Kugelfisch und Kupfer-Kanyon
Die Ochsen von El Paso und
die Hasen von Chihuahua
Reisen durch Mexiko
EIN KAPITEL AUS DIKIGORIS' WEBSEITE
REISEN DURCH DIE VERGANGENHEIT
GESCHICHTEN AUS DER GESCHICHTE
Alex ist noch sehr jung, als er zum ersten Mal alleine ins Ausland reisen will. Nein, nicht wirklich zum ersten Mal, aber zum ersten Mal richtig, d.h. ohne Eltern, Großeltern oder gute Freunde der Familie. (Und Deutschlands Nachbarländer in Europa - Alex war schon mal mit Freunden in England und Frankreich - hat er ohnehin nie für richtiges "Ausland" gehalten; er fühlt sich - noch - als Europäer.) Eigentlich haben ihn immer alle für ein Muttersöhnchen gehalten, auch seine eigene Mutter, und so staunt sie nicht schlecht, als er ihr eines Tages, gerade mal 21 Jahre jung geworden und noch nicht mit der Handels-Akademie fertig, erklärt, er wolle um die Welt reisen und fremde, tropische Länder kennen lernen. Damals herrscht Krieg in Europa (und anderswo in der Welt), keine guten Zeiten, um auf naturwissenschaftliche Entdeckungs-Fahrten zu gehen, wie Alex das vor hat. Alex hat sein Leben lang ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern gehabt; es hat nie einen ernsthaften Streit gegeben, nicht einmal ernsthafte Meinungsverschiedenheiten. Wenn er eine Idee hatte, haben seine Eltern ihm nur selten abgeraten, und wenn sie es wirklich einmal taten, dann hat er immer akzeptiert, daß sie mehr Lebenserfahrung hatten als er selber und ist ihrem Rat gefolgt. (Macht einen das wirklich zum "Muttersöhnchen"?) Die meisten Entscheidungen in Erziehungsfragen hat der Vater ohnehin immer der Mutter überlassen, und die meint, praktisch denkend, daß es gescheiter ist, wenn ihr Sohn - wie schon sein äterer Bruder vor ihm - preußischer Beamter wird, statt in der Weltgeschichte herum zu gurken: "Bleibe zuhause und nähre dich redlich!" Basta, sagt die Frau Mama, und der Vater widerspricht nicht - ordentliche Elternpaare lassen vor ihren Kindern keine Meinungs-Verschiedenheiten durchblicken. Alex ist enttäuscht; aber er gehorcht und wird Beamter.
Als seine Mutter stirbt, quittiert Alex - er ist jetzt 27 - sofort den preußischen Staatsdienst und macht sein Erbteil zu Geld (90.000 Thaler, das entspricht knapp drei Millionen Weichmark nach der Währungs-Union von 1990 oder gut drei Millionen Teuro nach der Währungs-Reform von 2002), um eine Weltreise anzutreten. Sie soll ihn - wie damals immer noch üblich - nach Italien führen. Aber wenn daraus etwas geworden wäre, hätte Dikigoros darüber an anderer Stelle berichtet. Es wird also nichts, ebenso wenig aus einer geplanten Reise nach Ägypten - dort macht nämlich gerade ein anderer Reisender die Gegend unsicher. Was bleibt? Amerika natürlich. Der Ärger ist nur: Spanien verbietet grundsätzlich allen Ausländern die Einreise in seine Kolonien. (Ja, das waren sie damals noch, die Länder Lateinamerikas, das Vizekönigreich Neu-Spanien - zu dem noch ein gutes Drittel der heutigen USA gehörte -, das Vizekönigreich Neu-Granada, das Vizekönigreich Perú und das Vizekönigreich La Plata. Was, liebe Leser, findet Ihr das alles nicht auf der Landkarte? Schaut mal ins Lexikon oder in einen historischen Atlas!) Aber Alex, nicht faul, dringt bis zum König von Spanien persönlich vor und bekommt von ihm eine Sondergenehmigung: Er darf ins heutige Venezuela segeln, von dort ins heutige Ekuador und Perú und schließlich ins heutige Mexiko, das seine große Liebe wird. Seine Reise führt ihn von Acapulco am Pazifik über Mexico-Stadt im Hochland bis nach Veracruz am Atlantik. (Besonders gut gefällt es ihm in der Provinz Jalapa.) Über Kuba gelangt er schließlich in die Vereinigten Staaten, die den Franzosen gerade Louisiana abgekauft haben - das ehemals auch spanisch war. Insgesamt fünf Jahre ist Alex unterwegs. Wieder in Europa beginnt er sein Reisetagebuch auszuarbeiten - der erste der insgesamt 34 Bände wird sieben Jahre nach seiner Rückkehr fertig, der letzte nach 22 Jahren. (Dikigoros hat übrigens noch niemanden getroffen, der es ganz gelesen hat; ja, es gibt bis heute nicht mal eine vollständige Übersetzung ins Deutsche - das Original ist auf Französisch verfaßt. Dennoch - oder gerade deshalb? - gilt Alexander v. Humboldt bis heute als der bedeutendste Lateinamerika-Reisende aller Zeiten.) Aber so lange wollen wir uns denn doch nicht mit der Vorrede aufhalten, sondern gleich mal rund anderthalb Jahrhunderte überspringen.
Tarzan ist noch sehr jung, als er zum ersten Mal alleine ins Ausland reisen will. Nein, nicht wirklich zum ersten Mal, aber zum ersten Mal richtig, d.h. ohne Eltern, Großeltern oder Gast-Familie. (Und Deutschlands Nachbarländer in Europa - Tarzan war schon mal mit Freunden in Frankreich und England - hat er ohnehin nie für richtiges "Ausland" gehalten; er fühlt sich - noch - als "Europäer".) Eigentlich haben ihn immer alle für ein Muttersöhnchen gehalten, auch seine eigene Mutter, und so staunt sie nicht schlecht, als er sich eines Tages, gerade mal 18 Jahre jung geworden und noch nicht mit der Schule fertig, als Freiwilliger zur Bundeswehr meldet. Damals ist man mit 18 noch nicht volljährig, deshalb ist eine solche Meldung "schwebend unwirksam", wie der Jurist sagt, d.h. sie bedarf noch der genehmigenden Unterschrift der Erziehungsberechtigten, also seiner Eltern. Seine Mutter erinnert sich noch gut, als sie selber 18 war, da war Krieg, und sie saß als Wehrmachts-Helferin in Belgrad; und sein Vater lag in dem Alter in einem Lazarett in der Ukraine. Keine schönen Erinnerungen... Tarzan hat sein Leben lang ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern gehabt; es hat nie einen ernsthaften Streit gegeben, nicht einmal ernsthafte Meinungsverschiedenheiten: Wenn er eine Idee hatte, haben seine Eltern ihm nur selten abgeraten, und wenn sie es wirklich mal taten, dann hat er immer akzeptiert, daß sie mehr Lebenserfahrung hatten als er selber und ist ihrem Rat gefolgt. (Macht einen das wirklich zum "Muttersöhnchen"?) Die meisten Entscheidungen in Erziehungsfragen hat der Vater ohnehin immer der Mutter überlassen, wie sich das damals in einer traditionellen Hausfrauenehe gehörte: "Ich bin der Geldverdiener der Familie," pflegte Urs zu Grete zu sagen, "um den Haushalt und die Kinder kümmere du dich."
Und nun, nachdem sich die Parallelen zu Alexander von Humboldt erschöpft haben und Dikigoros nicht weiter abschreiben kann, was schon in den vorigen Absätzen steht, sitzen sie am Küchentisch und schweigen einander an. Im Grunde genommen halten es Tarzans Eltern für Zeitverschwendung, wenn ihr Sohn länger als unbedingt nötig zum "Bund" geht; zwar finden sie es auch nicht richtig, den Wehrdienst ganz zu verweigern, wie es gerade unter Oberschülern Mode geworden ist, aber... "Warum studierst du nicht Medizin, dann brauchst du nicht zum Militär?" fragt Grete, praktisch denkend. "Du weißt, daß ich kein Blut sehen kann; und ich will nicht mein Leben lang einen Beruf ausüben, vor dem ich mich ekele, bloß um mich vorm Bund zu drücken oder ein paar Mark mehr zu verdienen." - "Du kannst kein Blut sehen und willst Zeitsoldat werden? Wie paßt denn das zusammen?" - "Erstens haben schon im letzten Krieg die Zivilisten zuhause gefährlicher gelebt als die Soldaten an der Front. Zweitens glaube ich nicht, daß Deutschland zu meinen Lebzeiten nochmal Krieg führt. [So naïv konnte ein junger Mensch damals sein, der die Namen Schröder, Scharping und Fischer noch nicht gehört hatte, Anm. Dikigoros.] Und drittens kann man auch nach dem Medizin-Studium noch eingezogen werden." - "Aber wäre es nicht besser, wenn du, statt dich als Zeitsoldat zu verpflichten, einfach nur deine Zeit als Wehrpflichtiger abreißt, irgendwo in der Nähe, als Heimschläfer?" fragt Urs seinen Sohn. "Für vier Mark fünfzig Wehrsold am Tag?" fragt der zurück, "in irgend so einem Kaff in Deutschland? Als Zeitsoldat kann ich ins Ausland gehen, etwas von der Welt sehen, für gutes Geld." (Über 800.- DM betrug damals das Anfangsgehalt für einen Bundeswehr-Freiwilligen - viel Geld für einen Schüler, der 20.- DM Taschengeld gewohnt war.) "Also um ein paar Mark mehr zu verdienen?" - "Es ist immerhin mehr als ein fertiger Mediziner bekommt, wenn er nach dem Studium doch noch als wehrpflichtiger Stabsarzt eingezogen wird. Aber das ist es nicht alleine; nach 13 Jahren brauche ich einfach mal eine Pause, bevor ich an der Uni weiter büffele." (Tarzan ist die Schule - von Sprachen und musischen Fächern mal abgesehen - schwerer gefallen als seine Zeugnis-Noten es auf dem Papier glauben machen und als seine Eltern es wahr haben wollen.) "Nun unterschreib' schon," sagt Helli, Tarzans kleine Schwester, zu ihrem Vater, "wenn ich ein Junge wäre würde ich mich auch für länger verpflichten." (Bis sie 18 ist, wird man in dem Alter schon volljährig; aber Frauen nimmt die Bundeswehr da noch lange nicht.) Urs, der selber Reserve-Offizier ist, jedes Jahr auf Wehrübung geht und den Laden ziemlich gut kennt, denkt sich sein Teil: "Du wirst dich noch umsehen," meint er; aber er unterschreibt, und Grete tut schweigend ein gleiches - ordentliche Elternpaare lassen vor ihren Kindern keine Meinungsverschiedenheiten durchblicken; aber insgeheim ist sie enttäuscht von ihrem Sohn: War das nicht immer so ein braves, friedfertiges Kind, das Sprachen lernte, Klavier und Schach spielte und Sport trieb? Was will der beim Barras?
Das fragt ihn auch der "Diplom-Psychologe" genannte Mensch bei der Freiwilligen-Annahmestelle. "Geld verdienen," sagt Tarzan mit entwaffnender Ehrlichkeit. Ein Arzt checkt ihn oberflächlich durch, ein Bürohengst schaut sich sein letztes Schulzeugnis an, und ein paar Wochen später bekommt er einen Schrieb, daß er vorbehaltlich noch zu bestehender Reifeprüfung als Zeitsoldat angenommen wird. Wann kann man einem Menschen die "Reife" bescheinigen? Wenn er Ovid übersetzen kann? Wenn er weiß, wie man eine Tangente berechnet? Wenn er einen Aufschwung am Reck hin bekommt? Und Reife wozu? Um Porno-Filme anzuschauen? Ja. Um zu heiraten? Nein. Um hochprozentigen Alkohol ausgeschenkt zu bekommen? Ja. Um zu wählen? Nein. Um den Heldentod fürs Vaterland zu sterben? Ja. Aber das sind ja alles gar keine Fragen der Reife, sondern der Volljährigkeit; und da Tarzan wie gesagt noch nicht volljährig ist, macht er sich darüber weiter keine Gedanken, sondern erstmal sein Abitur. Bei der Abschlußfeier hält der Schulleiter, Oberstudiendirektor Dr. M., eine salbungsvolle Rede, daß nun der Ernst des Lebens beginne, blablabla...
Zwei Wochen später ist Tarzan Soldat, und knapp sieben Monate später steht er in der Wüste von Texas wie bestellt und nicht abgeholt. (Wird er dann aber doch, von seinen Kameraden "Lobo" und "Yogi".) Und noch ein paar Wochen später hat er sich schon recht gut eingelebt in dem kleinen "Fort Bliss [Fort des Heils]" in der Nähe der Doppel-Stadt am Dreiländer-Eck von New Mexico, Texas und Chihuahua. Nördlich des "Rio Grande" (der so groß nun auch wieder nicht ist, aber als Grenzfluß natürlich große Bedeutung hat), also in den USA, heißt sie "El Paso [der Übergang]", weil man dort früher mit den in Texas geklauten Ochsen über die Grenze ging, um sie dort ungestraft zu verkaufen; südlich davon, also in Mexiko, heißt sie "Ciudad Juárez", nach einem mexikanischen Rechtsanwalt, Revoluzzer und Politiker des 19. Jahrhunderts, auf den sich die mexikanischen Politiker der Gegenwart aus unerfindlichen Gründen noch immer als ihren geistigen Urgroßvater berufen. (Nicht nur die: Als Benito Juárez García 1872 stirbt, ist er bei Sozialisten in aller Welt sehr populär, auch in Italien; und als dem Ehepaar Mussolini aus Predappio in Forlì elf Jahre später ein Sohn geboren wird, geben sie ihm den Vornamen ihres großen Vorbilds - aber das ist eine andere Geschichte. Das hat sich Dikigoros übrigens nicht einfach so ausgedacht, sondern dieser Zusammenhang ist sozusagen amtlich; die Mussolinis haben nie einen Hehl aus dem Motiv für diese Namensgebung gemacht.)
Es lebt sich gut als deutscher Soldat an der Raketenschule der Luftwaffe in Fort Bliss: Der Dienst ist leicht und endet um 16 Uhr (Freitags um 15 Uhr, aber es gilt als Ehrensache, noch eine Stunde länger da zu bleiben und sich gemeinsam zu besaufen, das fördert die Kameradschaft und das Betriebsklima); jeder, der "on post", d.h. in der Kaserne wohnt, hat ein ganzes 8-Mann-Zimmer für sich alleine als - nie inspizierte - Privatwohnung; und die Verpflegung - die Deutschen essen bei der U.S. Army mit - ist hervorragend, viel besser als zuhause bei der Bundeswehr. Eigentlich gibt es nur ein echtes Problem: Wohin mit dem vielen Urlaub, der fast doppelt so lang bemessen ist wie in Deutschland? Die Berufs- und die länger dienenden Zeit-Soldaten bekommen "Heimat-Urlaub", d.h. Freiflüge nach Deutschland - und wer läßt die schon verfallen? Von denen, die es tun, bereisen die älteren und besser verdienenden, die zumeist ihre Familien bei sich haben, die USA, irgendwo zwischen Kalifornien und Florida (Tarzan wird erst später lernen, daß man das auch mit weniger Geld ganz gut bewerkstelligen kann), die jüngeren, die weniger Gehalt bekommen, das ungleich billigere Mexiko. Wenn es junge Lehrgangs-Teilnehmer sind, die nur ein paar Wochen vor Ort sind, beschränkt sich das meist auf einen verlängerten Wochenend-Ausflug in die Bars von Ciudad Juárez - dort betreibt damals noch das legendäre Puffmuttchen "Mamacita" ihren "Club René", wo der Rum billig und die Mädchen willig sind.
Sie macht meist selber den Türsteher, in einem echten Bundeswehr-Parka mit den Rangabzeichen eines Vizefeldwebels, der jetzt "Stabsunteroffizier" - Übersetzung des amerikanischen "Staff Sergeant" ins Lübke-Deutsch - genannt wird, auch wenn er weder beim Stab ist noch mit Stäbchen ißt. Das Stammpersonal vom Stab der RakSLw ("Rack-Äßällweeh" - so wird die Raketenschule der Luftwaffe von ihren Angehörigen intern genannt, getreu dem BwAkf - dem Bundeswehr-Abkürzungsfimmel; die Amerikaner dagegen denken gar nicht daran, die German Air Force Air Defense School, wie sie in der offiziellen Übersetzung heißt, "GAFADS" zu nennen - sie sagen einfach "the Jerries") fühlt sich meistenteils über so popelige Vergnügungen erhaben. Man fährt zwar auch mal über den Rio Grande (es gibt da eine richtige Autobahn-Brücke, die dem amerikanischen Namen Highway - Hochweg - alle Ehre macht), aber nicht um bei "Mamacita" einzukehren - das ist doch etwas für Muttersöhnchen, wie schon der Name sagt; richtige Männer gehen ins "La Cueva" [von den Amerikanern "The Cave", von den Deutschen "Die Grotte" genannt - was genau genommen nicht ganz korrekt ist, denn das wäre "La Gruta" bzw. "The Grotto" -, richtig wäre "Die Höhle", und das soll es auch darstellen, nämlich eine unterirdische Tropfsteinhöhle mit künstlichen Stalaktitten, pardon, die sind damals noch echt, mit künstlichen Stalaktiten muß es heißen], das aus unerfindlichen Gründen als "besonders verrucht" gilt, obwohl die Läden eigentlich allesamt recht harmlos sind, jedenfalls nach heutigen Maßstäben: Es wird geraucht und getrunken, manchmal auch gesungen, und die Mädchen tanzen und strippen, und wenn man will, kann man auch mit ihnen aufs Zimmer gehen (si no, no) - weiter passiert nichts.
