie gegen die Jahrhunderte lange Fremdherrschaft der muslimischen Türken zu bewahren galt? Karneval ist dort ein kirchliches Fest, eines von vielen des kirchlichen Jahreskalenders - und anders als in den Westkirchen wird nicht nur das Feiern ernst genommen, sondern auch das Fasten davor und danach. Kurzum: Wenn in katholischen Gegenden noch "Rosenmontag" gefeiert wird, ist im orthodoxen Griechenland der "Katharí Devtéra [Reine Montag]" schon das, was bei uns erst der Aschermittwoch ist, nämlich der erste Tag nach dem Trubel. Und wie wird der gefeiert? (Denn es ist ein amtlicher Feiertag - auch einer, den die Deutschen den Griechen am liebsten verbieten würden, obwohl sie es, zumindest im Rheinland, ebenso halten!) Indem die ganze Familie gemeinsam aufs Land fährt, dort ein Fastenpicknick (d.h. eines ohne Fleisch, Eier oder Milchprodukte) veranstaltet und... einen selbst gebastelten Papierdrachen aufsteigen läßt.

Papierdrachen? Eigentlich ist das ja ein dummes Wort, denn im Germanischen kommt "Drachen" von "trekkan", d.h. über den Boden ziehen - was soll der in der Luft? Das griechische Wort heißt denn auch "Chartaetós", Papieradler; und der Adler ist bekanntlich das Wappentier der Griechen von alters her (lange bevor es die Russen, Deutschen und Amerikaner für sich entdeckten) und war es wahrscheinlich schon in vorchristlicher Zeit. Und auch das obligatorische Sechseck hatte wohl irgendeine rituelle Bedeutung, allerdings keine christliche, sonst hätte man sicher einen Drachen in Fischform aufsteigen lassen, in der Art, wie sie die Japaner am "Kindertag" in den Wind hängen (aber gut anbinden, damit sie nicht etwa weg fliegen :-)

[Exkurs. Da wir gerade bei Japan sind: Warum hat Dikigoros nicht dort und im Januar angefangen, da die Japaner doch zu Neujahr bekanntlich auch Drachen aufsteigen lassen? Nun, weil das kein echtes japanisches Datum ist: Das Neujahr - das die Japaner ursprünglich wie die Chinesen feierten - wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts, während der Meiji-Ära, auf den 1. Januar verlegt, um sich dem ach-so-vorbildlichen Westen anzugleichen. So etwas ignoriert Dikigoros geflissentlich, jedenfalls wenn es ihm um die Suche nach den Ursprüngen des Drachensteigens geht. Auf Japan kommen wir noch früh genug. Exkurs Ende.]

Nun macht so ein griechischer Papieradler zwar nicht viel her, jedenfalls verglichen mit denen, die wir weiter unten kennen lernen werden, aber das ist noch ein richtiges Volksbrauchtum, das keine aufwendig organisierten "Festivals" mit Zugereisten aus aller Welt braucht - tatsächlich kennt Dikigoros niemanden (außer ein paar Gastarbeitern auf Heimaturlaub :-), der schon mal im Februar zum Katharí Devtéra nach Griechenland gereist wäre.

(...)

Es gibt viele Länder, die behaupten, das Drachensteigen sei ihr "Nationalsport", sie hätten es erfunden und bei ihnen gäbe es die größten, schönsten, ältesten oder zumindest wichtigsten Drachenflug-Veranstaltungen der Welt. Griechenland gehört zu den wenigen, die das nicht für sich in Anspruch nehmen; wohl aber ein Land, das ebenfalls schon im Februar das Drachensteigen groß auf seine Fahnen schreibt, nämlich Malaysia. Wenn Ihr heute ins Internet schaut, liebe Leser, um Euch darüber zu informieren, werdet Ihr wahrscheinlich zu allererst auf den Namen Pasir Gudang stoßen. Das ist ein Ort an der Westküste der Halbinsel Malakka, genauer gesagt im Sultanat Johore, und der sehr geschäftstüchtige Sultan von Johore läßt gewaltig die Werbetrommel rühren, wenn es um sportliche "Events" geht, wie Motorradrennen, Golfturniere und "Drachenfestivals", die er als "nationale", neuerdings sogar "internationale" Meisterschaften vermarktet. Tatsächlich finden die aber erst seit 1995 statt - und was war vorher?

Als Dikigoros zum ersten Mal in Malaysia war - in den 1970er Jahren - war davon an der Westküste noch nichts zu sehen. Das Drachensteigen lernte er vielmehr in den 1980er Jahren an der Ostküste kennen, genauer gesagt in Kota Bharu in Kelantan - und damals wäre noch niemand auf die Idee gekommen, die Layang-layang als "Wau-wau" zu bezeichnen (schon gar nicht als "Wau-wau kuching", denn "kuching" bedeutet "Katze" - und die bellen ja für gewohnlich nicht :-).

