Eine Seefahrt die ist lustig, eine
Seeschlacht die ist schön . . .

(Doch meist ist sie nicht so wichtig
wie Geschichtsbücher sie seh'n)
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Der Kampf um die Weltmeere

Seeschlachten und ihre Folgen[losigkeit]

[Lepanto 1571] [Armada 1588] [Trafalgar 1805] [Navarino 1827]
[Navarino 1827] [Lissa 1866] [Iquique 1879] [Tsushima 1905]

EIN KAPITEL AUS DIKIGOROS' WEBSEITE
REISEN DURCH DIE VERGANGENHEIT
GESCHICHTEN AUS DER GESCHICHTE

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Daß schöne oder unschöne Erlebnisse auf Urlaubsreisen nie die Ursachen guter oder schlechter Erinnerungen sind, sondern vielmehr - wie letztere - die Folgen mangelhafter Vorbereitung, hat Dikigoros schon an anderer Stelle geschrieben. Über die Erinnerungen entscheiden vielmehr rätselhafte, meist irrationale Momente, die einem Reisenden im Rückblick manches ganz anders erscheinen lassen als es tatsächlich war. Dikigoros will sich da gar nicht ausschließen - wenn er seine alten Briefe von gewissen Reisen liest, geschrieben oft unter dem unmittelbaren Eindruck seiner Erlebnisse, und sie dann mit dem vergleicht, was sein Gedächtnis darüber Jahre lang gespeichert hatte, dann schüttelt er bisweilen selber den Kopf über sich... Und so geht es vielen anderen auch: Wer hat sich nicht schon über seine letzte stumpfsinnige Pauschalreise nach Mallorca geärgert, weil er die meiste Zeit im Ballermann verbracht hat, was ihm außer einem ewig verkaterten Brummschädel und von "Musik" genanntem Krach ruinierten Ohren nichts eingebracht hat; aber wenn er dann den Freunden und Bekannten die Dias (oder heutzutage Videodateien) zeigt, vielleicht vom gar nicht so uninteressanten Landesinneren (das er nie mit eigenen Augen gesehen hat :-), die er am letzten Urlaubstag im hotel-eigenen Souvenir-shop erstanden hat, verklärt sich die Erinnerung an jene Reise zur großen Entdeckungsfahrt und Heldentat; und im nächsten Jahr verbringt er seine "wertvollsten Wochen" wieder genau dort. Und die Folgen? Wie gehabt: Brummschädel und Ohrensausen, eventuell, d.h. wenn man den Rausch nicht im Hotelzimmer ausgeschlafen hat, sondern in der Strandliege ohne Sonnenschirm, auch noch ein schöner Sonnenbrand obendrein. Aber das bezieht sich ja nur auf Pauschalreisen von Landratten. Die "besseren" Urlauber, die etwas auf sich halten, buchen selbstverständlich eine Seereise, eine "Kreuzfahrt" auf einem "Traumschiff", ganz "exclusiv" (was man heutzutage so darunter versteht, meist das genaue Gegenteil, nämlich zusammen mit hunderten oder gar tausenden anderen IdiotenTraumurlaubern auf einem Riesen-Pott, und alles - vor allem Alkoholika - inclusiv :-). Die Erinnerungen und sonstigen Folgen... ach was, Dikigoros geht mal davon aus, daß seine treuen Leser das selber ergänzen können und wollen, daß er endlich zur Sache kommt.

[Traumschiff]

Daß gewonnene oder verlorene Schlachten nie die Ursachen gewonnener oder verlorener Kriege sind, sondern vielmehr - wie letztere - die Folgen mangelhafter Vorbereitung durch die Politiker, hat Dikigoros schon an anderer Stelle geschrieben. Aber das bezieht sich doch nur auf Landschlachten, meinen durchaus ernst zu nehmende Historiker, darunter der große Hellmut Diwald - bei dem Dikigoros die fünfte Zeile der Überschrift abgekupfert hat. Die großen Seeschlachten der Weltgeschichte dagegen entschieden über die Herrschaft auf den Meeren, den Überseehandel, über Wohlstand und Macht der Nationen... Wirklich? Wenn Ihr das auch glaubt, liebe Leser, und an diesem Euren Glauben hängt, dann lest bitte nicht weiter, sonst könntet Ihr womöglich ziemlich enttäuscht werden. Dikigoros hat die Stätten der berühmtesten Seeschlachten der Neuzeit besucht - hilfsweise die wichtigsten Orte der Erinnerung an sie. (Die "See"-Schlachten der Antike und des Mittelalters waren gar keine, sondern Auseinandersetzungen zwischen Landratten, die man mit Hilfe von Schiffen zusammen geführt hatte - über eine der berühmtesten, die von Actium, schreibt er an anderer Stelle -; und die "See"-Schlachten der "Zeitgeschichte" - die unsere Historiker anno 1917 beginnen lassen - waren die Auseinandersetzungen zwischen Piloten, die man mit Hilfe von Flugzeugträgern zusammen geführt hatte.) Und auf diesen Reisen sind ihm ein paar Gedanken gekommen, an denen er Euch teilhaben lassen will.

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Als Dikigoros, noch ein junger Student, zum ersten Mal Semesterferien hatte, kaufte er sich von den Resten seines Entlassungssoldes als Vaterlandsverteidiger ein Interrail-Ticket und fuhr nach Italien, bis hinunter nach Apulien - sonst hätte sich der Kauf ja nicht gelohnt. Weil man es aber, wenn man es schon mal gekauft hatte, auch richtig ausnutzen sollte, nahm er von dort eine Fähre (auch auf die gewährte das Ticket immerhin 50% Rabatt) und setzte nach Griechenland über, genauer gesagt nach Patras. Mit ihm an Bord waren fast nur Italiener (welcher ausländische Tourist fuhr schon im Februar ans Mittelmeer?), und wer die Italiener kennt (und ihre Sprache spricht) weiß, daß sie ihr Vaterland lieben und sich in seiner Geschichte bestens auskennen, jedenfalls was solche Ereignisse anbelangt, die zu ihren Gunsten ausgingen; und was das in der Militär-Geschichte bedeutet, braucht Dikigoros hier sicher nicht lang und breit zu erörtern, kann es vielmehr ganz kurz zusammen fassen, was in Anbetracht der Anzahl solcher Ereignisse kein großes Kunststück ist: 21. Jahrhundert: 0, 20. Jahrhundert: 0 (wenn man mal vom Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaften 1934, 1938 und 1982 absieht, über die jeder Italiener natürlich genau Bescheid weiß - aber diese Reise fand vor 1982 statt, und der Ruhm der mit Hilfe bestochener Schiedsrichter errungenen Vorkriegs-Titel begann schon zu verblassen :-), 19. Jahrhundert: 0, 18. Jahrhundert: 0, 17. Jahrhundert: 0, 16. Jahrhundert: Stopp, da war doch mal was? Richtig; und seine italienischen Mitreisenden versäumten denn auch nicht, ihn gebührend darauf hinzuweisen: die glorreiche Seeschlacht von Lepanto, der größte und wichtigste Sieg, den die christliche Seefahrt je über eine muslimische Flotte errang - ein Sieg der Italiener über die Türken, der sich vor kurzen zum 400. Male gejährt hatte. Nanu, wundert sich Dikigoros - war das nicht ein Sieg der Spanier irgendwo an der marokkanischen oder algerischen Küste über irgendwelche arabischen Piraten? Hatte da nicht der spanische National-Dichter Cervantes (dessen "Don Quixote" er gerade zum ersten Mal auf Spanisch gelesen hatte - als Kind kannte er nur die deutsche Übersetzung, die es als preiswertes Goldmann-Taschenbuch gab) mitgekämpft und eine Hand verloren? Allerdings wußte Dikigoros damals noch nicht viel von italienischer und griechischer Geschichte. Nach seiner Schulbuch-Weisheit war das Imperium Romanum irgendwann in "Westrom" und "Ostrom" zerfallen, letzteres hieß Konstantinopel, und dort regierten die Griechen. 1453 wurde es von den Türken erobert, und damit endete das Wisadionische (oder, wie er damals in Ermangelung einschlägiger Griechisch-Kenntnisse - er hatte gerade mal gelernt, die Buchstaben zu entziffern, nicht sie auch richtig auszusprechen - noch sagte, "Byzantinische") Reich. Aber was ging das die Italiner auf dem Weg nach Griechenland an? Er wußte noch nicht, daß praktisch das ganze östliche Mittelmeer, einschließlich der Küste, Jahrhunderte hindurch italienisch geprägt war, vor allem durch die Genueser und die Venezianer (deren tüchtige jüdische Kaufmannschaft daran einen nicht zu unterschätzenden Anteil hatte), daß beide sogar in Konstantinopel großen Einfluß besaßen - nicht nur im Stadtteil Galata.

[Karte des Golfs von Lepanto] [Lepanto, heute Navpaktos]

"Du willst doch nicht etwa in Patras übernachten?" fragen ihn ein paar junge Leute, mit denen er während der Überfahrt Bekanntschaft geschlossen hat. "Ja, wo denn sonst?" - "Komm mit, wir fahren 'rüber auf die andere Seite, nach Lepanto." - "Lepanto?" - "Ja, wir sind hier am Golf von Patras, und schräg gegenüber, hinter der Festung Rumelia, liegt Lepanto, wußtest du das nicht?" - "Aber nach dem Golf von Patras kommt doch der Golf von Korinth; und auf dem Bötchen da steht 'Navpaktos', wenn ich das richtig lese?!" - "Ja, so nennen die Griechen das heute; aber früher hieß der Ort 'Lepanto', und der Golf nach ihm." Das steht in keinem seiner Reiseführer, nicht einmal in "Anders Reisen Griechenland", dessen Neuauflage den Kanal von Korinth auf dem Cover trägt... Dabei ist Navpaktos-Lepanto ein Städtchen wie so viele andere auch, die Dikigoros in den folgenden Jahren und Jahrzehnten zwischen der dalmatinischen Adria und der türkischen Riviera kennen lernen wird, mit dem typischen Hafen und den typischen Festungsmauer-Resten, nur daß die Hotels noch einfacher (und billiger) sind, und daß es nirgendwo Würstchen mit Sauerkraut gibt, sondern bestenfalls Souvlaki. Nein, für den Massen-Tourismus ist es nicht eingerichtet - aber was interessieren den Massen-Touristen historische Schauplätze... der fährt lieber nach Korinth, am östlichen Ende des Golfs, und das tut Dikigoros am nächsten Tag auch, ohne zu wissen, daß die Säulen von "Alt-Korinth", die dort oben auf dem Berg stehen, in Wirklichkeit Rekonstruktionen des 20. Jahrhunderts sind. Und der Kanal, über den er am übernächsten Tag weiter fährt? Er ist ein Produkt des späten 19. Jahrhundert - aber darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle. Damals hat er von alledem noch keine Ahnung, und die Reise ist da auch nicht sehr informativ, denn Dikigoros spricht wie gesagt noch kein Griechisch; die griechischen Gastarbeiter sind noch nicht aus Deutschland zurück gekehrt; und der griechische Fremdenverkehr ist noch kaum entwickelt. Das "Obristen-Regime" ist gerade erst gestürzt (es wird heute im Rückblick oft verteufelt, besonders im Ausland; aber das Regime der "demokratischen Sozialisten", das danach kam, war für den griechischen Normal-Verbraucher in mancher Hinsicht - vor allem in wirtschaftlicher - noch schlimmer); die Türken haben gerade erst Nord-Cypern besetzt, und für schöne Erinnerungen an mehr als 400 Jahre zurück liegende christliche Siege über den Erbfeind kann sich hier niemand etwas kaufen - zumal das ohnehin nicht ein Sieg "der" Christenheit war, sondern nur einer der römisch-katholischen Christenheit, die mit der griechisch-orthodoxen Christenheit schon seit rund 500 Jahren im Schisma lebte. Was man allerdings auch so sieht ist, daß der Golf - wie immer man ihn nennen mag - für eine größere Flotte mit dem schmalen Kanal im Osten (durch den nie auch nur zwei Schiffe nebeneinander fahren können, ebenso wenig wie durch das Nadelöhr bei Rumelia im Westen) eine Mausefalle ist, aus der es praktisch kein Entkommen gibt. Wie kann man sich da, wenn man halbwegs bei Verstand ist, zur Schlacht stellen?

Als Dikigoros wieder zuhause ist, versucht er sich schlau zu machen. Ja, es stimmt schon, daß zu Beginn des 16. Jahrhunderts an der marokkanischen, algerischen und tunesischen Küste maurische Piraten saßen, sehr zum Leidwesen der Spanier. Aber dann kam einer, der ihnen allen über war: der Türke Nasreddin (dem die Italiener ob seines roten Bartes den Beinamen "Barbarossa" gaben, wie einst dem deutschenstaufischen Kaiser Friedrich I), der die Piraten nacheinander unterwarf und fortan auf eigene Rechnung christliche Schiffe überfiel. Er war der Francis Drake der Muslime; denn als die Spanier (die immerhin schon die halbe Welt entdeckt und wenigstens pro forma in Besitz genommen hatten, so daß sie sagen konnten, daß in ihrem Reich "die Sonne nicht unterging") ihm auf einem letzten Kreuzzug - den Kaiser Carlos V höchstpersönlich anführte - Tunis entrissen, war er klug genug, sich in den Dienst und Schutz des Osmanischen Reiches zu stellen, das damals unter Süleyman dem Prächtigen auf dem Höhepunkt seiner Macht stand. Nach und nach nahmen er und seine Nachfolger - im Bündnis mit seiner allerchristlichsten Majestät, dem König von Frankreich - den italienischen Stadtstaaten alle ihre Stützpunkte im Mittelmeer ab (außer Malta, das die Ritter des von Rhodos vertriebenen Johanniter-Ordens erfolgreich verteidigten). Im August 1571 fiel der vorletzte und zweitgrößte, Cypern, dessen Eroberer, Admiral Ali Pascha, den venezianischen Verteidigern bei Kapitulation freien Abzug zugesagt, sie dann aber kaltlächelnd massakriert hatte (z.T. unter ausgiebigen Foltern, die heute in deutschsprachigen Werken nicht mehr erwähnt werden dürfen, denn das könnte ja die Türken verärgern - was geht es die Deutschen an, wie die Muslime mit denen umgehen, die so dumm sind, sich ihnen zu unterwerfen? Darüber schulden sie ganz allein Allah Rechenschaft). Erst danach, als es praktisch schon zu spät war, rauften sich Venedig, Genua, der Papst und Spanien zu einem Zweckbündnis zusammen und schickten ihre vereinigten Flotten unter dem Oberkommando des berühmten Don Juan (den Ihr sicher alle aus der Oper "Don Giovanni" kennt) nach Lepanto, das die Venezianer Anfang des 15. Jahrhunderts zur Festung ausgebaut und Ende des 15. Jahrhunderts an die Türken verloren hatten. Das Ergebnis war die bis dahin größte Seeschlacht der Weltgeschichte; sie endete mit dem Tod Ali Paschas und der totalen Vernichtung der türkischen Flotte. Hosiana.

[Karte der Schlacht von Lepanto] [La meravigliosa e gran vitoria]

Warum macht sich Dikigoros über diese Heldentat lustig? "Lustig" ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort, und er will auch den Helden ihre Taten nicht in Abrede stellen. Wenn er sich über etwas mokiert, dann über die christliche Geschichts- und Märchenschreibung, die daraus einen "historischen Sieg" von großer Bedeutung macht. Wie soll er Euch, lieben Kindern des 20. Jahrhunderts, das am besten erklären? Vielleicht mit der Parallele zu einem anderen "glorreichen Sieg", den knapp 400 Jahre später eine andere Macht errang, welche die (aufgehende, nicht die untergehende :-) Sonne im Wappen führte, nämlich die Japaner im Perlenhafen ("Pearl Harbor") von Hawaii. Auch das war eine Mausefalle, in die kein halbwegs gescheiter Oberbefehlshaber seine Pazifik-Flotte gelegt hätte. Hatte auch gar niemand. Die alten Pötte (Schlachtschiffe, die für Kämpfe konzipiert waren, wie sie im Ersten Weltkrieg geführt worden waren - merke: die großen Strategen bereiten den nächsten Krieg immer so vor, wie sie den letzten geführt haben :-) hatten die Amis dort als Köder liegen lassen, mitsamt ihren überwiegend deutschstämmigen Besatzungen; die ungleich wertvolleren Flugzeugträger hatten sie - die längst im voraus über den Angriffsplan der Japaner informiert waren, da sie ihren Funkcode geknackt hatten - rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Die Schlachtschiff-Flotte wurde weitgehend zerstört? Macht nichts, umso besser kamen hinterher die Flugzugträger zum Einsatz - und die sollten den Krieg gewinnen. Weniger als vier Jahre nach Pearl Harbor kapitulierte Japan vor den Amerikanern. Der Pazifik gehörte fortan den USA.

