D E R   G R O ß E   C H A C O
von SCHWERTERN und PFLUGSCHAREN
VOM SINN UND UNSINN (nicht nur) EINES KRIEGES
und einer Bewegung von Kriegsdienstverweigerern

*******************************************************
Herákleitos von Efésos, der Sohn des Blónos, lehrte wie folgt:
"Der KRIEG ist der VATER aller Dinge, aller Dinge König,
die einen zeigt er als Götter,  die anderen als Menschen,
die einen macht er zu Sklaven, die anderen zu Freien."
*********************************************
"Stell' dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin . . .
dann kommt der Krieg zu euch!" (Bert Brecht)
****************************************
"Scheust Du die Waffe, so trage das Joch!"

[Schwerter zu Pflugscharen]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
REISEN DURCH DIE VERGANGENHEIT
GESCHICHTEN AUS DER GESCHICHTE

Wie schreiben das Jahr 1536. "Wir"? Wer kann denn schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts lesen und schreiben? Und wozu auch? Große Reiche sind errichtet worden, ohne daß ihre Träger - geschweige denn die Masse ihrer Untertanen - des Lesens und des Schreibens kundig waren. Wahre Herrschaft beruht doch nicht auf dem Griffel, sondern auf dem Schwert, oder? So dachten z.B. die Inka, die in Südamerika ein Riesenreich aufgebaut hatten, das allein auf Terror und Ausbeutung der unterworfenen Indio-Völker gegründet war. Dann kam eine Handvoll Spanier, an ihrer Spitze der Analfabet Francisco Pizarro, und zerschlug jenes Reich, wiederum mit dem Schwert. (Einer seiner Mittäter, Mitläufer, oder wie immer man ihn nennen will, ein gewisser Alejo García hatte sich danach Richtung Südosten aufgemacht, zu dem großen Urwald, den die Indios "Chaco [Jagdgründe]" nannten, auf der Jagd nach dem sagenhaften "El Dorado", nach Gold und Silber. Das war noch gar nicht lange her - gerade mal ein Jahr -, und damals brauchten Nachrichten aus Übersee ziemlich lange, um nach Europa zu gelangen, vielleicht hatten "wir" es noch gar nicht erfahren! Was heißt "noch" - auch danach kam nicht mehr viel: García kehrte nicht zurück; irgendwann wurde er als "im Urwald verschollen" geführt und für tot erklärt - mit dem zweifelhaften Ruhm, als erstes europäisches Opfer in die "ewigen Jagdgründe" des Gran Chaco eingegangen zu sein.) Im Rückblick erscheint das manchen als tragisch; aber die Zeitgenossen dürften das ganz anders gesehen haben. Stand nicht schon in der Bibel geschrieben: "Wer zum Schwert greift, der wird durch das Schwert umkommen!"? Und: "Machet Eure Schwerter zu Pflugscharen, und Eure Spieße zu Sicheln!"? Nun, auf die Frage nach dem ersten Satz kann Euch Dikigoros nur eine Gegenfrage stellen: Wenn Jesus den, der das Schwert ergreift, verurteilt, rechtfertigt er dann nicht zugleich den, der es ihm mit dem Schwerte vergilt, also seinerseits auch zum Schwerte greift? Und hat Jesus nicht auch gesagt: "Ich bin nicht gekommen, Euch den Frieden zu bringen, sondern das Schwert!" (Matth. 10, 34)? Damit wären wir bei der Frage nach dem gerechten und dem ungerechten Krieg und ob der Angreifer immer den ersteren und der Verteidiger immer den letzteren führt, und die kann Euch Dikigoros nicht beantworten. Aber dafür kann er Euch auf die Frage nach dem zweiten Satz eine umso eindeutigere Antwort geben, und die lautet: "Nein - davon steht nichts in der Bibel, ganz im Gegenteil!" Nicht umsonst hat er Euch in den Zeilen 8 und 9 der Überschrift einen Satz von Brecht zitiert, der zu ganz ähnlichen Fragestellungen Anlaß gegeben hat (und manchmal noch gibt), weil ihn die so genannte Friedensbewegung in der BRD mit penetranter Chuzpe nur halb zu zitieren pflegt[e] und ihn so in sein Gegenteil verkehrt[e]. Und so ist es eben auch mit dem Satz, den die so genannte Friedensbewegung in der DDR mit ebenso penetranter Chuzpe falsch zu zitieren pflegte, meist sogar nur drei Wörter daraus: "Schwerter zu Pflugscharen". Wenn man sie darauf ansprach, woher sie das hätten, dann hörte man zumeist: Das hat Jesus in der Bergpredigt gesagt, und das meinte er als Aufforderung." Von wegen. Die Wendung stammt von dem wenig bekannten alt-testamentarischen Profeten Micha, und auch er meinte genau das Gegenteil, wie Ihr unschwer erkennt, wenn Ihr mal etwas genauer nachlest, was er den Israelis da profezeite (Mi. 4,3 leicht, aber nicht sinnentstellend gekürzt von Dikigoros): "Eure Feinde, die Heiden, werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Euch aber wird der Herr eiserne Hörner machen und eherne Klauen (die Israelis dachten also gar nicht daran, selber auch abzurüsten, Anm. Dikigoros); der Herr wird Euch von Euren Feinden erlösen, Ihr werdet viele Völker zerstören und ihr Gut dem Herrn weihen (da Jahwe ein Feuergott war, bedeutete das also, daß sie alles brandschatzen sollten, Anm. Dikigoros), und er wird die ganze Welt beherrschen..." Tja, es ist alles schon mal da gewesen: Die Nazis haben nicht nur ihr tausendjähriges "Drittes Reich" aus der Bibel der Juden abgeschrieben, sondern auch die Sache mit der Endlösung. Heute gehört uns Israel, und morgen die ganze Welt - aber das ist eine andere Geschichte! (Dikigoros hat diesen Link einstweilen noch auf seine Seite über die berühmt-berüchtigten Protokolle von Zion gelegt; aber vielleicht wird es sich eines Tages aufraffen, eine Seite speziell dem Thema "aus dem Zusammenhang gerissene und dadurch in ihr Gegenteil verkehrte Zitate" zu widmen. Dort würde er dann nicht nur etwas mehr über Brecht und Micha schreiben, sondern auch über einen Satz aus "Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland" des formell vom Davidsstern zum Kreuz konvertierten Juden Heinrich Heine, der darin angeblich vor dem "Dritten Reich" warnt. Ja, er gebraucht dieses Wort; aber aus dem Kontext ergibt sich, daß er sich auf die Stunde freut, in der es kommen wird - mit allem, was laut Micha dazu gehört - und deshalb stolz darauf ist, ein Deutscher zu sein; er will nur die Nachbarvölker, vor allem die Franzosen, davor warnen, sich einzumischen :-)