Ansonsten fährt man aus ganz anderen, praktischen Gründen ins billige Mexiko, z.B. um zum Frisör zu gehen oder Speisen und Getränke einzukaufen. Damals haben die Mexikaner noch ihre eigene Küche; sie würden "Hamburguesa" für eine Frau aus Hamburg halten und "Perro Caliente" (auf Neu-Deutsch: "Hot Dog") für einen läufigen Hund; zwar kennen sie schon "Palomitas"; aber immerhin haben sie dem Puff-Mais einen eigenen Namen gegeben, dazu noch einen originellen (wörtlich: "gebratene Täubchen"), nicht wie die einfallslosen Deutschen, die einfach das amerikanische "Pop Corn" übernommen haben. Heute kennt ja jeder bei uns "Chili con carne" aus der Blechdose (freilich ohne Chili-Pfeffer und ohne Carne [Fleisch], sondern meist nur aus dicken Bohnen und Tomatenpampe bestehend, durch die bestenfalls mal kurz eine Avocado-Schote geschwommen ist - aber das ist eine andere Geschichte) und "Tortillas" aus der Plastiktüte; auch einige Tortilla-Varianten wie "Burritos" (Eselchen), "Tacos" oder "Enchiladas" hat mancher vielleicht schon als Tourist kennen gelernt; und Avocados - das mexikanische National-Obst und -Gemüse in einem - und Papayas gibt es heute auf jedem deutschen Wochenmarkt. Aber für Tarzan ist das damals alles noch neu, so neu wie heute für die meisten Nicht-Mexikaner "Atoles", "Chilaquiles", "Panuchos", "Papatzul", "Quesadillas", "Sopes", "Tamales", "Tostadas", "Chiles en Nogada" oder "Mole Poblano". Dem unbedarften Leser mag genügen, daß vorletzteres mit Schlagsahne, Zwiebeln, Knoblauch, Zimt, Nelken, Nüssen oder Mandeln gefüllte und in Essig geschmorte Pfefferschoten sind und letzteres gebratener Puter mit einer Sauce aus Pfefferschoten, Kakao, Zimt, Nelken, Rosinen, Mandeln und Sesam. (Wahrscheinlich hält er das eh für pervers und will die übrigen Rezepte gar nicht mehr erfahren. Wie heißt es auf Spanisch: "Sobre los gustos no se disputa - pero hay algunos que merecen palos [Über Geschmäcker streitet man nicht - aber es gibt welche, die verdienen Prügel].")
Das jeweils einzige Zugeständnis, das die U.S. Army der mexikanischen Küche macht, sind zum Frühstück Omeletts mit klein gehackten Pfefferschoten (freilich nur auf ausdrücklichen Wunsch und nach eingehender Belehrung über die möglichen Folgen durch den Küchen-Sergeanten - den einige Deutsche abfällig als "Rührei-Neger" bezeichnen, auch wenn ein Weißer Dienst tut; das sind meist die, die jeden Morgen Rührei essen, weil "scrambled eggs" das einzige ist, was sie im Wörterbuch gefunden haben - zu fragen, was "sunny side up" oder "easy over" bedeutet, wäre ihnen peinlich - und die den Speisesaal hartnäckig "Tischbein-hall" nennen, weil sie "Fishbein-hall" für einen Schreibfehler halten, denn von ihrem Namensgeber, dem Juden Moritz Fischbein alias "Morris Fishbein", haben sie noch nie gehört - und auch danach zu fragen wäre ihnen peinlich) und zum Mittagessen "Spanish Rice (Spanischer Reis)", wie die spanische "Paella" eine abgemilderte - also nur schwach gepfefferte - Version des mexikanischen "Arroz Verde (Grüner Reis)". Tarzan lernt, daß das, was die Deutschen "Chili"- oder "Cayenne"-Pfeffer nennen, gar nicht aus Chile oder aus Guayana kommt, wie die Namen vermuten lassen, sondern aus der mexikanischen Provinz Jalapa - Náhuatl für "Sandwasser" - und deshalb in Mexiko "Jalapeño" genannt wird. (Auch Tabasco ist eine mexikanische Provinz, nach der das gleichnamige Flüssig-Pfeffer-Gewürz heißt, das freilich nicht annähernd so gut schmeckt wie frische Pfefferschoten.) Doch es muß ja gar nicht so ausgefallen sein: In den USA gibt es bis heute kein ordentliches Brot - wohl aber in Mexiko. (Was übrigens ein spanisches Erbe ist; die Indios buken allenfalls "Arepa", aus Maismehl.) Und wenn man die ewige Cola leid ist, kann man sich dort statt dessen die leckere Pampelmusade besorgen (Tarzan muß sich merken, daß Grapefruit auf mexikanisch "Toronja" heißt - auf der Schule hatte er nur "Naranja", Apfelsine, gelernt, und bei ihm zuhause sagte man auch nicht "Grapefruit [Traubenfrucht]", sondern "Pampelmuse"); und wenn man doch Cola trinkt, dann kann man sich gleich die Limonen für den "Cuba Libre" mit bringen.
Aber Urlaub ist etwas anderes. Den verbringt, wer auf sich hält, weiter südlich, wo nicht mehr in Dolares bezahlt wird, sondern in Pesos, und wo nicht mehr englisch gesprochen wird, sondern spanisch. Manche trauen sich gar hinunter bis ins wilde Yucatán - dort gibt es damals noch keine Tourismus-Industrie; Cancún ist noch nicht gegründet; die Lagune, an der es heute liegt bzw. an der seine Hotelburgen stehen, heißt noch "Playa Chac Mool", nach der populären Gottheit, die einst die Maya von den Tolteken übernahmen. Wer die Ruinen der Pyramiden von Palenque, Uxmal oder Chichen Itzá besuchen will, kann dort noch nicht in Luxus-Hotels übernachten, sondern - wenn er Glück hat - in einer Hängematte; und nach Tulum oder Cobá führt noch nicht mal eine Straße, sondern nur ein Trampelpfad durch den Dschungel oder das blaue Meer. Dem "Muttersöhnchen" Tarzan wollte sein Dienststellenleiter, ein trinkfester, aber nicht besonders mutiger Major, seine erste Reise nach Mexiko schlicht verbieten, nach dem Motto: "Da kommen Sie doch nie lebend zurück, und ich bekomme nachher den Ärger." (Damals konnte man als Soldat im Urlaub noch nicht treiben, was und wo man wollte, sondern mußte jederzeit "erreichbar" sein, wenn etwa der "V-Fall" eintrat, wie man die "Friedens"-Einsätze in aller Welt noch nannte, und das "Handy" war noch nicht erfunden. Auf dem Urlaubsschein wurde also vermerkt, wohin man damit durfte - anderswo galt er nicht.) Aber Tarzan, nicht faul, ist bis zum Leiter Schulstab persönlich vorgedrungen und hat von ihm eine Sondergenehmigung erwirkt. Seine Reise hat ihn von Acapulco am Pazifik über Mexiko-Stadt im Hochland bis nach Veracruz an der Atlantik-Küste geführt - ohne daß er gewußt hätte, auf wessen Spuren er da wandelte.
Sein Major heißt übrigens Peter und hat das Pech, daß sein Nachname sich ausspricht wie das englische Wort für "Großmaul", deshalb benutzt er den gegenüber Amerikanern lieber nicht, sondern stellt sich immer gleich als "Pieta" vor; intern nennen sie ihn "Hasenfuß", denn er hat Angst vor dem großen Schäferhund von Fritz, seinem Hauptfeldwebel. Er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen: Tarzan ist mit seinem speckigen Bundeswehr-Rucksack und 150 US-$ in der Tasche (die er nicht mal ganz verbraucht hat) durch's ganze Land gekommen, überall freundlich, ja herzlich aufgenommen von den Mexikanern und vor allem den Mexikanerinnen - von denen ihm seine Landsleute doch so viele Schauer-Geschichten erzählt hatten. Aber die kennen das Land und seine Leute eben hauptsächlich aus dem Rotlicht-Milieu von Juárez (das sie, wie ihre amerikanischen Kameraden, "Worräß" aussprechen) - und sie können kein Spanisch. Tarzan dagegen hat auf der Schule mehr Spanisch als Englisch gelernt, denn seine ständig wechselnden Englisch-Lehrer waren durchweg Luschen, die selber kaum Englisch konnten. (Es war die Generation, die nach dem Motto "Deutscher sprich Deutsch" aufgewachsen war und im Anglistik-Studium vor allem gelernt hatte, Shakespeare zu lesen - in der deutschen Übersetzung von Schlegel und Tieck.) Dagegen war sein Spanisch-Lehrer, Herr S., nicht nur ein hervorragender Pädagoge, sondern auch jahrelang in amerikanischer Kriegsgefangenschaft - just in Fort Bliss, und das Wachpersonal bestand damals überwiegend aus Spanisch sprechenden Beute-Amerikanern von jenseits des Großen Flusses. Die Welt ist klein...
Nun, wenn Tarzan ehrlich ist, stammen seine Spanisch-Kenntnisse nicht nur von der Schulbank. Eines schönen Wochenendes - er schläft auf "Bereitschaft" so vor sich hin - weckt ihn das Klingeln des Telefons, und eine Frauenstimme fragt nach einem gewissen Unteroffizier Kannitverstaan. Selbst wenn Tarzan den Namen verstanden hätte - er kann doch nicht jeden Arsch im Fort kennen, schon gar nicht die von außerhalb des Schulstabs... "Der ist zurück nach Deutschland versetzt worden," behauptet er unbesehen, um seine Ruhe zu haben. - "Ja, was kann man denn da machen?" - "Nichts." - "Haben Sie keine Adresse von ihm in Deutschland?" - "Nee." - "Ohne sich von mir zu verabschieden..." - "Tja..." Eigentlich hat die Frau eine nette Stimme und einen sympathischen spanischen Akzent. "Hören Sie mal, was haben Sie denn von so einem Typen und seiner Adresse in Deutschland? Wollen Sie nicht mit mir Vorlieb nehmen? Ich bin hier." Kurze Pause. "Hm, ich weiß nicht... wie groß sind Sie denn?" - "Sechs Fuß drei." - Die Frau sagt wie aus der Pistole geschossen o.k. und verrät Tarzan, daß sie selber sechs Fuß - 1,83 m - groß ist. (Das ist damals für eine Frau auf Partnersuche eine Katastrofe, zumal für eine Mexikanerin - welcher Macho will schon etwas mit einer Frau zu tun haben, die ihm auf den Kopf spucken kann?) Sie fragt noch einmal nach: "Are you really six foot three?" - "Sí, de veras, un metro noventa." Maria ist Chicana, d.h. in den USA geborene Tochter mexikanischer Einwanderer, und sie spricht fließend Englisch, worauf sie großen Wert legt. Damals ist noch volle Integration angesagt, nicht Bewahrung der eigenen kulturellen Identität (die Beute-Texaner "King Clave" und Valdemar Huerta alias "Freddy Fender" singen ihre Schlager selbstverständlich auf Englisch); und in Gegenwart Dritter spricht Maria - die sich dann "Mary" nennt - mit Tarzan nie ein Wort Spanisch, während er nie ein Wort Englisch spricht, wenn sie alleine sind. Dikigoros weiß, daß er sich mit dieser Bemerkung in direkten Widerspruch setzt zu Raymond Cartier, dem Altmeister der europäischen USA-Reporter (der damals noch lebt), der behauptet, die mexikanische und die amerikanische Bevölkerung in den neu-mexikanischen Staaten stehe sich feindlich gesinnt gegenüber, und der amerikanische "Melting pot (Schmelztigel)" habe da "versagt". Das stimmt so einfach nicht, und Dikigoros fragt sich, ob der Franzose da nicht im falschen Film war, denn bei ihm werden die "Gringos" angeblich "Anglos" genannt, und die "Wetbacks" angeblich "Greasers" (und die Häuser aus Adobe-Lehm "Adebe"-Häuser).
Seine Kameraden und Vorgesetzten, die meist mit alternden Ehefrauen oder [Hobby-]Nutten aus Juárez liiert sind, betrachten seine Freundin mit einer Mischung aus Neid und Bewunderung; sie ist das mit Abstand attraktivste weibliche Wesen, das sich im Fort blicken läßt (was Tarzan damals freilich gar nicht richtig bewußt wird; er nimmt das als ganz selbstverständlich - schließlich ist er auch der jüngste und am besten aussehende Mann dort). Dagegen nimmt er schon sehr genau wahr, wie das mit der Rassen-Diskriminierung ist - ganz anders, als er es sich vorgestellt hatte. Daß Schwarze in den USA noch immer ausgegrenzt wurden, das hörte und las man allenthalben. Aber es stimmte nicht - jedenfalls nicht im öffentlichen Leben, und schon gar nicht in der U.S. Army: Die "Buffalo Soldiers" (auch "Bimbos" oder "Jumbos" genannt) konnten mit langen Metall-Kämmen im Kraushaar in der Kantine über Tische und Bänke springen und tanzen, und viele taten es, ohne daß jemand etwas dagegen sagte oder unternahm - sie hatten Narrenfreiheit, pardon, sie durften ihre eigene "Kultur" ausleben. Niemand hätte auch etwas gegen das gesagt, was in den meisten U.S.-Bundesstaaten noch wenige Jahre zuvor als "miscegenation (Rassenschande)" strafbar gewesen wäre, und unter jungen weißen (auch deutschen) Soldaten war es geradezu ein Muß, auch mal mit einer "Kohlenkiste" geschlafen zu haben - die waren ja leicht zu haben und durchweg promiskuïtiv (und von AIDS wußte man noch nichts). Dieses Wort war damals im Deutschen noch nicht bekannt, wohl aber im Amerikanischen, wo es geradezu als Umwertung aller Werte in Sachen miscegenation (miß-)verstanden wurde: "pro-miscuity", wörtlich "(Be)für(wortung der Rassen-)Mischung". Aber eine Mexikanerin? Nachts im Puff south of the border, auch als "Wiederholungstäter" oder "Dauergast", o.k. - aber sich bei Tageslicht vor aller Augen mit ihnen sehen lassen? Igittigitt! Ein deutscher Zivilangestellter im Fort hatte eine geheiratet; seitdem wurde er von allen geschnitten. Man konnte ihn zwar nicht zur Strafe zurück nach Deutschland versetzen, und wenn er im Dienst, d.h. ohne Frau war, konnte man ja auch mit ihm sprechen, soweit es dienstlich erforderlich war. Aber die USA sind ein Land, in dem soziales Leben Verheirateter ohne ihre Frauen einfach undenkbar ist, d.h. zu jeder Einladung muß man sie mitbringen - und wenn die ganze Dienststelle eingeladen war konnte man ihn schlecht ausschließen. Wenn seine mexikanische Frau dann nicht jedes Mal Krankheit oder Unpäßlichkeit vorschützen wollte und mit kam, saß oder stand sie einsam und verlassen am Rande der Gesellschaft herum und wurde behandelt wie Luft. Nein, natürlich war das kein Rassismus, aber sie war nicht besonders attraktiv, konnte weder fließend Deutsch noch fließend Englisch - und wer außer Tarzan hatte schon Lust, sich mit ihr in ihrer Muttersprache zu unterhalten? Mary weiß also, warum sie so auftritt, wie sie auftritt, und ihr kann keiner was: Sie ist U.S.-Bürgerin, in Texas geboren und spricht fließend Englisch - so what?
Tarzan ist ein kontaktfreudiger, aber normalerweise eher kritisch-zurückhaltender als überschwenglicher Mensch; und so lassen seine begeisterten Schilderungen Mexikos die anderen im Fort aufhorchen: Sollte dieses "Straßenmusikantenland" south of the border vielleicht doch besser sein als sein Ruf? Der nächste "höhere" Leergang, pardon Lehrgang aus Deutschland kommt angeflogen: Offiziere, die demnächst Raketenleitstellen befehligen sollen. Im schulinternen Jargon wird er "Ochsen-Lehrgang" genannt, weil sein amerikanisches Vorbild sich O.X.N. abkürzt. (Auf Leseranfrage: Nein, nicht O.C.S. - das sind die "normalen" Offiziers-Lehrgänge, hier geht es um die Ausbildung der B.C.O.s, der Battery Commanding Officers.) Wofür das genau steht weiß niemand zu sagen; Tarzan vermutet, daß der letzte Buchstabe etwas mit "Nike" zu tun hat, der griechischen Siegesgöttin, nach der damals eine "Flarak" (Flugabwehr-Rakete) der NATO benannt ist (ihr Gegenstück heißt "Hawk [Falke]"). Traditionell wird mit den "Ochsen" eine so genannte "Betreuungsfahrt" veranstaltet; entweder nach Anaheim in Kalifornien - dort liegt Disneyland - oder nach Pensacola in Florida (das damals noch - englisch - auf der ersten Silbe betont wird; heute wird es - spanisch - "Florída" ausgesprochen) - dort liegt ein "Schwester-Standort", Fort Walton, wo man sich ganz ausgezeichnet besaufen kann, das fördert die Verbrüderung ungemein - und nicht nur die mit den amerikanischen "Brüdern", sondern auch mit den "Schwestern", denn die U.S. Army glaubte nach Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht für Männer, die Löcher in der Freiwilligen-Armee mit weiblichen Soldaten stopfen zu können; und obwohl sich das gar nicht bewährt hat, ist es bis heute nicht wieder abgeschafft worden; andere Staaten - z.B. die BRD - haben, statt aus den Fehlern der Amerikaner zu lernen, diese sogar nachgemacht.