Pasir Gudang (...)

Damals machte sich Dikigoros noch keine großen Gedanken um die Frage, woher das Drachensteigen wohl ursprünglich kam und wie es nach Malaysia gelangt war. Aber er will an dieser Stelle vorweg nehmen, daß dies tatsächlich der Knotenpunkt ist, an dem drei mögliche Wege zusammen gelaufen sein könnten:
China
Indonesien (Celebes)
Indien
Und die werden wir wohl oder übel alle etwas genauer unter die Lupe nehmen müssen.

(...)

Aber zuvor wollen wir noch einen, genauer gesagt zwei Abstecher nach Übersee - von Malaysia aus gesehen - machen; denn mittlerweile sind 40 Tage seit Aschermittwoch, pardon Reinermontag, vergangen, und das Osterfest steht an. Was - in welchem Land, das Ostern als religiösen Feiertag begeht, soll dieser denn mit Drachensteigen begangen werden? Ob Ihr es glaubt oder nicht, liebe Leser, es gibt deren sogar zwei, und eines liegt für die meisten von Euch gar nicht so weit entfernt:
(...)

Mai: Derne, Japan (...)

Juni: Fanø (...)

Juli: (...)

August: Jakarta (...)

18. September: Antofagasta (...)

Oktober: Lünen + China (...)

November: (...)

Wart Ihr mal in Indien, liebe Leser? Selbst wenn, dann wart Ihr warscheinlich noch nie in Haidarābād, und viel versäumt habt Ihr da nicht, sonst hätte Dikigoros darüber auf seiner Webseite über Indien etwas mehr geschrieben - die eine Ausnahme werdet Ihr wahrscheinlich sogar überlesen haben, denn er erwähnt sie nur am Rande und ganz woanders. Aber es gibt zwei weitere Ausnahmen, die der Erwähnung wert sind. Eine davon sind die berühmten "Char Minar", bei deren Anblick Dikigoros als alten Paris-Reisenden immer ein mulmiges Gefühl beschleicht; denn er hat die albtraumhafte Vision, daß eines nicht mehr fernen Tages - den einige seiner jüngeren Leser vielleicht noch erleben werden - der Triumfbogen von der dann in Frankreich herrschenden muslimischen Mehrheit ebenso mit 4 Minaretten (das bedeutet "char minar") versehen (oder zu einem neuen Kaabaa-Klotz umfunktioniert) worden sein wird wie die Hagia Sofía in Konstantinopel, der Kölner Dom von Kolonistan und das einstige Haupttor der Stadt, die heute nach ihrem muslimischen Eroberer - Sultan Haidar - genannt wird.

Aber widmen wir uns der zweiten, ungleich erfreulicheren Aussicht, nämlich der auf die Flugdrachen. Auch in Indien gibt es - ähnlich wie in Malaysia, Japan oder Lateinamerika - zahlreiche offizielle Feiertage neueren Datums, an denen man Drachen steigen läßt; aber das sind meist solche der Art, die Dikigoros nicht als originär anerkennt. Der Umstand, daß man in "Hyderabad", wie die Briten und Amerikaner - und die, die seit 1945 ihrer Schreibweise folgen [müssen] - schreiben, damit einen Monat eher beginnt als im übrigen Indien, wirft Fragen auf:
(...)

Das erste Buch eines Inders über Indien, das Dikigoros las, war ein Roman von Ahmäd Manzūruddin: "Indien ohne Wunder" von 1943. Es war ein Propagandawerk, aber das merkte er damals noch nicht, jedenfalls nicht, in welche Richtung es eigentlich zielte: Vordergründig ging es ja nur um den Kampf gegen die britische Kolonialherrschaft; und daß die beiden Protagonisten, der Muslim Ali und der Hindu Bhima, gute Freunde waren, schien ihm damals nichts besonderes zu sein. Tatsächlich steckte dahinter ein Programm, nämlich das des ungeteilten Indiens, das sich auch durch unterschiedliche Religionen nicht spalten ließ, blablabla... Nun gibt es nicht viele Dinge, die unterschiedliche Volksgruppen - und die Inder bezeichnen ihre Religionsgemeinschaften nicht umsonst als "Communities" - verbinden können (jedenfalls ungleich weniger als Dinge, die sie trennen können :-). Es gibt Leute, die meinen, Sport gehörte dazu - aber der mag allenfalls dazu gut sein, Aggressionen abzureagieren und in relativ harmlose Bahnen zu lenken. Nicht wahr, ein Fußball-, Cricket- oder Hockey-Spiel mit Zuschauerkrawallen und Ausschreitungen mit ein paar 100 Opfern ist immer noch besser als ein Krieg mit Millionen Toten.
(...)
Drachensteigen
Arm und reich, Kismet und Sansar, Dächer Youtube
(...)

Der Höhepunkt zuletzt: Januar in Indien (...)

(Fortsetzungen folgen)


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