Damals kam Dikigoros erstmals der Gedanke, daß sich die Geschichte wiederholt, vielleicht nicht exakt, aber doch in manch verblüffenden Parallelen, denn bei Lepanto war es ganz ähnlich: Die Christen vernichteten zwar die alten Galeeren der Türken, mitsamt ihren christlichen Ruder-Sklaven; aber die neue Flotte mit modernen Vollsegelschiffen war längst im Bau - und die sollten den Krieg gewinnen. Die christlichen Alliierten zerstritten sich bald; weniger als zwei Jahre nach Lepanto schloß Venedig einen Sonderfrieden mit den Türken, in dem es ausdrücklich auf alle verlorenen Stützpunkte verzichtete, also auch auf Cypern, um dessen Rückeroberung man doch den 12 Millionen Dukaten teuren Krieg begonnen hatte. Nun mußte man zusätzlich noch 300.000 Dukaten p.a. Tribut zahlen, um weiterhin im östlichen Mittelmeer Handel treiben zu dürfen, denn das gehörte nun den Türken - jedenfalls für die nächsten zweieinhalb Jahrhunderte. (Auf das, was dann geschah, kommen wir etwas später.) Und im restlichen Mittelmeer sah es nicht viel besser aus: Ali Pascha war zwar tot; aber sein Vize-Admiral, ein ehemaliger Pirat, den die Venezianer "Abuchali" und die Türken "Uluch" nannten (tatsächlich war er gebürtiger Kalabrese und hieß Luca Galieni; nach seinem Übertritt zum Islam nannte er sich wohl Abu Khali), entkam und machte fortan auch das westliche Mittelmeer bis Gibraltar einschließlich unsicher. Er blieb ebenso wie sein Gegenspieler Don Juan im Felde, pardon auf dem Wasser unbesiegt; beide wurden am Ende auf Veranlassung ihrer eigenen Herrscher - König Felipe bzw. Sultan Selim - ermordet, der eine vergiftet, der andere erwürgt oder erdrosselt. (Die Quellen sind sich da nicht ganz einig :-)

Exkurs. Wohlgemerkt, liebe Leser, Dikigoros will keineswegs behaupten, daß der Sieg der Japaner bei Pearl Harbor folgenlos gewesen sei, im Gegenteil: Er hatte ja zur Folge, daß der Kriegstreiber Roosevelt die Amerikaner für den Kriegseintritt gewann - die selben Amerikaner, die ihn noch kurz zuvor in blindem Glauben an seine Wahlkampflüge, er wolle die USA aus dem Zweiten Weltkrieg heraus halten, mit überwältigender Mehrheit wieder gewählt hatten. (Schließlich waren fast 75% der Amerikaner deutscher, irischer, italienischer, schwedischer, afrikanischer oder asiatischer Abstammung - von denen wollte keiner gegen die Achsenmächte kämpfen, das wollte nur die Minderheit englischer, slawischer und jüdischer Abstammung.) Aber Dikigoros meint hier nicht politische, sondern militärische Folgen. Doch die Schlacht von Lepanto hatte nicht mal politische Folgen: Anders als Roosevelt mit seinem "Kreuzzug" gegen die "Nazis" hatte es der Sultan nicht nötig, sein Volk für den Jihād, den heiligen Krieg gegen Christenhunde und andere Ungläubige, zu mobilisieren; denn jeder anständige Muselman wußte um diese seine religiöse Pflicht, und kein Muslim hatte es damals nötig, irgendwelche Dementis abzugeben. Im übrigen wäre damals kein Christ so dumm gewesen, darauf herein zu fallen und etwa zu glauben, diesen Vernichtungskampf gegen alles Christliche würde nur eine kleine, radikale Minderheit, die so genannten "Islamisten" befürworten, während die Masse der Muslime ganz friedliebend, tolerant und integrierungswillig wäre. Das versuchen erst die "gutmenschlichen" Polit-Verbrecher und Volksverdummer von heute ihrem Wahlvieh weis zu machen - Gott (und Jahwe und Shiwa und Buddh und wem auch immer) sei Dank mit immer weniger Erfolg; denn allmählich spricht sich herum, daß das ein Kampf auf Leben und Tod ist, in dem kein Friede sein kann, bevor nicht entweder die Muslime oder die Nicht-Muslime ausgerottet sind. (Und wer das immer noch nicht wahr haben will, kann ja mal ein wenig unter "Mahaz-i-Islami" und/oder "Global Supremacy of Islam" googlen, um ein paar offene Worte aus muslimischem Munde über die diesbezügliche "islamische Agenda" nachzulesen.) Exkurs Ende.

* * * * *

Als Dikigoros, noch ein Schüler, zum ersten Mal nach England fuhr, gab es noch keinen Tunnel unter dem Kanal; ein Auto hatte er noch nicht, und eine Flugreise hätte er sich nicht leisten können; also nahm er die Eisenbahnfähre über den Kanal. Warum eigentlich "Kanal"? Ein Kanal ist doch eigentlich ein künstlicher Wasserweg; und dieser hier... nein, lassen wir das, das ist eine andere Geschichte. Aber über die Geschichte dieses "Kanals", oder jedenfalls das für die Engländer wichtigste Ereignis, das sich dort abgespielt hatte, wußte er ja schon aus seinem Englisch-Lehrbuch Bescheid: Anno 1588, als der berühmte englische Pirat Francis Drake (den er sich immer mit Knopf im Ohr vorstellte und so, wie später Rowan Atkinson den "Blackadder" - II. Serie - spielen sollte :-) gerade bei einer Partie Karten saß (oder war es Billard?), kam ein Bote mit der Nachricht herein: Hannibal ante portas, pardon, die Hispanics vor Portsmouth, und das mit der - angeblich - größten Flotte, die die Welt je gesehen hatte, um England zu erobern. Drake aber meinte nur überlegen lächelnd: "Gentlemen, sollen wir etwa wegen der paar Spanier dieses gute Spiel unterbrechen?" (Ja, der Haß, den die Zitronenfresser später gegen die Froschfresser und noch später gegen die Sauerkrautfresser hegen sollten, hegten sie damals gegen die - wie nannten sie die Spanier gleich? Drake nannte sie bestimmt nicht "Spaniards", wie es im braven Schulbuch stand. Vielleicht Menschenfresser? Nein, Papisten! So oder so, jedenfalls waren das damals die schlimmsten Bösewichter und Kriegsverbrecher der Welt, wie es immer und überall in der Geschichte diejenigen waren, welche die Propaganda-Maschinerie der Angelsachsen zu ihrem Hauptfeind erkoren hatte.) Und Drake hatte Recht, sich Zeit zu lassen; denn unterdessen kam ihnen der liebe Gott zu Hilfe, schickte schlechtes Wetter, und die bösen Spanier konnten ihren Plan, Truppen aus den Spanischen Niederlanden zur Invasion nach England überzusetzen und dort eine katholische Schreckens-Herrschaft zu errichten, nicht verwirklichen. Und da ihnen Drake & Co. auch den Rückweg durch den Kanal versperrten, mußten sie um ganz England, Schottland und Irland herum segeln, und dabei gingen die meisten ihrer Schiffe zu Bruch. Als sie wieder zurück in Spanien ankamen, waren die Schlacht und der Krieg verloren, und England beherrschte fortan die Weltmeere.

[Karte]

[Exkurs. Nein, liebe Leser, Gott (jedenfalls der Wettergott, und das ist ja die Urform aller Gottheiten :-) ist nicht immer mit den stärkeren Bataillonen, das hat uns die Kriegsgeschichte mehr als einmal gelehrt - und gleich gar die Seekriegsgeschichte, daß er nicht immer mit den stärkeren Geschwadern ist. 1281 bewahrte er Nippon davor, chinesisch zu werden, indem er einen Orkan schickte (den die Japaner seitdem "Kamikaze [Götterwind]" nennen :-), der die Invasions-Flotte aus dem Reich der Mitte - die tatsächlich die größte war, die die Welt bis zum 19. Jahrhundert sehen sollte - vernichtete. 1541 tat er ein gleiches und brachte damit den zweiten Kreuzzug des katholischen Kaisers Carlos V. gegen die muslimischen Piraten in Tunesien zum Scheitern. Es verbietet sich, Spekulationen darüber anzustellen, was sonst geschehen wäre; aber verlaßt Euch darauf: sowohl die Geschichte Asiens als auch die Europas wäre völlig anders verlaufen. Exkurs Ende.]

Nun hatte sich Dikigoros schon damals über diese Darstellung der Ereignisse gewundert. Katholische Schreckens-Herrschaft? War es nicht vielmehr so, daß die Katholiken in England verfolgt wurden? Hatte nicht gerade erst im Vorjahr, also 1587, Elizabeth I die Katholikin Maria Stuart unter fadenscheinigem Vorwand ermordenhinrichten lassen? (Was ihren Sohn, König Jacobus von Schottland, übrigens nicht daran hinderte, sich mit England gegen Spanien zu verbünden - schließlich wollte er mal König James von England werden und die beiden Länder "vereinigen", wobei es ihn ebenso wenig interessierte, welche Folgen das für seine schottischen Untertanen haben würde, wie es die heutigen Obertanen gewisser anderer Staaten interessiert... aber lassen wir das.) Und wurden die Katholiken nicht nach der so genannten "Kanonenpulver-Verschwörung" ("Gun Powder Plot") - die wahrscheinlich von der britischen Regierung selber inszeniert wurde, also ein "insider job" war, wie man heute sagen würde - allesamt ermordet und der Katholizismus somit in England ausgerottet? (So hatte er es jedenfalls auf der katholischen Volksschule gelernt, und diese Darstellung scheint ihm immer noch nicht ganz von der Hand zu weisen - obwohl man das in England bis heute nicht laut sagen darf; als der britische Premierminister Blair anno 2007, also mehr als 400 Jahre später, offen zum Katholizismus konvertierte, mußte er zurück treten, ohne abgewählt worden zu sein :-) Und was die Aggression der bösen Spanier gegen England anbelangt, so darf Dikigoros doch daran erinnern, daß ebenfalls anno 1587 die englische Flotte die spanische Hafenstadt Cádiz überfallen, ausgeplündert und nieder gebrannt hatte? Ein Husarenstück allerersten Ranges, aber zugleich eine faktische Kriegserklärung (wenngleich sie niemand propagandistisch so ausschlachtete - etwa mit dem Satz "Remember Cádiz" - wie es später die Angelsachsen tun sollten mit "Remember the Alamo", "Remember the Maine", "Remember the Lusitania" oder "Remember Pearl Harbor"; dabei wurde diese Tradition gerade in jener Zeit begründet, mit "Remember, remember, the 5th of September", zur Erinnerung an den eben erwähnten "Gun Powder Plot", der den Holocaust an den britischen Katholiken rechtfertigen sollte); denn die Behauptung von Queen Elizabeth, sie habe nichts davon gewußt, es sei vielmehr eine eigenmächtige Aktion des "Piraten" Drake gewesen, war einfach lächerlich: Ein Teil von Drakes Schiffen waren sogar Privatbesitz der Königin, die ihren Anteil der Beute selbstverständlich behielt und ihren obersten "Piraten" anschließen zum Admiral beförderte. Der Angriff der "Armada" war lediglich eine Reaktion auf jenen Überfall der Briten.

Und die Seeherrschaft? Nun, die behielt Spanien nach wie vor, denn etwa zwei Drittel der Armada kehrten ja zurück, und die untergegangenen Schiffe waren schnell ersetzt. (Gerade mal ein Jahr hatte es nach Cádiz gedauert, bis die Spanier die Armada aus dem Boden gestampft hatten; heute würde ein solches Schiffsbau-Programm Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in Anspruch nehmen - nicht nur in Spanien :-) Den Engländern blieb nur, weiterhin Nadelstiche mit ihren "Piraten" zu setzen, etwa indem sie die spanischen Silberflotten aus Lateinamerika im Atlantik abfingen. (Wobei es ein Treppenwitz der Geschichte ist, daß die Engländer mit jedem dieser Nadelstiche den Untergang des spanischen Weltreichs ein wenig weiter hinaus zögerten; denn die Edelmetalle brachten Spanien ja gar keinen Reichtum, sondern ganz im Gegenteil nur Armut, Inflation und schließlich den Staatsbankrott; denn den nominellen "Werten" stand ja keine ausreichende Produktion von Waren gegenüber; vielmehr stellte jeder Spanier, der es sich leisten konnte, die Arbeit ein, so daß es bis heute in Kastilien keinen Mittelstand aus etwas besser gestellten Landwirten, Handwerkern o.ä. gibt; das war der viel zitierte Fluch des Goldes, genauer gesagt des Silbers aus Mexiko und Peru; und wenn es damals schon jemanden wie Mark Twain gegeben hätte, der einst "The Gilded Age" schreiben sollte, dann hätte er das "Siglo de oro" sicher umgetauft in "Siglo dorado". Die Folgen des Scheiterns der Armada waren also zeitlich und räumlich überschaubar; ihre Seeherrschaft sollten die Spanier erst im 17. Jahrhundert verlieren, zusammen mit ihren (und der Portugiesen, die damals zu ihren gehörten) wertvollsten Kolonien, und zwar nicht an die Engländer, sondern an die Niederländer - aber das ist eine andere Geschichte.

* * * * *

Längerer Exkurs: An dieser Stelle klafft eine große zeitliche Lücke. Gab es denn tatsächlich im 17. Jahrhundert keine einzige Seeschlacht, die so wichtig war - oder zumindest für so wichtig gehalten wurde -, daß man aus ihr eine Berühmtheit hätte machen können? Tja... Wenn die Niederlande nicht zu Beginn des 21. Jahrhunderts den Teuro eingeführt und den Gulden abgeschafft hätten - so wie die BRDDR die DM abschaffte -, dann hätte Dikigoros jetzt mit dem Satz begonnen: "Wenn Ihr mal in Holland wart, habt Ihr Euch bestimmt schon gefragt, wer wohl der streng blickende Herr auf dem 100-Gulden-Schein ist, dessen Namen im Kleingedruckten mit 'De Ruyter' angegeben ist..."

Und dann hätte er Euch erklärt, daß alle Staaten der Welt - mit Ausnahme eines einzigen, dessen Untertanen man das deshalb eigens erklären muß - jeweils mindestens eine ihrer Banknoten (oder Geldstücke oder Briefmarken oder sonstigen Zahlungsmittel) mit dem Bildnis eines ihrer "Helden" schmücken, d.h. denen, die ihre größten Kriege geführt und/oder ihre größten Schlachten geschlagen haben: die USA mit Grant, Frankreich mit Napoleon, Großbritannien mit Wellington, die meisten südamerikanischen Staaten mit Simón Bolívar usw. [Das letzte Mal, daß so etwas in der BRD geschah, war 1955, als eine 5-DM-Gedenkmünze zum 300. Geburtstag des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden geprägt wurde; aber deren Besitz dürfte demnächst strafbar werden, denn der "Türkenlouis" hatte seinerzeit Krieg gegen die Vorfahren unserer lieben türkischen "Mitbürger" geführt, bloß weil die versucht hatten, Europa zu erobern; und Reminiszenzen daran verstoßen doch gegen das heutige Gebot der politischen Korrektheit - schließlich versuchen die Türken heute nichts anderes als damals, und wer sich dagegen wehrt, muß ein böser Rassist und Nazi sein! Ihr meint, Dikigoros übertreibe es mit seiner Sorge vor einer Strafbarkeit des Besitzes alter 5-DM-Stücke? Täuscht Euch nicht: 50 Jahre später, im Jahre des Herrn 2005 - aber diese Zeitrechnung wird in der BRDDR sicher bald durch die nach Muhammads Hidjra abgelöst werden - wurde das Geschäft eines Münchner Münzhändlers von einer schwer bewaffneten Anti-Terror-Einheit der bayrischen Polizei überfallen, verwüstet, er selber verschleppt, eingekerkert, verurteilt und enteignet, wegen des Verbrechens, im Schaufenster ein 10-Pf-Stück von 1937 öffentlich ausgestellt zu haben, auf dem - horribile dictu - ein Hakenkreuz prangte, was ihn als Verfassungsfeind überführte, der national-sozialistische Propaganda betrieb! (Wer das nicht mitbekommen oder schon wieder verdrängt/vergessen haben sollte, kann es hier noch mal nachlesen.) Und dem Verbrecher, der jene schreckliche, volksverhetzende Münze entworfen hat - Karl Föll hieß er übrigens - würde man, wenn er nicht rechtzeitig gestorben wäre, heute noch den Prozeß machen (posthum geht das ja leider - noch - nicht), es sei denn, ein braver türkischer Immigrant würde ihn zuvor ermordenhinrichten - wobei der selbstverständlich straffrei bliebe, mit Rücksicht auf seinen kulturellen Hintergrund; denn der Koran, pardon, der Qur'an gebietet es einem jeden gläubigen Muslim ja, solchermaßen mit Feinden des Islâm zu verfahren; und da nach den Vorstellungen gewisser Politiker - z.B. des jüdischenbayrischen Landtags-Abgeordneten und "Integrations-Beauftragten" in spe, Georg Barfuss - die Shari'a demnächst auch in der BRDDR eingeführt werden soll, wäre in diesem Falle eine Verurteilung unzulässig.]

Aber nun muß Dikigoros anders anfangen. Also: Wenn Ihr mal in Vlissingen wart - vielleicht im Jahre 2007, als das dortige Amt für Fremdenverkehr ganz groß die Werbetrommel rührte zum "De-Ruyter-Jahr" -, dann habt Ihr dort bestimmt das folgende Denkmal auf einen Admiral gesehen, der 400 Jahre zuvor ebenda geboren wurde.

[De-Ruyter-Denkmal in Vlissingen]

Nein, vergeßt es, dieser Anfang geht auch nicht; denn erstens wart Ihr ja doch nicht dort - das "De-Ruyter-Jahr" war jedenfalls in finanzieller Hinsicht ein völliger Flop für Vlissingen, was den Besuch ausländischer Touristen anbelangt -, zweitens ist das Denkmal nicht annähernd so imposant wie das auf Nelson am Trafalgar Square in London - das wir als nächstes besuchen werden -, und drittens soll dies ja nur ein Exkurs sein. Aber in Amsterdam wart Ihr sicher schon mal, und vielleicht habt Ihr Euch auch im Hafenviertel so verlaufen, daß Ihr an dem Haus vorbei gelaufen seid, in dem jener Michiel de Ruyter angeblich 22 Jahre seines Lebens gewohnt hat. (Na ja, jedenfalls seinen offiziellen Wohnsitz hatte - meist war er ja auf See unterwegs :-) Aber wahrscheinlich habt Ihr darauf nicht besonders geachtet. Und noch geringer ist die Chance, daß Ihr die häßliche "Nieuwe Kerk" am Rande des ehemaligen Judenviertels von Amsterdam besucht habt (wenn, dann wart Ihr doch allenfalls im Anne-Frank-Haus - und das ist ja auch ganz im Sinne des Betroffenheits-Tourismus, wie er speziell für Deutsche konzipiert ist); dort liegt er nämlich begraben.