Doch nun wird beschlossen, eine Neuerung einzuführen: Erstmals soll eine "Betreuungsfahrt" nicht innerhalb der USA statt finden, sondern nach Mexiko gehen - was eigentlich nicht zulässig ist, aber wer fragt schon danach? -, und ohne Weiber. Tarzan darf als einziger Mannschafts-Dienstgrad (und kostenloser Dolmetscher) mit fahren, nach pflichtgemäßer Rücksprache mit dem Leiter Schulstab, der Peter hochoffiziell zum Durchführenden und Reiseleiter ernennt. Da hätte er auch gleich Tarzan bestimmen können - der damals noch nicht Dikigoros, der alte erfahrene Weltreisende späterer Tage ist, sondern nur ein zwar erfolgreicher, aber noch ziemlich unerfahrener Debütant (seine außer-europäischen Reise-Erfahrungen beschränken sich auf ein verlängertes Wochenende am Grand Canyon und eben die Fahrt nach Mexiko), dem diese Rolle eine ganze Nummer zu groß gewesen wäre. Aber Peter ist sie mindestens zwei ganze Nummern zu groß. Er ist mit gerade mal 31 Lenzen der zweitjüngste in dem Haufen, denn der Lehrgang hat eine ungesunde Zusammensetzung: Zum einen Stabsoffiziere, die entweder ranghöher sind als er selber oder ranggleich und dienstälter (er ist gerade erst zum Major befördert worden) - denen soll er Weisungen erteilen? Fast alle tragen große Namen; einige stammen aus Familien, die schon seit Jahrhunderten die Generalität der preußischen und später deutschen Streitkräfte gestellt haben, und entsprechend fühlen sie sich auch - als "Herrenmenschen". (Dikigoros betrachtet dieses Wort trotz aller Implikationen, die es heute hat, nicht als zwangsläufig negativ, denn er meint, daß man sich zugleich wie ein Herr und wie ein Mensch benehmen kann; aber leider tun das nur die wenigsten.) Zum anderen sind da die so genannten "Fachoffiziere", alte Hasen und erfahrene Haudegen (so erscheint jedenfalls Tarzan, dem jungen Spund, jeder, der deutlich über 30 ist), die aus dem Unteroffiziersstand aufgestiegen und auch allesamt viel erfahrener sind als ihr "Reiseleiter". "Wie haben Sie denn Ihre Mexiko-Reise neulich vorbereitet?" fragt der Major seinen Gefreiten. "Gar nicht," sagt der trocken, "ich bin nach Juárez gefahren und habe mir dort ein Busticket nach Süden gekauft." - "Auf gut Glück?" - "Natürlich. Die verkaufen immer mehr Fahrkarten als Plätze da sind, wer zuerst kommt und die schönsten Ellbogen hat, bekommt den Sitz, in aller Freundschaft." (Tarzan hat wunderschöne Ellbogen an seinen langen Armen - denen er seinen Spitznamen verdankt - und weiß sie einzusetzen.) "Und Hotels? Muß man die nicht im voraus buchen?" - "Was für Hotels? Ich habe im Park oder am Strand geschlafen, das ist doch eh viel angenehmer bei der Hitze."
Damals konnte man noch im Parque Chapultepec (letzteres heißt auf Náhuatl - der Sprache der Azteken - schon alleine "Heuschrecken-Hügel", weshalb es doppelt gemoppelt ist, wenn die Mexikaner heute noch ein "Cerro", d.h. Hügel, davor setzen) auf der grünen Wiese übernachten, hinter dem Gemäuer des alten anthropologischen Museums, bevor der moderne Betonklotz gebaut wurde, der es heute beherbergt, im Angesicht des Denkmals auf die "Niños Héroes [Helden-Kinder]" der "Kadetten-Anstalt" (die eigentlich schon eine Offiziers-Schule war, aber darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle), die sie anno 1847 im Krieg gegen die USA sinnlos verheizten, worauf sie auch noch stolz waren. (Nein, nicht waren - sie sind es bis heute. 1997 wurden die Gedenkfeiern zum 150. Jahrestag dieser "Heldentat" mit großem Pomp begangen. Und wenn Ihr, liebe Leser, kein Spanisch versteht und deshalb nicht wissen könnt, welch kriegerisch-patriotischer Geist in den meisten Spanisch sprechenden Nationen noch immer herrscht, wo diejenigen, die ihr Leben im Kampf fürs Vaterland geopfert haben, grundsätzlich als Martyrer gelten, egal ob ihre Sache gut oder schlecht, gerecht oder ungerecht, erfolgreich oder erfolglos war, dann laßt Euch diesen Nachruf besser gar nicht erst übersetzen; Ihr würdet ihn eh nicht verstehen - auch nicht auf Deutsch.) Und am Strand von Acapulco, in den Ruderbooten liebten sich die jungen Pärchen, die noch kein eigenes Zuhause hatten. Es war eine unschuldige Zeit; und Dikigoros weiß (heute - damals, als Tarzan, noch nicht), daß sie nie zurück kehren wird. "War das nicht furchtbar gefährlich?" fragt der Major. - "Nein, wieso denn? Manchmal hat man mich auch eingeladen."
Aber so leichtsinnig kann man natürlich keine Altherrenfahrt veranstalten, die muß schon gründlich vorbereitet werden, sozusagen generalstabsmäßig geplant, wie ein Feldzug. Peter geht also zu AAA ("Triple A", Abkürzung für "American Automobile Association", amerikanisches Gegenstück zum ADAC), besorgt Landkarten, Fahrpläne, Hotel-Listen und Restaurant-Verzeichnisse, und nach einer Woche meldet er Vollzug: "Es ist alles gebucht und reserviert, nun kann nichts mehr schief gehen." Tarzan hat noch gar nicht gefragt, wohin es überhaupt gehen soll - ist ihm auch ziemlich egal, Hauptsache in sein geliebtes Mexiko und auf Sonderurlaub. Nun erfährt er es endlich und freut sich, daß es in eine Ecke geht, die er noch nicht kennt: Zuerst nach Chihuahua, der Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates, dann mit der Eisenbahn, genauer gesagt mit der berühmten "Chepe" [Ch.P. - Abkürzung für "Chihuahua-Pacífico"] durch den Kupfer-Kanyon (da Dikigoros nicht weiß, ob er diese Schlucht auf Spanisch "Barranca de Cobre" nennen soll, wie es die Mexikaner damals taten, oder auf Englisch "Copper Canyon", wie die Amerikaner, oder auf Spanisch "Canyón de Cobre", wie es die Mexikaner heute tun, damit die Devisen bringenden amerikanischen Touristen es leichter verstehen, hat er das einfach mal ins Deutsche übersetzt) bis an die Pazifik-Küste von Sinaloa, nach Topolobampo (das ist der kleine Fischerhafen hinter Los Mochis, wo es die dazu gehörigen Diskotheken gibt), dort ist schon das Yacht-Hotel gebucht, und von dort kann man zum Hochseefischen fahren und sich abends am eigenen Fang gütlich tun.
Exkurs auf Anfrage von Lesern: Wie hätte denn Dikigoros, wenn er in etwa das Alter seines Majors gehabt hätte, die Reise organisiert? Nun, er hätte aus 5 Tagen und 5 Nächten erstmal 5 Tage und 6 Nächte gemacht - eine Nacht im Bus, auf dem langweiligen Highway durch die Wüste, wo man eh nichts versäumt, kann man auch 40-50-jährigen zumuten, wie er heute weiß, und zumal Berufssoldaten müssen das abkönnen, sonst sollen sie den Dienst quittieren. Auf der Hinfahrt hätte er allerdings eine andere Strecke gewählt, nämlich die etwas längere, westliche, über Nuevo Casas Grandes, die nicht in Chihuahua heraus kommt, sondern im viel interessanteren Cuauhtemoc. Auch die Tage hätte er sinnvoller genutzt als mit Fischchenfangen, z.B. indem er einen Tag die deutschen Mennoniten besucht hätte, die noch in und um Cuauhtemoc leb[t]en und sich bestimmt gefreut hätten, mal wieder ein paar fremde Landsleute zu sehen. Und auf der Rückfahrt hätte er einen Tag in Creel Station gemacht, wo der Indio-Stamm der Rarámuri ("Tarahumara") lebt, der berühmten "Flußläufer" (sie sollen die besten Langstreckenläufer der Welt [gewesen] sein), die sich - damals - noch einen Rest ihrer eigenen Kultur bewahrt hatten, deren allmählicher Untergang in der modernen "Zivilisation" aber schon abzusehen war. Und von Topolobampo aus hätte er eine Fahrt mit der Fähre nach La Paz in Baja California eingeplant - wer statt dessen lieber Fischchen fangen wollte, hätte das ja als Alternativ-Programm machen können. Und sein persönliches Alternativ-Programm? Er hätte der Ochsenherde nach der Baja-California-Exkursion einen Tag zur freien Verfügung (d.h. zum Saufen) gegeben und selber statt der Fähre von La Paz zurück nach Topolobampo die nach Mazatlán genommen, um die dortigen Klippenspringer mit denen von Acapulco zu vergleichen, und den nächsten Nachtbus von dort nach Los Mochis. Exkursion, pardon Exkurs Ende.
"Eine wirklich gute Sache," meint Peter, "ehrlich. Na Alfred, dann mix' uns mal einen." Alfred, sein Oberfeldwebel (der ebenfalls einen unmöglichen Nachnamen trägt und von allen nur "Oberunfug" genannt wird; dabei war sein Großonkel einer der besseren deutschen Kampfpiloten im Ersten Weltkrieg, nur halt nicht ganz so bekannt wie andere, weil er nicht spektakulär auf dem Schlachtfeld, sondern "nur" im Krankenhaus gestorben ist), dackelt zum Eisschrank, schenkt seinem Chef einen doppelten Bourbon (Mais-Whiskey) der Edel-Marke "Jim Beam" ein und sich selber einen dreifachen Rum der Edel-Marke "Bacardi" (die sich deutsche Soldaten in Fort Bliss zollfrei einfliegen lassen können), kippt Limonensaft und Coca Cola drüber und fragt seinen jüngeren Vorgesetzten treuherzig: "Herr Major, kann ich nicht auch mit kommen? Ich sammele doch ausgestopfte Fische, und da unten soll es Kugelfische geben, davon hab' ich noch keinen." - "Mit wem willste dir denn das Zimmer teilen, etwa mit Tarzan?" - "Na ja, wenn Patrick auch noch mit kommen könnte..." Das ist der kleine schwarzhaarige Unteroffizier, den alle Mexikaner für ihren Landsmann halten und stets auf Spanisch anreden, wobei dann zu ihrer großen Enttäuschung heraus kommt, daß er nur Deutsch spricht... Er und Alfred sind unzertrennlich, besonders wenn es darum geht, ihren Ehefrauen - die eine ein alter Hausdrache, die andere ein viel zu braves junges Schaf - mal eine Zeit lang zu entfleuchen. Also schön, da ohnehin alle die Reise aus eigener Tasche bezahlen müssen, darf auch er noch mit - der Leiter Schulstab genehmigt anstandslos auch seinen Sonderurlaub. "Petri Heil," feixt Fritz, der von allen nur "der Geier" genannt wird und die Mexikaner haßt wie die Pest, "keine zehn Pferde bekämen mich in dieses Land voller Straßenräuber und Tagediebe; Sie werden sich noch umsehen." Und weil er noch nie dort war (außer an einigen Wochenenden in den Bars von Juárez), wird er seine Scheuklappen und seine Vorurteile nie ablegen.
Einige junge Teilnehmer eines anderen, "niederen" Lehrgangs (Mannschaften und Unteroffiziere) wollen auch gerne die Fahrt durch den berühmten Kupfer-Kanyon machen - aber sie bekommen keinen Sonderurlaub, können also nur eine verkürzte Variante wählen: Freitag nach Dienstschluß los, übernachten im Bus nach Chihuahua, Samstag den Zug durch die Schlucht hin, eine Nacht durch machen in Los Mochis, Sonntag Zug zurück nach Chihuahua und nächtliche Busfahrt zurück nach Fort Bliss; Dienstantritt Montag morgen. (Oder auch nicht - aber so weit ist es noch nicht.)
Für die glücklichen Sonderurlauber dagegen heißt es eines schönen Morgens: "Antreten zur Betreuungsfahrt", und die zwei Dutzend Vaterlands-Verteidiger machen sich abmarschbereit. Die Stimmung ist hervorragend; und die Marsch-Vorbereitungen sind bei allen (bis auf Tarzan) mehr oder weniger gleich: Sie haben riesige Mengen Alkoholika eingepackt - als ob es in Mexiko kein Bier, keinen Bacardi und auch sonst nichts zu trinken gäbe! So verdirbt die Unkenntnis seiner Mitreisenden Dikigoros den schmissigen Untertitel "Tecate und Tequila". [Tecate ist ein - nicht nach dem deutschen Reinheitsgebot gebrautes, aber dennoch sehr schmackhaftes - mexikanisches Bier (benannt nach einem Fluß bei Tijuana, der früher einmal so sauber war, daß man aus seinem Wasser Bier brauen konnte!), das allmählich das mexikanische National-Getränk zu verdrängen beginnt, gegorenen Agavensaft alias "Pulque"; Tequila ist ein ebenfalls aus Agaven gebrannter Schnaps, den man mit Salz und Limone trinkt, aber das werden die meisten Leser von heute ohnehin wissen.]
Peter hat die Busfahrt bei der amerikanischen Gesellschaft "Greyhound (Windhund)" gebucht, um ohne Umsteigen bis Chihuahua durchfahren zu können. Aber die windigen Hunde denken gar nicht daran, sondern fahren nur bis Juárez; dort werden die Passiere umgeladen in einen Bus der "Schwester"-(in Wirklichkeit Tochter-)Gesellschaft "Lapines Chihuahuenses (Hasen von Chihuahua)", denen dieser Bericht seinen Untertitel verdankt. Offiziell fahren sie Busse, die Greyhound als ältere Modelle aussortiert hat; böse Zungen behaupten allerdings, sie nähmen nur solche, die kein amerikanischer Schrottplatz mehr zur Verwertung annehmen würde... Tarzan schüttelt den Kopf: Das hätte er seinem Major gleich sagen können, und außerdem, daß er dieselbe Fahrt hier in Mexiko für weniger als die Hälfte hätte buchen können - halt direkt bei den Hasen; aber Peter war ja selber zu hasenfüßig, um ohne Reservierung los zu fahren. Natürlich hoppelt ein Hase auch nicht so schnell wie ein Windhund läuft, und so dauert die eintönige Fahrt auf staubiger Piste denn länger als erwartet. (Der Fahrer wird später behaupten, das hätte an den vielen Pinkelpausen gelegen, die er für die notorischen germanischen Biertrinker habe einlegen müssen; die wiederum behaupten, dieses Gebummele habe man nur im Suff ertragen können; was nun Ursache und was Wirkung ist, wagt Dikigoros im Rückblick nicht abschließend zu beurteilen.)
Mit erklecklicher Verspätung erreichen sie ihr Etappenziel; der Busfahrer lädt sie vor dem gebuchten Hotel ab und fährt sofort weiter. Während Tarzan und Patrick ihrem Alfred gut zureden, der nicht mehr genau weiß, wo er ist, und sein Bett vermißt, sind die vier höchsten Dienstgrade im Hotel verschwunden. "Wie lange dauert das denn noch? Alfred schläft uns hier gleich ein." - "Das werden wir gleich haben," meint Fachoberleutnant Koch, der schon mal Urlaub auf Mallorca gemacht hat (damals noch keine Selbstverständlichkeit) und sich deshalb mit "spanischen" Hotel-Rezeptionen auszukennen glaubt. Und so dackelt einer nach dem anderen hinein und kommt nicht wieder 'raus. "Wahrscheinlich liegen die alle längst im Bett und lassen uns hier draußen stehen," meint Patrick, "los jetzt." Sie schleppen Alfred in die Hotelhalle und sehen dort ihre Offiziere wild herum gestikulieren und durcheinander laufen wie einen aufgescheuchten Hühnerhaufen. "Was ist denn los?" - "Keine Ahnung, die können ja alle kein Englisch hier," schimpft Peter, "die Kerle verstehen uns einfach nicht." Tarzan klärt das schnell: "Die wissen nichts von einer Reservierung, wenn es mal eine gab, dann ist die ab 18 Uhr verfallen, und andere Zimmer gibt es nicht, die sind ausgebucht." - "Und was machen wir nun? Draußen ist es schon dunkel, da finden wir nie ein anderes Hotel für so viele Leute auf einmal." Natürlich hat niemand an ein Ausweich-Quartier gedacht.
Aber das ist auch gar nicht nötig: Die Rezeption ist sehr hilfsbereit, telefoniert herum, bis sich ein anderes Hotel am Ort gefunden hat, und ruft sogar Taxis herbei (die den mexikanischen Bussen in nichts nachstehen - auch sie sind in den USA ausrangierte Oldtimer), auf die sich die Truppe dann verteilt - hübsch gestaffelt nach Dienstgraden, die höchsten zuerst, Tarzan und das andere Kroppzeug zuletzt. Am anderen Hotel angekommen, vergleichen sie die Taxi-Rechnungen, und Patrick kann sich nicht verkneifen, laut zu tönen: "Wir haben nicht mal ein Drittel bezahlt." Für Tarzan ist das selbstverständlich: Sie haben Einheimischen-Tarif bezahlt (die Kombination von Patrick, der wie ein Mexikaner aussieht, und ihm selber, der inzwischen fließend Spanisch spricht, macht's möglich), die anderen Gringo-Tarif, na und? Die Offiziere haben ja auch mehr Geld. Aber die sehen das ganz anders: "So geht das nicht weiter," ergreift der Dienstälteste, Oberst Rednick (nein, nicht Redneck, obwohl dieses Schimpfwort für primitive Südstaatler viel besser passen würde auf diesen alten Landsknecht) das Wort, "erstmal danke ich dem Durchführenden für seine bisherige wertvolle Arbeit, und ab sofort hört alles auf mein Kommando." Peter schweigt verdattert, und Tarzan denkt daran, was ihnen der Geier voraus gesagt hat. "Als erstes gründen wir eine Kriegskasse, die ich verwalte, und aus der alle laufenden Ausgaben bestritten werden. Da zahlt jetzt jeder mal 100 Dollar ein." Oha, denkt Tarzan, mit gefangen, mit gehangen. Wenn die wenigstens noch ihn alle Preise aushandeln ließen, aber so... Doch was soll er machen? Niemand von den höheren Dienstgraden wagt zu widersprechen - was soll da ein kleiner Gefreiter sagen?