[Exkurs: Wie war es möglich, den Profeten Micha derart zu mißverstehen? Tja, das fragt man sich, zumal es noch einen anderen alt-testamentarichen Profeten gab, der ihn völlig richtig verstanden hatte und auch entsprechend zitierte, als er zum Volke Israel sprach, nämlich Joel (Kapitel 4, Vers 9): "Bereitet Euch zum heiligen Krieg (Ja, nicht nur die Muslime kennen den "Jihād", Anm. Dikigoros)! Bietet die Starken auf! Laßt her kommen und hinauf ziehen alle Kriegsleute! Macht aus Euren Pflugscharen Schwerter und aus Euren Sicheln Spieße!" Das hat den so genannten "Theologen" der DDR-Friedensbewegung viel Kopfzerbrechen bereitet - war das nicht ein Widerspruch? Vielleicht zu ihrer abstrusen Auslegung Michas, nicht aber zu Micha selber! Doch sie wollten und wollen das nicht wahr haben, deshalb schwirren bis heute die ulkigsten Erklärungen durch die Welt: Vielleicht hat Joel ja bloß einen Scherz gemacht? Auf den Kontext - Israel stand mal wieder mitten in einem kriegerischen Existenzkampf - dürfen sie bei einer solchen Lesart freilich nicht schauen, ebenso wenig wie bei vielen anderen Bibelstellen, sonst würden sie sich selber ad absurdum führen. Steht nicht z.B. auch im Buch Jesaja in fast jedem Absatz, daß die Feinde Israels - also alle seine Nachbarvölker - mit Flamme und Schwert ausgerottet werden sollen? Aber im Zeitalter der Verfolgung und Verunglimpfung des "Anti-Semitismus" darf man ja nur noch die wenigen anderen Absätze dort lesen - was freilich nicht weniger absurde Ergebnisse gezeitigt hat. Hat nicht der Schweizer Erich von Däniken in den 1960er Jahren aus Jes. 6 eine Reportage über außerirdische Astronauten heraus gelesen, die als "Götter" zur Erde kamen? Aber dessen Thesen wurden nicht halb so viel und nicht halb so lange diskutiert wie eine andere Stelle, nämlich Jes. 7.14, wo steht, daß einst eine junge Frau den Gottbeiuns, pardon, den Gottmituns (Immanuel), später "Jesus", gebären werde. Auf Griechisch wurde daraus "parthénos" und auf Lateinisch "virgo" - beides bezeichnete eine unverheiratete junge Frau (wie heute noch das niederländische "juffrouw"; und auch die Stelle in Matth. 1.18, die auf diese Jesaja-Stelle Bezug nimmt, besagt richtig gelesen nichts weiter, als daß Maria schon vor der Eheschließung mit Joseph von einem anderen schwanger war); aber da es noch bis Anfang des 20. Jahrhundert als selbstverständlich galt, daß eine unverheiratete junge Frau auch jungfräulich war, wurde daraus die "Jungfrau" Maria, an deren Mutterschaft zu glauben sich noch heute viele des Hebräischen, des Griechischen und des Lateinischen unkundige Christen nicht entblöden, zu glauben - und die Kirche beläßt sie in diesem Glauben, wie auch in dem Glauben an die Sache mit den "Schwertern zu Pflugscharen". Exkurs Ende.]

Also zurück zu der Frage: Wer konnte das damals schon lesen, anderthalb Jahrtausende nach dem gewaltsamen Tode des jüdischen Friedens-Predigers Jesus aus Nazareth? Und wer durfte es lesen? Wenn es nach der katholischen Kirche ginge, nur die Priester - noch als Dikigoros zur Schule ging, durfte ein braver Katholik keine Bibel haben, geschweige denn lesen, sondern allenfalls einen Katechismus. Warum war das so? War das, was im "Buch der Bücher" stand, so schrecklich schlimm? Oh ja, das war es, vor allem das Alte Testament, das genau besehen eine groß angelegte Rechtfertigung aller nur denkbarer Verbrechen von Mord bis Völkermord war - jedenfalls, wenn sie von Juden begangen wurden. Vor noch nicht zwanzig Jahren hatte ein Mönch aus Wittenberg, der hier nichts zur Sache tut (Dikigoros schreibt über ihn an anderer Stelle) die Bibel ins Deutsche übersetzt, und nun glaubten plötzlich alle möglichen und unmöglichen Leute, die ein wenig lesen und schreiben konnten, sie müßten ihr Leben strikt nach dem ausrichten, was darin stand - und nicht nur ihr eigenes, sondern auch das ihrer Mitmenschen, notfalls indem man sie zu diesem ihrem Glück zwang. Das Ergebnis war vorhersehbar: Die "Gläubigen" errichteten Terror-Regime, wie wir sie heute nur noch von Gesellschaften kennen, die ihr Leben streng nach dem anderen großen Verbrecher-Buch des Nahen Ostens ausrichten, dem Qur'an. Eines dieser Reiche des Bösen, pardon, Reiche Gottes, war zwei Jahre zuvor in Münster entstanden, unter Jan Matthijs (der sich für einen Profeten hielt), Jan van Leiden (der sich für König David hielt) und Jan Bockelson (über den Dikigoros an anderer Stelle mehr schreibt). Sie nannten sich aber nicht "Bockelsöhne", sondern "Melchioriten", nach Heini Hoffmann, der sich wiederum für einen der heiligen drei Könige hielt und "Melchior" nannte - dabei war er allenfalls ein Suppenkasper, nichtmal ein Caspar... Lange war das nicht gut gegangen; Katholiken und Protestanten hatten sich zusammen getan (ja, das war damals noch möglich!) und Truppen aufgeboten, um dem Spuk von Münster ein Ende zu machen. Das taten sie denn auch, und zwar gründlich - so gründlich, daß sie das Kind mit dem Bade, genauer gesagt mit dem Taufwasser ausgossen.

Es stand ja nicht nur Unsinn in der Bibel, sondern auch einiges, das - selbst in Dikigoros' kritischen Augen - recht vernünftig war. So berichtet z.B. das Neue Testament nichts von einer Kindstaufe, sondern vielmehr von einer Erwachsenentaufe - auch Jesus hatte sich bekanntlich von Johannes im Jordan taufen lassen -, und daran in erster Linie entzündete sich nun der theologische Disput: Für Katholiken und Protestanten waren alle, die eine Kindstaufe ablehnten, gleichermaßen "Wiedertäufer", und diese zogen sich den Schuh an, wenngleich sie sich konsequenterweise "nur" als "Täufer" bezeichneten, denn die erste Taufe war in ihren Augen mangels freier Willensentscheidung des Kleinkindes unwirksam. Dabei gab es innerhalb der "Täufer"-Bewegung durchaus Gegensätze, die es eigentlich hätten verbieten müssen, sie allesamt in einen Topf zu werfen. Die wichtigste Unterscheidung - jedenfalls aus heutiger Sicht - war ihre Einstellung zur Gewalt: Die Melchioriten bekannten sich uneingeschränkt zu ihrer Anwendung, um das "Reich Gottes" auf Erden durchzusetzen, andere taten das nur eingeschränkt, und wieder andere lehnte jegliche Gewalt rundweg ab. Die letzteren nannte man nach ihrem Anführer Obbe Philips "Obbeniten", und just zu jenen Obbeniten hatte sich Anfang 1536 ein junger katholischer Priester aus Westfriesland bekehrt (d.h. er hatte sich ["wieder"-]taufen lassen). Sein Name: Menno Simons.

Als Priester konnte Menno lesen und schreiben, und er hatte auch eine Bibel, nach der er sein Leben ausrichten wollte - nur die Sache mit den Schwertern zu Pflugscharen hatte er genauso falsch verstanden wie ein knappes halbes Jahrtausend später seine Brüder im Geiste, pardon in Christo - so nannten er und seine Anhänger sich selber; die Protestanten und Katholiken dagegen nannte, nein schimpften sie "Mennoniten". Daß dieser "Schimpfname" heute nicht mehr als solcher gebraucht und verstanden wird, sondern als ganz normale Bezeichnung, möchte Dikigoros zum Anlaß nehmen für einen kleinen Exkurs, den eilige Leser überspringen können; er trägt nichts zum Fortgang der Handlung bei.