[Das De-Ruyter-Haus in Amsterdam] [Die Nieuwe Kerk in Amsterdam]

Aber was war nun eigentlich so wichtig an jenem Mann? Eigentlich gar nichts. Er war zwar nicht unwesentlich an den drei so genannten englisch-holländischen Seekriegen zwischen 1652 und 1674 beteiligt, gewann einige Seeschlachten und trug so dazu bei, daß die Niederlande jene Kriege gewannen bzw. hätten gewinnen können - aber den Gang der Weltgeschichte beeinflußten diese Seekriege bzw. ihre Seeschlachten nicht. Gewiß, sie hätten sie beeinflussen können - und wie! -, aber darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle mehr, deshalb kann er sich hier auf eine kurze Zusammenfassung beschränken: Im 17. Jahrhundert hatte es lange Zeit so ausgesehen, als ob der Osten Nordamerikas entweder schwedisch oder niederländisch werden sollte (der Nordosten und die Mitte französisch, der Süden und Südwesten spanisch, der Nordwesten russisch, und der Rest wäre wohl "indianisch" geblieben). "Nieuw Amsterdam" (das heutige New York City) und ein kleiner Teil von "Nieuw Nederlandt" (dem heutigen Bundesstaat New York) waren zwar während eines dieser Kriege kurz von den Engländern besetzt worden; aber die Niederländer eroberten es später zurück und hätten es beim Friedensschluß auch behalten können. Doch inzwischen hatten die Engländer Niederländisch-Guyana (das heutige Surinam) erobert; und die holländischen Keesköppe fanden es viel wichtiger, jenes wertvolle Gebiet mit seinen Zuckerrohrpflanzungen zurück zu bekommen als die paar Hütten am Hudson River; sie bestanden darauf, das zu tauschen; und da sie den Krieg gewonnen hatten, setzten sie diese ihre Forderung auch durch, so daß sie Surinam bis heute am Bein haben (auf Kosten auch der deutschen Steuerzahler, über die EU :-), während New York und Nordamerika... aber lassen wir das; es ist der größte Treppenwitz der Weltgeschichte im 17. Jahrhundert, vielleicht in der ganzen Neuzeit, den bloß noch niemand als solchen erkannt hat.

[Karte der Neuen Niederlande mit Neu Amsterdam im 17. Jahrhundert]

[Und Ihr, liebe rechte Leser, kommt Dikigoros jetzt bitte nicht mit dem dummen Spruch, daß der aus den Niederlanden stammende Jude Roosevelt ja auch so US-Präsident wurde und den Zweiten Weltkrieg vom Zaun brach - umgekehrt wird ein Schuh draus: Roosevelts Vorfahren gelangten nämlich über Surinam nach Nordamerika; und das wäre nicht möglich gewesen, wenn Niederländisch-Guyana damals britisch geworden wäre, denn die Engländer hätten dort keine Juden aufgenommen.] De Ruyter konnte wahrlich nichts dafür; aber es ist ein klassisches Beispiel dafür, wie wirkungslos gewonnene [See-]Schlachten und [See-]Kriege sein können, wenn sie von unfähigen Politikern in schlechte Friedensverträge umgemünzt werden. De Ruyter hatte all die vielen Seeschlachten umsonst (nein, nicht gratis, aber frustra!) geschlagen; und ebenso fiel er zwei Jahre nach Beendigung der Kriege gegen England in einer anderen Seeschlacht gegen die Franzosen. Gut 300 Jahre nach seinem Tode kam er bei der Wahl zum "größten Niederländer aller Zeiten" auf Platz 7 - hinter dem Wahl-Katalanen Johan Cruijff (der im Herzen schon lange kein Niederländer mehr war - er hatte sogar die Schreibweise seines Namens katalanisiert, in "Cruyff" :-), und vor der deutschen Jüdin Anne Frank (die nie Niederländerin war, da alle Bemühungen, sie posthum einzubürgern, an irgendwelchen Gesetzen scheiterten; schade, daß die Juristen in diesem Punkt so kleinkariert sind - es wäre doch viel besser, wenn endlich jeder jeden jederzeit einbürgern könnte, d.h. nicht nur zu Lebzeiten, um ihn bei Fußball-Weltmeisterschaften u.a. sportlichen Groß-Ereignissen einzusetzen, sondern auch später noch, notfalls im Wege der doppelten oder dreifachen Staatsbürgerschaft; und natürlich auch, wenn umgekehrt jeder jeden jederzeit ausbürgern könnte - in der BRDDR werden ja immer mal wieder Überlegungen angestellt, ob man man Hitler, Hindenburg & Co. nicht nur die Ehrenbürgerschaft diverser Städte, sondern auch gleich die deutsche Staatsangehörigkeit posthum entziehen könnte :-). Wenn Ihr doch irgendwann die Nieuwe Kerk in Amsterdam besuchen solltet, fragt mal, ob man Euch wohl gegen ein angemessenes Trinkgeld seinen Sarg öffnen könnte, um nachzusehen, ob er sich nicht darin umgedreht hat. (Nein, man wird es nicht tun - aber Ihr solltet trotzdem fragen, und auf die Gegenfrage, wozu denn, genau das zur Antwort geben und Euch an der Reaktion erfreuen :-) Exkurs Ende.

* * * * *

[Die Seeschlacht von Quiberon 1759; gemalt 50 Jahre später von Pococ]

Aufmerksame Leser werden sich erinnern, daß Dikigoros in der ursprünglichen Fassung dieser Geschichte auch das 18. Jahrhundert ohne einschlägigen Befund gelassen hatte. Doch dann hat ihm ein Leser aus dem Vereinigten Königreich gemailt (ja, auch dort liest man seine Webseiten - obwohl er auf manchen kaum ein gutes Haar am "Königreich im Meer" läßt, was zeigt, daß die Briten mehr Humor haben als z.B. die Rotchinesen :-), daß er sich da einer schweren Unterlassungssünde schuldig gemacht habe: Ob er denn noch nie von der Seeschlacht in der Quiberon-Bucht gehört habe, in der Admiral Hawke die französische Flotte vernichtete, was den 7-jährigen Krieg entschied? Dikigoros erinnerte sich dunkel an jenes Ereignis, das früher auch mal in deutschen Geschichtsbüchern unter der Bezeichnung "Die Sturmschlacht von Quiberon" geführt wurde (und in französischen unter der Bezeichnung "Die Schlacht der Kardinäle"); aber daß die den "7-jährigen" Krieg entschieden haben sollte - der danach immerhin noch fast vier Jahre weiter ging (nach seiner persönlichen Zählung sogar noch fast fünf Jahre, bis zur Schlacht von Bāksar/Buxar 1764, aber das ist eine andere Geschichte) - war ihm neu. Oh ja, meinte der Limey, "entschieden" heiße ja nicht "beendet"; und durch die Vernichtung der französischen Flotte im November 1759 konnte England erstens eine französische Invasion verhindern und zweitens Kanada und Indien erobern, und das sei ja für den "French Indian War" viel wichtiger gewesen als das kleine Schlesien. Nun, über letzteres braucht man mit Dikigoros nicht zu streiten; aber daß dafür die Schlacht von Quiberon ausschlaggebend war, hält er denn doch für ein Märchen. Erstens wurde da nicht "die französische Flotte" vernichtet, sondern gerade mal 6 von 21 Großkampfschiffen - die man damals "Linienschiffe" nannte - (ein weiteres wurde von den Engländern erobert); aber selbst wenn Frankreich sie allesamt verloren hätte, hätte das nichts geändert, denn zweitens war eine Invasion der britischen Inseln durch Frankreich zu diesem Zeitpunkt - d.h. nach einigen schweren Niederlagen seiner Fußtruppen gegen die Preußens - längst illusorisch, drittens hatten diese Schiffe für den Kampf um Indien überhaupt keine Bedeutung; und viertens hatten die Engländer Québec schon lange vor der Seeschlacht von Quiberon erobert - im September 1759, in "the battle that won Canada [der Schlacht, die Kanada gewann]", wie in manchen britischen Geschichtsbüchern zu lesen steht. Doch auch das stimmt nicht, denn so wie es im Krieg einen Unterschied zwischen "entscheiden" und "beenden" gibt, so gibt es da auch einen Unterschied zwischen "erobern" und "gewinnen". Kanada aber gewannen die Engländer nicht mit der Eroberung von Québec, sondern noch etwas früher und ganz woanders. Darf Dikigoros etwas weiter ausholen? Ja, er muß sogar; denn der Treppenwitz dieser Geschichte ist, daß der "French and Indian War" durchaus durch eine Seeschlacht hätte entschieden werden können - die freilich nie statt fand. Im November 1758 stach die englische Flotte in See, mit einem Expeditionskorps an Bord, das die wertvollste französiche Kolonie jenseits des Atlantiks erobern sollte.

Pardon, liebe Leser, da hat Euch Dikigoros versehentlich ein falsches Bild aufgeladen, eines der französischen Besitzungen in Nordamerika zu Beginn des "7-jährigen Krieges", "Nouvelle France [Neu-Frankreich]" genannt (blau eingezeichnet - orange ist das spanische Gebiet, rot das englische). Aber was war das schon wert, verglichen mit jenem schönen Inselchen in der Karibik, das Frankreich alleine mehr Zucker - und somit mehr Steuern - einbrachte als ganz Nordamerika, dem idyllischen Guadeloupe? Sagt selbst: Würdet Ihr dieses Kleinod eintauschen gegen das popelige Nordamerika?

Im Januar 1759 kam die englische Flotte an und begann mit der Invasion. (Nicht zum ersten Mal: Die Engländer hatten schon 1703, im "Spanischen Erbfolgekrieg", vergeblich versucht, Guadeloupe zu erobern.) Die Franzosen wehrten sich erbittert - 97 Tage lang. (Zum Vergleich: Um Québec sollten sie nur 75 Tage lang kämpfen.) Anfang 1973, nach der gescheiterten Tet-Offensive, war Nord-Vietnam in einer verzweifelten Lage. Gerade wollte es aufgeben und kapitulieren, da... schlossen die USA (die das offenbar nicht mitbekommen hatten - in Vietnam gab es noch kein Internet, das die NSA hätte ausspionieren können :-) einen Waffenstillstand, zogen ihre Truppen ab und verloren so den Krieg. Pardon, da ist Dikigoros ein Satz aus einer anderem Kapitel seiner "Reisen durch die Vergangenheit" in die Tastatur gerutscht. Richtig muß es heißen: Anfang Mai 1759 war die englische Streitmacht auf Guadeloupe in einer verzweifelten Lage: Von den 6.800 Mann des Expeditionskorps waren gerade noch 300 einsatzfähig, der Rest war gefallen oder an Seuchen verreckt, verhungert oder verdurstet, verwundet oder todkrank. (Ja, die tropische Karibik war damals noch nicht für den Fremdenverkehr eingerichtet, mit klimatisierten Hotels u.a. Annehmlichkeiten :-) Und zu allem Überfluß war inzwischen die französische Flotte im Anmarsch, um ihre wichtigste Kolonie zu retten (was scherte sie Neu-Frankreich? Die Leute dort sollten sehen, wie sie alleine zurecht kamen!) und den Engländern die Seeschlacht zu liefern, die den Krieg entscheiden würde. Wie sie ausgegangen wäre, daran hatte jedenfalls der englische Oberbefehlshaber, General Hopson, keinen Zweifel - er wußte ja um den Zustand seiner Leute. Gerade wollte er aufgeben und den Befehl zum Einschiffen geben, um der französichen Flotte rechtzeitig zu entkommen, da... kapitulierte der Gouverneur von Guadeloupe, ein gewisser Baron Nadau du Treil, der offenbar nicht mitbekommen hatte, wie es um die Engländer stand, und auch nicht wußte, daß die französische Flotte nur noch drei Tagesreisen entfernt war, aber nun vergeblich angereist war, denn die englische Flotte zog sich in den - noch völlig intakten - Hafen von Guadeloupe zurück, was sie vor der Vernichtung rettete, denn der Troianische Krieg, pardon, die Seeschlacht von Guadeloupe fand somit nicht statt. Diese Dummheit, pardon, dieser gute Wille eines menschenfreundlichen Gouverneurs, seinen Leuten weitere unnötige Leiden ersparen - er wollte doch kein Durchhalte-Politiker sein, der seine Männer in aussichtsloser Lage bis zur letzten Patrone und bis zum letzten Blutstropfen kämpfen ließ -, entschied den Krieg und den Verlauf der Weltgeschichte! Denkt mal bei Gelegenheit darüber nach, liebe Leser, vor allem wenn Ihr wieder etwas von bösen "Durchhalte-Politikern" und "aussichtslosen Lagen" lest oder hört: Der gute Nadeau du Treil rettete vielleicht ein paar hundert - vielleicht auch nur ein paar Dutzend - Franzosen auf Guadeloupe ein paar Jahre Leben; dafür gerieten 'zigtausende - und mit ihren Nachfahren Millionen - Franzosen in Kanada in britische Gefangenschaft, in der sie bis heute leben - bisher rund 250 Jahre! Ganz zu schweigen von denen, die jene Kapitulation sogar mit dem Leben bezahlen mußten. Ihr, liebe deutschsprachige Leser, werdet davon noch nie gehört haben; aber nachdem die britische Regierung im Mai 1917 alle 16-60-jährigen Männer im Empire der Wehrpflicht unterworfen hatte und die Bewohner Québecs dagegen demonstrierten, wurde ihr "Aufstand" erbarmungslos nieder geschlagen. (Der "Osteraufstand" 1916 in Dublin ist noch heute in aller Munde; vom "Osteraufstand" 1918 in Montréal spricht dagegen niemand mehr.) Die Männer wurden zwangsrekrutiert und an den gefährlichsten Fronten verheizt - größtenteils ohne Schußwaffen, weil man fürchtete, daß sie diese gegen ihre - durchweg englischen - Offiziere richten könnten. Und 1944 geschah das Gleiche noch einmal, denn wieder wollten die meisten Franko-Kanadier nicht in den Krieg ziehen, weder für ihre englischen Unterdrücker noch für die Franzosen, von denen sie sich verraten fühlten, obwohl man sie diesmal noch stärker mit Lügenpropaganda gegen Adolf I und die bösen Nazi-Deutschen berieselt hatte als 30 Jahre zuvor mit Lügenpropaganda gegen den Babyschlächter Wilhelm II und seine Hunnen... Treils Zeitgenosse Friedrich II von Preußen - den Dikigoros wohlweislich nicht "den Großen" nennt, wie die Engländer das damals schon taten - hätte, wenn er denn kein "Durchhalte-Politiker" gewesen wäre, im selben Jahr, nach der Niederlage bei Kunersdorf, kapitulieren müssen. Er tat es nicht, trotz "hoffnungsloser Lage", und - hielt den Krieg remis.

[Englische Medaille auf die Eroberung von Guadeloupe 1759]

Ist Dikigoros jetzt völlig übergeschnappt? Was hatte denn die Eroberung jenes blöden kleinen Inselchens mit dem Verlauf der Weltgeschichte zu tun? Nun, hier kommt - fünftens, wenn Ihr so wollt - wieder eine Bestätigung für Dikigoros' schon an anderer Stelle vertretene These, daß Kriege nicht durch irgendwelche Schlachten zu Lande oder zu Wasser gewonnen oder verloren werden, sondern durch das "Drumherum", von der Vorbereitung durch Bündnisse bis zu den Friedensverhandlungen - und dafür sind nicht die Generäle und Admiräle zuständig, sondern die Diplomaten und Politiker. Und so wie die Niederländer knapp 100 Jahre zuvor Zuckerrohr für wichtiger gehalten hatten als New York, so hielten nun auch die Franzosen Zuckerrohr für wichtiger als halb Nordamerika. Die Engländer boten ihnen nämlich auf der Friedenskonferenz an, Guadeloupe - und das fast ebenso kleinewertvolle Karibik-Inselchen Martinique, das sie 1762 auch noch erobert hatten - zurück zu geben, wenn die Franzosen ihnen dafür Kanada und das östliche Drittel von Louisiana abtraten. Dieses Angebot hätten die Engländer wohlgemerkt auch gemacht, wenn sie die Schlacht von Québec verloren hätten; und die Franzosen hätten ebenso darauf reagiert, denn die beiden Karibik-Inseln waren ihnen wie gesagt viel mehr wert als ganz Nordamerika. [Nur nebenbei angemerkt: Der Senegal - den die Engländer ebenfalls irgendwann erobert hatten - war ihnen auch mehr wert als ganz Indien, denn dort gab es doch so schöne Negersklaven, die ja viel mehr wert waren als die blöden Inder. Als die Engländer ihnen also anboten, den Senegal zurück zu geben, wenn sie im Gegenzug auf Indien verzichteten, sagten die Franzosen sofort ja. (Die Engländer hätten das nicht tun müssen, denn sie hatten alle Schlachten in Indien gewonnen; aber sie konnten es sich hier einmal leisten, großzügig zu sein, denn sie hatten schon genügend andere Gebiete in Afrika besetzt, in denen es Neger zu versklaven gab; außerdem hatten sie ja durch den Asiento-Vertrag das Monopol für den Sklavenhandel mit Übersee - aber das ist eine andere Geschichte.)] Nun wißt Ihr also, wie und wo der "French and Indian War", pardon, der "7-jährige Krieg" entschieden wurde: weder in Nordamerika noch in Indien (geschweige denn in Schlesien :-), sondern in der Karibik und in Afrika! (Wenn das kein Weltkrieg war, dann weiß Dikigoros nicht, was ein "Weltkrieg" sein soll :-) Ach so - will jetzt noch jemand Dikigoros erzählen, daß die Seeschlacht von Quiberon irgendeine Bedeutung hatte oder hätte haben können, z.B. wenn die Franzosen sie gewonnen hätten? Hätten sie dann etwa auch den "7-jährigen Krieg" gewonnen, zumindest in Europa? Kaum, denn der wurde an Land entschieden. Und wenn Frankreich aus irgendwelchen anderen Gründen den Krieg und damit Nordamerika und Indien gewonnen hätte? Solche Spekulationen sind müßig und verbieten sich eigentlich in einer seriösen Geschichtsbetrachtung; aber Dikigoros kann denjenigen seiner deutscher Leser, die sie dennoch anstellen mögen, nur sagen, was er ihnen schon an anderer Stelle in Bezug auf eine mögliche Herrschaft der Niederländer oder Schweden über Nordamerika gesagt hat: Wünscht Euch das nicht, denn für Deutschland wäre dann womöglich alles noch viel schlimmer gekommen!