Patrick schleppt seinen besoffenen Alfred mit aufs Zimmer, und Tarzan teilt sich ein Zimmer mit Theo T., einem früh gealterten Fachoberleutnant aus Rednicks Regiment, der vor Sorgen kaum schlafen kann und ihm während der halben Nacht seine traurige Lebensgeschichte erzählt: "Ich habe gerade am Standort gebaut, und wenn ich diesen Lehrgang nicht bestehe, werde ich versetzt, und meine Frau läßt sich scheiden. Dabei habe ich überhaupt keine Chance; ich habe von all diesem Zeug noch nie ein Sterbenswörtchen gehört. Hauptmann Wulf dagegen macht das schon drei Jahre, der hat mehr Ahnung als Ihr Major." Tarzan hat sich schon gewundert, daß die Schnapsnase Wulf Lehrgangsbester sein soll. Aber wenn er sich Theo so ansieht und anhört, hegt er gewisse Zweifel, ob der das jemals richtig lernen würde, selbst wenn er es drei oder mehr Jahre üben würde. Er scheint ihm einfach der falsche Mann am falschen Platz zu sein. Tarzan hat von seinem Vater eine eindeutige Auffassung über Fachoffiziere vermittelt bekommen, die in etwa dem entspricht, was man später (nach einem anderen Peter) das "Peter-Prinzip" nennen soll: "Wenn jemand ein guter Mannschafts-Dienstgrad ist, macht man ihn zum Unteroffizier; wenn jemand ein guter Unteroffizier ist, macht man ihn zum Feldwebel; und wenn jemand ein guter Feldwebel ist, macht man ihn zum Fachoffizier. Und wenn er dann versagt, degradiert man ihn nicht etwa, damit er wieder ein guter Feldwebel wird, sondern läßt ihn den Rest seiner Dienstzeit einen schlechten Fachoffizier sein und Mist machen. Und er hat auch selber nichts davon, denn seine alten Kameraden kennen ihn nicht mehr, und die richtigen Offiziere behandeln ihn doch nie als einen der ihren. Und meist wird der Uffz ja nicht mal ein guter Feldwebel. Wenn ich denke, was für einen Schrott bei uns in den letzten Kriegstagen noch zum Feldwebel befördert worden ist... Aber das lag am System; Hitler hat ja jeden erfolgreichen Kompanieführer gleich zum Feldmarschall ernannt, wie diesen Rommel und all die anderen Versager - kein Wunder, daß wir den Krieg verloren haben!" Offenbar hat sich da seit Hitler nicht viel geändert, denkt Tarzan.
Und kein Wunder, daß seine Kameraden über Mexiko nichts als Vorurteile haben, denn sie hören und sehen ja nichts vom Land, selbst wenn sie da gewesen sind. Auf Chihuahua trifft das im wahrsten Sinne des Wortes zu, denn am nächsten Morgen geht es noch vor Sonnenaufgang weiter - der Zug durch die Kupfer-Schlucht soll um 6:40 abfahren, und man muß, so heißt es, eine Stunde vorher am Bahnsteig sein. Alles stürzt in die Taxis. Tarzan hält Patrick und Alfred zurück: "Augenblick mal, wir haben noch nicht gefrühstückt, und das wird ein langer Tag." - "Der Major sagt, die Frühstücksbar im Hotel hat noch nicht auf, wir können im Zug essen." - "Wer sagt denn, daß wir für 5 Dollar labberiges Weißbrot mit klebriger Marmelade im Hotel muffeln müssen? Nebenan ist ein kleines Lokal, da gibt es für 5 Pesos (der mexikanische Peso steht damals 8:1 zum US-Dollar) Huevos Rancheros (scharf gewürzte Spiegeleier auf Mais-Fladen) und Cafe-Leche (Milch-Kaffee)."
Zögerlich folgen ihm seine Kameraden in die "düstere Spelunke" und trauen sich kaum, auf den nicht ganz staubfreien Sitzgelegenheiten Platz zu nehmen; aber die Scheu ist bald überwunden, und sie unterhalten sich sehr nett - Tarzan dolmetscht - mit einem abgerissenen Teniente (Oberleutnant) der mexikanischen Armee, der auch dort frühstückt. Der Teniente trägt ein gerade noch lesbares Namensschild "Arango" - das war der bürgerliche Name des berühmt-berüchtigten Räuber-Hauptmanns (und späteren Revolutions-Generals) Francisco "Pancho" Villa, der ja aus dieser Gegend stammte und für die Menschen aus Chihuahua noch heute so etwas wie eine legendäre Mischung aus Robin Hood und Zorro ist - während er für die Amerikaner nur ein undankbarer Bandit war. (Wie das immer war und immer wieder sein wird, wenn sie den falschen Mann an die Macht gebracht haben, der sich dann nicht als gefügige Marionette erweist, wie Ho Chi Minh, Fidel Castro, Manuel Noriega, Saddam Hussein und so viele andere, von denen Tarzan damals noch nichts ahnt.) Aber leider reicht die Zeit nicht, um das zu vertiefen. Nach dem Frühstück säubert sich Alfred die Hände demonstrativ mit einem Hotel-Handtuch, das er hat mitgehen lassen. "Die nehme ich immer mit," sagt er unverblümt, "und die Aschenbecher auch." Wer schimpft gleich immer über "dieses mexikanische Diebesgesindel"? Doch nicht etwa die ehrlichen, anständigen Deutschen in Fort Bliss? "Das sind Souvenirs," meint Alfred, als er Tarzans irritierten Blick bemerkt, "das mache ich nicht nur in mexikanischen Hotels so, sondern auch in deutschen und amerikanischen." Na, dann ist ja alles in bester Ordnung... Sie gehen, die aufgehende Sonne im Rücken, zu Fuß zum Bahnhof - darauf besteht Tarzan -, um wenigstens etwas von der Stadt gesehen zu haben, und kommen fast pünktlich, kurz vor 7:00 Uhr, an. Der Zug steht - natürlich - noch da.
"Na klar, die haben doch auf uns gewartet," meint Tarzan, "aber wo sind denn nun unsere Plätze?" - "Da hinten winkt Hauptmann Filz," sagt Patrick. "Was ist denn das für ein Wagen?" Die Sorte kennt Tarzan auch noch nicht: 1. und 2. Klasse hat er schon gesehen, und er erwartet ja gar nicht, daß sich seine Vorgesetzten in letztere quetschen, mit all den Hühnern, Ziegen und Süßkartoffeln, die ein armer Mexikaner auf Reisen nun mal so mit sich führt. Aber aus der 1. Klasse sehen doch einige sehr attraktive und sympathische Mädchen hervor... Nein, sie haben einen Waggon "Primera Especial" gebucht, nur für Ausländer, und doppelt so teuer wie die 1. Klasse - allmählich begreift Tarzan, warum die Reisekosten so hoch angesetzt worden sind. Irgend einer seiner Mitreisenden antwortet auf Tarzans vorsichtig angebrachte Frage, ob man nicht auch "einfache" statt "spezieller" 1. Klasse hätte fahren können: "Sie wollen sich doch wohl nicht in so einen Viehwaggon setzen!" Die "Primera Especial" hat vor allem zwei Nachteile: Sie ist ganz hinten an den Zug gehängt, man sieht also trotz der extra-großen "Panorama-Fenster" nichts, und wegen der Klima-Anlage (auf Neudeutsch damals schon "air-condition" genannt - ein Begriff, den die Amerikaner selber nicht gebrauchen) lassen sich auch die Fenster nicht öffnen. Da schleppen nun viele Mitreisende eigens Schmalfilm-Kameras mit, zum Teil gerade in der PX für teures Geld erworben, um den Copper Canyon aufzunehmen, und nun können sie nur auf gut Glück drauf halten. Meist haben sie schwarzen Tunnel im Kasten, denn die Filme für den Hausgebrauch sind damals noch nicht allzu lang. "Tausche 100 m Tunnel für 1 m Ausgang," lautet der gängige Spruch. Einige nehmen es mit Humor, andere können - oder wollen - es wieder nur im Suff ertragen. Tarzan hat mit ihnen nur eines gemeinsam: Auch er sieht von der Kupfer-Schlucht nichts. Er ahnt nicht, daß sie alle noch mehr davon sehen sollen, als irgend jemandem lieb ist.
Exkurs: An dieser Stelle weicht Dikigoros einmal von seiner sonst üblichen Regel ab, über seine Reisen nur auf der Basis seines damaligen Kenntnisstandes zu schreiben, um nicht im Nachhinein klüger zu erscheinen als er damals war. Aber hier konnte er nichts für seine mangelnde Kenntnis; die resultierte vielmehr daraus, daß es in der mexikanischen Geschichte - ähnlich wie in der deutschen - Tabus gibt, an denen nicht gerüttelt werden darf; und dazu zählte damals auch noch die wahre Geschichte des Baus der Eisenbahn zum Pazifik. Wie fängt man damit am besten an? Nun, liebe deutsche Leser, stellt Euch vor, jemand würde behaupten, der böse Nazi Hitler habe die Autobahnen erfunden. Das geht nicht, denn bekanntlich gilt der Satz, daß nicht sein kann was nicht sein darf. Na klar war die Idee dazu nicht auf seinem Mist gewachsen; sie gammelte vielmehr schon seit Jahren in irgendwelchen Schubladen der deutschen Verwaltungs-Bürokratie vor sich hin; aber er ließ sie heraus holen und umsetzen! Und genauso war es auch in Mexiko: Die Idee, eine Bahnlinie von der Nordgrenze zum Pazifik zu bauen, um mexikanische Exportwaren in die USA zu transportieren, gammelte schon seit Jahren in irgendwelchen Schubladen der mexikanischen Verwaltungs-Bürokratie vor sich hin; aber ausgerechnet der böse Diktator Porfirio Díaz - der den Mexikanern damals ungefähr so verhaßt war wie Tarquinius Superbus den alten Römern und Adolf Hitler den neuen BRDlern zusammen - hatte sie heraus holen und mit der Umsetzung beginnen lassen. Die Revolutionäre von 1911 hatten den Bau unterbrochen, und während der anschließenden Jahre des Bürgerkriegs und der Wirtschaftskrise ging es auch nicht weiter. Erst in den 1940er Jahren nahm man die Idee wieder auf; aber die technischen Schwierigkeiten waren beträchtlich, und so dauerte es mit der Fertigstellung bis Anfang der 1960er Jahre. Und als es endlich so weit war, stellte man fest, daß sich das Projekt überholt hatte: Die USA hatten kaum noch Interesse an mexikanischen Waren, und wenn, dann konnte man sie auf anderen Wegen transportieren. Was nun? Irgendjemand kam auf die Idee, aus dem Güter- einen Personenzug zu machen und auf Touristen zu hoffen. Das lief äußerst schleppend an; aber zu Beginn der 1970er Jahre hatte sich immerhin schon bis nach Fort Bliss herum gesprochen, daß es da eine landschaftlich reizvolle und für technisch Interessierte auch sonst lohnende Bahnstrecke gab, die eine Reise wert war. Es war also noch lange kein ausgelatschter Touristenpfad, auf den sich unsere Reisende da machten, sondern sie waren beinahe noch so etwas wie Pioniere. Exkurs Ende.
Zurück nach Los Mochis. Am Bahnhof angekommen - erneut mit reichlich Verspätung, es ist schon wieder dunkel -, setzt sich die Truppe in Taxis und fährt die knapp 24 km zum "Yachthotel" von Topolobampo, nur um festzustellen, daß das geschlossen hat. Ob nur vorübergehend oder auf Dauer ist nicht auszumachen, aber das wäre ja auch müßig. Also nehmen sie dieselben Taxis gleich zurück nach Los Mochis - diesmal läßt man Tarzan den Preis aushandeln - zum ersten und vor allem besten Hotel (das damals natürlich noch keine Webseite - und noch nicht so viele Sterne - hatte :-). Auch die Verhandlungen mit der Rezeption übernimmt Tarzan gleich selber. "Colonel," meldet er Rednick (es geht ihm gegen den Strich, diese Lusche mit "Herr Oberst" anzureden), "die bestehen auf Bezahlung im voraus." Das stimmt zwar nicht, aber er sieht seine "Kameraden" schon sehnsüchtig nach der Hotelbar schielen, und ihm ist klar, daß die "Kriegskasse" bald leer sein wird, wenn sie erstmal anfangen, die Nacht "durchzumachen". Also muß er dafür sorgen, daß sie anderweitig geleert wird. Grummelnd zahlt Rednick die Hotelrechnung. Tarzan läßt sich eine Quittung ausstellen (obwohl der Hotelier meint, daß das doch gar nicht nötig sei) und verzieht sich ins Bett, heilfroh, daß ihm sein Zimmernachbar Theo diesmal nicht die Nachtruhe stiehlt, sondern sich mit den anderen besäuft. Aber schlafen kann er nicht. Er beginnt, ein Reisetagebuch zu schreiben, zum erstenmal im Leben. Von seinen früheren Fahrten hat er nur mehr oder weniger nichtssagende Ansichtskarten oder ab und zu mal einen Brief; deshalb kann er über sie nichts berichten - jedenfalls nicht so viel, daß es sich lohnen würde, daraus eine "Reise durch die Vergangenheit" zu machen. Nur von seiner jüngsten Mexiko-Reise hat er einige Aufzeichnungen angefertigt, als er auf einem steinernen Drachenkopf in Teotihuacán saß, das damals noch kein umzäuntes Freilicht-Museum war, das man nur gegen hohes Eintrittsgeld besichtigen durfte, sondern ein frei zugängliches Ruinenfeld (bis auf die großen Sonnen- und Mond-Pyramiden, die bewacht wurden, und die man nach Einbruch der Dunkelkeit nicht mehr betreten durfte, aus Sicherheitsgründen).
Am nächsten Morgen beweist Rednick, was ein echter Offizier und Gentleman ist: Stoppelbärtig und verkatert, aber ohne eine Spur von Unsicherheit, begrüßt er seine Untergebenen lautstark: "Männer, die Kriegskasse ist leer, wir müssen wieder jeder 100 Dollar einzahlen." - "Tut mir leid, Colonel," meldet Tarzan, "ich habe kein Geld mehr; ich hatte genau 100 Dollar mitgenommen, und die habe ich bereits in Ihre Kriegskasse eingezahlt." - "Hast du wirklich kein Geld mehr mit?" fragt Patrick nach dem Frühstück. "Nur noch ein paar Pesos Wechselgeld vom letzten Urlaub." - "Und damit willste über die Runden kommen?" - "Ja, wieso denn nicht? Bahn- und Busfahrt, Hotel und Frühstück sind bezahlt, mehr brauch' ich doch nicht." - "Und Essen und Trinken?" - "Wart's ab." - "Alles mal her hören," brüllt Rednick, der inzwischen alle anderen um weitere 100 Dollar geschröpft hat, im besten Kasernenhof-Ton, "um 9 Uhr ist Abmarsch vor dem Hotel, Sammeln um 8:55. Kursziel Topolobampo. Wegtreten." Um 9:15 trudeln vor dem Hotel die ersten schrottreifen "Taxi"-Mühlen ein. Als genügend zusammen sind, daß sich die Offiziere irgendwie hinein quetschen können, fahren sie ab. Alfred ist verschollen, Patrick und Tarzan bleiben alleine zurück.
"Was nun?" fragt Patrick mit treuherzigem Augenaufschlag. "Wetten, daß um die Ecke der Bus abfährt? Die Taxis brauchen, wenn sie überhaupt ankommen, mindestens eine Stunde und kosten pro Fuhre für Gringos mindestens 20 US-$; wollen doch mal sehen, was wir zahlen." Die Fahrt kostet 20 Centavos (knapp 6 Pf) pro Nase, wie sie erfahren, und auch wenn sie warten müssen, bis die Mühle voll ist und es ziemlich eng wird - die Unterhaltung mit den netten Mexikanerinnen entschädigt sie dafür mehr als genug. Dabei will die erst gar nicht in Gang kommen, vielmehr verläuft sie anfangs recht einseitig: Die jungen Frauen und Mädchen - die natürlich hören, daß Tarzan und Patrick ein ihnen unbekanntes Idiom sprechen - machen auf Spanisch anzügliche Witze über die beiden jungen Männer und amüsieren sich köstlich. Bis der Schaffner kommt, um zu kassieren, wobei er sich sogar bemüht, sein holperiges Englisch zusammen zu kratzen. "Die Mädels da zahlen für uns," antwortet Tarzan laut vernehmlich in schönstem Mexikanisch, "weil wir ihnen doch so sympathisch sind." Totenstille im Bus - ist das peinlich, wenn die das alles verstanden haben! Die "Mädels" lehnen zwar ab, den vermeintlich reichen Touristen die Fahrt zu zahlen, aber das Eis ist gebrochen...
Am Strand von Topolobampo angekommen (Tarzan, der kurz zuvor die - damals noch wunderschönen - Strände von Acapulco und Umgebung kennen gelernt hat, ist nicht sonderlich beeindruckt), bekommen sie gerade noch mit, wie sich einer ihrer schon ziemlich angetrunkenen Offiziere beim Aushandeln der Miete für die Fischerboote über's Ohr hauen läßt - verhindern können sie es nicht. Wie war das? Mit gefangen, mit gehangen. Das geht so lange glatt, wie Tarzan an Deck schläft, Patrick versucht, Fischchen zu fangen und der Rest friedlich Bierdosen leert; aber gegen Mittag dreht das andere Boot mit den höheren Offizieren bei, die etwas mehr "getankt" haben als nur Bier und inzwischen stinkbesoffen sind; sie entern und machen sich einen Spaß daraus, die Insassen des anderen Bootes kurzerhand ins Wasser zu werfen - allen voran Peter, der hier endlich einmal seine "Führungsqualitäten" unter Beweis stellen kann. Das wäre nicht weiter schlimm, denn alle können gut schwimmen (einmal pro Woche steht Schwimmen auf dem Dienstplan, im Schwimmbad des YMCA von El Paso - das damals noch kein YNCA war, wenn Dikigoros' Leser wissen, was er damit sagen will :-), und Haifische gibt es hier - angeblich - nicht. Aber wenn man seine Papiere, Geld und sonst alles wichtige am Mann trägt und es bei solchen "Späßen" verliert, wäre es wohl ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen, danach in der Meerestiefe zwischen Baja California und der mexikanischen Westküste tauchen zu wollen... Aber auch das überstehen unsere Reisenden, und da die Sonne kräftig scheint, sind ihre Klamotten bald wieder getrocknet.