In unserer Zeit herrscht das Dogma, daß so genannte "Vor"-Urteile, besonders solche negativer Art, über andere Menschen vor allem durch ihre Benennung zustande kommen. Nicht wahr, wenn man jemanden mit einem unschönen Ausdruck belegt, einen Schwarzen als "Nigger", einen Polen als "Polaken" oder einen Austronesier als "Kanaken" bezeichnet, dann muß man ja von vornherein eine schlechte Meinung über ihn haben. Aber stimmt das so? Die Austro-nesier [Pseudo-Griechisch für "Südsee-Insulaner"] bezeichnen sich ja selber als "Kanaken", die Polen selber als "Polaken", und "Nigger" ist lediglich die korrekte Aussprache des lateinischen Wortes für "schwarz" [das "i" in der männlichen Form "niger" ist kurz, nur das in der weiblichen Form "nigra" ist lang], und dunkelhäutig waren und sind sie ja nun mal. (Ausnahmen, die sich die Haut haben bleichen lassen, wie Michael Jackson, bestätigen die Regel :-) Sie sind übrigens das beste Beispiel dafür, daß es gar nichts hilft, solche Bezeichnungen zu ändern: Man glaubte, ihnen etwas Gutes zu tun, indem man sie "Schwarze" nannte - bald war auch das ein "Schimpfwort". Dann kam die Bezeichnung "Farbige" auf - mit dem gleichen Resultat. Und nun ist man bei "Afro-" angelangt - und auch dieser Name wird den Weg aller anderen gehen. Nein, die schönste Bezeichnung hilft nichts, die Neger bleiben nun mal schwarz; und wenn man sie künftig als "Weiße" bezeichnen würde, würde das doch nicht dazu führen, daß man ihre Hautfarbe für weiß hielte, sondern vielmehr dazu, daß man sich für die Farbe Weiß einen neuen Begriff suchte und daß "weiß" künftig ein anderes Wort für "schwarz" wäre. Namen sind Schall und Rauch (auch das steht schon in der Bibel!), auf das, was dahinter steckt, kommt es an. Und die Polaken? "Kaum gestohlen, schon in Polen" - auch das klingt nicht mehr besser. Polen sind halt Polen, und wenn man sie in "Engelein" wieder-, pardon umtaufen würde, sie sich aber selber nicht ändern würden, wäre halt "Engelein" bald auch ein "Schimpfwort". Wie weit wollen wir diese sinnlose Sprachvergewaltigung noch treiben? Als sich die Tschecho-Slowakei auflöste, durfte deren westlicher Teil in Deutschland nicht mehr "Tschechei" genannt werden, sondern nur noch "Tschechien". (Seine Einwohner müßte man dann wohl künftig korrekt als "Tschechienesen" bezeichnen, oder?) Begründung: Schon Hitler hatte die Tschechei "Tschechei" genannt, also war das ein faschistoïdes Schimpfwort! Ach so... Aber hatte er nicht auch schon die Mongolei als "Mongolei" und die Türkei als "Türkei" bezeichnet? Dann wird es aber höchste Zeit, daß unsere politisch-korrekten Gutmenschen die umtaufen in "Mongolien" und "Türkien", damit wir es fortan mit Mongolesen und Türkinesen zu tun haben! Begründung: "Mongole" ist schon seit dem 13. Jahrhundert ein Schimpfwort (warum? Das ist eine andere Geschichte!), und "Türke" sowieso. Aber es gibt auch Gegenbeispiele: Als die Briten Ende des 19. Jahrhunderts deutsche Produkte vom Weltmarkt zu verdrängen versuchten, belegten sie diese mit der als Schimpfwort gedachten Bezeichnung "made in Germany". Und was taten die Deutschen? Klagten sie vor dem Gerichtshof für Menschenrechte gegen diese bösartige Diskriminierung? Ach nein, den gab es damals ja noch nicht. Also lieferten sie einfach ordentliche Produkte ab (das waren noch Zeiten :-), und so wurde aus dem "Schimpfwort" allmählich eine Empfehlung. Was taten die Mennoniten, als man sie als solche "beschimpfte"? Sie befleißigten sich eines ordentlichen Lebenswandels, und allmählich wurde aus dem "Schimpfwort" eine Empfehlung. [In den 1970er Jahren gab es auch mal eine Bewegung unter den schwarzen Amerikanern, die den Spruch "Black is beautiful" populär zu machen versuchte - leider hat sie sich auf die Dauer nicht durchgesetzt, was wohl auch daran lag, daß sich nicht alle Schwarzen immer "schön" verhalten haben.] Was kann man also den betroffenen Völkern - allen voran den Polen/Polaken und den Tschechen/Tschechienesen nur empfehlen? Eben - aber das wollen sie nicht; sie wollen lieber bleiben, wie sie sind, und dann wundern sie sich und klagen laut, wenn jede Bezeichnung, egal ob selber gewählt oder von anderen, in den Ohren anständiger Menschen wie ein Schimpfwort klingt - denn jenen Völkern anzugehören wird nie eine Empfehlung sein, egal wie man es auch dreht und wendet. Wer Ohren hat, der höre (Matth. 13, 9)... Exkurs Ende.

Nun wurden die "Mennoniten" nicht nur mit Schimpfnamen belegt, sondern bald - wie andere "Wiedertäufer" auch - strafrechtlich verfolgt. Sechs Jahre nach seiner "Wieder"-Taufe wird Menno steckbrieflich gesucht, er flieht nach Norddeutschland, wo sich seine Spur mehr oder weniger verliert; er soll in der Nähe von Oldesloe gestorben sein. Und die anderen Mennoniten? Auch sie flohen - den Krieg und ihre Verfolger, nicht aber die Arbeit, denn schon in der Bibel stand ja geschrieben: "Im Schweiße Deines Angesichts sollst Du Dein Brot essen." Da traf es sich gut, daß es überall auf der Welt dumme, faule und unfähige Völker gab, die zwar Land erobern konnten, nicht aber es auch sinnvoll nutzen, wenn dies etwa mit harter Arbeit verbunden ist. Eines dieser Völker haben wir gerade kennen gelernt: es sind die Polen, die das seit dem 13. Jahrhundert vom Deutschen Orden kultivierte Westpreußen im 15. Jahrhundert besetzten und binnen weniger Jahrzehnte völlig herunter wirtschafteten (seitdem kennt man im Deutschen den Ausdruck "polnische Wirtschaft"): Die Deiche wurden nicht mehr ordentlich gepflegt, brachen, alle paar Jahre gab es schwere Überschwemmungen, in ihrem Gefolge Seuchen, kurzum, das Land war bald nichts mehr wert, und der polnische Staatssäckel leer. Da es damals noch keine EU gab, in die man eintreten konnte, um sich mit Milliarden subventionieren zu lassen, mußte der König von Polen kleinere Brötchen backen: Er verpfändete zunächst einige Dörfer im Weichseldelta an einen deutschen Baron, und der rief die Mennoniten ins Land, um es wieder aufzubauen. Ein Jahr nach Erlaß des Steckbriefs gegen Menno reisten sie an und machten sich an die Arbeit; bald darauf gab es in Westpreußen wieder blühende Landschaften, und Danzig wurde eine der reichsten und schönsten Städte Europas. Die Mennoniten konnten zwar kein Eigentum an Grund und Boden erwerben; aber es genügte ihnen, Pächter zu sein - auf Erden war eh alles nur geliehen, von Gott dem Herrn. Und man respektierte auch ihre Weigerung, Kriegsdienst zu leisten, d.h. sie durften sich frei kaufen, wie alle anderen auch; aber im Gegensatz zu den meisten anderen Bauern erwirtschafteten sie genügend Geld, um sich auch frei kaufen zu können. Und so gelang es ihnen, sich aus dem Dreißigjährigen Krieg, der Mitteleuropa auf Jahrzehnte hinaus verwüstete, ebenso heraus zu halten, wie anschließend aus dem schwedisch-polnischen. Und als letzterer 1660 im Frieden von Oliva (einem Kloster vor den Stadttoren Danzigs) beendet wurde, waren eigentlich alle vernünftigen Menschen, die jene böse Zeit mit- und üb-erlebt hatten, mit den Mennoniten einer Meinung: Der Friede ist vielleicht nicht der Vater aller Dinge, aber jedenfalls aller Dinge bestes. So weit, so gut; die Mennoniten hatten alles richtig gemacht.