[Nachtrag. Und welche Bedeutung hatte Guadeloupe für Frankreich? Oh, noch lange Zeit eine sehr große, denn es lieferte ja weiterhin Zuckerrohr; und bevor die Deutschen die Idee, Zuckerrüben zu züchten und den Süßstoff daraus zu gewinnen, perfektioniert hatten, blieb das Inselchen auch für die Engländer interessant: Dreimal - 1794, 1810 und 1815 - kämpften sie noch erbittert um Guadeloupe während der "napoleonischen" Kriege (wie übrigens auch um den Senegal). Und während der Mann, nach dem diese Kriege benannt sind, den Rest von Louisiana für den sprichwörtlichen Appel und das sprichwörteliche Ei an die USA verkaufte, klammerte sich Frankreich auch auf dem Wiener Friedens-Kongreß erfolgreich an seinen schönen Karibik-Besitz und... hat ihn bis heute am Bein. (Ebenso an den Senegal; aber den ist es zu seinem Glück 150 Jahre später los geworden :-) Nachtrag Ende.]

* * * * *

Nun muß Dikigoros gestehen, daß er zwei dieser Reisen zu den Schauplätzen berühmter Seeschlachten nur mit dem Finger auf der Landkarte gemacht hat - oder jedenfalls nicht am Original-Schauplatz war, sondern nur an dem Ort, wo ihrer bis heute am meisten gedacht wird. Als er zum ersten Mal in England weilte, machte er selbstverständlich auch einen Tagesausflug nach London. (Ein Zweitagesausflug mit Übernachtung wäre zu kostspielig geworden - die Hauptstadt des einstigen britischen Empire, dessen vorletzte Reste in Afrika gerade abgebröckelt waren, war schon damals ein teures Pflaster; das Pfund hatte noch 20 Schillinge à 12 Pence à 4 Farthings und kostete 12.- DM - gute, alte, harte Märker, deren Fünfer in schwerem Silber geprägt waren, keine durch die Zwangs-, pardon "Wieder"-Vereinigung mit den ossinesischen Alu-Chips aufgeweichten Deutsch-Marx, pardon Marks. Und die vielen billigen Inder- und Chinesen-Viertel gab es damals noch nicht, und wenn, dann hätte er sich schwerlich hinein getraut :-) Was schaut man sich an, wenn man nur einen Tag in London ist? Na was wohl: zuallererst den Trafalgar Square mit der großen Säule, auf deren Spitze sich angeblich (erkennen konnte das von unten niemand, und hinauf fahren konnte man - anders als auf den Eiffel-Turm - auch nicht) ein Denkmal für Lord Nelson stehen sollte, der 1805 in der Seeschlacht von Trafalgar den Tod gefunden hatte. Nebenbei bemerkt kam es nicht darauf an, ob man bis zur Spitze hinauf sehen oder fahren konnte oder nicht, denn das Denkmal trug ohnehin schwerlich die Züge des angeblich einäugigen Admirals - aber darüber schreibt er an anderer Stelle mehr.

[Trafalgar Square mit Nelson-Säule]

Dort schreibt er auch mehr über den Verlauf der Schlacht von Trafalgar, so daß er sich hier auf eine kurze Zusammenfassung in einem Satz beschränken kann: Gegen alle Regeln der überkommenen Kriegskunst griff Nelson in tollkühner Verzweiflung die quantitativ und qualitativ weit überlegene französisch-spanische Flotte mit einem einzigen linienförmigen Stoß frontal an, ließ dabei seinen Unterführern freie Hand und hatte das Glück, daß auf der Gegenseite ein völlig unfähiger Admiral stand, der es fertig brachte, die Schlacht - die unter den gegebenen Umständen jeder Kadett im 2. Schuljahr, so er denn Oberbefehlshaber gewesen wäre, gewonnen hätte - zu verlieren. Wir brauchen hier also nur noch nach den Folgen zu fragen. Fragen wir die Engländer, so haben sie die Antwort sofort parat: Der Sieg bei Trafalgar verhinderte Napoleons Plan, die britischen Inseln zu erobern, gegen die somit weiterhin - seit 1066 - nie eine Invasion geglückt war. Ferner hinderte es Napoleon an seinen Welteroberungs-Plänen (verstanden als Pläne zur Eroberung der Weltmeere); die Welt[meere] blieb[en] vielmehr frei, d.h. britisch! Es war also die größte Heldentat bis zum Zweiten Weltkrieg, genauer gesagt bis zur Luftschlacht von England, als es der tapferen Royal Air Force gelang, die Invasions- und Weltherrschafts-Pläne des teuflisch bösen Adolf Hitler und seiner Nazi-Deutschen zu vereiteln und so das britische Empire - das ohne jenen Krieg heute noch bestehen könnte -, für immerhin, äh... 7 magere Jahre am Leben zu erhalten.

Daran ist immerhin richtig, daß Napoleon ebenso viel an einer Eroberung Englands und der Welt[meere] lag wie Hitler, nämlich gar nichts - die hätten beide Diktatoren den Briten gerne gelassen, wenn die sich im Gegenzug nicht mehr ständig auf dem Kontinent eingemischt und dort immer wieder neue Kriege geschürt hätten. Wozu hätte man England erobern sollen? Es war ein armes Land, wo es nicht viel zu holen gab. Dikigoros hat ja oben schon kurz "Blackadder" erwähnt; und er liebt die Satire, da sie oft mehr als nur ein Körnchen Wahrheit enthält, das man sonst vielleicht nicht so offen aussprechen dürfte; und als besonders gelungen empfindet er jene Szene aus "Back and Forth", in welcher der Duc de Darling fragt: "Warum wollen wir eigentlich England erobern? Dort wird doch der Wein aus Kuhpisse gemacht, und die Frauen haben alle große Bärte!" Nicht, daß das wahr gewesen wäre (vielmehr wurde in England überhaupt kein Wein hergestellt - der wurde aus Portugal importiert -, und Frauen mit starkem Bartwuchs hätten sich ja rasieren können :-); dennoch glaubten das damals wahrscheinlich viele Franzosen; und letztlich fand auch Napoleon - anders als in der Satire -, daß die britischen Inseln einen Angriff nicht lohnten. Und an Übersee hatte Napoleon so wenig Interesse, daß er wie gesagt nicht nur Louisiana für einen Pappenstil an die USA verkaufte (was man noch hätte verstehen können, denn dort lebten ja nur wenige Franzosen), sondern auch darauf verzichtete, sich den Osten Kanadas (das heutige Québec) von den Engländern zurück zu holen (was mit Hilfe der USA - die sich dann den Westen unter den Nagel gerissen hätten - leicht möglich gewesen wäre), obwohl dort eine fast rein französische Bevölkerung lebte. Und der "Welthandel"? Den gab es doch noch gar nicht, jedenfalls nicht das, was wir heute, im Zeitalter der "Globalisierung", darunter verstehen. Vor der "industriellen Revolution" hatte man selber noch genügend Rohstoffe in Europa, und die exotischen Gewürze - über die Dikigoros an anderer Stelle schreibt - waren einem Napoleon keinen Krieg wert. (Deshalb ließ er es auch zu, daß sich die Briten die niederländischen Besitzungen in Afrika und Asien unter den Nagel rissen - wozu waren die schon gut?) Und was das scheinbar unausrottbare Märchen angeht, daß seit 1066 nie ein feindlicher Eroberer in England gelandet sei, so weiß Dikigoros gar nicht, wo er mit dem Lachen anfangen soll: In den beiden Jahrhunderten vor der Schlacht von Trafalgar, also im 17. und dem 18., hatten allein die Stuarts fast ein Dutzend Invasionen unternommen (zumeist mit französischer Hilfe), die die britischen Inseln auch allesamt erreicht hatten, ohne daß sie irgendeine Flotte durch eine Seeschlacht oder sonstwie daran gehindert hätte. Ja aber, meinen die Engländer, wenn man ihnen das vorhält, das waren ja letztlich keine erfolgreichen Invasionen, denn die Invasoren landeten zwar, aber es gelang ihnen dann doch nicht, England zu erobern. So so... Und wie war das mit der Invasion Wilhelms von Oranien (der übrigens bei der o.g. Wahl zum "größten Niederländer aller Zeiten" Platz 2 belegte, hinter dem kurz zuvor von einem muslimischen Immigranten ermordeten Politiker Pim Fortuyn - was auch ein Grund ist, weshalb jene Wahl in den Niederlanden meist tot geschwiegen wird, denn speziell Platz 1 ist den politisch-korrekten Gutmenschen peinlich :-) anno 1688, die als "glorreiche Revolution" durch die (nicht nur englischen) Geschichts- und Märchen-Bücher spukt? Das war keine Revolution, sondern eine erfolgreiche Invasion, und der stand wieder kein Schiff und keine Seeschlacht entgegen. Darauf entgegnen die Engländer meist, daß das doch keine feindliche Invasion war, denn immerhin hatten ja 7... nein, Dikigoros will das hier mal nicht selber formulieren, sondern aus einem verbreiteten Geschichtsbuch zitieren: "Sieben prominente Politiker senden Wilhelm III von Oranien unter dem Eindruck der verhaßten Politik des Königs eine Einladung zur Regierungsübernahme." Sieben "populäre" Politiker also... Wißt Ihr, wie viele Namen "populärer" britischer Politiker auf der "Einladung" standen, die Rudolf Hess in der Tasche hatte, als er im Sonner 1941 nach Großbritannien flog? Die britische Regierung hält sie bis heute krampfhaft unter Verschluß, da noch unmittelbare Nachkommen von ihnen leben, denen es furchtbar peinlich wäre, wenn das offiziell heraus käme; aber wer sich dafür interessiert, kann ja mal hier nachschauen - Dikigoros hat sie namentlich erwähnt - und nachzählen. Aber wir wollen nicht allzu weit vom Thema abkommen; an dieser Stelle sollte uns nur die eine Frage interessieren, was die Seeschlacht von Trafalgar für den Gang der Weltgeschichte bewirkt hat, und die Antwort lautet schlicht und ergreifend: "Nichts!" (Ganz anders der erfolgreiche Überfall Nelsons auf Abukir - den aber niemand im Ernst als "See-Schlacht" bezeichnen würde, es war ja ein bloßes Abschlachten -; aber auch darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle.)

* * * * *

Als Dikigoros zum ersten Mal London besuchte, erfuhr er auch zum ersten Mal von einer weiteren Seeschlacht, die die Briten aus unerfindlichen Gründen für eine der größten ihrer Geschichte halten. Aber er kann Euch beruhigen: Diesmal war er wirklich am Ort des Geschehens - wenn auch erst zehn Jahre später. (Es ist dies - ähnlich wie Actium und Lepanto - einer der Orte, den man unbedingt gesehen haben muß, wenn man sich eine richtige Vorstellung von den Ereignisse machen will; viele andere Seeschlachten hätten nach ihrem Verlauf auch überall anders auf der Welt statt finden können - diese nicht!) Dem Namen nach hätte er sie irgendwo in Spanien oder Italien vermutet: Navarino. Aber nein, er will nicht immer aus seiner persönlichen Frosch-Perspektive anfangen, sondern diesmal eine Ausnahme machen, weil es hier einmal lohnt, aus der Distanz auf den größeren Zusammenhang zu blicken. Dikigoros hat schon oft gelesen, daß dieser oder jener Krieg "der erste moderne der Neuzeit", diese oder jene [See-]Schlacht "die erste moderne der Neuzeit" gewesen sei o.ä. Doch nie ist er dabei auf den Unabhängigkeitskrieg der Griechen gegen die Türken gestoßen oder etwa auf die Seeschlacht von Navarino. Wieso denn auch - oder wieso nicht? Nun, Historiker, speziell Militär-Historiker neigen dazu, solche Ereignisse nach Strategie, Taktik und/oder Bewaffnung zu beurteilen; und bei Navarino kämpften zwei Flotten mit altmodischen Segelschiffen und Kanonen nach altmodischer Taktik (irgendwo las Dikigoros sogar: "Wie bei Trafalgar" - obwohl das nicht stimmt) einen einseitigen, langweiligen Kampf. "So what?" fragt der Brite, was soll denn daran bitte "modern" gewesen sein?

Darf Dikigoros, bevor er weiter ausholt, gleich mit der Tür der Antwort ins Haus fallen? Es war der erste Krieg, der mehr durch verlogene Propaganda der Medien entschieden wurde als durch militärische Handlungen. (Dikigoros schreibt bewußt nicht "Kampfhandlungen", denn strategische Märsche haben bis ins 18. Jahrhundert mehr Kriege entschieden als die anschließenden Kämpfe - aber das ist eine andere Geschichte.) Und Navarino war die erste Seeschlacht, die nicht durch militärische, sondern durch politische Hinterlist entschieden wurde, genauer gesagt durch die bis heute typische Verlogenheit, die um die Wörtchen "Frieden" und "Freiheit" kreist. Die Griechen wollten also ihre Freiheit vom türkischen Joch? Wer waren "die"? Bestimmt nicht die Mehrheit der Griechen, sondern hauptsächlich ein paar Räuberbanden ("Kleften"), die gegen jede andere Obrigkeit auch rebelliert hätten, die ihnen die "Freiheit" zu rauben und zu plündern verwehrt hätte, und deren Polizei sie nicht in "Frieden" gelassen hätte.


griechischer StraßenräuberFreiheitskämpfer

Sonst wollte die niemand, weder im In- noch im Ausland - dort schon gar nicht. Vor allem die Politiker der "Großmächte" - Großbritannien, Frankreich und Österreich - waren entsetzt: Wo kämen wir denn hin, wenn jedes kleine Sch...-Volk gewaltsam seine politische Unabhängigkeit erkämpfen wollte? Die Schotten, die Iren (die man beide gerade erst endgültig unterworfen und gleichgeschaltet hatte - bei den Walisern war das schon etwas länger her), die Bretonen, Flamen, Basken, Elsässer und Lothringer, die Ungarn, Tschechen, Slowaken, Ruthenen, Kroaten, Italiener, Rumänen und und und? Wer so etwas unterstützte, der mußte ein Narr sein, denn bei aller persönlicher (und religiöser) Sympathie für die Hellenen hätte deren Erfolg auch im eigenen Lande als Fanal wirken können zum Kampf der bösen Nationalisten gegen die altehrwürdige "Legitimität" der dynastischen Herrscher über multi-ethnische und "multi-kulturelle" Staaten. Also ließ man den Aufstand, der 1821 begonnen hatte, Aufstand sein; und er stand auch kurz vor dem Zusammenbruch, als sich jemand einmischte, der eigentlich allen Grund gehabt hätte, das ebenso zu sehen wie die Herrscher der anderen Großmächte: Nikolaj I, der Tsar aller Reußen, der 1825 auf den Thron kam. (Sein Vorgänger, Aleksandr I, hatte das so gesehen wie die anderen und sich schön raus gehalten :-) Er war ein unerfahrener Dummkopf und begriff nicht, daß die Balten, die Ukraïner und vor allem die Polen aufmerksam nach Griechenland schielten. (Die Quittung bekam er nur drei Jahre nach Navarino, aber das ist eine andere Geschichte.) Und als er Anstalten machte, sich einzumischen, begannen auch die anderen Großmächte umzudenken - nicht aus Mitleid mit den Griechen, sondern aus Angst, daß Rußland sich alleine zu deren Schutzmacht aufschwingen und dabei die Meerengen und Teile des Mittelmeers unter seine Fuchtel bringen könnte - das durfte nicht sein! Also verbündete man sich zähneknirschend mit den Russen, um Griechenland gemeinsam zu "befreien". ("Man" schloß freilich Österreich nicht ein - dessen Kanzler, der gebürtige Preuße Metternich, blieb bei seiner ablehnenden Haltung :-) Zu diesem Zweck mußte erst einmal "Frieden" geschaffen werden. (Genau wie heute, liebe Leser, genau wie heute. Wo immer irgendein kleiner oder größerer militärischer Streit ausbricht, schreien die Großmächte ["Weltmächte" gibt es ja nicht mehr; aber nehmt mal das, was heute als "G7+Rußland" bezeichnet wird] - und/oder die UNO - sofort nach einem "Waffenstillstand", egal wo die Fronten stehen und welche Ungerechtigkeit damit zementiert wird, und nach "Verhandlungen". Damals fing das an!) Die Türken (und die mit ihnen verbündeten Ägypter) stellten zähneknirschend die Kampfhandlungen ein. (Die Griechen nicht, sie kämpften munter weiter und überfielen die "Besatzer", wo sie ihrer nur habhaft werden konnten, mehr oder weniger heimlich unterstützt von den Engländern.)