Als sie zurück nach Topolobampo kommen, sind die "höheren" schon mit den Taxis weg, also gehen sie auf Wunsch Patricks (der Alfred eine Freude machen will) auf die Suche nach einem ausgestopftem Kugelfisch. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn Tarzan weiß nicht, was "Kugelfisch" auf Spanisch heißt. (Er weiß es bis heute nicht, denn es steht nicht im Wörterbuch; und in den berühmt-berüchtigten Online-Verzeichnissen im Internet hat er nur "lija", "pez soplador" und "mappa" gefunden; aber "lija" ist ein Katzenhai, "soplador" ist der Souffleur im Theater, und "pez" ist zwar der Fisch; aber auf diesen Fall paßt wohl nur die mexikanische Redewendung "wie ein Fisch sein", d.h. keine Ahnung haben. Und "mappa" kann schon wegen des doppelten "p" kein spanisches Wort sein. [Nachtrag: Als Dikigoros das schrieb wußte er noch nicht, daß es viele hundert Arten von Kugelfischen gibt - von denen man manche sogar essen kann, aber darüber schreibt er an anderer Stelle -, so daß also durchaus mehrere Bezeichnungen möglich sind. Inzwischen hat er sich schlau gemacht. Die spanische Wikipedia nennt ihn "pez globo [Globus-Fisch]" oder "puercoespín de mar [Meeres-Stachelschwein]"; und ein Leser, der in Lateinamerika lebt, hat die erstere Form bestätigt. (Wenn es ihn wieder mal nach einem ausgestopften Kugelfisch gelüsten sollte, wird er es damit versuchen :-) Nachtrag Ende.] Patrick versucht, einen zu zeichnen, aber auch das bringt sie nicht viel weiter, obwohl sie in irgend einer Kneipe ein schönes Exemplar hängen sehen: Der Wirt will es um keinen Preis verkaufen; und er kann auch nicht sagen, woher er es hat oder wo man ein anderes kaufen könnte.
Also nehmen sie schließlich erfolglos den Abendbus zurück nach Los Mochis. Aus der Kneipe neben dem Hotel dringen deutsche Gesprächsfetzen. Die Preise in der Hotelbar sind einigen Reisenden wohl doch etwas zu hoch, da sie nun nicht mehr aus der "Kriegskasse" bezahlt werden, denn die ist schon wieder so gut wie leer, wie Tarzan der Unterhaltung entnimmt: Rednick und seine Ochsen sind mit 20 Dollar pro Fuhre nicht hin gekommen, sondern haben 20 Dollar pro Nase zahlen müssen (?), und zurück nochmal das gleiche. "Das kann man nur im Suff ertragen," hört er Alfred lallen - wo kommt der denn plötzlich wieder her? "Noch eine Runde!" - "Das ist aber die letzte, dann machen wir dicht," meint der Wirt auf Englisch. "Aber meinem Freund und mir schenkst du doch noch zwei Tecates ein, verdad?" fragt Tarzan. Er hat inzwischen gelernt, daß Mexikaner einander grundsätzlich duzen, zumal wenn Ausländer dabei sind, besonders Nordamerikaner; durch diese Anrede grenzen sie sich von den amerikanischen "Gringos" ab, die sie von ganzem Herzen hassen. Nein, die Mexikaner sind nicht grundsätzlich ausländerfeindlich, und sie sind auch keine Rassisten, die etwa nichts von den Weißen wissen wollen - das zeigt ihre Bewunderung für und Liebe zu Deutschland. Aber einige Völker mögen sie halt nicht, und das hat vielleicht etwas mit ihrer Geschichte zu tun: Da sind zum einen die Spanier, die "Gachupines", die sie - die sich, auch wenn sie wenigstens zum Teil von ihnen abstammen, als Nachfahren der Indios, vor allem der Azteken und Maya, verstehen - im 16. Jahrhundert unterworfen haben, und denen sie unterstellen, daß sie ihre großartigen alten Kulturen zerstört haben.
[Exkurs (Eilige mögen die nächsten vier Absätze überspringen). Die Mexikaner wissen nicht - und auch Tarzan weiß es damals noch nicht -, daß die prä-kolumbianischen Kulturen sowohl auf der Halbinsel Yucatán als auch im Hochland von Mexiko bei Ankunft der Spanier längst zerstört waren, ebenso wie die im Hochland von Perú. Archäologie und Geschichte Lateinamerikas harren noch der Entdeckung, daß die Zerstörer dieser Kulturen nicht etwa die Spanier waren, sondern - die Inca und Azteken, die unter dem Zeichen des Jaguar-Gottes Tezcatlipoca über die Anhänger der Feder-Schlange Quetzalcoatl, die Mixteken (von denen auch der Reise-Gott Yacatecuhtli stammt, den Euch Dikigoros eingangs abgebildet hat) und Tolteken, her fielen. Nicht einmal das Umstoßen der hohlen Fassaden, die diese noch hatten stehen lassen, kann man den Spaniern zum Vorwurf machen; vielmehr waren es die Nachkommen der von den Mörderbanden der Inca und Azteken ausgerottenten bzw. versklavten Kultur-Völker, die damals aufstanden und deren Terror-Staaten zerschlugen - gewiß mit Hilfe der Spanier (die sie anfangs für Reïnkarnationen des Quetzalcoatl hielten), die sich damals und in den folgenden Jahrhunderten auch nicht gerade mit Ruhm bekleckerten; aber der Vorwurf der "Kulturvernichtung" kann sie schwerlich treffen. Doch damals wird die herrschende Meinung noch von Hobby-Historikern gemacht, wie dem Briten Nigel Davies, der gerade seine "Geschichte der Azteken" veröffentlicht hat (und dafür mit Ehrendoktor-Hüten überhäuft werden wird), in dem er sie als "Meister der Staatskunst und Schöpfer hoher Kultur" belobhudelt. Er glaubte, alle vor den Azteken in Mexiko bestehenden Reiche seien von selber "zerfallen", und die Azteken seien daraufhin von ihrer Heimat aus, den sieben Höhlen beim heutigen Mazatlán - einem 400 km südlich von Topolobampo gelegenen Pazifik-Hafen - ins Hochland aufgebrochen und hätten dort eine "Hochkultur" entwickelt. (So wie man damals noch glaubte, in Italien seien die Etrusker von selber "untergegangen", und die Römer hätten daraufhin von ihrer Heimat aus, den sieben Hügeln am Unterlauf des Tiber, das Land erobert und die Zivilisation erfunden.) Und dort hätten sie sich dann von "Azteken" in "Mexikaner" umbenannt.
Kein Wort davon ist wahr, wie wir heute wissen. Die Quelle für dieses Märchen war die im 17. Jahrhundert geschriebene Chronik eines selbst ernannten Enkels des letzten Azteken-Königs Moctezuma. Erst die seither getätigten archäologischen Funde haben ihn Lügen gestraft. Und auch die haarsträubenden Berichte, die ein Bartolomé de las Casas mit unschöner Regelmäßigkeit nach Spanien schickte, hält man heute eher für mehr oder weniger plumpe Versuche, die Krone von der Notwendigkeit der Erweiterung seiner eigenen Machtbefugnisse als Bischof und "Beschützer der Indios" gegenüber der Zivilverwaltung zu überzeugen - Greuel-Propaganda halt, wie sie die Kirchen- und Dunkelmänner, pardon Gutmenschen nicht nur seiner Zeit meisterlich beherrsch(t)en. Was, liebe Ethno-Linke, Ihr glaubt Dikigoros nicht? Dann besorgt Euch mal de las Casas' "Historia de las Indias" und lest den Schwachsinn, den er dort verzapft hat - überwiegend Märchen von Hexen und Zauberern; und wenn Ihr dann noch glaubt, daß ausgerechnet die Sache mit der spanischen Terrorherrschaft über die Indios stimmt, dann ist Euch nicht zu helfen. Tatsächlich - und das ist einer der bösesten Treppenwitze der lateinamerikanischen Geschichte überhaupt - war de las Casas, den heute viele Ignoranten zum "Verteidiger der Indios" hochjubeln, einer der Hauptverantwortlichen für ihren Untergang, denn auf ihn geht die - ebenfalls lautstark propagierte - Idee zurück, Neger-Sklaven aus Afrika zu importieren, um den armen Indios das harte Los der ungewohnten und ungeliebten körperlichen Arbeit in Minen und auf Plantagen zu ersparen. In den Ländern, in denen man auf diesen "menschenfreundlichen" Ratschlag hörte (in Mexiko taten das zum Glück nur wenige), führte dies bald zur Überhandnahme der Schwarzen und zur Ausrottung der Indios - 60 Millionen (nach anderen Schätzungen sogar bis zu 150 Millionen) afrikanische Neger holten die verbrecherischen Sklavenhändler im Laufe der Jahrhunderte nach Amerika und brachen ihm so das - nicht nur ethnische - Rückgrat. Auf Kuba, Hispaniola, Jamaika, Santo Domingo und den meisten anderen Karibik-Inseln kann man das Ergebnis bereits fix und fertig sehen; an den Küsten des nördlichen Südamerikas nimmt das Verhängnis seinen Lauf etwas langsamer - aber das ist eine andere Geschichte.
Leider scheint niemand die Lehren gezogen zu haben aus diesen neuen Erkenntnissen. Noch immer gelten die kulturlosen, zentralisierten Einheits-Staaten der Inca und Azteken unseren "Politikern" als Vorbilder, und ihre Zerschlagung als Untat. Heute bibbern sie, daß Staatsmonster, die nur noch von islamischem oder kommunistischem Terror gewaltsam zusammen gehalten werden, eines Tages auseinander brechen könnten, von Pa(njab)k(ashmir)is(indh)tan (für Balutschistan und die "Nordwestgrenz-Provinz" Pashtunistan waren keine Buchstaben mehr übrig im Abkürzungssalat, der "Land der Reinen" bedeuten soll) über Indo-Nesien bis Rot-China; so wie ihre Vorgänger bibberten, als die Tschecho-Slowakei, Jugo-Slawien und die Sowjet-Union auseinander fielen. (Von Groß-Britannien, Frankreich, Spanien und Italien sprechen wir hier gar nicht - das tut Dikigoros an anderer Stelle.) All die größenwahnsinnigen Diktatoren, von Alexander dem Gehörnten (so nannten ihn seine Zeitgenossen, und so ließ er sich auch auf seinen Münzen darstellen, als Dionysos, Gott der Säufer und Hurenböcke; nur die unwissenden Narren von heute nennen ihn "den Großen") bis Wladímir Iljitsch Uljanow alias "Lenin" und ihre heimlichen Bewunderer und offenen Nachahmer, die "Demokraten" von heute, haben nie kapiert (und das Wahl- und Herdenvieh der von ihnen durch ihre allgegenwärtigen Massenmedien perfekt manipulierten Untertanen erst recht nicht), daß echte Kultur nur in kleinen, homogenen Völkern mit eigenen National-Staaten gedeihen kann, nicht in supra-nationalen Großreichen und Imperien, die alle kulturelle Vielfalt platt machen, pardon integrieren, und die unterschiedlichen Menschen gleich schalten (am liebsten durch Privilegierung von Mischehen mit Doppel-Paß für die daraus resultierenden Bastarde, die dann zwei Bürokratien untertan sind, aber keiner Nation angehören, und keine eigene Sprache mehr sprechen - geschweige denn deren zwei -, sondern nur noch irgendein Kauderwelsch brabbeln). In diesen Staaten, die statt auf einer Kultur- und Volksgemeinschaft auf einem "Verfassung" genannten Blatt geduldigen Papiers und einer Rotzfahne auf Halbmast beruhen, gedeiht allenfalls "Multikulti", was immer und überall gleichbedeutend ist mit Un-Kultur. Gleichwohl wird das von korrupten Parteibonzen und anderen Volksverrätern immer noch als Ideal angestrebt, denn die "multi"-(richtig: zero-)nationalen Konzerne wollen möglichst große Absatzmärkte von Verbrauchern mit gleichem Kauf- und Konsumverhalten, und ihre Lobbyisten sind großzügig beim Verteilen von Schmiergeldern an die Herrschenden - da kommt man mit 30 Silberlingen oder ähnlichen "Peanuts" nicht mehr hin.
Und wenn Angehörige einer Volksgruppe ihren eigenen Staat haben wollen, um ihre kulturelle Eigenart - oder wenigstens das, was davon noch übrig geblieben ist - zu bewahren, dann werden sie zu "Nationalisten" und "Separatisten" erklärt und gewaltsam unterdrückt, und wenn sie sich gegen die Gewalt ihrer Unterdrücker mit Gegengewalt zur (Not-)Wehr setzen, dann werden sie als "Terroristen" diffamiert und getötet, denn in der "Demokratie" herrscht die Mehrheit, und die herrschende Partei, die Partei, die hat immer Recht. Und so stirbt denn auf dieser Welt jeden Tag ein weiteres Stückchen alter Kultur, untergerührt und erstickt im multinationalen, multiethnischen Einheitsbrei, den die vielen Köche verdorben haben, die es in Großküchen notwendigerweise gibt. "Stirbt" ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort, denn die zuvor geschilderte Habgier der Bestecher und der Bestochenen erfüllt ein qualifizierendes Tatbestandteil des Mordes - also haben wir doch den Mut, die Dinge beim Namen zu nennen: wird ermordet! Wie sagt der Mexikaner: "Llamemos a las cosas por su nombre: cosas!" Als Dikigoros begann, um die Welt zu reisen, gab es noch in fast jeder amerikanischen Großstadt Dutzende säuberlich voneinander getrennter völkischer Enklaven, Stadtviertel mit eigenen Sprachen, Küchen, Zeitungen und Kirchen der verschiedenen Einwanderer-Nationen (mit Ausnahme der deutschen und japanischen, versteht sich - aber es gab noch jiddische "Ghettos" und sizilianische Mafia-Hochburgen); und niemand hätte z.B. die polnischen, ukraïnischen und russischen Viertel in Chicago und Cleveland übersehen können, die chinesischen und koreanischen in Portland und Seattle oder die spanischen, mexikanischen und kubanischen in Miami und New Orleans - aber das ist eine andere Geschichte. Heute, da er im Zorn zurück blickt, gibt es auf der ganzen Welt nur noch vier oder fünf echte Kulturkreise - und der lateinamerikanische, zu dem Mexiko zählt(e), wird der nächste sein, der von der Bildfläche verschwindet, ein weiterer Schritt auf dem Weg zur erst armseligen, dann ganz seelenlosen "One World (Einheitswelt)". Exkurs Ende.]
Zum anderen sind da die US-Amerikaner, die sich immer und immer wieder in mexikanische Belange eingemischt haben, die ihnen Mitte des 19. Jahrhunderts gewaltsam die Territorien nördlich des Rio Grande entrissen haben: Kalifornien, Nevada, Colorado, Arizona, Neu-Mexiko und Texas. Im April 1914 landete US-Marine-Infanterie in Tampico und Veracruz unter dem Vorwand, Mexiko sei ein Verbündeter Deutschlands, das ihm Waffen verkauft habe - dabei war der Erste Weltkrieg noch gar nicht ausgebrochen; und im März 1916 marschierten sie auch mit Landtruppen in Mexiko ein, obwohl sich die USA damals offiziell noch gar nicht im Krieg gegen die Mittelmächte befanden, sondern vielmehr behaupteten, "neutral" zu sein und nur Pancho Villa jagen zu wollen. (Befehlshaber der amerikanischen Invasions-Truppen in Mexiko war übrigens derselbe General Pershing, der die amerikanischen Truppen befehligte, die 1917 in den Krieg gegen Deutschland eingriffen und nach dem seit den späten 1950er Jahren die Atomsprengköpfe tragenden Marschflugkörper der NATO benannt werden; und sein damaliger Adjutant war der spätere General Patton, der die Deutschen im Zweiten Weltkrieg besiegte; vielleicht wissen die Mexikaner das alles auch.) Und dann besitzen die USA noch die Frechheit, Mexikaner, die den Rio Grande Richtung Norden zu überqueren wagen, um dort schwarz zu arbeiten, als "Wetbacks (Naß-Ärsche)" zu beschimpfen und als "illegale Immigranten" abzuschieben - dabei ist es doch ihr angestammtes Land (gewesen)!