[Pax optima rerum - der Friede ist aller Dinge bestes. Medaille von Ketteler auf den 
Westfälischen Frieden 1648] [Medaille von Höhn auf den Frieden von Oliva 1660]

Wenn Ihr in Eure Geschichts- und Märchen-Bücher schaut, liebe Leser, dann findet Ihr dort auf ziemlich verzerrte Art und Weise dargestellt, wie es danach weiter ging: Der böse militaristische König von Preußen beteiligte sich an den so genannten "polnischen Teilungen", wollte die Mennoniten zum Kriegsdienst pressen, die daraufhin nach Rußland auswanderten, wo sie alle Freiheiten der Welt hatten; von dort wanderten einige später nach Nordamerika aus, wo sie noch mehr Freiheiten hatten; und einige verschlug es auch nach Lateinamerika, wo sie sich langsam "assimilierten". Heute gibt es nur noch ein paar Tausend Mennoniten, auch wieder in Europa. Amen, denn weiter nachbohren könnte nur schaden.

Schaden? Wem? Nun, den politisch-korrekten Gutmenschen, denn es war ja alles ganz anders: Zunächst einmal gab es gar keine "polnischen Teilungen"; vielmehr wurden die von den Polen im Laufe der Jahrhunderte eroberten Länder und die von ihnen brutal unterdrückten Völker - oder was von ihnen übrig geblieben war - befreit, und der traurige Rest ging in Personalunion an den russischen Tsaren. Ob letzteres eines "Befreiung" war, mag dahin stehen, für die nicht-polnischen Völker - vor allem für die, deren Länder an Preußen und Österreich fielen - war es bestimmt eine. Das erste, was Friedrich der Große (hier war er wirklich einmal "groß" - auch wenn sein Beiname nicht darauf geprägt wurde) tat, nachdem er 1772 Westpreußen von Polen befreit hatte, war, den Mennoniten das Recht zum Erwerb von Grund und Boden zu geben wie den Angehörigen aller anderen Religionen auch - bei ihm konnte bekanntlich jeder "nach seiner Façon selig werden", denn er war ein eher unreligiöser Mensch, jedenfalls - anders als so viele seiner Zeitgenossen - kein Fundamentalist. Erst 1789 sollte sein Neffe und Nachfolger, der dumme und in jeder Hinsicht unfähige Friedrich Wilhelm II, ein Edikt erlassen, wonach Grund und Boden nur derjenige erwerben konnte, der zuvor seinen Wehrdienst absolviert hatte - was nicht nur für die Mennoniten galt, aber sie natürlich besonders [be]traf, da sie ja Kriegsdienstgegner waren. Aber als dieses Edikt heraus kam, waren sie schon längst unterwegs nach Rußland, genauer gesagt in die Ukraïne, noch genauer gesagt in jene Gebiete der Süd-Ukraïne, die Katharina die Große (warum man die "groß" nannte... aber lassen wird das) erst kürzlich von den Türken zurück erobert hatte, die sie völlig herunter gewirtschaftet hatten. Da nun aber die Russen ebenso unfähig waren, von ihnen erobertes und verwüstetes Land wieder aufzubauen wie die Türken (und die Polen), hatte sie deutsche Siedler ins Land gerufen und ihnen im Gegenzug das Blaue vom Himmel versprochen: Geschenktes Land, Steuerfreiheit, Befreiung vom Wehrdienst auf alle Zeiten und und und. Die Mennoniten glaubten es - wollten es glauben - und kamen. Warum auch nicht? Friedrich der Große war ein zwielichtiger Kerl, der sein Leben lang Kriege geführt hatte; er sprach nichtmal ihre Sprache (er konnte kaum Hoch- geschweige denn Niederdeutsch, denn seine Muttersprache war Französisch). Dagegen war Katharina die Große eine gebürtige Holsteinerin; ihre Muttersprache war Pladdütsch, oder wie die Mennoniten sagten, seit sich ihre Aussprache im Laufe der in Westpreußen verbrachten Jahre ein wenig in die Breite entwickelt hatte: Plautdietsch, eine Sprache, die trotz Luthers Bibelübersetzung ins "Hochdeutsche" noch bis ins 19. Jahrhundert Lingua franca von Friesland bis ins Baltikum war - aber das ist eine andere Geschichte. Die Mennoniten konnten also in Rußland ihre norddeutsche Kultur, ihre Sprache und ihren Glauben bewahren - vielleicht besser als in Preußen, wo immer mehr französische Hugenotten und polnische Katholiken herum liefen. (Böse Zungen behaupten, daß in Preußen zu Beginn des 19. Jahrhunderts kaum noch ein Drittel Deutsche lebten.) Und außerdem konnten sie noch dem Kriegsdienst ein Schnippchen schlagen - nichts wie weg und auf nach Rußland!

[Friedrich II von Preußen] [Katharina II von Rußland]

Glaubt Ihr das, liebe Leser? Und wenn Ihr es glaubt: Wie lange glaubt Ihr, daß es gut ging? Nun, eigentlich überraschend lange. Dort, wo die Mennoniten hin zogen, entstanden bald blühende Landschaften, und fast ein Jahrhundert lang erinnerte man sich an die großzügigen Versprechen, welche die deutsche Tsarin den Mennoniten - und anderen Deutschen - einst gegeben hatte. Dann, in den 1870er Jahren, war Schluß mit lustig: Steuern wurden eingeführt, dann erhöht, und mit Freistellung vom Kriegsdienst war auch nichts mehr. Die Mennoniten waren uneins: Einige blieben und arrangierten sich (aber waren das dann noch "echte" Mennoniten?), die anderen wanderten erneut aus: nach Nordamerika, genauer gesagt nach Kanada, und bald entstanden auch dort wieder blühende Landschaften. Die Mennoniten dort überlebten auch den Ersten Weltkrieg relativ unbeschadet, nach dessen Ende erneut alle vernünftigen Menschen, die ihn mit- und üb-erlebt hatten, mit ihnen einer Meinung waren: "Nie wieder Krieg!" So weit, so gut; die Mennoniten hatten wieder alles richtig gemacht.

Mit der Parole "Nieder mit dem Krieg" hatten auch die Bolschewiken 1917 in Rußland die Macht ergriffen, und auch sie wollten ihre Schwerter und Spieße umschmieden - zu Hämmern und Sicheln. Das hörte sich gut an; aber die dort zurück gebliebenen Mennoniten merkten bald, daß das nur eine schöne Redensart war. Wer konnte, versuchte noch rechtzeitig auszuwandern; aber bald schob Stalin dem einen Riegel vor: Er brauchte tüchtige Menschen zur Ausbeutung, denn mit den Russen war nicht viel Staat zu machen, schon gar kein Sowjet-Staat. Ja, der böse Stalin... Aber machen wir uns nichts vor, auch die westlichen "Staatsmänner" waren keine Engel. "Verleitung zur Auswanderung" war auch in Deutschland strafbar (und ist es bis heute - schaut mal ins Gesetz: § 144 StGB)! Bald übte auch der kanadische Staat massiven Druck auf die Mennoniten aus. Nein, nicht wegen des Kriegsdienstes - in Kanada gab es keine allgemeine Wehrpflicht -, sondern wegen der kulturellen Gleichschaltung: Menschen, die einen deutschen Dialekt sprachen, waren der Obrigkeit suspekt (und sind es immer noch); die soll[t]en ihre Kinder gefälligst zur staatlichen Schule schicken, wo man ihnen das abgewöhnt und statt dessen Englisch beibringt. Und wieder packten die Mennoniten ihren Krempel und zogen weiter - einmal um die ganze Welt? Noch nicht ganz, aber wieder ziemlich weit, diesmal nach Südamerika, genauer gesagt ins Herz Südamerikas - ins wunde Herz.