Unterdessen wurde zuhause kräftig die Propaganda-Trommel gerührt. (Wofür gab es die "Preß-Freiheit"? Zur Verbreitung des Standpunkts der Regierung durch ihr nahestehende Zeitungen - das systematisch belogene und verblödete Volk glaubte alles und kam sich dabei noch besonders gut informiert vor :-) Oh ja, die "Türken-Greuel". Gewiß, die hatte es mal gegeben, und nicht zu knapp, mindestens bis ins 18. Jahrhundert mit unschöner Regelmäßigkeit, und vereinzelt wohl auch noch danach (fragt die Armenier... Aber darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle, ebenso über die Ausrottung der Griechen in Kleinasien Anfang der 1920er Jahre - nach einem Krieg, den die Griechen freilich selber angefangen hatten, unter ihrem sauberen "Helden" Venizélos.) Aber um "Greueltaten" zu finden, die den "Unabhängigkeitskrieg" rechtfertigten, der 1821 vom Zaun gebrochen wurde, muß man schon lange suchen. Wenn Ihr die Griechen fragt, liebe Leser - und all die "Griechenfreunde", die das mit hoch gekocht haben -, dann wird man Euch dreierlei zur Auswahl vorlegen; und Ihr wollt bitte bemerken, daß bereits der früheste Fall erst nach Ausbruch des Krieges geschah, nämlich anno 1822, also nachgeschoben war. Aber selbst wenn er vorher statt gefunden hätte... Wenn Ihr mal nach Chíos reist, liebe lesbische Leserinnen, jener häßlichen kleinen Nachbarinsel von Leswos mit den vielen Bauruinen, dann werdet Ihr dort heute nichts mehr von der Pracht entdecken, die sie einst zur reichsten Insel des Mittelmeers machte - reicher als Kreta, Rhodos und Cypern zusammen, ja sogar reicher als das ganze griechische Festland. Lediglich im Souvenir-shop werdet Ihr noch auf den Grund ihres einstigen Reichtums stoßen, in Form von "Mastix" - das ist das Zeug, das zur Herstellung von Kaugummi diente, bis die Amerikaner den Chiclé-Baum für sich entdeckten. Die Genuesen hatten im Mittelalter große Pflanzungen auf Chíos angelegt; und als die Osmanen die Insel eroberten, waren sie klug genug, den blühenden Handel nicht zu stören, sondern sich zunutze zu machen, indem sie die Bewohner ungewöhnlich gut behandelten: Sie genossen quasi Autonomie (sie unterhielten eigene diplomatische Beziehungen mit dem Deutschen Bund, pardon dem "Kaiserreich" Österrreich, England, pardon, seit 1801 "Groß-Britannien", und Italien, pardon, dem "Königreich Neapel"), und die Steuern und Zölle waren niedriger als unter den Genuesen. So weit, so gut. Doch es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem lieben Nachbarn gefällt, ihn mit den Segnungen der "Freiheit" beglücken zu wollen. Da die Chionesen, pardon Chioten, selber nicht wußten, was gut für sie war, überfiel, pardon, kam im März 1822 ein Regiment "Freiheitskämpfer" von der Nachbarinsel Samos zu Besuch, griff die kleine türkische Garnison (ein paar hundert Mann Wachsoldaten und Polizei) an, plünderte, pardon, füllte sich ein wenig die Taschen mit Souvenirs und erklärte die "Unabhängigkeit". Der Pöbel - sicher nur eine Minderheit der rund 100.000 Einwohner von Chíos - war begeistert, plünderte, pardon, feierte ein wenig mit und begann die überlebenden Türken (und einige Angehörige der griechischen Oberschicht, die mit ihnen geflüchtet waren - aber später als "Geiseln" bezeichnet wurden) in der kleinen Festung zu belagern. Das wollte die Pforte verständlicherweise nicht hinnehmen - auch bei niedrigen Steuersätzen war Chíos noch eine schöne Einnahmequelle; so etwas gab man nicht so einfach auf! Es dauerte nur drei Wochen, dann lag eine türkische Flotte vor Chíos, mit 15.000 Soldaten an Bord. Der Admiral schickte ein Schiffchen mit Parlamentären in den Hafen, um die Revolutionäre zur Übergabe aufzufordern - für diesen Fall verkündete er eine General-Amnestie. Und wer nur etwas Verstand im Kopf hatte auf Chíos, der hätte dieses Angebot wohl angenommen. Aber Chíos hatte noch mehr Nachbarinseln, und von einer derselben - Psará - war noch weiterer hoher Besuch gekommen, nämlich der Kapitän Kanáris (ein Vorfahre jenes VerbrechersAdmirals Canaris, der im Juni 1940 maßgeblich dazu beitrug, daß der Krieg, den Großbritannien im September 1939 dem Deutschen Reich erklärt hatte, nicht mit der Eroberung Gibraltars zuende ging, sondern sich zum Weltkrieg ausweitete, der 50 Millionen Menschenleben kostete und zur Zerstörung nicht nur des Deutschen Reichs, sondern ganz Europas führte). Der ließ nichts anbrennen, d.h. eben doch, denn er ließ das Schiffchen mit den türkischen Parlamentären zusammenschießen und mit Mann und Maus versenken. (Nein, das war sicher keine "Seeschlacht" in dem Sinne, daß Dikigoros ihr hier einen eigenen Abschnitt widmen würde - aber es gehört zur Vorgeschichte der nächsten "großen" Seeschlacht; bitte noch etwas Geduld!) Dann kam, was kommen mußte: Die türkischen Truppen gingen an Land und eroberten die Insel. Daß dabei einiges zu Bruch ging (wozu später auch das gezählt wurde, was die "Freiheitskämpfer" aus Samos zuvor schon zerstört hatten), liegt in der Natur der Sache; aber die ausländischen Diplomaten - denen kein Haar gekrümmt wurde, und deren Residenzen selbstverständlich unangetastet blieben, das waren noch Zeiten! - schickten Berichte nach Hause, die das "Massaker von Chíos" zum größten Verbrechen der Weltgeschichte aufbauschten: Alle Griechen ermordet oder versklavt, alle Besitzungen zerstört, das schrie doch nach einer "humanitären" Militär-Intervention! (Gerade daß sie nicht auch noch behaupteten, die Türken schlügen ihren Opfern die Hände ab und brieten deren Babys am Spieß - das hoben sie sich für 92 Jahre später auf, als es nicht mehr [nur] gegen die Türken, sondern gegen die "Hunnen" unter Kaiser Wilhelm II ging.) Der Maler Delacroix (der noch nie in Griechenland oder der Türkei oder auf Chíos gewesen war - geschweige denn dabei) malte ein ergreifendes Bild der Geschehnisse, das in auffallendem Gegensatz steht zu den Bildern, die er später malen sollte, in denen er die Massaker der Französischen Revolution - die sicher um einiges schlimmer waren - nicht etwa anklagte, sondern verherrlichte.

Die Welt war empört - aber wenngleich diese Empörung sich in Griechenland, zumal in Chíos, bis heute noch nicht ganz gelegt hat, dürfen wir doch mal ganz nüchtern fragen, was eigentlich passiert war: Ca. 30.000 griechische Männer fielen bei den Kämpfen; das ist viel; aber nachdem sie die Kapitulation abgelehnt hatten, mußten sie diesen Blutzoll halt entrichten. Ca. 40.000 griechische Frauen und Kinder wurden in die Sklaverei verkauft - das empörte (und empört) die Westler am meisten, besonders die Briten, die schließlich das weltweite Monopol auf den Handel mit Sklaven für sich in Anspruch nahmen. (Ja, was glaubt Ihr denn, weshalb die Briten den ersten Weltkrieg der Neuzeit, den so genannten "Spanischen Erbfolgekrieg", angezettelt hatten? Weil es ihnen so wichtig war, ob auf dem spanischen Thron ein Habsburger oder ein Bourbone saß? Das war ihnen piepegal, und auch Gibraltar und Menorca nahmen sie eher "nebenbei" mit. Worum es ihnen wirklich ging, war der "asiento de negros", der Vertrag über das Sklavenhandels-Monopol; und sobald Spanien den 1713 unterzeichnet hatte, schied England aus dem Krieg aus und ließ die anderen alleine weiter kämpfen. Erst 1833, also 11 Jahre nach dem ach-so-empörenden "Massaker von Chíos", verzichtete England offiziell auf jenes Monopol und verbot sogar den Sklavenhandel ganz - aber was glaubt Ihr denn, wie danach mit den Eingeborenen irgendwelcher afrikanischer Dörfer verfahren wurde, welche die Eroberung durch die Briten überlebten? Diese Frage erübrigte sich erst nach Einführung des Maschinengewehrs - da gab es nämlich keine Überlebenden mehr, die man hätte versklaven können!) Wie konnten die Türken es bloß wagen, ihr geheiligtes Monopol zu verletzen? Aber wir sind noch nicht fertig: Die Türken töteten, versklavten und/oder zerstörten eben nicht alles: Die Mastix-Plantagen ließen sie unangetastet, ebenso ihre Betreiber und Bearbeiter, insgesamt ca. 15.000 Griechen; und weitere 15.000 konnten fliehen und später zurück kehren; tatsächlich hatten die Türken Chíos also nur von den aufmüpfigen Revoluzzern gesäubert - Ihr gestattet doch, daß Dikigoros diesen modernen Ausdruck gebraucht? -; daß diese in der Mehrheit waren... tant pis! Über den zweiten Fall für die Propaganda-Maschinerie des "Freiheitskriegs", den inszenierten "Massen[selbst]mord" von Mesolóngi anno 1826, schreibt Dikigoros an anderer Stelle; und der dritte hängt zeitlich und räumlich eng mit dem zweiten zusammen: Während der Belagerung von Mesolóngi sollen nämlich in dessen Umgebung die osmanischen Truppen - extra zu diesem Zweck aus Ägypten geholt - ganz besonders übel gehaust haben. Gewiß, Besatzungstruppen im Krieg hausen fast immer mehr oder weniger schlimm (so es sich nicht um disziplinierte Deutsche handelt - aber selbst bei denen kommen gelegentlich Übergriffe vor, die dann meist grob verzerrt, aufgebauscht und verallgemeinert werden). Doch daß man das ausgerechnet den ägyptischen Truppen anzuhängen versuchte, macht Dikigoros stutzig. Der türkische Sultan Mehmet hatte seinen Adoptivsohn Ibrahim als deren Oberkommandierenden nach Griechenland geschickt. Adoptivsohn? Liest man in den heutigen Geschichts- und Märchen-Büchern nicht meist "Sohn"? Tja, es war der Sohn einer seiner Nebenfrauen aus erster Ehe, also sein Stiefsohn, den er dennoch als seinen Lieblingssohn adoptierte; und der war - reinblütiger Grieche! Das schließt zwar nicht aus, daß er als "150%er" besonders wütete. (Dikigoros wird ja nie müde zu betonen, daß durch solche Leute die größten Verbrechen der Weltgeschichte begangen wurden und werden, durch Juden an Juden, durch Kommunisten an Kommunisten, durch Afrikaner an Afrikanern, durch Chinesen an Chinesen und und und - ja, auch durch Deutsche an Deutschen: Katharina II von Rußland, die das Deutschtum im Baltikum ausrottete, war Deutsche; und der Massenmörder und Jahrhundert-Verbrecher Eisenhower ebenfalls!) Aber gerade in diesem Fall fehlt es an Beweisen für konkrete Verbrechen, die selbst nachgeschoben einen überzeugenden Grund oder auch nur Anlaß zum "Befreiungskampf" der Griechen von 1821 gegeben haben könnten.

Wie war das nun mit Navarino? Die Türken bzw. Ägypter hatten auf das "Friedens"-Ultimatum der Alliierten (ja, das waren sie nun, ganz offiziell, durch den Vertrag von Sankt Peterburg von 1826) hin brav ihre Flotte zurück gezogen, eben in den Golf von Navarino. Das war für beide Seiten sicher, denn wenn die kombinierte Flotte der Engländer, Franzosen und Russen vor den beiden Eingängen zum Golf kreuzte - und das tat sie denn auch sogleich -, konnte sie verhindern, daß die Türken wieder heraus kamen; und umgekehrt konnten die Türken verhindern, daß die Alliierten herein kamen, denn die Eingänge waren mit starken Forts und schwerer Artillerie bestückt, die jedes feindliche Schiff, das den Versuch unternommen hätte, gewaltsam einzudringen, problemlos versenken konnten. (Wenn Ihr Zweifel an Dikigoros' diesbezüglichen Ausführungen hegt, dann fahrt mal hin; Ihr könnt bei der Gelegenheit auch gleich Pylos inspizieren, das eine wichtige Rolle in der Diskussion um die Lokalisierung der Odyssee des Hómäros spielt, wie Ihr hier unter dem Stichwort "Telepylos" nachlesen könnt.) Wie kam es dann trotzdem zur Schlacht? Hm... vergeßt bitte nicht, daß auf der einen Seite Briten beteiligt waren. (Die Alliierten hatten dem britischen Admiral Codrington das Oberkommendo für die gesamte Flotte übertragen.) Wie war das 1801 in Kopenhagen? Wie war das 1940 in Oran? (Nebenbei bemerkt ein Gefecht, das militärisch gesehen ebenso bedeutungslos war wie all die Seeschlachten, die Euch Dikigoros hier vorstellt: Die französischen Schlachtschiffe, die dabei versenkt wurden mochten noch so modern sein, im Zweiten Weltkrieg hatten sie grundsätzlich ausgedient; ihre Zerstörung hatte auf den Ausgang des letzteren keinerlei Auswirkungen; und auch politisch hatte sie keine Folgen, da sich Pétain entschied, die Versenkung seiner Flotte widerspruchslos hinzunehmen.) [Dikigoros verkneift sich einen nochmaligen Hinweis auf die Schlacht von Abukir, denn da war ja ganz offiziell Krieg zwischen England und Frankreich.] Seht Ihr, und so ähnlich war das auch 1827 in Navarino: Im Oktober segelte die alliierte Flotte ganz friedlich in den Golf ein und ankerte direkt gegenüber der türkisch-ägyptischen Flotte - deren Geschütze schwiegen, sowohl die oben auf den Festungen als auch die unten auf den Schiffen (die im Halbkreis, pardon im Halbmond aufgestellt waren, also ein wunderbar konzentrisches Feuer auf die Ankommenden hätten richten können). Aber warum hätten sie schießen sollen? Die Engländer und ihre Alliierten kamen doch in friedlicher Absicht! (In so friedlicher Absicht wie die Marsmenschen in Mars attacks - aber da glaubten es die Betroffenen ja auch :-) Hätte sie gewollt, hätten sie die Eindringlinge mit Mann und Maus vernichten können, bis zum letzten Schiff, und auf einen Schlag die Seeherrschaft über das östliche Mittelmeer zumindest vorübergehend zurück gewinnen können - und vielleicht sogar der Geschichte des Balkans noch einmal eine Wende geben können, die nicht zu den Balkankriegen der 1910er Jahre, zum Ersten Weltkrieg, zum Zweiten Weltkrieg und zu den Balkankriegen der 1990er Jahre geführt hätte; denn sie hatten zwar gerade (1826) die Janitscharen beseitigt und mußten deshalb mit ägyptischen Hilfstruppen kämpfen; aber diese Hilfstruppen waren hervorragend ausgebildet und ausgerüstet - übrigens von den Franzosen, die ja seit Jahrhunderten mit den Türken gegen das Reich verbündet waren und wie gesagt erst jetzt, wegen der Russen, zähneknirschend die Seiten gewechselt hatten. Aber das sind müßige Spekulationen, hätte, wenn und aber... Dikigoros will nur noch der guten Ordnung halber erwähnen, mit welcher Ausrede die Briten ihren Überfall auf die türkisch-ägyptische Flotte "rechtfertigten": Angeblich schwamm da irgendwo am Rande ein türkischer Brander; ein tapferer britischer Leutnant griff ihn höchstvorsorglich an und wurde dabei "ermordet" (merkwürdiger Ausdruck für das Erschießen eines Angreifers im - nicht erklärten - Krieg, findet Ihr nicht auch?); daraufhin eröffneten die allierten Schiffe das Feuer auf die wehrlosen, da völlig unvorbereiteten türkischen und schickten sie allesamt auf den Meeresgrund. (Von wo man sie später wieder hob und ihre Kanonen als Altmetall verkaufte - nach Bayern; viele berühmte Denkmäler in München sind daraus hergestellt :-) Und das nennen die Briten nun eine "große Seeschlacht"? Ein Abschlachten wars, weiter nichts. Kein Stoff für Heldensagen - außer auf der Leinwand einiger Maler, die nicht dabei gewesen waren.

Und die Folgen? Brachte die Schlacht von Navarino den Griechen nun ihre von niemandem gewollte, pardon, von jedermann heiß herbei gesehnte Unabhängigkeit? Mitnichten! Die erkannten die Türken erst nach einem weiteren Krieg gegen Rußland 1828/29 an, ohne Zutun der Engländer und/oder Franzosen. (Die Briten hielten sich mit einigen Mittelmeer-Inseln schadlos, die bis dahin zum Osmanischen Reich gehört hatten, und die eigentlich von Griechen bewohnt waren - da hatte es offenbar keine "Türken-Massaker" gegeben -; und die Franzosen wandten ihr Augenmerk Ägypten zu - aber das ist eine andere Geschichte.)