Exkurs. Da Dikigoros nun schon einmal gegen seine selbst aufgestellten Regeln verstoßen hat, kann er ja auch auf diesen Punkt noch etwas näher eingehen - hätte er sich nicht mit einem Kneipenwirt, sondern einem "Gebildeten" unterhalten, wäre er vielleicht schon früher schlauer gewesen; aber seine Leser sollen wissen, daß auch der "ungebildete" Kneipenwirt im Ergebnis mit dem, was er ihnen gleich zu lesen vorsetzt, Recht hatte. Vor dem Ersten Weltkrieg hatten die Amerikaner ihre schlecht bezahlte Drecksarbeit von chinesischen und japanischen Kulis machen lassen; aber nach dem Krieg wollten sie keine schlitzäugigen Zuwanderer aus Asien mehr bei sich haben und verabschiedeten eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen, die später (in abgeschwächter Form) den Nazis als Vorbild für ihre "Nürnberger Gesetze" dienen sollten, und die binnen kürzester Zeit zum vollständigen Erliegen der Einwanderung aus Fernost führten. Aber wer sollte nun die Drecksarbeit machen, für die sich die Yankees zu fein waren? Die Antwort lautete: Gastarbeiter von "south of the border". Die Regierungen der USA und Mexikos schlossen ganz offiziell ein Anwerbeabkommen, das den letzteren feste Löhne und das Recht auf befristeten Familiennachzug gewährte. Man nannte sie zwar nicht "Gastarbeiter", sondern "Braceros" ("Arm-Arbeiter" - nicht weil sie wegen der Hungerlöhne arm blieben, sondern weil sie mit ihren Armen arbeiteten :-), aber es war klar, daß sie nach Ablauf der Vertragsdauer in ihre Heimat zurück kehren sollten. Ja, sie sollten, aber viele wollten nicht, denn Mexiko war von Revolution, Bürgerkrieg und sozialistischen Experimenten ruiniert; und so blieben sie denn lieber "illegal" im Norden, statt im Süden "legal" zu verhungern. Dann kamen der Schwarze Freitag und die Weltwirtschaftskrise, von der die USA besonders hart getroffen wurden, und sie spülten
Roosevelt
an die Macht. Der fackelte nicht lange, sondern ließ 500.000 Mexikaner zwangsdeportieren (er nannte das "repatriieren"), denn inzwischen waren viele Amerikaner froh über jede Drecksarbeit, und sei sie noch so schlecht bezahlt. Als auch das nichts half, um die Wirtschaftskrise zu überwinden, begann Roosevelt aufzurüsten und einen Weltkrieg vorzubereiten. Im Dezember 1941 hatte er es geschafft; aber nun fehlten plötzlich wieder die Arbeitskräfte, denn die Amerikaner mußten ja als Soldaten in den Krieg ziehen; und anders als die Europäerinnen ließen sich die Amerikanerinnen nicht einfach in die Fabriken oder auf die Felder schicken, um dort die Männerarbeit zu verrichten. Also kehrt, marsch marsch, die Anwerbung von HelotenGastarbeitern in Mexiko begann erneut - das zweite "Bracero"-Abkommen wurde geschlossen. Und diesmal dauerte es etwas länger, bis man die "Illegalen", die nach Ablauf ihrer Kontraktzeit nicht nach Hause gingen, sondern einfach im Lande blieben, gewaltsam deportierte: Die Regierung
Eisenhower
führte 1954 die "Operation Wetback" durch, bei der über eine Millionen Mexikaner zwangsdeportiert wurden. Die Regierung
Kennedy
verhängte einen Anwerbestop per 1964; von da an waren alle Mexikaner, die zum Arbeiten in die USA kamen, "Illegale" und durften gejagt werden - das war der Stand der Dinge, als Dikigoros und seine Ochsen gemeinsam Mexiko besuchten. Exkurs Ende.
Das alles ist noch nicht vergessen, weder vom Politiker an der Spitze des Staates noch vom Kneipenwirt in Los Mochis, der sich täglich mit den häufig arroganten US-Touristen herum ärgern muß. "Claro, hombre," meint der nur und schenkt ein. Tarzan und Patrick trinken ihr Bier und sehen zu, wie ihre Vorgesetzten mit den großen Scheinen wedeln - die sind sie natürlich los - und zur Tür hinaus komplimentiert werden. Sie unterhalten sich noch etwas mit dem Kneipier, über die Gringos und die im vorigen Jahrhundert verlorenen nordmexikanischen Gebiete. "Aber sind die es wirklich wert, einen neuen Krieg um sie zu führen?" fragt Patrick, "wir sollten doch froh sein, daß zwischen unseren Ländern endlich Frieden herrscht." Der Wirt lacht bitter: "Das ist der ewige Spruch der Diebe und Räuber. Wenn sie sich die Beute gekrallt haben, schreien sie laut: 'Wiederholen ist gestohlen' und pochen auf die 'friedliche' Bewahrung des status quo. Warum konnten sie nicht Frieden halten, als die Gebiete noch uns gehörten? Sie haben unsere Länder geteilt, mitten hindurch, mit Stacheldraht und Mauern, und wer von einem Teil in den anderen will, wird erschossen oder verhaftet und eingesperrt. Warum lassen wir Mexikaner und Deutsche uns das eigentlich gefallen?" - "Die Ostdeutschen haben Angst, daß ihnen die Arbeitskräfte davon laufen," sagt Tarzan. "Ja, aber warum geben sich ostdeutsche Soldaten dazu her, an der Grenze auf ihre Brüder zu schießen? Daß die Amis am Rio Grande auf uns Mexikaner schießen ist eine Sache, aber bei euch an der Berliner Mauer..." - "Das DDR-Regime hat den jungen Grenzsoldaten gesagt, die Flüchtlinge, die versuchen, über die Mauer oder den Stacheldraht zu klettern, wären allesamt gefährliche Spione, Saboteure oder sonstige Verbrecher und müßten erschossen werden." - "Wie kann man nur so einen Unsinn glauben?"
Mit dem Oberleutnant in Chihuahua bräuchten wir diese Diskussion nicht zu führen, denkt Tarzan - damals. Heute sieht er vieles anders, aber auch klarer. Zum Beispiel, daß dieser Vergleich hinkt: Das DDR-Regime hat eine Mauer gebaut um zu verhindern, daß Leute ihr Land verließen, die arbeiten konnten und wollten, und daß am Ende nur diejenigen zurück blieben, auf die das nicht zutraf. Dafür hat Dikigoros zwar kein Verständnis, aber er kann es verstehen. (Er hat auch volles Verständnis dafür, daß Staaten wie die USA keine Schein-Asylanten und Sozialhilfe-Schmarotzer aufnehmen wollen, die außerdem noch kriminell werden; freilich kennt er mindestens einen Staat, der selbst solches Pack mit offenen Armen aufnimmt - was er wiederum nicht versteht.) Die Amerikaner aber haben eine Mauer gebaut um zu verhindern, daß Leute ihr Land betreten, die arbeiten können und wollen, in Jobs, für die offenbar eine Nachfrage besteht, und dazu noch für billigen Lohn. Das versteht er nicht. Wer außer Gewerkschaften und anderen kriminellen Vereinigungen, die den Arbeitsmarkt für sich und ihre Mafiabosse monopolisieren wollen, könnte daran ein vernünftiges Interesse haben? Sie schreien "Lohndumping" und hängen sich ein "soziales" Mäntelchen um. In Wirklichkeit sind sie zutiefst unsozial, denn sie verhindern den Erhalt alter und die Schaffung neuer Arbeitsplätze, indem sie diese unbezahlbar machen. Das Schicksal derjenigen, die darob auf der Straße stehen und (ver-)hungern, ist ihnen egal, denn sie wissen, daß die wenigsten von denen dazu neigen, einer Gewerkschaft beizutreten - ihr gesunder Menschenverstand sagt ihnen, daß sie ihr sauer verdientes Geld besser nicht den korrupten Gewerkschaftsbonzen in den Arsch stecken sollten. Die meisten dieser "Arbeiterführer" haben ja noch nie einen Handschlag körperlich gearbeitet und würden ihre Mitgliedsbeiträge doch nur für die Gründung von Schwindel-Firmen, die Errichtung von Büro-Palästen und die Veranstaltung rauschender Feste verprassen. (Amerikanische Gewerkschaftsbonzen sind noch korrupter als europäische.) Dikigoros hat inzwischen Verständnis für die Meinung der mexikanischen "Illegalen", daß man dieses ganze Pack einen Kopf kürzer machen sollte - ohne Gewerkschaftsbonzen und ihre willfährigen Helfershelfer in den Immigrations-Behörden könnte es Arbeit, Lohn und Brot (oder wenigstens Maisfladen) genug für alle geben.
Zurück nach Los Mochis. "Hast du gedient?" fragt Tarzan den Wirt. "Nein." - "Dann will ich dir mal etwas aus meiner Rekrutenzeit erzählen. Da mußten wir nachts unsere Kaserne bewachen. Bei der Belehrung wurde uns gesagt: 'In den letzten Wochen ist es mehrfach zu Einbrüchen in unsere Kaserne und Waffenkammer gekommen; es sind Schußwaffen und Munition entwendet worden. Wenn Sie verdächtige Personen am Zaun entdecken, die auf zweimaligen Anruf nicht stehen bleiben, schießen Sie. Und zielen Sie gut, das sind Verbrecher, skrupellos und schwer bewaffnet.' Wir waren neu am Ort und konnten nicht nachprüfen, ob das stimmte, wir mußten es einfach glauben, und wir haben es geglaubt. Wenn ein Wochenend-Urlauber den Zapfenstreich verpaßt hätte und über den Zaun in die Kaserne geklettert wäre, ich glaube, wir hätten ihn auch erschossen." - "Bei einer Kaserne mit Waffen- und Munitionslager mag das ja sein," meint der Wirt, "aber wenn einer von uns versucht, über die Grenzsperren am Rio Grande zu klettern, wissen die da drüben ganz genau, daß er weder ein Spion noch ein Saboteur noch sonst ein Verbrecher ist; und die schießen trotzdem. Aber wartet nur, eines Tages wird abgerechnet." - "Schon möglich," meint Tarzan, "aber nun wollen wir erstmal abrechnen; was hatten wir denn Schönes?" Der Wirt bringt die Bierdeckel. (Es ist spät geworden und nicht bei den zwei Tecates geblieben; aber obwohl sie die Sperrstunde reichlich überschritten haben, hat sie niemand dafür erschossen; in Mexiko gilt in Sachen Pünktlichkeit: leben und leben lassen.) "Und bezahlt haben wir, Moment mal..." Tarzan hat genau hin gesehen, was seine Kameraden gezahlt haben und auch gemerkt, daß niemand Wechselgeld bekommen hat - sie sind einfach abgehauen, ohne danach zu fragen. "Dann bekommen wir also noch heraus..." Der Wirt zahlt das Wechselgeld anstandslos an Tarzan aus. "Siehste", sagt der triumfierend zu Patrick, "nun habe ich auch wieder Geld." (Viele Jahre später, als die Berliner Mauer geöffnet und Deutschland - nicht aber Mexiko - wieder vereinigt ist, wird Tarzan (den sie dann schon Dikigoros nennen werden) diese Diskussion fortführen; aber das ist eine andere Geschichte.)
Als sie ins Hotel zurück kommen, hören sie schon am Eingang ihre Offiziere aus der Bar grölen und fluchen: "Diese Scheiß-Mexis, nach Strich und Faden haben sie uns betrogen, von morgens bis abends. Die Taxifahrer... Die Restaurants... Und in der Kneipe nebenan war es am schlimmsten, noch teurer als hier..." Tarzan setzt sich ans Klavier und spielt so lange, bis auch der letzten Ochse nur noch andächtig lauscht. Patrick nimmt unterdessen Alfred beiseite, der besonders bedröppelt ist, da sein Intimfeind, der Geier, in seiner Beurteilung der Mexikaner so offensichtlich Recht behalten hat. "Also, ich habe zwar nicht verstanden, was Tarzan dem erzählt hat, aber..." - "Dann bekommen wir ja noch Geld von euch zurück," meint der, als Patrick fertig ist. "Nichts da," sagt Tarzan und bleibt hart - schließlich haben diese Alkoholiker schon seine 100 Dollar versoffen! (Das, liebe jüngere Leser, war eine ziemliche Leistung in einer Zeit, als das Bier in einer Bar in Mexiko - selbst einer mit Ausländer-Preisen - maximal 1.- US-$ kostete :-) Dann macht er sich den Spaß, den anderen Gästen - die meisten von ihnen amerikanische Touristen und Geschäftsleute - "seine" Ochsen vorzustellen: "Das ist Colonel Redneck, und so wie er heißt ist er auch." Der hat den Witz mit seinem Namen natürlich nicht verstanden, sondern lallt nur in die Runde: "Ich versuche bloß, ein guter Demokrat zu sein." (Vielleicht hat er doch mit bekommen, daß ihn einer an den hinteren Tischen als "besoffenes Nazi-Schwein" bezeichnet hat? Er hat wohl etwas zu sehr mit seiner und seiner Vorfahren glorreichen Vergangenheit geprotzt.) "Und das ist Lieutenant Colonel von P. - dessen Urgroßtante war mit Otto von Bismarck verheiratet, die wäre sicher stolz auf ihn, wenn sie ihn jetzt so sähe." P. torkelt durch den Saal, was man als Verneigung auffassen könnte. "Und das ist unser Führer, Major Großmaul..." Und so geht es weiter - ein würdiger Ausklang dieses denkwürdigen Tages.
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Am nächsten Morgen nach dem Frühstück wagt Tarzan seinen Augen kaum zu trauen: Die ganze Ochsen-Herde ist brav auf dem Ortsplatz ("Plaza de Armas", Exerzier-Platz nennt sich der bis heute in den meisten kleineren Orten Mexikos) angetreten und wartet auf den Bus nach Topolobampo! Tarzan grinst innerlich - sie kommen sogar pünktlich weg, denn so ist die Karre bald voll. Anstandshalber sorgt er dafür, daß auch die anderen nur den Einheimischen-Tarif bezahlen müssen... Am Strand teilt sich die Gruppe: Die Unverbesserlichen mieten wieder eine hochseetaugliche "Yacht", um Fischchen zu fangen; Tarzan und seine Anhänger einen einfacheren Kahn für knapp ein Zehntel des Preises, ohne Angelruten, da kreuzen sich ihre Wege wenigstens nicht. Nasse Füße bekommen sie auch so, denn ihr Kahn entpuppt sich als nicht ganz wasserdicht, und als dann auch noch der kleine Bordmotor ausfällt, wird es richtig spannend... Keine Angst, die Mexikaner bekommen das schon hin, sie sind nicht so unfähig, wie die Deutschen und Amerikaner in ihrer Überheblichkeit glauben! Als sie wieder heil an Land sind, ziehen es die meisten Kleingläubigen allerdings vor, schleunigst ein Taxi zurück nach Los Mochis zu nehmen (bevor die Stabsoffiziere zurück kommen und es ihnen weg schnappen), um sich trockene Klamotten anzuziehen. "Was laufen diese Schlips-Soldaten auch in langen Hosen herum?" meint Tarzan spöttisch zu Patrick, der als einziger bei ihm geblieben ist und ihn mal wieder mit treuem Augenaufschlag anschaut: "Ich hab Hunger. Wie kommen wir nun zurück?" - "Da hinten steht noch eine Kiste mit lauwarmem Tecate, die haben unsere Offze gestern vergessen, das nährt auch." 100 m weiter den Strand hinunter sind einheimische Krabben-Fischer damit beschäftigt, ihre Netze einzuziehen und den Fang auf einen alten Lastwagen zu verladen. Tarzan spricht sie an. "Wenn ihr noch 20 Minütchen Geduld habt, könnt ihr mit uns fahren." Da ist sie wieder, die herzliche Hilfsbereitschaft, die Tarzan kennen gelernt hat, als er alleine durch Mexiko gereist ist. Sie steigen mit dem kleinen Häuflein auf die schmuddelige Ladefläche des Lasters und unterhalten sich prächtig. Und zum Mittagessen werden die beiden Deutschen auch noch eingeladen, zu frisch gekochten Krebsen aus dem Fang, eine Delikatesse. (Selbstverständlich nehmen die Fischer weder Geld für den Transport noch für das Essen; Tarzan läßt ihnen nur den Rest der Bierkiste da.)
Für Patrick ist das Erlebnis dieser Gastfreundschaft eine Lehre, die er nicht vergessen wird - er ist fortan gegen das dumme Geschwätz der anderen über "die Scheiß-Mexis" immun, was immer sie ihm erzählen. Und mag es noch so wahr sein: Er hat begriffen, daß es genau so aus dem Wald heraus schallt wie man hinein ruft, und daß man Mexiko eben auch ganz anders erfahren kann (im wahrsten Sinne des Wortes!) als die Mehrzahl der großkotzig und rücksichtslos auftretenden Touristen aus den reichen westlichen (und nördlichen) Ländern mit ihren nie zu befriedigenden Ansprüchen, ihren auf Unkenntnis (vor allem der Sprache) zurück zu führenden Mißverständnissen und daraus zwangsläufig folgenden Enttäuschungen. Als sie im Hotel ankommen, erleben sie schon den nächsten Fall: "Die haben doch gesagt, daß uns die Hotelküche den Fang für 15 Pesos zubereitet," jammert Peter. Das kann er doch nicht im Ernst geglaubt haben: Für knappe zwei US-$ machen nicht mal die Mexikaner den Herd an. "Und nun wollen sie 2 $ pro Portion - dafür könnten wir ja gleich auswärts essen gehen! Wollen Sie nicht mal mit denen reden? Sie bekommen auch etwas ab." - "Danke, wir haben schon gegessen." - "Wie? Wo? Was? Das Yacht-Hotel hat doch geschlossen - dabei hatte ich eine Reservierung..." Patrick beginnt zu erzählen, wie er und Tarzan den Tag herum gebracht haben - aber das glaubt ihnen doch niemand... Sie verbringen den Abend mit der (wiederum erfolglosen) Suche nach einem ausgestopften Kugelfisch, diesmal in Los Mochis und zusammen mit Alfred, der aus Gründen der Kostendämpfung heute mal auf den Barbesuch verzichtet und statt dessen eine im Laden gekaufte Flasche Bacardi-Rum mit sich führt. Aber wie heißt es so schön: "Wo nichts ist, ist nichts." Und überhaupt ist sich Tarzan nicht mehr so sicher, ob Alfred wirklich in erster Linie wegen des Kugelfisches mit gekommen ist oder nicht doch eher wegen des Saufens - und so gesehen ist er ja durchaus voll auf seine Kosten gekommen...
Der Tag der Rückreise ist angebrochen. Die Stimmung ist nicht mehr ganz so gut wie bei der Hinfahrt; sicher denken die meisten Ochsen schon an die Abschlußprüfung, denn die findet sinnigerweise nicht vor, sondern nach der Betreuungsfahrt statt. Die Taxis zum Bahnhof stehen bereit, die Zeit wird mal wieder knapp, da außer Tarzan und Patrick alle die letzte Nacht durch gesoffen haben und so kurz vor Mittag nur mit Mühe aus den Federn kommen. Umso müheloser kommt der Hotelier daher und wedelt mit der Rechnung: "Erst zahlen, Gentlemen, vorher können Sie nicht abfahren." - "Herr Oberst, die wollen nochmal bezahlt werden," meldet Peter bestürzt. "Also, Major, Sie sind Durchführender, klären Sie das gefälligst," gibt Rednick zurück. "So eine Unverschämtheit," tobt Peter - wobei er offen läßt, wen er damit meint: den Hotelier, Rednick oder beide. "Wenn wir nicht zahlen, lassen die uns nicht weg, und dann fährt uns der Zug vor der Nase davon." Tarzan, der dieses Schauspiel der Hilflosigkeit seiner Hampelmänner bis dahin schweigend verfolgt hat, macht dem Spuk schlagartig ein Ende, indem er die Quittung zückt (er hat sie griffbereit, wohlweislich) und ein paar passende Worte auf Spanisch dazu sagt. Der Hotelier entschuldigt sich sogleich für das bedauerliche Mißverständnis und wünscht ergebenst eine gute Reise. (Dieses Verhalten wollt Ihr, liebe Leser, bitte nicht auf "die" Mexikaner verallgemeinern; das Hotel- und Gaststätten-Gewerbe der so genannten "besseren" Kategorien wird in allen Ländern der Welt von Gaunern und Betrügern beherrscht, auch in Eurem - welches immer das sein mag -, da macht Euch mal nichts vor!)