[Karte Südamerikas mit der Chaco-Region]

Dort gab es - wie fleißige Leser aus einer anderen von Dikigoros' "Reisen durch die Vergangenheit" schon wissen - ein Land, dessen Bevölkerung die alliierten Besatzer nach dem letzten Krieg fast auf Null reduziert hatten. Vor allem der Westen war fast menschenleer, ja man wußte nicht einmal genau, wo der anfing und aufhörte: Eine riesige Urwaldregion, "Gran Chaco" genannt, lag da irgendwo westlich des Paraguay-Flusses, und niemand wollte es bisher geschenkt haben: weder Bolivien (zu dem es bis zur Unabhängigkeit von Spanien auf dem Papier gehört hatte) noch Argentinien noch Paraguay. Doch nun rief die Regierung in Asunción die Mennoniten ins Land, um den Urwald zu roden, zu den üblichen Bedingungen: Steuerfreiheit, Freiheit vom Kriegsdienst, und das Land gab es umsonst. Aber gehörte es dem Staat, der es da so großzügig verschenkte, überhaupt? Die Mennoniten fragten nicht lange, sie kamen, sahen und säten; binnen kurzem entstanden auch im Gran Chaco blühende Landschaften. So weit, so gut; die Mennoniten haben wieder alles richtig gemacht. Dann kam die Weltwirtschaftskrise. Bolivien, das bis dahin von seinen Zinnvorkommen gelebt hatte - die ihm nun niemand mehr abkaufen wollte - begann sich nach neuen Einnahmequellen umzuschauen. Ein nordamerikanischer Gringo machte sich Richtung Südosten auf, nicht auf der Suche nach El Dorado, sondern nach El Petróleo - nach Erdöl, dem schwarzen Gold des 20. Jahrhunderts. Ob er welches gefunden hat, wie er nach seiner Rückkehr behauptete, wagt Dikigoros zu bezweifeln; aber die Bolivianer glaubten ihm - wollten ihm glauben -, und machten ihre Ansprüche auf den "Gran Chaco" geltend. Das war den Paraguayern natürlich gar nicht recht; 1928 kam es zu ein paar kleineren Grenzscharmützeln, die aber bald wieder einschliefen - niemand mochte damals an den Ausbruch eines richtigen Krieges zu glauben, zumal Paraguay sich das gar nicht hätte leisten können: Bolivien hatte fünfmal so viele Soldaten, einen preußischen General - Kundt hieß er - als Oberbefehlshaber, dazu französische schwere Artillerie und Tanks blindés [Panzer] und sogar englische Aeroplanes [Kampfflugzeuge]. Paraguay hatte nichts von alledem, und auch kein Geld, um es zu kaufen - wie wollten die da einen Krieg gegen Bolivien führen?

* * * * *

Wir schreiben das Jahr 1932. Dikigoros' Onkel Berni sitzt auf gepackten Koffern. Er will verreisen. Verreisen ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort, denn verreisen bedeutet ja, daß man anschließend zurück kehren will. Aber das soll keine Urlaubs- oder Bildungsreise werden, schon gar keine Vergnügungsreise. Das ist noch nicht "in" (oder, wie man damals sagt, nicht "en vogue"). Und selbst wenn es "in" wäre, würde der Onkel nicht zu den Leuten zählen, die es sich leisten können. Die Weltwirtschaftskrise hat ihren Höhepunkt noch nicht überschritten, die Zahl der Arbeitslosen ist fast so hoch wie heute - aber die Sozialsysteme sind schlechter. Deshalb sitzt Onkel Berni auch nicht auf gepackten Koffern, sondern nur auf seinem alten Seesack, und viel drin ist auch nicht, denn er gehört zu jenen Millionen ohne "Job" (auch den Begriff gibt es noch nicht). Draußen singen die Nationalsozialisten "der Tag für Freiheit und für Brot bricht an", und wer freiwillig zur SA geht, bekommt dort jeden Tag einen Teller Eintopf mit einer Scheibe Brot - kostenlos. (Viele arbeitslose KPD- und SPD-Mitglieder gehen hin und werden zu Mitessern und Mitsingern.) Bei den letzten Reichstagswahlen ist die NSDAP zur stärksten Fraktion aufgestiegen. Aber das ist nicht die Freiheit, die der Onkel meint, und er will auch nicht das Lied derer singen, deren Brot er da kostenlos essen könnte, sondern er will es sich selber verdienen. Er will auswandern. Nach Bolivien. Dort soll es noch Arbeit und Brot geben für Leute, die bereit sind, mit anzupacken. Zum Beispiel bei der Urbarmachung des Urwalds, im Gran Chaco, oder auch bei den Ölbohrungen, die dort bald beginnen sollen.

Aber dann kommen schlechte Nachrichten: Im Gran Chaco ist doch noch ein richtiger Krieg ausgebrochen, zwischen Bolivien und Paraguay. Die Berichte sind Grauen erregend: Barfüßige, zerlumpte Soldaten vegetieren im Urwald vor sich hin, verrecken mehr an Hunger und Seuchen als an Kampfhandlungen. Das kennt Onkel Berni alles schon, er hat vier Jahre in Frankreich im Schützengraben hinter sich. Lieber hungrig im Frieden als satt im Krieg, denkt er. Und dann kommt doch noch eine gute Nachricht: Bei den letzten Reichstagswahlen - es wird jetzt alle paar Monate gewählt, der Onkel geht schon gar nicht mehr hin, zumal an den Wahlurnen und auf dem Weg dorthin gerempelt und geprügelt wird - ist der Stimmenanteil der NSDAP spürbar gesunken. Na also, es wird nicht alles so heiß gegessen wie es gekocht wird. Onkel Berni packt seinen Seesack wieder aus und bleibt zuhause. Davon kann ihn auch der Vertreter eines obskuren Vereins nicht abbringen, der sich die "Wiedergewinnung der deutschen Kolonien" zum Ziel gesetzt hat: "Wenn wir erst all unsere schönen Schutzgebiete zurück haben, Kamerun und Togo, Ost- und Südwestafrika, dann werden dort Leute wie Sie sicher gebraucht..." - "Sicher," meint der Onkel und komplimentiert den Kerl zur Tür hinaus. Er ist nur ein einfacher Mensch und nicht so gebildet wie der Herr Vereinsvorsitzende, seines Zeichens Professor für "Geopolitik" (was immer das genau sein soll); aber irgendwie hat er schon begriffen, daß ein Europäer in jenen Ländern nicht dauerhaft leben kann, und daß die "Wiedergewinnung" im Zweifel nicht dazu führen würde, daß der "deutsche Lebensraum", wie das jetzt genannt wird, sich vergrößert, sondern ganz im Gegenteil dazu, daß er sich verringert, weil früher und später all die Überschüssigen der Kolonialvölker nach Deutschland strömen würden, wie in die "Mutterländer" der anderen großen "Kolonialreiche" England und Frankreich - er hat lange genug gegen farbige Hilfstruppen der Entente gekämpft, er weiß Bescheid. (Daß die Afrikaner zwei Generationen später auch so nach Deutschland kommen werden, ohne Kolonialvölker zu sein, ahnt er nicht. Aber das ist eine andere Geschichte, die ihn nicht mehr betreffen wird.) Sein jüngster Vetter Urs (Dikigoros' Vater) und seine Freunde haben irgendwie schon Recht, wenn sie in ihrem kindlichen Leichtsinn dem Lied von den alten Germanen (das übrigen auf eine Melodie gesungen wurde, über die Dikigoros an anderer Stelle mehr schreibt) eine sarkastische letzte Strofe anfügten:

Die Negerlein in Afrika,
Sie rufen all' zugleich:
Wir wollen deutsche Neger sein,
Wir wollen heim ins Reich...