* * * * *

Als Dikigoros zum ersten Mal nach Italien und Griechenland reiste - von dieser Reise hatte er Euch ja schon berichtet -, wäre er nicht im Traum auf die Idee gekommen, etwa auf dem Rückweg über das sozialistische Jugoslawien zurück zu fahren, obwohl die Interrail-Karte auch dort gegolten hätte. Aber als Reservist hätte er eine Genehmigung vom Kreiswehr-Ersatzamt gebraucht, um in ein zwar nicht dem Warschauer Pakt angehörendes, aber gleichwohl als potentieller Kriegsgegner geltendes Land zu reisen. Erst auf seiner vierten und letzten Interrail-Fahrt (die zweite hatte ihn auf die Iberische Halbinsel - aber nicht ans Kap Trafalgar -, die dritte nach Skandinavien geführt) wagte er sich auf den Balkan. Aber er müßte lügen, wenn er behaupten wollte, daß er bei der Gelegenheit Lissa - oder, wie die "Jugo-Slawen" sagten und die Kroaten heute noch sagen, Vis - besucht hätte; er hörte nicht einmal davon. (Ebenso wenig wie er davon zuvor auf seinen Italien-Reisen gehört hatte :-) Aber als er auf der Rückreise wie fast immer in Wien Station machte, geriet er zufällig in eine Veranstaltung, der er sich erst gar nicht nähern wollte - es war just der 20. Juli, und er dachte nur: Nun fangen die hier auch schon an, das heldenhafte Attentat des Ur-Österreichers Stauffenberg (nicht lachen, liebe Leser; der Graf war Schwabe; und Schwaben - jedenfalls dessen westlicher Teil, das Elsaß - war bis ins 17., formell sogar bis ins 18. Jahrhundert, habsburgisch gewesen :-) und seiner KomplizenMithelden auf den Sau-Preußen Hitler zu feiern, das kannste dir auch zuhause anschauen. Aber dann bemerkte er, daß es da um etwas ganz anderes ging, um irgendwelche alte Kamellen; und als er sich dann aus Neugier erkundigte, erfuhr er, daß hier des heldenhaften Sieges der Österreicher über die Italiener in der Seeschlacht zu Lissa anno 1866 gedacht wurde. Je nu, dachte Dikigoros, wenn die sich mit den Italienern anlegen wollen, dann sollten sie das lieber an den Rechten der kulturell noch immer unterdrückten Süd-Tiroler festmachen - schließlich hatte Hitler die einst bedenkenlos Mussolini überlassen; und da alles, was Hitler getan hatte, bekanntlich schlecht war, wäre das doch ein guter Aufhänger... Aber er hakte das bald ab; erst als er wieder zuhause war, schaute er mal kurz in ein Geschichtsbuch - und danach wunderte er sich noch mehr. Wenn es jemals eine völlig überflüssige Seeschlacht in einem völlig überflüssigen Krieg gab, dann war es diese - und dabei reicht sie, anders als die Seekriege zwischen Niederländern und Briten im 17. Jahrhundert, nicht mal für einen "Treppenwitz der Weltgeschichte", so unbedeutend war sie. Und dennoch wird ihrer immer noch positiv (!) gedacht, als eines von nur zwei kriegerischen Ereignissen in der Geschichte Österreichs neben der "Wunder"-Schlacht von Karfreit (oder, wie die Italiener es nennen, Caporetto) anno 1917. (Inzwischen hat man das "Wunder von Karfreit" zu den Akten gelegt und gedenkt seiner nicht mehr - jedenfalls nicht positiv; vielmehr versucht man krampfhaft, es als bloßen "Mythos" oder gar als "Kriegsverbrechen" hinzustellen; dabei gab es die Schlacht wirklich, und die Österreicher haben sie wirklich gewonnen - na ja, genauer gesagt mit deutscher Hilfe, und noch genauer gesagt waren es die deutschen Hilfstruppen, zu denen übrigens auch ein gewisser Rommel gehörte, die die Schlacht für Österreich gewannen :-) À propos andere für andere: Wie war das denn damals, anno 1866? Kämpften da wirklich Österreicher gegen Italiener? Und für wen kämpften sie? Österreich lag im Krieg mit Preußen; und Italien war mit Preußen verbündet. Kämpfte Italien also für Preußen? Ach was, im Gegenteil: Als die Preußen bei Königgrätz die Österreicher schwer geschlagen hatten und letztere Anstalten machten, den Krieg zu beenden, fürchteten die Italiener, daß es für ihre eigenen Kriegsziele zu spät werden könnte: Zwar hatten sie bereits versucht, mit Landtruppen nach Venetien einzudringen, sich dabei aber bloß blutige Nasen geholt. Und nun mußte irgend ein militärischer Erfolg her, egal wo und wie, um nachher, bei der Verteilung der Beute ein Wort mit reden zu können. Erinnert Euch das an etwas, liebe ältere Leser? Na klar, das ist typisch italienisch (um mit einem frühen Schlager von Udo Jürgens zu sprechen :-) Auch Mussolini hatte 1939 zunächst seine "nonbelligerenza" erklärt; aber als Frankreich 1940 nach dem Westfeldzug am Boden lag und praktisch schon zur Kapitulation bereit war, erklärte er ihm schnell noch den Krieg und schickte italienische Truppen nach Savoyen - wo sie sich blutige Nasen holten...

Um die Nasen seiner Soldaten besser zu schützen als das Landheer, ging das italienische Flottenkommando vorsichtiger vor - man könnte beinahe sagen: auf Nummer sicher; denn es beschloß, bloß das dalmatinische Inselchen Lissa zu überfallen, das zu diesem Behuf mittels massiver Propaganda zum "Gibraltar der Adria" hoch gejubelt wurde - was es mitnichten war: Kaum befestigt, mit ein paar alten Kanonen und weniger als 2.000 Mann Soldaten besetzt, die auch nicht unbedingt zur "Elite" zählten. Die nächste "österreichische" Flotteneinheit lag weit weg, in Wazan (der Kriegshafen von Pula war noch nicht gebaut) auf Istrien, und sie bestand hauptsächlich aus alten, hölzernen Segelschiffen (vom italienischen Admiral Persano nur verächtlich als "Fischerbote" bezeichnet), die z.T. noch massive Kanonenkugeln aus alten Vorderladern verschossen. Dagegen verfügten die Italiener über eine Flotte aus Dampfschiffen mit stählernem Rumpf, mit modernen Kanonen bestückt, die Granaten mit Explosiv-Füllung verschossen. Dikigoros schreibt hier bewußt nicht "Persanos italienische Schiffe dagegen..." oder so ähnlich; denn es waren keine italienischen Schiffe, sondern Schiffe, welche die Briten, die Franzosen und die US-Amerikaner für die Italiener gebaut hatten. Diese Flotte dampfte also nach Lissa, schoß dessen Verteidigungs-Anlagen zusammen und schickte sich eben an, ihre Marine-Infanteristen an Land zu setzen, um das Inselchen zu erobern, da kam ihnen doch tatsächlich die feindliche Flotte entgegen. Dikigoros schreibt hier bewußt nicht "die österreichische Flotte..." oder so ähnlich, denn das war sie nicht. [Ebenso wenig wie die Flotte, die 480 v.C. bei Salamis unterlag, eine "persische" war, denn sie bestand überwiegend aus Fönikiern und... Griechen aus Kleinasien! Aber auch der Ausgang jener Seeschlacht war völlig unbedeutend; der Krieg zwischen Persern und Griechen wurde vielmehr ein Jahr später entschieden, in einer Landschlacht vor den Toren Thebens, auf der Ebene von Plataiaí. Warum erstere dann zur wichtigsten der Antike hoch gejubelt wurde? Ganz einfach: weil die griechische Geschichte - jedenfalls die uns überlieferte - von den Athenern geschrieben wurde; und die gewannen bei Salamis. Die Schlacht von Plataiaí wurde dagegen von den Spartanern gewonnen - und das schmeckte Herodot, Diodor, Plutarch & Co. gar nicht!] Bis vor kurzem hatte sie nicht einmal so geheißen, sondern... "österreichisch-venezianische Marine-Flotte"! Und das völlig zu Recht, denn sie bestand praktisch aus der Konkursmasse des napoleonischen Königreichs Italien, die 1815 beim Wiener Kongreß an die Habsburger gefallen war. Ursprünglich waren die Besatzungen rein italienisch, pardon venezianisch. Das ist ein großer Unterschied, liebe Leser, wie man nicht erst seit den Wahlsiegen der "Lega Nord" weiß; längst verfluchen die Venezianer den Tag, an dem sie von "Italien" annektiert wurden - aber darauf kommen wir gleich. In Österreich wußte man sie zu schätzen, ja man wußte sie sogar richtig auszusprechen; auf Deutsch sagt man nämlich, jedenfalls wenn man ein klein wenig gebildet ist, "Vénedig"; nur die doofen Süd-Italiener - die 1859 Fiorentinisch zur Amtssprache des neuen Staates "Italien" gemacht hatten - und mit ihnen einige ungebildete Deutsche sagen "Venézia" bzw. "Venédig"; die Venezianer selber - die es ja eigentlich wissen müssen, betonen es auf der ersten Silbe. Wieso sprachen denn die Österreicher Venezianisch? Nun, das mußten sie wohl oder übel, jedenfalls wenn sie bei der Marine waren, denn dort war die Umgangs- und auch die Kommando-Sprache Venezianisch! (Der Spleen, überall in den Streitkräften Deutsch als Kommandosprache einzuführen, kam erst später.) Der junge Admiral Tegetthoff (er war noch keine 40 Jahre alt - und das zu einer Zeit, als es keine obligatorische Pensionsgrenze für Offiziere gab, Admiräle und Feldmarschälle also bis hoch in die 70er "aktiv" waren :-) sprach Venezianisch zu seinen Matrosen, obwohl das 1866 bereits zu zwei Drittel Kroaten und nur noch zu einem Drittel Venezianer waren. (Bloß ein paar Offiziere waren Deutsch-Österreicher, aber auf die konnte man keine Rücksicht nehmen :-) Wie dem auch sei, von eine Schlacht "Österreicher" gegen "Italiener" konnte da kaum die Rede sein. Auch Tegetthoff selber war, wie man unschwer am Namen erkennt, kein echter "Österreicher" (ebenso wenig wie Prinz Eugen und alle anderen [Beinah-]Nationalhelden der Habsburger, aber das ist ein weltweites Fänomen, über das Dikigoros an anderer Stelle mehr schreibt), sondern ein Landsmann Metternichs, d.h. Preuße. (Er war zwar schon in Marburg - das die Slowenen heute "Maribor" nennen - geboren, aber seine Eltern stammten aus Westfalen, so wie die Metternichs aus der Eifel stammten.) Und seine Unterführer kamen aus aller Welt, mit Ausnahme des Linienschiffskapitäns v. Petz - der übrigens ein Vorfahre des ungeliebten Stiefvaters des Schlagersängers Freddy Quinn war -, der als "echter" Österreicher den größten und ältesten Holzpott, SMS Kaiser, kommandierte, den Ihr rechts unten im Einsatz seht.

Über den Verlauf der Schlacht könnt Ihr auch anderswo nachlesen, daran ist nicht viel bemerkenswert; irgendwie schafften es die "Italiener", sie trotz großer zahlenmäßiger Überlegenheit an Mensch und Material zu verlieren. (Ihr Admiral hatte zu Beginn der Schlacht das Schiff gewechselt, ohne daß die anderen Kommandanten das mitbekommen zu haben scheinen; jedenfalls scherten sie sich nicht um die Signal-Kommandos, die vom neuen "Flagg"-Schiff kamen; aber Dikigoros bezweifelt, daß sie mit diesen Kommandos besser gefahren wären :-) Tegetthoff führte seine museumsreife Sammlung (selbst die besten waren Holzboote, auf die er notdürftig ein paar Eisenbahnschienen und sonstige Metall-Gegenstände hatte nageln lassen, weshalb es Unfug ist, das Treffen "die erste Seeschlacht zwischen Panzerschiffen" zu nennen, wie Dikigoros es noch in einem Aufsatz anläßlich des 100-jährigen Jubiläums von 1966 las) mutig gegen den Feind; und weil seine alten Kanonen artilleristisch nicht viel her gaben, griff er auf die bewährte Rammstoß-Technik zurück - und gewann.

[SMS Ferdinand Max rammt Re d'Italia, nach einem Gemälde von Anton Perko (1866)] [SMS Kaiser rammt Re di Portogallo, Gemälde von Eduard Nezbeda (1911)]

Hinterher wurde Tegetthoff zur Belohnung befördert (während Persano unehrenhaft aus der Marine entlassen wurde - in jedem anderen Land hätte man ihn aufgeknüpft; aber was konnte man von einem italienischen "Admiral" schon erwarten :-). Doch er hatte nicht mehr viel davon, denn er starb schon mit 43 Jahren, und nicht mal den "Heldentod", sondern an einer Lungen-Entzündung. Er bekam ein paar schöne Denkmäler (eines steht noch heute in Wien, am Prater-Stern - es ist zwar nicht ganz so hoch, aber mindestens ebenso eindrucksvoll wie das auf Nelson am Trafalgar-Square in London -, ein anderes stand ursprünglich in Pula, heute steht es in Graz); und Anton Romako malte neun Jahre nach seinem Tod ein berühmt gewordenes Bild, wie er während der Schlacht von Lissa mitten auf der Kommando-Brücke steht, breitbeinig, die Hände in den Hosentaschen, ein ganz cooler Typ, wie man heute sagen würde...

[Denkmal auf Admiral Tegetthoff in Wien] [wie vor, Detailansicht] [Denkmal auf Tegetthoff in Graz] [Admiral Tegetthoff in der Schlacht von Lissa 1866 (Gemälde von Anton Romako 1880)]

Und - welche großartigen Folgen zeitigte nun diese ach-so-berühmte Schlacht, von der Heldenverehrung für Tegetthoff mal abgesehen? Gar keine! Die venezianischen Matrosen waren umsonst gefallen, denn am Ende wurden sie und ihr schönes Land auf Betreiben des Narren Bismarck (der den Deutschen Bund zerstörte, um sein klein-deutsches Groß-Preußen zu schaffen, und Österreich - das er doch angeblich als künftigen Bundesgenossen ansah - im Süden entscheidend schwächte) doch an "Italien" ausgeliefert wie eine Hammelherde; dafür, pardon dagegen, hatten sie also gekämpft! Und wenn es bei Lissa anders ausgegangen wäre? Dikigoros' Leser wissen ja, daß er solche Fragen eigentlich nicht mag - man soll in der Geschichte nie fragen: "Was wäre gewesen, wenn...?" Aber da er gerade die haarsträubend unsinnigen Ausführungen eines Tegetthoff-Fans dazu gelesen hat, will er hier ausnahmsweise mal zur Gegenrede ansetzen. Eines vorweg: Auch wenn die Italiener gewonnen hätten, hätten sie dafür nicht mehr Kriegsbeute bekommen, denn deren Umfang wurde ja völlig unabhängig vom Schlachtenglück (die Italiener hatten nicht nur zur See, sondern auch zu Lande verloren, bei Custozza, obwohl sie den "Österreichern" auch dort zahlenmäßig haushoch überlegen waren) am Grünen Tisch entschieden, und war längst im Voraus festgelegt worden. Sie hätten also nicht schon damals Süd-Tirol und die dalmatinische Küste bekommen, die Tegetthoff also, entgegen jenem Fan, nicht "für "Österreich rettete". Aber selbst wenn sie all das 1866 doch bekommen hätten - wäre das so schlimm gewesen? Schaun mer mal: Die Italiener wären dann wahrscheinlich nicht in den Ersten Weltkrieg eingetreten. (Denn was hätten ihnen die Entente-Mädchte dafür sonst noch anbieten können, auf das sie scharf waren? Tunesien, Korsika, Malta oder eine andere Mittelmeer-Insel aus ihrem eigenen Bestand? Dazu waren sie doch nie und nimmer bereit!) Und selbst wenn doch, was wäre daran so schlimm gewesen? Ja, gewiß, der Schurkenstaat Jugo-Slawien (dem, und nicht Österreich, hätte Tegetthoff Dalmatien im Ergebnis "gerettet"!) wäre vermutlich nicht entstanden - welch ein Verlust! -; Gabriele d'Annunzio hätte sein berühmtes Husarenstück in Triest nicht geritten - dto -; und den Fascismo - der ja nicht zuletzt deshalb entstand, weil so viele Italiener von der mageren Ausbeute des "gewonnenen" Weltkriegs enttäuscht waren - hätte es wahrscheinlich auch nie gegeben. Aber jetzt bricht Dikigoros dieses Gedankenspiel lieber ab, denn wie gesagt: So soll man nie fragen...

Exkurs. Wenn sich Dikigoros jemals näher mit solchen Gedankenspielen befassen sollte, dann würde er ohnehin nicht fragen, was gewesen wäre, wenn diese oder jene Schlacht/dieser oder jener Krieg einen anderen Ausgang genommen hätte, sondern ganz im Gegenteil, was gewesen wäre, wenn dieser oder jener Frieden zustande gekommen bzw. Bestand gehabt hätte. Er hat ja schon wiederholt seiner Überzeugung Ausdruck verliehen, daß 99% der großen Friedensschlüsse in der Geschichte mehr Unheil gestiftet haben als die Kriege, die durch sie "beendet" wurden - sei es, daß sie eine vernünftige Lösung durch einen faulen Kompromiß verhinderten, sei es, daß sie die Saat zum nächsten, schlimmeren Krieg ausstreuten. Die guten Friedensverträge der neuzeitlichen Geschichte kann man an den Fingern einer Hand abzählen - in jedem Jahrhundert einen. Sie haben zweierlei gemeinsam: zum einen hätte durch sie der Friede dauerhaft gesichert werden können, zum anderen traten sie entweder nie in Kraft oder wurden schon nach kurzer Zeit wieder zerrissen: der Friede von Madrid 1526, der Friede von Prag 1635, der von Louis XIV angebotene Friede, der den Spanischen Erbfolgekrieg schon 1709 beendet hätte, der Friede von San Stefano 1878 und der Friede von Brest-Litowsk 1918. Und noch etwas haben sie gemeinsam: daß die Mainstream-Historiker ihnen allesamt eine schlechte Presse zugedacht haben - aber die irren, weil sie sich den Blick auf die möglichen segensreichen Folgen durch die nicht immer ganz einwandfreien Umstände ihres Zustandekommens verstellen lassen. Gewiß, die meisten wurden mehr oder weniger erpreßt; aber kann es darauf ankommen, wenn sie Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte Frieden gebracht und millionenfaches Blutvergießen verhindert hätten? Exkurs Ende.