Aber als ob das Schicksal wüßte, daß es ihm mit diesem frommen Wunsch nicht ganz ernst sein kann, hat es in den kommenden 24 Stunden noch einiges in der Hinterhand für die Truppe. Und das hat indirekt auch mit den Teilnehmern des "niederen" Lehrgangs zu tun, die keinen Sonderurlaub bekommen haben und deshalb einen Zug früher zurück nehmen mußten. Die Tücke der Technik will es, daß ihr Zug entgleist und einige Waggons die Hänge der Barranca hinab stürzen. Da das mitten im Gebirge ist und das Nachrichtensystem schlecht, weiß davon am nächsten Mittag in Los Mochis noch niemand, also fährt der Zug mit Rednicks (oder ist es jetzt wieder Peters?) Haufen ab, als wäre nichts geschehen. Als sie an die Unfallstelle kommen, erfahren sie, daß auch die Gleise in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Also lädt der Zug die Passagiere aus und dampft zurück nach Los Mochis. Und das Kommando an die Ausgestiegenen lautet: "Die Gepäckstückchen schultern und ein paar Kilometerchen Fußmärschchen bis zum Anschlußzüglein." Die Mexikaner (und die Lateinamerikaner überhaupt, wie Tarzan später lernt) haben eine Neigung, für alles Verkleinerungsformen zu gebrauchen, auch wenn eigentlich eine Vergrößerungsform angebracht wäre; bei ihnen heißt es nie, einen Moment warten, sondern ein Momentchen - un ratito -, das dann umso länger dauert. Ebenso verhält es sich hier mit den "Kilometerchen". Tarzan kommen sie jedenfalls elend lang vor - umso mehr müssen sie das für einen Haufen alter, besoffener Männer sein, die alle auch noch mehr als doppelt soviel Gepäck zu schleppen haben wie er. Aber die bemerken wenigstens nicht die Verletzten, die den Hang hinunter gekegelt sind - und die, die vielleicht noch hinterher kegeln, wenn sie hier irgendwo ausrutschen. Es ist grauenhaft; nun zeigt sich, wie unfähig die vermeintlichen "Führungspersönlichkeiten" sind, bei unvorhergesehenen Ereignissen - dazu noch bei rasch einbrechender Dunkelheit - Disziplin oder auch nur die Truppe zusammen zu halten. (Wie war das mit den Nachtmärschen, die sie während der Grundausbildung bis zum Umfallen geübt haben?) Der Haufen wird völlig versprengt, wie die sprichwörtliche Hammel-Herde; die einzigen, die wieder einen Platz in der "Primera Especial" ergattern (diesmal aber zusammen mit zahlreichen Einheimischen, denn in dieser Lage haben die Schaffner anderes zu tun als Fahr- oder gar Platzkarten zu kontrollieren), sind Tarzan und... Theo, der es ebenfalls geschafft hat, sich als "Einzelkämpfer" durch zu schlagen, und das, obwohl er zwischendurch noch einem alten Mütterchen geholfen hat. Die anderen sind froh, eine Sitz- oder Stehgelegenheit irgendwo in der 2. Klasse - die sie vor ein paar Tagen noch als "Viehwaggon" geschmäht hatten - abzubekommen. Diese Ochsen hätten mir ja nur zu folgen brauchen, denkt Tarzan, wenn sie statt dessen einem besoffenem Oberst hinterher stolpern oder der eigenen Schnapsnase folgen, dürfen sie sich nicht wundern... Ob eigentlich irgend jemand zu würdigen weiß, daß sie jetzt doch noch etwas von der großartigen Landschaft gesehen haben, die ihnen auf der Hinfahrt vorenthalten worden war? (Hatten sie nicht ständig geschimpft, daß der Zugführer keine Fotopausen zum Aussteigen machte?) Um die verletzten Kameraden vom anderen Lehrgang kümmert sich niemand; zum Glück gibt es unter den deutschen Soldaten keine Todesfälle; die Sache gelangt nicht in die Presse und wird auch bw-intern vertuscht.
Der im voraus gebuchte Bus nach El Paso ist natürlich längst weg - so unpünktlich geht es nicht mal bei den Hasen von Chihuahua zu. Aber es muß ja wohl noch mehr Busse geben, die diese Strecke befahren. Peter und Rednick verhandeln mit Händen und Füßen am Fahrkartenschalter herum. "Im nächsten Bus ist angeblich nichts mehr frei, wir müssen den übernächsten nehmen, und das schlimmste ist, daß wir nochmal voll bezahlen sollen." Das hätte die Herren Offiziere normalerweise nicht gestört; aber im Vertrauen darauf, daß die Rückfahrkarten schon bezahlt sind, haben sie allesamt am Bahnhof von Los Mochis ihr restliches Geld in geistige Getränke angelegt, bis auf den letzten Peso, und hier in der Provinz nimmt niemand Kreditkarten oder Schecks an, schon gar keine amerikanischen. Die Truppe nimmt ratlos auf ihren Koffern Platz, die Flaschen kreisen, wenigstens verdursten werden sie so schnell nicht. Meinetwegen können die hier bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag hängen bleiben, denkt Tarzan, notfalls fahre ich alleine zurück, und wenn ich für jeden einzelnen Mitreisenden eine Vermißtenmeldung mit drei Durchschlägen schreiben müßte: In der Kupfer-Schlucht verschollen... Aber es ist mal wieder falscher Alarm: "Natürlich gelten eure Boletos noch," sagt der junge Mexikaner am Fahrkartenschalter, als Tarzan sich beschweren will, "das war doch höhere Gewalt. Ich habe das nur den beiden besoffenen Idioten da hinten nicht klar machen können. Was seid ihr bloß für ein Haufen?" - "Äh... deutsche Soldaten auf Urlaub." - "Dann paß' mal nächstens besser auf deine Untergebenen auf, das ist ja ein richtiger Sack Flöhe, den du da hüten mußt." Wohl wahr, denkt Tarzan. "Und warum können wir nicht im nächsten Bus fahren?" - "Der Bus ist doch schon vor 10 Minuten weg, hätte ich den nochmal anhalten und euch aufs Dach verfrachten sollen? Der nächste geht in einer knappen Stunde." - "Und ist da noch ein Sitzplatz für mich frei?" - "Wieso nur für dich? Wie viele seid ihr denn?" - "Vierundzwanzig." Tarzan bekommt anstands- und kostenlos vierundzwanzig alte gegen vierundzwanzig neue Billets mit Sitzplatznummer umgetauscht.
Die letzte Prüfung wartet am Rio Grande, an der amerikanischen Staats- und Zoll-Grenze: Da es verboten ist, ausländische Alkoholika einzuführen, beschließt die Truppe, die restlichen Vorräte auf der Stelle der Vernichtung zuzuführen. Stinkbesoffen torkelt der Haufen ins Fort zurück; der Geier ist zur Stelle, nimmt höhnisch grinsend die "Parade" ab, bannt die ganze Ochsen-Herde auf Zelluloid und verkauft die Fotos später gegen gutes Geld an die Amerikaner; so ist er der einzige, der an dieser Fahrt verdient - während alle anderen kräftig drauf gezahlt haben. Aber auch unter den Deutschen im Fort spricht sich das alles schnell herum, denn der Geier horcht Tarzan und Patrick geschickt aus und tratscht es genüßlich weiter. Ein Oberleutnant aus Peters Dienststelle ernennt diesen mittels eines in der PX käuflich erworbenen Urkunden-Vordrucks zum "Major Immitsch" (vom englischen Wort "Image" abgeleitet, das damals noch nicht in den allgemeinen deutschen Sprachschatz eingegangen ist) und verehrt ihm einen rostigen Benzin-Kanister, den er im Penck-Stil auf ein Holzbrett mit Landkarte genagelt hat, "in Anerkennung seiner Verdienste als Teileinheitsführer bei der Betreuung von Lehrgangsteilnehmern auf Bildungsfahrten." Zu seinem Glück sind sowohl Peter als auch die anderen Mitfahrer zu beschränkt, um den beißenden Spott dieses Geschenks zu verstehen - der Major hängt es über seinem Schreibtisch an die Wand, sehr zu Tarzans heimlicher Erheiterung.
Theo besteht tatsächlich die Abschlußprüfung nicht - als einziger. Peter schreibt ihm ein vermeintlich schmeichelhaftes Zeugnis nach dem Motto "Oberleutnant T. hat sich stets bemüht..." Ob er wirklich nicht weiß, was das im arbeitsrechtlichen Jargon bedeutet - nämlich ungenügend - oder ob er einfach nur gemein ist, wird Tarzan, der das Zeugnis tippen muß, nie erfahren. Aber er nimmt sich die Frechheit heraus, seinen Major (vor dem er nach dieser Reise jeglichen Respekt verloren hat) auf den Sinn und Unsinn dieser Prüfung anzusprechen. "Er hat doch die praktische Prüfung instinktiv bis zum letzten Handgriff richtig gemacht, nur in der theoretischen Prüfung die paar blöden Kreuze falsch gesetzt." (Man muß im "multiple-choice"-Verfahren - das damals in Deutschland noch nicht gebräuchlich ist - eine von vier vorgegebenen Antworten ankreuzen.) "Das sind nicht ein paar blöde Kreuze, Gefreiter," versetzt Peters Stellvertreter, Hauptmann Hüpf (den die Amerikaner, die dieses deutsche Wort nicht aussprechen können, "Captain Kangaroo" nennen, nach einer Witzfigur aus der gleichnamigen Serie des amerikanischen Kinderfernsehens, die der 2004 verstorbene Schauspieler Bob Keeshan von 1955 bis 1984 verkörperte - aber das wußten damals weder Dikigoros noch sein Hauptmann), "Sie könnten keine einzige Frage davon richtig beantworten." - "Diesen Quatsch kann doch jeder Idiot auswendig lernen," gibt der patzig zurück, "ich würde die Prüfung mit Auszeichnung bestehen." - "Na, das wollen wir doch mal sehen." Hüpf stellt Tarzan eine Prüfungsfrage nach der anderen. Zu seinem wachsenden Entsetzen - und dem der versammelten Dienststelle - kann er sie allesamt fehlerfrei beantworten, sogar ohne jeweils vier Antworten zur Auswahl vorgelegt zu bekommen. "Aber das kann doch gar nicht sein, das ist doch alles top secret, und Sie haben nie den Unterrichtsraum von innen gesehen, geschweige denn zugehört." - "Ich habe ja auch keine Ahnung von der Materie; ich war bei einem Pershing-Geschwader; bevor ich hierher kam, kannte ich Nike und Hawk nichtmal dem Namen nach. Aber da sehen Sie mal, wie wenig die richtige Beantwortung dieser Fragen damit zu tun hat, ob jemand fähig ist, eine Raketenleitstellung zu führen. Als ich hier angefangen habe, mußte ich als erstes die Fragen und Antworten tippen; und vor zwei Wochen nochmal die Korrekturen; und was ich einmal geschrieben habe, vergesse ich so schnell nicht wieder, und was ich zweimal geschrieben habe, nie." (Was halt ein 19-jähriger so für "nie" hält, Anm. Dikigoros.) Das Weltbild einiger Ausbilder muß wohl ins Wanken geraten sein; aber sie nehmen das nicht etwa zum Anlaß, den Sinn der Lehrgänge und der Prüfungs-Methoden in Frage zu stellen, sondern nur, um Tarzan weg zu loben, zum Sanitäts-Revier, wo gerade eine Stelle frei geworden ist, in dem Glauben, dort könne er weniger tiefe Einblicke in "geheime" Vorgänge bekommen - wenn die wüßten... (Aber das ist eine andere Geschichte.)
Auch Alfred wird versetzt, zurück nach Deutschland (seine dreijährige Verwendungszeit in Texas ist abgelaufen). Dort soll er auf eine Planstelle als Hauptfeldwebel in einer Raketenleitstellung befördert werden; aber kaum ist er da, fällt irgend jemandem auf, daß er den Lehrgang, den er in den USA drei Jahre lang selber mit unterrichtet hat, nie als Teilnehmer absolviert hat - er ist da einfach so rein gewachsen, und das reicht als formelle Grundlage nicht aus. Also wird er, nachdem sein Hausstand für teures Geld der Steuerzahler schon wieder nach Deutschland verfrachtet wurde (übrigens ohne Kugelfisch, den er bis zuletzt nicht bekommen hat), zurück in die USA versetzt - wo auch niemand auf die Idee gekommen war, mal in seine Personalakte zu schauen und ihn den letzten Lehrgang pro forma auf der Schulbank statt am Lehrerpult mitmachen zu lassen. Er verbringt also die Lehrgangs-Wochen (die für ihn Leergangs-Wochen sind) in den Bars von Juárez und besteht trotzdem mit Auszeichnung. Noch während er dort ist wird er - was er im Suff gar nicht richtig mit bekommt - zum Hauptfeldwebel befördert, weil irgend jemand festgestellt hat, daß es für die Beförderung an sich nicht auf den Lehrgang ankommt; und als er wieder zurück nach Deutschland kommt, findet er auf seinem Schreibtisch die inzwischen eingetroffene Verfügung vor, daß er auch die Planstelle in der Raketenleitstellung ohne weiteres bekommt, d.h. daß auf den Besuch "seines" Lehrgangs verzichtet wird. Das ist Personal-Politik in der Bundeswehr... wobei Alfred, mit dem Dikigoros kürzlich noch telefoniert hat, Wert auf die Feststellung legt, daß die Kosten, die damals durch ihn - aber ohne sein Zutun - entstanden sind, nur Peanuts waren im Vergleich zu dem, was heutzutage ein ungedienter Verteidigungsminister mal eben für ein "dienstlich veranlaßtes" Schäferstündchen mit seiner Geliebten auf Mallorca oder sonstwo, wo die Ehefrau nicht stören kann, verpulvern darf. Und Fritz der Geier wäre sicher neidisch geworden, wenn er gewußt hätte, wieviel Geld "Turtel-Rudi" von der Regenbogenpresse für die dort von ihm und seiner Mit-Seitenspringerin geschossenen Bilder bekommen hat - wo er selber sich doch damals mit einem popeligen US-$ pro Abzug begnügt hatte!
Jemand, der nicht gedient hat, erzählt Tarzan mal, er habe gehört, daß bei den Russen im allgemeinen und bei der Roten Armee im besonderen ungeheuer viel gesoffen werde, weshalb die gut disziplinierten, nüchternen Vaterlands-Verteidiger der Bundeswehr - der besten Truppe der Welt - ihr sicher haushoch überlegen seien. Tarzan schweigt, denkt an seinen Wehrdienst zurück und hofft inständig, daß sie es nie darauf ankommen lassen werden.
Noch ein Blick in die Zukunft (die ja inzwischen auch schon Vergangenheit ist): Rednick und v. P. werden noch [Brigade-]Generäle; Theo dagegen bleibt Oberleutnant, und auch Peter bricht seine Zeit in den USA karrieremäßig das Genick: Er geht als Oberstleutnant in Pension; für jemanden, der mit 31 Major war und auf dem Papier eine glänzende Fachqualifikation hatte, enttäuschend. Der Oberleutnant, der die Idee mit dem Benzin-Kanister hatte, wechselt ins Auswärtige Amt und geht später als Diplomat nach Washington. Fritz wird zwar nicht Fachoffizier, aber - als dieser Dienstgrad später wieder eingeführt wird - immerhin Stabsfeldwebel (das Gehalt ist das gleiche, und das ist ihm die Hauptsache). So viel zu den Berufssoldaten. Patrick ist wie Tarzan nur Zeitsoldat; die beiden kehren nach Ablauf ihrer Dienstzeit ins Zivilleben zurück, wo Tarzan "Rot schien die Sonne", die Memoiren des WK-2-Fallschirmjäger-Hauptmanns Otto Zierer, liest; seitdem glaubt er nicht mehr, daß es früher sehr viel anders zuging beim Barras als zu seiner Zeit (es war auch damals nicht alles "Heldentum", schon gar nicht in der Etappe :-), denn wenn der gute Otto das alles frei erfunden hätte, stände nicht "Roman" drüber - aber außer daß die Geschichte nicht in Amerika, sondern im fiktiven "Starnhagen" spielt und daß es nicht the daily Bourbon-Coke for the Major, sondern das tägliche "Likörchen fürs Majörchen" gibt, kommt ihm das alles verdammt bekannt vor. Die "Nike"- und "Hawk"-Raketen werden bald verschrottet und landen als Museumsstücke neben der guten alten "V2" - einem Beutestück aus dem Zweiten Weltkrieg - auf dem Kasernengelände.
Mamacita gibt in den 1990er Jahren die Löffel ab; ihre Nachfolger benennen den "Club René" großkotzig in "Rainer Palast" um und werden ein paar Jährchen später Pleite machen. Macht nichts, denn Bacardi kann man inzwischen auch in Deutschland kaufen (Tecate nicht, darüber wacht die deutsche Konkurrenz, die auf das "Reinheitsgebot" pocht), für Leute, die zu faul sind, sich ihren "Cuba libre" selber zu mixen, sogar vorgepanscht in Dosen - zwar nur die minderen Sorten, aber das merken die tumpen Germanen nicht, denn auf dem Etikett steht ja "Superior", und schmecken tun sie eh alle gleich. (Spitzen-Bacardis in Mexico erinnern dagegen im Geschmack an guten alten Cognac.)