Andere Nachdichter sollten es noch bunter treiben; aber lange werden sie das allesamt nicht mehr ungestraft singen dürfen, denn bald wird ihr Verein von den Nazis "gleich geschaltet" und von der HJ geschluckt werden, dann ist Schluß mit solch "defätistischem Liedgut", dann singen sie nur noch "politisch korrekt" (obwohl es diesen Ausdruck damals noch nicht gab und sich die Vorstellungen von "political correctness" von den heutigen diametral unterschieden :-), z.B. das "Bananenlied", pardon, das "Lied der Deutschen jenseits der Meere" von Felix Dahn:

Noch ward die Welt nicht ganz vertheilt!
Noch manche Flur auf Erden
Harrt gleich der Braut, die Hochzeit eilt!
Des Starken will sie werden.
Noch manches Eiland lockt und lauscht
Aus Palmen und Bananen
Der Seewind braust, die Woge rauscht,
Auf, freudige Germanen!

* * * * *

Sieben Jahre später. Der Chaco-Krieg ist seit vier Jahren beendet, und seit einem Jahr gibt es sogar einen Friedensvertrag. (Damals wundert man sich noch, daß es so lange dauert zwischen Waffenstillstand und Friedensschluß. Daß es irgendwann mal Kriege geben könnte ohne Friedensvertrag, kann man sich kaum vorstellen.) Paraguay hat gewonnen, denn im dichten Dschungel halfen den Bolivianern französische Panzer, englische Flugzeuge und preußische Generäle nichts, die Guaraní-Indios kamen im Urwald besser zurecht, auch wenn sie barfüßig und nur mit Schwertern, pardon Macheten bewaffnet waren, die sie aus Pflugscharen und Sicheln geschmiedet hatten. Aber man war großzügig, hat den Chaco nicht ganz annektiert, sondern Bolivien (das seinen Pazifik-Zugang vor einem halben Jahrhundert leichtfertig in einem Krieg gegen Chile verspielt hatte - aber das ist eine andere Geschichte) ein paar Zipfel im Westen gelassen, ihm sogar freie Schiffahrt vom Pilcomayo über den Paraguay-Fluß zum Paraná gewährt, und somit Zugang zum Atlantik über den Río de la Plata. Wie dem auch sei, Dikigoros' Onkel trauert Bolivien nicht sonderlich nach. Denn die sieben Jahre sind, verglichen mit dem, was vorher war, sieben fette Jahre gewesen. Niemand muß mehr hungern in Deutschland oder unter der Brücke schlafen (das ist jetzt sogar verboten), und diese ständigen Wahlkämpfe und Schlägereien auf den Straßen haben auch endlich aufgehört. Dafür sieht man schon über vieles hinweg. Onkel Berni hat Arbeit in einer großen Schreinerei in Hamburg gefunden, einem Zulieferbetrieb für den Schiffsbau, der plötzlich wieder bloomt, pardon boomt, und weiß: wo gehobelt wird fallen Späne. Er würde auch gerne mal auf einem dieser schönen, großen Kdf-Schiffe verreisen, aber er ist ja nicht in der Partei, also fahren erstmal andere. In Dikigoros' Familie - jedenfalls in der Großväter-Generation - glauben fast alle noch fest an Gott, Kaiser und Vaterland; diese komischen Nazis können ja nicht ewig an der Macht bleiben; irgendwann wird doch sicher Seine Majestät der Kaiser zurück kehren, der zur Zeit noch als Privatmann im holländischen Exil weilt, und wieder den Thron besteigen, oder jedenfalls sein Sohn, ein hoher SA-Führer. Wie dem auch sei: Dikigoros' Onkel hat offenbar alles richtig gemacht, als er damals nicht nach Bolivien ausgewandert ist, um dort nicht in jenen furchtbaren Krieg zu geraten, sondern zuhause geblieben ist; denn in Europa herrscht tiefster Friede, das soll kürzlich sogar der englische Premierminister gesagt haben, nach einem Besuch in München (aber nach einem Besuch in Hamburg hätte er sicher nichts anderes gesagt): "Friede für unser Zeitalter", und die Menschen glauben ihm, wollen ihm glauben. Na, und was die Reise anbelangt, die wird man schon irgendwann nachholen können...

Und tatsächlich, bald ist es soweit, daß Onkel Berni eine Einladung bekommt, zusammen mit einem Reisegutschein: Gen Osten soll die Fahrt gehen, ganz auf Staatskosten, zusammen mit vielen anderen Volks- und Leidensgenossen, und niemand fragt mehr, ob man auch Parteigenosse ist oder nicht. Die Regierung stellt dem Onkel sogar ein eigenes Pferd zur Verfügung! Das ist zwar nicht mehr ganz zeitgemäß, andere dürfen schon auf diesen schicken, neuen, geländegängigen Kettenfahrzeugen reisen; aber Onkel Berni beneidet sie nicht, zumal wieder andere Mitreisende noch auf Schusters Rappen wandern müssen, wie er selber 25 Jahre zuvor. Und nach getaner Reise, so wird ihm versprochen, soll er sogar ein eigenes Stück Land im Osten bekommen, zur Urbarmachung, viel besser als das im Urwald des Gran Chaco. Na also, denkt der Onkel, wieder alles richtig gemacht. Aber auch hier ist "verreisen" vielleicht nicht ganz das richtige Wort, denn Onkel Berni kehrt - wie so viele - von dieser Reise nicht zurück. Ob er wirklich alles richtig gemacht hat?

* * * * *

Dikigoros lernt seinen Onkel Berni nicht mehr kennen; er hört das alles - nein, nicht alles, nur die Lebensgeschichte seines Onkels, nicht die Vorgeschichte - bloß von seinen Großeltern; und über Danzig hört er nur von seinem Vater, der es noch in den letzten Tagen als deutsche Stadt kennen lernte, als er Anfang 1945 aus der "Festung Kurland" heim ins Reich kehrte, schon ziemlich gegen Ende der zweiten großen Weltreise des 20. Jahrhunderts (aber das ist eine andere Geschichte). Doch als in der Schule - war es im Geschichts- oder im Erdkunde-Unterricht? - die Rede kommt auf diese Fußnote der Weltgeschichte, den Chaco-Krieg, spitzt er doch ausnahmsweise mal die Ohren, was der alte, weißhaarige Oberstudienrat (der beide Fächer unterrichtet und sie, ganz im Stil der alten "Geopolitiker", oft vermischt) da erzählt: "Irgendwelche Ölkonzerne hatten gedacht, im Chaco gäbe es Erdöl, deshalb sind 1932-35 viele Tausend Menschen gefallen, und alles umsonst, denn hinterher stellte sich heraus, daß es dort gar kein Erdöl gab. So ein sinnloser Krieg." Wie schön, denkt Dikigoros, daß andere Kriege so viel sinnvoller sind... "1938 wurde offiziell ein Friedensvertrag unterzeichnet, und der größte Teil des Chacos, der Gran Chaco, fiel an Paraguay." Die Menschen fallen, der Chaco fiel, klingt es Dikigoros in den Ohren nach. Die Pausenglocke klingelt, der nikotinsüchtige alte Oberstudienrat zündet sich mit zitternden, gelben Fingern seinen Glimmstengel an und entfleucht, noch bevor ihn Dikigoros etwas genauer befragen kann, wie das damals genau war.