Aber gab es denn nicht wenigstens militärisch bedeutsame Folgerungen, die man aus der Schlacht bei Lissa hätte ziehen können? Die wären doch auch etwas wert gewesen. Nach heutigen Maßstäben waren ja nur eine Handvoll Matrosen gefallen, die wäre es doch wert gewesen, wenn man dafür bei künftigen Gelegenheiten die Verluste hätte gering halten können?! Tja, solche Schlußfolgerungen zog man ja - allerdings die falschen, z.B. daß Dampfschiffe mit stählernem Rumpf und moderne Kanonen mit ebensolcher Munition gar keinen entscheidenden Vorteil boten, daß es vielmehr in erster Linie auf die Menschen ankam, insbesondere auf deren Führung durch tüchtige Offiziere. Moment mal - ist das nicht auch immer Dikogoros' Rede? Hat er nicht wiederholt geschrieben, daß noch kein Krieg allein durch die besseren Waffen entschieden wurde? Ja, das hat er geschrieben, aber so hat er das nicht gemeint: Selbstverständlich können einzelne Schlachten durch bessere Waffen entschieden werden, theoretisch sogar ganze Kriege; bloß die Wahrscheinlichkeit für letzteres ist doch ziemlich gering, und seines Wissens ist es in der Praxis auch noch nie vorgekommen; aber das liegt vor allem daran, daß eine Kriegspartei, wenn sie eine waffentechnische Überlegenheit des Gegners in einer Schlacht zu spüren bekommen hat, bis zur nächsten Schlacht nachrüstet, d.h. alsbald mit vergleichbaren Waffen aufwartet; und dann ist der Vorsprung halt nicht mehr (allein) entscheidend. Aber man darf doch daraus, daß ein Admiral trotz überlegener Bewaffnung eine Schlacht verbumfiedelt hat, nicht schließen, daß man auch weiterhin das Glück gepachtet hat und mit hölzernen Segelschiffen in die Schlacht ziehen kann! (Wobei die Segel ausnahmsweise - nach dem damaligen Stand der Dampfmaschinen-Technik - tatsächlich mal von Vorteil waren, denn just als die Kunde von Persanos Angriff auf Lissa nach Wazan drang, kam ein kräftiger Nordwestwind auf und blies Tegetthoffs Flotte in Rekordzeit zum Ort des Geschehens - das wäre ohne Segel, nur mit Maschinenkraft, kaum möglich gewesen.) Doch Geduld, liebe Leser; Wir werden in den folgenden beiden Abschnitten auf dieses Thema zurück kommen.

Exkurs. Hätte man es nicht trotzdem besser wissen können? Ja, hätte man, denn zwei Jahre zuvor, im Sommer 1864, hatte im Verlauf des amerikanischen Sezessionskrieges eine klitzekleine Seeschlacht statt gefunden, genauer gesagt ein Duell auf halbe Distanz, an dem nur zwei Schiffe beteiligt waren: U.S.S. Kearsarge und C.S.S. Alabama. Beide waren beinahe gleich schnell, gleich stark bemannt und gleich gut bewaffnet. Dennoch wurde es eine ziemlich einseitige Angelegenheit, und der Kommandant der Alabama begriff bis zuletzt nicht, warum seine Treffer praktisch wirkungslos blieben, während die seines Gegners ihn langsam aber sicher zusammen schossen. Erst nach dem Krieg erfuhr er den Grund: Kearsarge war ein "Ironclad", ein Panzerkreuzer mit Stahlmantel, während Alabama ein Holzschiff war. Aber wer nahm davon schon Kenntnis? Das Gefecht war für den Ausgang des Krieges völlig unwichtig und hatte zudem weit ab vom Schuß, nämlich vor Cherbourg, also an der französischen Atlantik-Küste statt gefunden. Der einzige, der davon Notiz nahm und es so wichtig fand, daß er es auch bildlich für die Nachwelt fest hielt, war ein gewisser Manet.

[Seegefecht zwischen U.S.S. Kearsarge und C.S.S. Alabama 1864, Gemälde von Manet]

Aber dessen Gemälde wollte damals noch niemand geschenkt haben. (Das schreibt Dikigoros nicht einfach so daher, liebe Kunstfreunde, sondern das ist eine Tatsache; Manet hatte große Mühe, einige seiner unverkäuflichen Schinken - so auch diesen - an irgendwelche Museen zu verschenken; wer etwas auf sich hielt, stellte so etwas nicht aus :-) Und überhaupt: Welcher Militär interessiert sich schon für Kunst? Na ja, Luftmarschall Hermann Göring und Heeres-General Mosche Dajan sollten im 20. Jahrhundert riesige Sammlungen zusammen kaufen (ersterer) bzw. rauben (letzterer); aber ein ordentlicher Admiral der christlichen Seefahrt gab im 19. Jahrhundert nichts darauf.

Und noch einen Krieg gab es damals, aus dem man freilich wieder nur die falschen Schlüsse ziehen konnte: den "Triple-Allianz-Krieg" Paraguays gegen Brasilien, Uruguay und Argentinien. Eine von dessen ersten Schlachten war 1865 eine See-, genauer gesagt eine Flußschlacht an der Mündung des Riachuelo in den Paraná. Paraguay hatte u.a. zwei in England gekaufte moderne Panzerkreuzer zur Verfügung; die Brasilianer setzten dagegen ausschließlich Holzschiffe ein, darunter sogar einen alten Raddampfer, die Amazonas, die noch einen Rammsporn hatte. Mit dem rammte sie den einen Panzerkreuzer, schaffte es zwar nicht, dessen Panzerplatten zu durchstoßen, aber es reichte, um ihn an die nächste Sandbank zu drücken, wo er auf Grund lief und liegen blieb. Der Kommandant des zweiten Panzerkreuzers - zugleich Kommandant der kleinen Flotte - wurde durch Beschuß an Deck getötet, woraufhin sich sein Vertreter in die Hose machte, die Schlacht abbrach und floh. Im späteren Verlauf des Krieges setzte auch Brasilien vier Panzerkreuzer ein - die es in den USA gekauft hatte - und schickte sie den Río Paraná hinauf. Einer nach dem anderen lief auf Minen und sank - so what? Exkurs Ende.

* * * * *

Als Dikigoros, immer noch Student... aber was soll er sich hier mit einer langen Einleitung aufhalten; fleißige Leser seiner "Reisen durch die Vergangenheit" wissen ja schon, daß er seinerzeit nach Südamerika reiste und dabei auch durch die Atacama-Wüste fuhr. Den Ort Iquique passierte er freilich, ohne ihn weiter zu beachten - er war auch nicht weiter beachtenswert und noch weit davon entfernt, Chiles Las Vegas zu sein, als das er heute gilt.

Ja, die Zeit ist schnell-lebig, liebe Leser, aber sie war es auch schon im 19. Jahrhundert. In den 1860er Jahren war Iquique noch ein beschaulicher Fischerhafen, an dessen Stränden sich die Pelikane tummelten; in den 1870er Jahren war es schon ein kleiner bolivianischer Flottenstützpunkt, und zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten die Chilenen bereits eine halbwegs ordentliche Stadt daraus gemacht.

Die Chilenen? Ja, aber wie es dazu kam erfuhr Dikigoros erst, als er schon jenseits der chilenischen Grenze war und die Leute ihm erzählten, daß das einst alles peruanisches Gebiet gewesen sei (was nicht stimmt, es sei denn, man wollte Bolivien als Bestandteil Perús ansehen, aber einige tun das ja :-) und bald wieder werden müsse, weil ihre Helden doch nicht umsonst gefallen sein dürften.

Es ist wohl einmalig in der Neueren Geschichte, daß in einer Schlacht beide Seiten ihre Protagonisten mit einer solchen Hartnäckigkeit zu moralischen Siegern er- und zu Nationalhelden ver-klärt haben, wie dies bei der Seeschlacht vor Iquique geschehen ist. Nun wissen Dikigoros' Leser freilich schon aus einem anderen Kapitel seiner "Reisen durch die Vergangenheit", daß es für Berufssoldaten schwierig ist, zu Nationalheiligen aufzusteigen, denn deren Tod auf dem Schlachtfeld ist ja eigentlich nichts weiter als ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit. Und wie steht es mit den Voraussetzungen, wenigstens zum Nationalhelden zu werden? Als da wären der gewaltsame Tod und die ausländische Herkunft. Ja, sowohl der chilenische Admiral Artur[o] Prat[t] als auch der peruanische Admiral Michael ("Miguel") Grau waren deutscher Abstammung - und Dikigoros findet es merkwürdig, daß Kasimir Edschmid, der große Kenner der Geschichte der Deutschen in Südamerika, den gerade dieser Aspekt so reizte, nie einen biografischen Roman über sie geschrieben hat. (Vielleicht mochte er als Elsässer die beiden dicken, bayrischen Bazis nicht? :-) Und der gewaltsame Tod? Gab es damals noch Admiräle, die im Kampf fielen? Und ob, liebe Leser, und ob, wie Ihr gleich sehen werdet.

[Grau] [Prat]

Als Artur Pratt im Mai 1879 bei Iquique eine chilenische Mini-Flotte (eigentlich war es nur die Nachhut; das Gros war gen Norden ausgelaufen, um Callao zu beschießen, den Hafen der peruanischen Hauptstadt Lima) aus hölzernen Segelschiffen in das Gefecht gegen die Peruaner führte, war das eigentlich ein Himmelfahrts-Kommando, denn die letzteren verfügten über zwei moderne Panzerkreuzer, die "Independencia" und den "Huáscar", die sie zwar nach der Unabhängigkeit von Spanien bzw. jenem tragischen Inca (den freilich gar nicht die Spanier umgebracht hatten, sondern sein eigener Bruder Athahualpa :-) benannt, aber ebenso wenig selber gebaut wie sie die Unabhängigkeit selber erkämpft hatten - dazu wären sie nicht in der Lage gewesen. Aber wozu selber bauen, da man doch in englischen Werften hervorragende Wertarbeit bauen lassen konnte. (Damals waren die Briten weltweit führend; selbst die deutsche Marine kaufte noch bei ihnen ein.) Die "Independencia" wurde sogar von einem Briten - John William Moore - befehligt. Allerdings waren die Mannschaften unfähige Peruaner - und darauf baute Pratt. Mit Recht: Die Peruaner schossen stundenlang Fahrkarten, während er in aller Seelenruhe eines ihrer Schiffe nach dem anderen zusammen schoß - einschließlich der "Independencia". Auf der anderen Seite sah Michael Grau, was für Idioten er unter seinem Kommando hatte und entschloß sich zur Holzhammer-Methode, genauer gesagt, zum Einsatz des eisernen Rammsporns - den der "Huáscar" eigentlich nur noch aus Nostalgie trug. Er rammte die hölzerne "Esmeralda", Pratts Flaggschiff, und brachte sie so zum Sinken. Pratt unternahm mit einigen Matrosen einen verzweifelten Versuch, den "Huáscar" zu entern, und fiel mit dem Säbel in der Faust. Dann kenterte die "Esmeralda". Grau rettete erst alle Chilenen, die ins Wasser gefallen waren (das gab es damals noch!), dann rammte und versenkte er die übrigen chilenischen Schiffe nach der gleichen Methode.

[Der Huascar rammt die Esmeralda] [Der Huascar rammt die Esmeralda]

Exkurs: Habt Ihr das alles in irgendeinem Märchenbuch ganz anders gefunden, liebe [un]kritische Leser? Vor allem, wenn es ein peruanisches Buch war? Dann denkt doch mal kurz nach und fragt Euch, wie wahrscheinlich die Geschichte ist, die Ihr dort findet: Böse Falsch-Informanten hatten Grau zugetragen, daß zwischen ihm und der chilenischen Flotte Minensperren lägen, deshalb traute er sich nicht näher heran, und deshalb trafen die Salven seiner Geschüze nicht... Ach ja, er traute sich nicht näher an Pratt heran, um genauer zu schießen, weil er Angst vor irgendwelchen Minensperren hatte (wie nah dran hätte er sein müssen, um besser zu zielen? 100 m? 200 m?), aber er traute sich nahe genug heran, um ihn mit dem Rammsporn zu versenken! Und damit er das tun konnte, fuhr ihm Pratt auch noch in irgendwelchen Schlangenlinien entgegen... Vergeßt diesen ganzen Unsinn und vertraut der Darstellung, der auch Dikigoros vertraut und die er hier wieder gegeben hat; sie ist einfach glaubhafter. Exkurs Ende.

Wie dem auch sei, nach der Schlacht schrieb Grau der Witwe Pratts einen persönlichen Beileidsbrief; fünf Monate später sollte er selber in der Seeschlacht von Angamos einer Granate zum Opfer fallen, die auf seiner Kommandobrücke explodierte; und kurz darauf wurde sein schöner Huáscar durch die Chilenen von einem popeligen Holzschiff aus geentert und erbeutet.

Das ist ja alles rührend; aber was hat diese berühmte Seeschlacht nun eigentlich bewirkt? Eigentlich gar nichts; Die Peruaner gewannen zwar - wie die Österreicher 13 Jahre zuvor bei Lissa - eine Schlacht, aber sie verloren den Krieg. Boshafte Zungen könnten sagen, daß die chilenische Marine eine neue, moderne Flotte gewann - denn nach dieser Erfahrung motteten sie das, was von der alten noch übrig war, ein und kauften bzw. bauten neue, moderne Schiffe nach. Perú gewann einen neuen National-Helden - er ist es bis heute geblieben, was auch in Latein-Amerika durchaus nicht selbstverständlich ist. Denn auch hier bemächtigte sich wieder die Propaganda des Stoffes und formte ihn zur Heldensaga um; und wieder fanden sich Maler, welche die beiden berühmten Admiräle in ebensolchen Bildern festhielten; und bis heute steht in Valdivia (das ist der Hafen von Santiago de Chile) ein Denkmal auf Artur Pratt, pardon Arturo Prat, und in Arequipa eines auf Michael, pardon Miguel Grau.

[Prat] [Denkmal auf Prat in Valparaiso]

Noch ein Exkurs. Dies ist ja eigentlich keine biografische Seite; aber da ein Leser Dikigoros darauf aufmerksam gemacht hat, daß Pratt und Grau in Wahrheit ebenso wenig Admiräle waren wie Custer General war, als er am Little Big Horn fiel, sondern daß alle drei ihren hohen Rang nur dem ach-so-vergeßlichen Volksmund verdanken, auch dazu ein paar Worte: Grau war Berufssoldat und Held des Krieges gegen Spanien; aber dann schien seine Karriere jäh beendet, als einer der vielen Diktatoren, die sich auch damals schon in Perú mit unschöner Regelmäßigkeit abwechselten, ihn wegen einer Lappalie vors Kriegsgericht stellen ließ; das Verfahren wurde unter der Maßgabe eingestellt, daß er "freiwillig" seinen Abschied nahm. Er überstand die nächsten Jahre bei der Handelsmarine, bis ein erneuter Umsturz kam und er als Fregattenkapitän wieder eingestellt wurde. Er wurde Kommandant des Huáscar, noch zum Kapitän zur See befördert und ging als solcher 1876 altersbedingt in den Ruhestand (und in die Politik, als Abgeordneter :-). Als drei Jahre später der Krieg gegen Chile ausbrach, ging es ihm wie Hindenburg - er wurde reaktiviert. (Stellt Euch vor, liebe Leser, Hindenburg wäre bei Tannenberg ehrenhaft gefallen - er gälte bis heute als Held!) Auch der 14 Jahre jüngere Pratt war Berufssoldat, allerdings nur halb[herzig]. Er brachte es bis zum Fregattenkapitän und war als solcher halbtags Dozent an der Militär-Akademie; nebenbei studierte er Jura; und als die Regierung nach dem gewonnenen Krieg gegen Spanien der Meinung war, daß man nun doch gar keine Militär-Akademie mehr brauchte und diese schloß, hängte sich Pratt ein Schild "Avogado" vor die Tür, d.h. er wurde Rechtsanwalt. Auch er wurde 1879 reaktiviert, aber nicht mehr befördert; erst am Tage nach seinem Heldentod machten die chilenischen Zeitungen ihn - wie auch seinen peruanischen Gegenspieler - zum "Admiral". (So hieß laienhaft jeder, der eine Flotte - und sei sie auch noch so klein - kommandierte, unabhängig von seinem eigentlichen militärischen Rang.) Und für die Medien ist er das bis heute geblieben. Nur der Vollständigkeit halber sei nachgetragen, daß inzwischen auch die Bolivianer einen "Helden" jenes Krieges er-, pardon gefunden haben: Eduardo Abaroa, einen Oberstleutnant d.R., der bei dem Versuch, den Vormarsch der chilenischen Landstreitkräfte gen Norden aufzuhalten, 1879 in einem Geplänkel bei Topáter fiel. Die Chilenen gewährten ihm ein ehrenvolles Begräbnis, und seine Landsleute vergaßen ihn erstmal. Bis die wirtschaftliche und soziale Lage im Lande anno 1952 so katastrofal wurde, daß irgendjemand auf die Idee kam, das tumpe Volk mit irgendwelchen Heldenmärchen von seiner Misere abzulenken und den runden 73. Todestag Abaroas groß feiern ließ, als "Leonidas von Bolivien", wobei ihm noch ein markiger Spruch in den Mund gelegt wurde, den er dem chilenischen Kommandeur entgegen geschleudert haben soll, ähnlich wie einst der "König" von Sparta den Persern: "Kapitulieren? Das kannste deiner Großmutter erzählen!" (Es half wenig: Schon im nächsten Monat putschte das Militär, und seitdem ist Bolivien - mit einer rühmlichen Ausnahme - nicht mehr richtig zur Ruhe gekommen.) 2007 - Chile und Bolivien ächzten unter den schlimmsten Terror-Regimes ihrer Geschichte (und das will etwas heißen, schließlich gab es in Chile u.a. Allende!), nämlich denen der Kommunistin Michelle Bachelet und des Drogenbarons Evo Morales - unternahm man, aus dem gleichen Grund wie 55 Jahre zuvor, erneut den Versuch, einen Helden an den Haaren herbei zu ziehen, und zwar wiederum jenen Abaroa. Ein Platz in La Paz wurde nach ihm benannt, und er bekam ein Denkmal, das ihn auf einem Sprungturm über einem Schwimmbecken mit halb versunkenem Marine-Anker zeigt - obwohl er wahrscheinlich nie zur See gefahren und Nichtschwimmer war. Biografischer Exkurs Ende.