Die Rarámuri-Indios geben die blöde Lauferei auf und werfen auch den übrigen alten Kultur-Krempel über Bord (so er nicht dem lukrativen Folklore-Tourismus dienlich ist :-). Statt dessen verlegen sie sich auf die Produktion von Tequila: eine Marke für die Touristen aus Texas, die andere um zu vergessen... In den 90er Jahren avanciert Deutschland zum größten Abnehmer des Agaven-Schnapses (zeitweise gehen über 50% der mexikanischen Ausfuhr dorthin); das sind zwar nur die minderen Sorten, aber das merken die tumpen Germanen nicht, denn auf dem Etikett steht ja "Tequila"... (Über "Mezcal" rümpfen sie dagegen die Nase; dabei ist das im Prinzip das gleiche, bloß halt aus Oaxaca statt aus Tequila). Da gibt es kein Reinheitsgebot, deshalb besteht das, was nach Deutschland kommt, meist zu 49,99% aus Zuckerrohrschnaps und ist mit Karamel gefärbt, damit er aussieht wie ein im Eichenfaß gereifter "reposado" oder gar wie ein "añejo". Und der "Wurm" (der in Wirklichkeit eine Schmetterlingsraupe ist) ist meist ergraut. (Bei guten Sorten bleibt der "gusano rojo" - den die Indios, vor allem die Nachkommen der Zapoteken, auch gerne gebraten und gesalzen in Tortillas wickeln und so essen - auch nach längerer Lagerung immer leicht rötlich.)
Raymond Cartier hat doch Recht behalten, und Dikigoros - der nur einen vorübergehenden Ausschnitt gesehen hatte - Unrecht: Die Integration der mexikanischen Immigranten in die USA ist gescheitert, sie holen zum Gegenschlag aus und wollen die südwestlichen Bundesstaaten ganz offen erst kolonisieren und dann annektieren: "Aztlan" heißt das Projekt - aber darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle mehr.
Sowohl die Windhunde von Dallas als auch die Hasen von Chihuahua machen Pleite. Zwar kauft irgend jemand den Namen Greyhound auf und eröffnet wieder ein ähnliches Unternehmen - aber Busreisen dieser Art sind bald nicht mehr "in", ebenso wenig wie Fahrten in alten Dampflokomotiven oder gar nächtliche Gepäckmärsche durchs Gebirge. Wer individuell reisen will, fährt Auto; Reisebusse werden fast nur noch für geschlossene Gruppen gechartert (man könnte ja sonst mit fremden Einheimischen zusammen treffen - bloß nicht!), wie in Deutschland. Inzwischen bietet sogar der einstige Billig-Bus-Reiseveranstalter Rotel diese Tour an (Nr. 97, liebe Leser - aber das soll keine Werbung sein!), für schlappe fünf Mille pro Nase, ohne Verpflegung u.a. "Nebenkosten" - und Tarzan hatte sich damals schon über hundert Dollar aufgeregt... À propos: Auch die "Chepe" rentiert sich irgendwann nicht mehr; 1998 wird sie privatisiert. Die neuen Eigentümer der Firma "Ferromex" stellen ab August 1999 ganz auf Luxuszüge für Touristen um, mit entsprechenden Preisen, d.h. es gibt nur noch "primera especial"; und da gleichzeitig die letzte interessante Eisenbahnstrecke in Mexiko für Alternativreisende, die von Puebla nach Tehuantepec, still gelegt wird (die nur ein Zwanzigstel kostete), können sie sich das auch leisten - es gibt ja keine Konkurrenz mehr. Überhaupt kann man sich die ganze Eisenbahnfahrerei jetzt schenken, denn Los Mochis hat inzwischen einen Flughafen, da geht die An- und Abreise doch viel schneller vonstatten, und man riskiert keine entgleisten Züge mehr. Entlang der Bahnlinie sind ein paar superteure Luxushotels entstanden - nur für ausländische Touristen -, und auch das Yacht-Hotel in Topolobampo hat wieder eröffnet - zum viereinhalbfachen Preis. Die schmuddeligen Krabbenfischer dortselbst, die kein Englisch können - und die Fritz der Geier vielleicht für Räuber gehalten hätte -, hat man vom Strand verbannt; dort werden jetzt gegen Gebühr dressierte Delfine vorgeführt, die Männchen machen - alles für "Qualitäts-Touristen", die wenig Zeit, aber dafür umso mehr Geld mitbringen. Zwischen Topolobampo und La Paz verkehrt auch nicht mehr die alte, langsame Fähre, sondern ein Tragflügelboot, das 5x so schnell (und 10x so teuer :-) ist. Ja, es ist alles viel moderner, bequemer und ungefährlicher geworden als früher, nicht nur im Staate Chihuahua (mal abgesehen von Ciudad Juárez - aber dort muß man ja nicht unbedingt urlauben), sondern überall auf der Welt, wo der professionelle Tourismus Einzug gehalten hat. Das ist der Fortschritt, sagt man - aber ob es auch noch so interessant ist wie früher?
Eigentlich widerstrebt es Dikigoros, zu seinen Reiseberichten immer wieder Nachträge zu schreiben, die den Eindruck erwecken, als würde sich seiner Meinung nach überall alles immer weiter zum Schlechteren verändern, und bei diesem seinem einstigen Lieblings-Reiseland schmerzt ihn das besonders. Aber die Dinge sind nun mal wie sie sind, ohne sein Zutun; und da er weiß, daß einige Internet-Surfer seine "Reisen durch die Vergangenheit" als aktuelle Reiseführer mißverstehen, fühlt er sich verpflichtet, sie vor gewissen Veränderungen zu warnen. Hat er da eben "und ungefährlicher" geschrieben? Das nimmt er hiermit ausdrücklich zurück! Unter keinen Umständen könnte man sich im heutigen Mexiko noch ohne Lebensgefahr auf einer Parkbank oder am Strand schlafen legen. Das muß ja auch nicht unbedingt sein; aber daß Mexiko inzwischen zum Land mit der höchsten Kriminalitätsrate Amerikas geworden ist - also sogar Kolumbien und Brasilien überholt hat und auch weltweit wohl nur noch von Südafrika übertroffen wird - stimmt einen schon traurig. Daß das einstige Vergnügungs-Viertel von Ciudad Juárez mit seinen vielen Bars inzwischen praktisch tot ist (seit das US-Militär Anfang 2008 seinen Angehörigen den Grenzübertritt untersagt hat, hat sich das Nachtleben weitgehend in die "Clubs" von El Paso verlagert), wäre kein gar so großer Verlust - wenn es nicht ausgerechnet die Rauschgift-Mafia übernommen hätte, die den Norden des Landes inzwischen fest im Würgegriff hat - auch da kann Kolumbien längst nicht mehr mithalten. (Seit Ende 2006 spricht die mexikanische Regierung offen von "Krieg" - die sind wenigstens so ehrlich, die Dinge beim Namen zu nennen - "cosas", s.o. -, während die BRD-Regierung am Hindukusch bekanntlich noch immer keinen Krieg führt, sondern bloß eine "Friedensaktion" durchführt :-)
Nein, Mexiko ist kaum noch wieder zu erkennen; das gilt selbst für so liebenswerte Kleinigkeiten wie das Essen. Wer ohnehin nur im Ausländer-Hotel sein American Breakfast verzehrt, dem wird es kaum auffallen; aber wer wie Dikigoros seine "Huevos rancheros" gewohnt war, der wird die vielen Tortillerías schmerzlich vermissen, die inzwischen dicht gemacht haben, und erst recht wird er sauer sein, wenn er den Grund dafür erfährt: Die Mexikaner bauten schon seit einiger Zeit kaum noch selber Mais an - es war ja viel bequemer und billiger, ihn aus den USA zu importieren, wo er auf riesigen Feldern maschinell produziert wird - hauptsächlich als Tiernahrung, aber halt auch für Mexikaner und andere Menschen, die ihn unbedingt essen wollen. Aber dann kam die Explosion der Ölpreises, und damit ging es dem amerikanischen Mais wie dem brasilianischen Zuckerrohr: Es war für die Produzenten viel lukrativer, ihn zu Sprit-Ersatz zu verarbeiten. Jawohl, liebe Leser, so weit haben wir es gebracht: Wir haben nicht nur binnen wenig mehr als einem Jahrhundert einen Großteil des Erdöls, das die Natur in Millionen Jahren angesammelt hat, durch die Auspuffrohre unserer Automobile und die Düsen unserer Flugzeuge gejagt, für nichts und wieder nichts (außer für erschlaffte Beinmuskeln :-), sondern wir sind jetzt sogar schon dazu übergegangen, Lebensmittel als Futter für Motoren zu mißbrauchen! Das mag im Fall des Zuckerrohrs nicht so schlimm sein, denn für Zucker gibt es ja Zuckerrüben, und man braucht sich nicht unbedingt an Cachaço zu besaufen (zumal es auch andere Alkoholika gibt :-); aber Mais ist bzw. war in einigen Ländern ein Grundnahrungsmittel wie in anderen Ländern Reis, Kartoffeln oder Weizen. Gewiß, die Mexikaner könnten es auch weiterhin in den USA kaufen - aber halt zu den neuen Preisen, die sich am Benzinpreis orientieren, und das können sich viele nicht mehr leisten; also gehen die Tortillerías reihenweise ein. Da ist ein Stück Kultur und Lebensqualität verloren gegangen; aber so lange die Mehrheit der Leute meint, daß es schlimmer wäre, wenn statt dessen ein paar Autos weniger auf den Straßen herum führen, wird sich dieser Verlust wohl nicht vermeiden lassen; im Gegenteil, es werden noch weitere folgen.
Nachtrag zum Nachtrag. Es sind schon weitere gefolgt, und fast niemand scheint es bemerkt zu haben - selbst Dikigoros erst mit Verspätung. Die Wirtschaftskrise hat nämlich auch eine kleine, halb vergessene Gruppe von Menschen erreicht, die Dikigoros oben bloß kurz erwähnt hatte: die Mennoniten von Cuauhtemoc. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hatte sie endlich jemand überzeugt, daß sie so wie bisher, d.h. auf dem Stand des 17. Jahrhunderts, nicht weiter leben konnten. Und so verkauften sie Pferd und Wagen und tauschten sie gegen all die lebensnotwendigen Segnungen der Zivilisation, vom Automobil über den Traktor bis zur Tiefkühltruhe. [Eine kleine Minderheit von Ewig-Gestrigen, die diesen wunderbaren "Fortschritt" nicht mit machen und statt dessen am Glauben ihrer Väter und an ihrer althergebrachten Lebensweise festhalten wollte, emigrierte zu ihren Glaubensbrüdern nach Paraguay - aber die können wir hier vernachlässigen, denn das ist eine andere Geschichte.] Und da der Verkaufserlös aus Pferd und Wagen für diese Neuanschaffungen nicht ausreichte, nahmen sie noch ein paar mehr oder weniger große Kredite auf, die schon nach wenigen Jahren notleidend wurden. Es dauerte nicht lange, und sie waren Haus und Hof (die sie natürlich hatten verpfänden müssen, denn ohne Sicherheit kein Kredit) los; und nun fristen sie ihr Dasein als Bettler oder Arbeitssklaven - aber immerhin als fortschrittliche Bettler oder Arbeitssklaven -, denn niemand hilft ihnen. Ja, wer denn auch? Etwa die Deutschen? Nein, die haben kein Geld. Jedenfalls nicht für so etwas, für religiöse Fundamentalisten - denn nichts anderes sind das doch, oder? (Nein, das sind sie nicht - im Gegenteil: sie hatten ihren religiösen Fundamentalismus ja gerade aufgegeben, zu ihrem eigenen Nachteil; aber auch, als sie noch an ihm festhielten, hatten sie nie versucht, ihren Glauben anderen aufzudrängen, schon gar nicht mit Gewalt, wie andere "Fundamentalisten" das tun!) Schließlich hätte es rund 100.000 Euro gekostet, um die Mennonitendörfer zu retten (also so viel, wie die 1986 anläßlich der Fußball-WM gegründete "Mexiko-Hilfe" des DFB - die heute nach seinem korrupten Ex-Oberbonzen, dem Juden Aegidius B. benannt ist - jedes Jahr nach Mexiko schickt, wo es dann in dunklen Kanälen versickert, angeblich, um armen Kinderlein aus irgendwelchen Slums einen schönen Urlaub zu finanzieren). Nein, das ging nicht. Aber als im Frühjahr 2011 - dem so genannten "Arabischen Frühling" - in Nordafrika von al-Qaidā und der Muslim-Bruderschaft initiierte radikal-islamische Revolutionen ausbrachen, um die letzten pro-westlichen Regierungen zu stürzen, hatte die BRD-Regierung nichts eiligeres zu tun, als 'zig Milliarden Euro aus Steuergeldern zur Unterstützung jener vermeintlichen "Demokraten" bereit zu stellen, erst für den Bürgerkrieg, der jene Länder zerstörte, dann für den Wiederaufbau. Und das, obwohl die aufständischen Fundamentalisten vom ersten Tag an ganz offen erklärt hatten, daß sie den westlichen Staaten sofort nach ihrer Machtergreifung den Ölhahn zudrehen würden! Von dem Geld hätte man nicht nur die Mennoniten, sondern gleich den ganzen mexikanischen Staatshaushalt sanieren können...
À propos Islam: Herr S., Dikigoros' Spanisch-Lehrer, ist nun auch gestorben. Er ist uralt geworden, denn er hat immer gesund gelebt, und zwar seit seiner Studentenzeit "im Krausfeld". Nicht-Bonnern wird das nichts sagen, und manchen Bonnern vielleicht auch nicht mehr viel, dabei ist das eine der ältesten Adressen außerhalb des eigentlichen Bonner Stadtkerns, am Rande der später fälschlich so genannten "Altstadt"; es war schon auf dem Stadtplan von anno 1877 eingezeichnet, wenngleich ohne irgendwelche repräsentativen Bauten. Herr S. blieb beharrlich dort wohnen, obwohl die Schule, an der er unterrichtete, beinahe am anderen Ende der Stadt lag, und er selbst mit dem Fahrrad (auf ein Auto verzichtete er demonstrativ, auch als er es sich in späteren Jahren hätte leisten können) eine Dreiviertelstunde unterwegs war. "Ein paar Leute müssen ja die Stellung halten," pflegte er zu sagen, "wir können doch nicht alle davon laufen!" Als Dikigoros studierte, war die "Altstadt" noch das Studentenviertel Bonns; aber im Laufe der Jahre wurde es immer mehr zum Muslimviertel, wo Türken, Kurden und Araber unterschiedlichster Provenienz einander bis aufs Messer bekämpften - und das war wörtlich zu nehmen. Wer nicht zu jenem "erlauchten" Kreise gehörte, machte lieber einen großen Bogen um jene Gegend, auch Dikigoros: Der Eingang zum Amts- und Landgericht war vorne, an der Wilhelmstraße (später, als der Neubau hinzu kam, am Berliner Platz), und was auf der anderen Seite lag, jenseits des Gerichtsgebäudes und des Stadthauses, wollte niemand so genau wissen, geschweige denn erleben. Aber irgendwann wurde es den Muslimen dort zu eng - sie eroberten sich andere Stadtviertel, jeweils fein säuberlich getrennt nach Araberstämmen, Türken- und Kurdenclans: im Süden das eingemeindete Bad Godesberg, im Norden die Stadtteile Dransdorf, Tannenbusch und Auerberg. Und die "Altstadt"? Aus einem Anlaß, der hier nichts zur Sache tut, verschlug es Dikigoros nach vielen Jahren mal wieder dorthin - und er traute seinen Augen und Ohren kaum: Latinos hatten die Altstadt übernommen, die Umgangssprache war... Spanisch! Schade, daß Herr S. das nicht mehr erlebt hat - er hätte sich bestätigt gefühlt; denn während viele US-Amerikaner sich vom Ansturm der Mexikaner über ihre Grenzen bedroht fühlen, wissen Europäer inzwischen, daß sie von Glück sagen können, wenn es "nur" andere als muslimische Invasoren sind, die sich bei ihnen einnisten. Sie alle - nicht nur die katholischen Lateinamerikaner, sondern auch die orthodoxen Russen - werden die verbliebenen Deutschen eines nicht mehr fernen Tages bitter nötig haben im Endkampf gegen den Islam, der ein Kampf auf Leben und Tod sein wird, der schlimmste "Bürgerkrieg", den die Welt je gesehen hat. (Das schreibt Dikigoros in Kenntnis der "Bürgerkriege" in China, Japan, Rußland, Schwarzafrika und - last not least - Lateinamerika, in die im 16. Jahrhundert auch ein paar europäische Reisende mehr oder weniger zufällig hinein gestolpert waren und als lachende Dritte "gesiegt" hatten. Im Endkampf zwischen Islam und Nicht-Islam kann und wird es keine "Dritten" mehr geben - schon gar keine lachenden.)
Wenigstens einen Satz über Mexiko kann Dikigoros am Ende stehen lassen, denn der überholt sich nicht, sondern wird im Gegenteil immer aktueller. Es ist der, daß er sich mehr denn je hin und her gerissen fühlt zwischen dem Rat an seine Leser: Fahrt bloß nicht hin, es lohnt sich nicht mehr (im Gegenteil, Ihr würdet nur noch mehr kaputt machen bzw. dazu beitragen, daß dies noch eher geschieht), und dem gegenteiligen Rat: Fahrt möglichst
bald hin, um wenigstens noch die Reste zu erleben, bevor alles ganz hinüber ist. Eine schwierige Entscheidung; für seine Person hat er sie getroffen - aber er hat leicht redenschreiben, denn er hat die schönen Seiten ja schon erlebt, kann sich an der Erinnerung erfreuen und versäumt nichts, wenn er sich die neuen, weniger schöne Seiten erspart; aber er hätte Verständnis, wenn sich jüngere Leser nicht abschrecken ließen - sie sollten halt bloß wissen, daß sie nicht mehr so unbeschwert und leichtsinnig drauf los fahren und nicht mehr so viel erwarten dürfen wie einst Tarzan und seine Freunde.
Anhang: Ein überraschendes Wiedersehen