47 Jahre später. Dikigoros verreist, und diesmal ist es wirklich eine Urlaubsreise, nach Südamerika. In einem alten Propellerflugzeug fliegt er langsam von Bolivien nach Paraguay, im Tiefflug über den Gran Chaco. "Wie merken wir denn, wenn wir über die Grenze kommen?" fragt er den neben ihm sitzenden amerikanischen Entwicklungshelfer. "Das werden Sie schon merken, schauen Sie nur schön weiter aus dem Fenster," sagt der. Dikigoros gähnt: unentwirrbares grünes Einerlei dehnt sich unter ihnen aus. Da, plötzlich bricht es ab, und statt dessen erscheinen, wie mit dem Lineal gezogen, säuberlich bebaute Äcker und Gärten. "Sehen Sie, das ist die Grenze," sagt der Nachbar. Dikigoros ist verblüfft. "Deutsche Mennoniten," fährt der Nachbar fort, "die hat man hier angesiedelt, die haben das aus dem Urwald geschaffen." Donnerwetter denkt Dikigoros, der von Paraguay sonst nur die Pampelmusen-Allee in Asunción und die leckeren Wiener Schnitzel ("Milanesas") in Erinnerung behält, dann war das vielleicht gar kein so sinnloser Krieg? Er scheint sich doch irgendwie gelohnt zu haben, oder? Haben nicht diejenigen Menschen ein Recht auf ein Land, die daraus etwas machen, während die, denen sie es weggenommen haben, es hätten verkommen lassen? Haben nicht die Israelis aus der Wüste des östlichen Negev einen Garten Eden gemacht? Und sind sie nicht dabei, im westlichen Negev das gleiche zu schaffen? Rechtfertigt das nicht ihre Eroberung von 1967? Bald darauf gibt Israel die Sinai-Halbinsel mit dem westlichen Negev zurück an die Ägypter, die Gärten werden wieder zur Wüste, aber Dikigoros ficht das nicht weiter an: In seiner Erinnerung bleibt der Chaco-Krieg als sinnvoller Krieg stehen.

* * * * *

68 Jahre später. Dikigoros verreist wieder. In ein kleines Kaff am Rhein, zu einem Senioren-Sportfest. Der Wettkampf verläuft nicht zu seiner Zufriedenheit, und der Zug, der ihn abends nach Hause bringen soll, hat schon 30 Minuten Verspätung. Armes Deutschland. Dikigoros läuft schlecht gelaunt am Bahnsteig auf und ab wie der Tiger im Käfig, damit seine Muskulatur nicht auskühlt. Außer ihm wartet nur ein alter, weißhaariger Mann. Als er sich schließlich neben ihn setzt, fragt der, in einem Dialekt, der Dikigoros ostpreußisch dünkt: "Wieviele Jahre schenken Sie mir?" Merkwürdige Ausdrucksweise. "Ich kann Ihnen gar keine Jahre schenken." - "Sie haben Recht, das kann nur Gott. Aber für wie alt halten Sie mich?" Dikigoros ist nicht in der Stimmung, Komplimente zu verteilen: "Im Sitzen kann ich das schlecht sagen; stehen Sie mal auf und gehen Sie ein paar Schritte. Der Alte tut es, leicht gebeugt. Wieder so ein unsportlicher Knülch, der mit Mitte 60 glaubt, die Leute hielten ihn für Mitte 30, denkt Dikigoros (der findet, daß nur ihm solche Verjüngungs-Erscheinungen zustehen :-) und sagt gnadenlos: "Ende 60." - "Ich stehe im 87. Lebensjahr," sagt der Alte und erzählt Dikigoros seine Lebensgeschichte, in altertümelndem, aber (langsam) fließendem Deutsch: Seine Vorfahren wurden in Deutschland verfolgt wegen ihres Glaubens, wanderten unter Katharina der Großen nach Rußland aus. Im Ersten Weltkrieg wurden sie in Rußland verfolgt wegen ihrer Nationalität und enteignet - immerhin waren sie so keine Kulaken mehr und entgingen Stalins "Säuberungen" in der Zwischenkriegszeit. Im Zweiten Weltkrieg wurden sie nach Kazakhstan zwangsumgesiedelt. Mit 65 durfte er die Sowjetunion verlassen. Er ging nach Paraguay. "Sie sind Mennonit?" unterbricht ihn Dikigoros. "Meine Eltern waren Mennoniten; ich bin konvertiert, da ich eine Baptistin geheiratet habe." Er half mit beim Aufbau des Gran Chaco, aber als er nicht mehr konnte, mit 79, wollte ihn dort niemand mehr mit durchfüttern - soviel lohnte es denn doch nicht, in einem armen Land Feld- und Gartenbau zu betreiben. Und eine Rente für ihn gab es schon gar nicht - wie wäre Paraguay dazu gekommen, jemandem eine Rente zu zahlen, bloß weil er als alter Mann noch ein paar Jahre mit im Garten herum gepusselt hatte? Und wer sonst hätte ihm eine Rente zahlen sollen? Die Sowjetunion war gerade untergegangen, und der russische Rubel war nichts mehr wert. Aber die Bundesrepublik zahlte, nicht nur die Rente, sondern auch die kostspieligen Krebs-Operationen, die er in festem Glauben an Gott überstand, und all das andere, was man heute "versicherungsfremde Leistungen" nennt. Der Alte ist der Bundesrepublik dankbar, daß er hier seinen Lebensabend verbringen darf, wenngleich ihn etwas stört in Deutschland: Die vielen Ausländer, besonders die jungen Russen, die sich weigern, Deutsch zu lernen, geschweige denn es zu sprechen, und auf ihren Handy's als Jingle die alte sowjetische Nationalhymne einprogrammiert haben. Tja, denkt Dikigoros, dieser Staat gibt eben noch viel mehr Geld aus für Leute, die es noch viel weniger "verdient" haben als dieser alte Mann - dem er die letzten paar Jahre in Wohlstand von Herzen gönnt. Die BRD hat über zwei Millionen Russen ins Land geholt, die vorgaben, deutsche oder jüdische Vorfahren zu haben. Selbst wenn dem so wäre: die meisten von ihnen sprechen kein Wort Deutsch oder Jiddisch, und die wenigsten haben die Bibel gelesen oder den Talmud. Da kommt es auf die 200.000 Mennoniten aus Rußland und Paraguay nun wahrlich nicht mehr an, die wenigstens ihr Deutschtum bewahrt haben und eine Sprache sprechen, mit der sie sich in Deutschland noch halbwegs verständigen können.

Aber Dikigoros fragt sich, ob der Chaco-Krieg wirklich ein sinnvoller Krieg war, den zu führen es sich lohnte, wenn das das Resultat ist. Und er fragt sich, welchen Sinn es gemacht hat, vor dem Krieg davon zu laufen, fünf Jahrhunderte lang, um die ganze Welt, um überall für andere mit fleißigen Händen etwas aufzubauen, was einem nie gedankt und irgendwann doch wieder mit dem Schwert zerstört wurde, nur um am Ende der Reise wieder in dem Land anzukommen, das man einst geflohen hatte, weil man keinen Kriegsdienst leisten wollte, und nun von denen, für die man weder gekämpft noch gearbeitet hat - obwohl es Kämpfe und Arbeit genug gab -, seinen Lebensunterhalt gnadenhalber geschenkt zu bekommen. Dann setzt er sich an den Computer und schreibt dieses Erlebnis nieder, aus dem später das erste Kapitel seiner "Reisen durch die Vergangenheit" werden soll. [Nachtrag. Wie sieht Dikigoros das heute, da er viele Jahre älter - und hoffentlich auch klüger - geworden ist? Inzwischen glaubt er, daß man das, woran man glaubt - nicht nur seinen "religiösen" Glauben - verteidigen, also darum kämpfen darf und muß. Ob man dafür zum Schwert greifen soll oder nicht ist weniger eine moralische als vielmehr eine taktische Frage: Wenn es Aussicht auf Erfolg hat, soll man sich auch mit dem Schwert verteidigen, sonst nicht. Aber was soll man sonst tun? Sich unterwerfen und seinen Glauben aufgeben? Nicht, wenn es Alternativen gibt; und wenn die einzige Alternative darin besteht, auszuwandern, soll man versuchen, sie zu ergreifen - wobei man sich freilich im klaren sein muß, daß das sogar mühsamer und gefährlicher sein kann als der Kampf mit dem Schwert: Die Heimat äußerlich zu verlassen und sie doch innerlich mitzunehmen, das haben bisher nur ganz wenige Völker geschafft, u.a. jenes, das von Profeten wie Micha und Joel beraten war - um welchen Preis, ist bekannt. Aber das ist Geschichte; die Juden sind - wie die Mennoniten - wieder in ihre Heimat zurück gekehrt, und im Gegensatz zu den letzteren haben sie nicht nur Pflugscharen, sondern auch Schwerter mit gebracht, und wissen beide virtuos zu handhaben. Fällt Dikigoros denn kein konkretes Beispiel aus der Gegenwart ein? Oh doch - bleiben wir gleich im Nahen Osten: Dort hat eine Glaubensgemeinschaft zum Schwert gegriffen - und nicht nur zum Schwert, sondern auch zu Flugzeugen und Bomben -, um sich die Welt untertan zu machen; und wir müssen nun entscheiden, ob wir das Wort Christi wahr machen wollen und sie durch das Schwert - und nicht nur durch das Schwert - umkommen lassen, solange wir dazu noch in der Lage sind: Erst wenn der verfluchte Islam vom Antlitz der Erde vertilgt ist - und das bedeutet im Not(wehr)fall die fysische Auslöschung aller seiner Träger - wird der Rest der Welt endlich in Frieden leben können, die Juden, die Christen, die Hindus und alle anderen Nicht-Muslime (vielleicht nicht in Frieden miteinander - diesen naïven Glauben so vieler Politnarren von heute hat Dikigoros längst aufgegeben -, aber wenigstens in Frieden nebeneinander). Dikigoros hofft inständig, daß er diesen Frieden noch mit erleben wird. Nachtrag Ende.]

* * * * *

Wieder ein paar Jahre später wird im Chaco doch noch etwas gefunden: zwar kein Erdöl, aber immerhin Erdgas, und zwar just in dem kleinen Zipfel südwestlich des Pilcomayo, den die Paraguayer den Bolivianern damals gelassen haben! Es ist einer der vielen Treppenwitze der Weltgeschichte: Da haben sie nun um den größten Teil des Urwalds Jahre lang Krieg geführt und ihn von den Mennoniten in noch längeren Jahren mühsam kultivieren lassen, mit anderen Worten: massenhaft Blut, Schweiß und Tränen vergossen, und das ist nun alles nichts mehr wert, denn die Pflugschar ernährt ihren Mann nicht mehr, geschweige denn seine Eltern auf dem Altenteil - die schiebt man also nach Deutschland ab. Die faulen Banden aber, die zufällig im Urwald hausen, wo es Erdgas gibt, oder in der Wüste, wo es Erdöl gibt, die sind fein heraus - sie können wieder ausländische Dummköpfe ins Land locken (nein, diesmal keine Mennoniten, die fallen nicht noch einmal darauf herein), die ihre Arbeitskraft und ihr Kapital in die Förderung dieser Bodenschätze stecken, um sie nachher gewaltsam zu enteignen, wie es gerade in Lateinamerika - aber auch im Nahen Osten - schon so oft geschehen ist? Nur Gegengewalt, mit anderen Worten Krieg, könnte das verhindern. Sind Kriege wirklich immer sinnlos und ungerecht? Oder gibt es nicht doch auch so etwas wie ein moralisches Recht, ja sogar eine Pflicht gegenüber den eigenen Nachkommen, das zu verteidigen, was man selber aufgebaut hat und jene zu vertreiben, die es einem abnehmen wollen (oder schon abgenommen haben), um es zu Unrecht zu besitzen und verkommen zu lassen, so daß es am Ende nicht nur ihnen, sondern auch anderen nichts mehr nützt? Und zwar möglichst bald, bevor jene Schmarotzer die Pflugscharen und Sicheln, die ihnen naïve Entwicklungshelfer großzügig geschenkt haben, zu Schwertern und Spießen umschmieden (bildlich gesprochen - in der Praxis würde das natürlich heute heißen: Petrodollars in Panzer, Flugzeuge und anderes Kriegsgerät investieren), um das in ihren Klauen fest zu halten, was sie ihren Wohltätern einst entrissen?

[Schwerter-Denkmal bei Stavanger] [Denkmal der Siegesgöttin in Warschau]
[Denkmal in Kiew]

Heute stehen in einigen Staaten Europas - vor allem solchen, die sich dort breit gemacht haben, wo früher Mennoniten lebten, wie Polen und der Ukraïne - wieder pompöse Denkmäler auf Schwerter und auf die, die sie führ[t]en. Ja, die Schwerter, mit denen man ihnen das abnahm, was sie und ihre Vorfahren einst friedlich aufbauten, stehen dort wieder hoch in Ehren; die Pflugscharen aber sind verrostet.

[verrostete Pflugschar]

Nachtrag 2005: Siebzig Jahre nach dem Friedenschluß im Chaco-Krieg ergreift in Bolivien ein indianischer Guerillero die Macht und gräbt das Kriegsbeil wieder aus - nicht in Form von Schwertern, sondern von Paragrafen: Er enteignet alle ausländischen Investoren - überwiegend jüdische Firmen aus den USA -, die dumm genug waren, um in den letzten Jahren insgesamt 3,5 Mrd. US-$ in die Gasförderung zu stecken. Niemand wagt, darob einen Krieg zu führen, denn "wir" - die Westler - sind ja sooo friedfertig. Auch das Volk von Bolivien wagt nicht, gegen diesen Irrsinn aufzustehen, obwohl jeder weiß - oder wissen müßte -, daß, um die Gasfelder richtig zu nutzen, noch weitere 10 Mrd. US-$ ausländische Investitionen notwendig wären, die nun wohl ausbleiben werden - denn so dumm sind nicht mal die Gringos, daß sie dem schlechten Geld so viel gutes hinterher würfen. So werden die noch nichtmal halb fertigen Anlagen wohl langsam aber sicher verfallen. Zum Glück sind sie überwiegend aus rostfreiem Stahl; vielleicht wird sie irgendjemand doch einmal zu Schwertern umschmieden und damit die Indio-Völker Boliviens - die unfähig sind, das Gas selber zu fördern oder sinnvoll zu nutzen, wie die Muslime auf der arabischen Halbinsel unfähig sind, das Erdöl selber zu fördern oder sinnvoll zu nutzen, aber jedem Ärger machen, der sie nicht mit schmarotzen lassen will - zerstören, wie es einst die alt-testamentarischen Profeten rieten, mit den Feinden Israels zu tun?

weiter zu Der lange Marsch

zurück zu Gebt mir Eure Arme[e]n

heim zu Reisen durch die Vergangenheit