[Eduardo Abaroa] [Briefmarke auf Eduardo Abaroa 1952] [Denkmal auf Eduardo Abaroa]

Doch nun zur Fortsetzung der Diskussion "altbewährte" gegen "moderne" Kriegsschiffe. Hatte der "Salpeterkrieg" nicht den Standpunkt der ersteren glänzend bestätigt? Ein Schiff mit stählernem Rumpf konnte seinen hölzernen Gegner nur mit dem Rammsporn - nicht etwa mit seiner "überlegenen" Bewaffnung - besiegen; und selber konnte es ohne weiteres auch von letzterem besiegt werden, wenn dort nur eine bessere Besatzung vorhanden war, die es schaffte, es zu entern, bevor der Rammsporn eingesetzt werden konnte. Alles richtig; aber man muß dazu sagen, daß das ein Extremfall war, denn die Peruaner waren (und sind :-) noch schlechtere Soldaten und Matrosen als die Italiener (wenn so etwas denn überhaupt denkbar ist :-); bei gleichwertiger Besatzung wären jene Seeschlachten - und der Krieg überhaupt - ganz anders ausgegangen. Je nu - wer außer den unmittelbar Beteiligten nahm denn überhaupt Kenntnis von jenem Krieg zwischen zwei "Bananen-Republiken" am anderen Ende der Welt um eine scheinbar wertlose Wüste? Ihr meint, liebe Leser, wohl kaum jemand? Ihr irrt: Im alten Europa schauten die Spanier - die wie gesagt gerade einen (See-)Krieg gegen Peru und Chile (ja, kurz zuvor waren sie noch verbündet gewesen!) verloren hatten, sehr genau hin; und sie zogen die einzig falsche Schlußfolgerung, nämlich daß sie mit ihrer alten Flotte aus hölzernen Segelschiffen mit Vorderladern und massiven Kanonenkugeln nach wie vor bestens gerüstet waren. Und so zogen sie denn 1898 (zwölf Jahre, nachdem die Brisanz-Granate erfunden worden war!) auch in den Krieg gegen die USA (bzw. umgekehrt :-) und verloren nicht nur ihre kompletten Flotten, sondern auch ihre Kolonien von Kuba bis zu den Filipinen. Aber das erwähnt Dikigoros hier nur am Rande, denn erstens gab es in jenem Krieg keine Seeschlacht, die diesen Namen verdiente (sondern nur ein einseitiges Abschlachten der spanischen Seelenverkäufer durch die moderne U.S. Navy), und zweitens schreibt er darüber an anderer Stelle. Aber er braucht diesen Abstecher als Überleitung, um darzulegen, daß es bei der nächsten Schlacht, die er Euch hier vorstellen will, eben keine Entschuldigung mehr für den naïven Glauben gab, unter Hinweis auf Lissa und Iquique darauf zu vertrauen, daß man auch alte Kähne mit Aussicht auf Erfolg in den Kampf gegen moderne Schlachtschiffe schicken konnte - spätestens seit 1898 hätte man es besser wissen müssen.

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Als Dikigoros, noch ein Schüler, zum ersten mal den historischen Roman "Tsushima" von Frank Thiess las (als preiswertes Goldmann-Taschenbuch), sprach er kein Wort Japanisch und kein Wort Russisch (sonst hätte er wahrscheinlich nicht das Buch von Thiess, sondern das gleichnamige von Nowikow-Priboj gelesen; aber zwei Jahre später belegte er Russisch als zusätzliche Unterrichts-Veranstaltung, und er hat es nicht bereut); und vom russisch-japanischen Krieg hatte er noch nie gehört oder gelesen - was kein großer Verlust war, denn darüber liest man bis heute eigentlich nur Unsinn, das gilt gleichermaßen für Vorgeschichte, Verlauf und Folgen (wenn schon, denn schon :-). Die Vorgeschichte war ganz einfach - nicht ganz so einfach wie Dikigoros sie an anderer Stelle dargestellt hat (dort ging es ihm nur um einen einzigen Grund, halt den entscheidenden :-), aber immer noch einfach genug: In Korea, das seit Jahrhunderten ein Vasallenstaat Chinas war, hatten einige "fortschrittliche" Leute die Nase voll von den alten langen Zöpfen (und Fingernägeln :-), die dort noch immer an der Tagesordnung waren, und sahen mit einer Mischung aus Neid und Bewunderung auf das benachbarte Japan, das gerade auf dem Modernisierungs-trip war (auch darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle). Das wollten sie auch, also unternahmen sie einen Aufstand gegen das alte Regime. Die Chinesen schickten Truppen, um ihn nieder zu werfen, die Japaner dto - um ihn zu unterstützen; infolgedessen kam es 1894-95 zum Krieg zwischen China und Japan, den letzteres überlegen gewann (übrigens mit besseren Waffen und besseren Soldaten zu Lande und zur See - das ist die ideale Kombination :-). Und sie eroberten, pardon befreiten nicht nur Korea, sondern auch gleich noch die Halbinsel Darien (von den Chinesen, die bekanntlich kein "r" aussprechen können, "Dalian" genannt), mit einem Ort, der den Europäern eine Zeit lang als "Port Arthur" geläufig war (heute nennt man ihn den Chinesen zu Liebe "Lüshùn" oder "Lüshùnkou"), und schräg gegenüber, auf der anderen Seite der "Bohai-Straße", Weihai. Damit beherrschten sie die Ein- und Ausfahrt zum Golf von Tschili (den man heute ungenau nach einer seiner Buchten "Bohai-See" nennt) und so auch den Zugang zu Tientsin ("Tianjin") und Peking ("Beijing"). Das paßte jedoch einigen "Großmächten" überhaupt nicht in den Kram - nicht daß sie China hätten helfen wollen, ganz im Gegenteil, sie wollten es vielmehr alleine ausbeuten, d.h. ohne daß sich da noch so ein paar blöde asiatische Schlitzaugen einmischten. Folglich zwangen Rußland, England, Frankreich, Deutschland und die USA in seltenem Einvernehmen Japan, auf seine Eroberungen zu verzichten, ganz uneigennützig, versteht sich, denn sie wollten doch bloß, daß Korea "frei" von innerer Einmischung sei (mit Ausnahme der russischen, versteht sich), und ebenso die Mandschurei. Kaum waren die Japaner abgezogen, rissen sich die Russen die Mandschurei und die Halbinsel Dalian mit Port Arthur selber unter den Nagel. (Sie hatten zwar schon Wladiwostok [Beherrsche-den-Osten] als Pazifik-Hafen, aber der war im Gegensatz zu Port Arthur nicht ganzjährig eisfrei, sondern fror jeden Winter für 3-4 Monate zu.) Die Engländer taten ein gleiches mit Weihai; und einige Geschichts-Schreiber fügen bei dieser Gelegenheit noch hinzu, daß auch die Deutschen in ähnlicher Weise profitiert hätten - aber das stimmt nicht: Erstens raubten sie Kiautschou nicht, sondern pachteten es, zweitens hat dies keine mit Port Arthur und/oder Weihai vergleichbare strategische Bedeutung, und drittens stand es weder sachlich noch zeitlich in irgendeinem Zusammenhand mit dem japanisch-chinesischen Krieg von 1894/95. (Dennoch nahmen die Japaner den Deutschen ihre Einmischung in jenen Krieg noch übler als allen anderen; als im August 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, verbündeten sie sich sofort mit Frankreich, Rußland und England und überfielen Kiautschou, aus dem die Deutschen inzwischen eine friedliche Musterkolonie gemacht hatten, mit einem Eisenbahnnetz und vor allem einer weltberühmten Bierbrauerei - die noch heute in Betrieb ist.)

Das war also die Vorgeschichte des russisch-japanischen Krieges, der 1904 aus nichtigem Anlaß ausbrach: Ein russischer Unternehmer hatte Holz jenseits des Jalu, also im zur japanischen "Interessensfäre" gehörenden Korea, geschlagen und den Japanern damit einen Vorwand zum Losschlagen geliefert. (Ja, liebe Leser, Dikigoros weiß, was Ihr jetzt denkt; aber es sind schon aus noch viel nichtigeren Anlässen Kriege geführt worden; kein Vorwand ist zu dumm, um nicht den Sieger im Nachhinein zu "rechtfertigen"; und dem Verlierer helfen am Ende auch die besten und objektivsten Gründe nichts, c'est la vie. Der wahre Grund war, daß die Japaner ein Auge auf die gerade fertig gestellte russische Eisenbahnlinie nach Port Arthur geworfen hatten - aber das wißt Ihr ja schon, wenn Ihr den vorletzten Link angeklickt habt; wenn nicht, dann holt es jetzt bitte nach.) Der Krieg war blutig, denn die Japaner griffen überall mit Todesverachtung und ohne Rücksicht auf Verluste an, und die modernen Waffen kosteten nicht nur viel Geld, sondern forderten auch einen hohen Todeszoll - aber wer weiß, daß später noch viel schlimmere Kriege kamen, den kann man damit wohl nicht mehr beeindrucken, also versucht Dikigoros es erst gar nicht. À propos Waffen: Ihr habt doch hoffentlich den letzten Satz des Abschnitts über die Seeschlacht von Iquique nicht mißverstanden? Viele "Militär-Historiker" huldigen nämlich der Auffassung, daß die Russen die Seeschlacht von Tsushima zwangsläufig verlieren mußten, da sie nicht nur schlechtere Matrosen hatten, sondern auch und vor allem schlechtere Schiffe und schlechtere Kanonen (nebst schlechterer Munition, versteht sich). Aber das stimmt so pauschal nicht. Zunächst, was den Faktor Mensch anbelangt: Gewiß, die russischen Matrosen waren eigentlich Bauern, die man von ihren Feldern geholt und nur schlecht bis mittelmäßig ausgebildet hatte. Aber auch die japanischen Matrosen waren Bauern, die man von ihren Reisfeldern geholt und zu Soldaten umgeschult hatte. Gewiß, sie hatten einen unerschütterlichen Glauben, d.h. sie glaubten zu wissen, wofür sie kämpfen und ggf. sterben würden: Für Volk, FührerTenno und Vaterland. Aber auch die Russen - soweit sie noch nicht vom Bazillus der Revolution infiziert waren, aber das waren sie zumindest bei Kriegsbeginn noch nicht - glaubten das zu wissen: für Mütterchen Rußland, Väterchen Tsar und "Rodina". (Ein vielschichtiger Begriff, für den es bei den heutigen Deutschen wohl keine Entsprechung mehr gibt - wenn es denn je eine gab; wer nicht weiß, was die Russen damit verbinden, kann das hier nachlesen; Dikigoros will sich nicht wiederholen.) Und überhaupt macht der Faktor Mensch bei Seeschlachten einen viel geringeren Unterschied aus als bei Landschlachten: Bei letzteren kann ein Feigling sich verstecken, tot stellen, ergeben oder sonstwas ("tarnen, täuschen, verpissen", sagt der Landser); aber auf See geht das nicht so einfach: Wenn das Schiff sinkt, gehen alle mit unter, auch die Feiglinge und Drückeberger; also kann man auch tapfer sein und fleißig mit kämpfen, um eben das zu vermeiden. Sich ergeben konnte man in einem Krieg gegen Japan ohnehin nicht mit Aussicht auf Erfolg, d.h. Schonung: Japaner sind nur dann ritterlich, wenn der Feind kapituliert hat. (Die russischen Gefangenen wurden nach Ende der Schlacht vorzüglich behandelt, ebenso die deutschen Gefangenen nach der Kapitulation von Tsingtao 1914; und was immer die angelsächsischen Gefangenen nach dem Zweiten Weltkrieg entgegen stehendes behauptet haben - Dikigoros ist überzeugt, daß das meiste davon Greuel-Propaganda und Lügen waren, insbesondere das, was der Märchenonkel Charles de Clavelle alias "James Clavell" in seinem Roman "Der Rattenkönig" verzapft hat; jedenfalls hat er doch das berühmt-berüchtigte Kriegsgefangenenlager Changi wesentlich besser überstanden und länger - fast 50 Jahre - überlebt als die meisten deutschen Kriegsgefangenen die alliierten Lager nach dem 2. Weltkrieg - aber das ist eine andere Geschichte.) Wer sich dagegen während des Kampfes ergeben will, den strafen die Japaner mit Verachtung - und einer Kugel oder einem Bajonett. (So auch bei Tsushima; russische Schiffe, die vor Einstellung der gesamten Kampfhandlungen die weiße Flagge aufzogen - oder gar die japanische, die einige Kommandanten höchstvorsorglich mit sich führten! -, schossen sie erbarmungslos zusammen; und feindliche Schiffbrüchige retteten sie auch erst dann, als die Schlacht vorbei war, und da war es für die meisten schon zu spät.) Wobei man sagen muß, daß die Russen auch zu Lande tapfer und mit Todesverachtung kämpften - wenn überhaupt jemand auf der Welt den Japanern in diesem Punkt gewachsen war, dann waren sie es. (Nein, liebe deutsche Leser, die Deutschen nicht; irgendwo geht diese Art Todesverachtung - die Dikigoros hier keineswegs schön reden will - nämlich in Lebensverachtung und Lebensmüdigkeit über, und diese - typisch asiatische? - Eigenschaft geht den Deutschen ab; sie ging ihnen auch damals schon ab, trotz des "preußischen Militarismus", den man ihnen so gerne nachsagt[e]!)

Und der Faktor Material? Die jüngsten vier Schlachtschiffe der Baltischen Flotte waren brandneu und - wiewohl mit der üblichen russischen Schlampigkeit gebaut - den besten Schiffen der japanischen Marine nicht nur gleichwertig, sondern sogar leicht überlegen, was Panzerung und Geschwindigkeit anbelangte. Dto die Bewaffnung: Die modernen Kanonen kamen hüben wie drüben von Krupp, und die russischen Granaten waren nicht schlechter als die japanischen. Sie waren anders, d.h. sie explodierten nur beim Aufprall, und das praktisch rauchfrei, was die Kontrolle der Einschläge erschwerte - aber wenn von Anfang an gut gezielt wurde, war das nicht so wichtig. (Und die Russen zielten überraschend gut; die japanischen Verluste waren beträchtlich.) Die Japaner setzten dagegen "Brisanz"-Granaten ein, die praktisch immer explodierten; und sie hatten sie mit Giftgas gefüllt - aber auch das ist auf hoher See nicht annähernd so wirksam wie etwa in einem engen Schützengraben oder gar in einem Unterstand. Also, insofern konnte von einer materiellen Unterlegenheit der Russen keine Rede sein. Dennoch spukte in den Hinterköpfen der russischen Admiralität offenbar noch immer die Erinnerung an Lissa und Iquique herum: Hatte nicht Tegetthoff gesagt: "Gebt mir nur getrost alle Schiffe mit, auch das letzte wird noch irgendetwas ausrichten können, und sei es noch so wenig!"? Ja, das hatte er; aber er hatte auch nur ein paar Stunden durch die Adria zu segeln, wobei ihn die kleineren Segelboote nicht weiter aufhielten - der Wind blies ja für alle gleich stark, trieb sie also gleich schnell voran -, und er brauchte für sie vor allem keine Kohlen. Aber anno 1904 war das ganz anders: Statt die Ostseeflotte mit ihren besten Schiffen schnurstracks nach Fernost laufen zu lassen - die Zeit drängte, wenn man Port Arthur noch retten wollte -, band man dem bemitleidenswerten Admiral Roschestwenski all die alten, langsamen Äppelkähne ans Bein, die noch in der Ostsee vor sich hin dümpelten (darunter auch solche, die man in Wladiwostok bereits als nicht mehr kampftauglich ausgemustert und zum Abwracken in die Heimat geschickt hatte), und schickte ihn damit um die halbe Welt; und so dauerte die Anfahrt zur Schlacht nicht wenige Wochen, sondern mehrere Monate; und als er ankam, war es zu spät, denn Port Arthur war bereits gefallen, der Krieg also entschieden, und er hätte ebenso gut umkehren können. Statt dessen bekam er die schwachsinnige Order, nach Wladiwostok "durchzubrechen". (Das hatte bereits die erste pazifische Flotte der Russen von Port Arthur aus versucht und war dabei weitgehend aufgerieben worden - deshalb hatte man die Ostseeflotte ja überhaupt erst los geschickt! Aber selbst wenn es geklappt hätte - was hätte Roschestwenski dort gesollt? Seine Flotte hätte da ebenso nutzlos herum gelegen wie in irgend einem Ostsee-Hafen!) Wie das? Es gab nur zwei mögliche Routen: eine längere, östlich um Japan herum (aber dafür waren die Kohlen arg knapp, denn die einzigen, die bereit waren, welche zu liefern, waren die Deutschen gewesen, während Frankreich - wiewohl seit 1894 formell mit Rußland gegen Deutschland verbündet - sich das nicht traute, weil England - das mit Japan verbündet war - ihm das verboten hatte!), und eine kürzere, zwischen Korea und Japan hindurch, links oder rechts am Inselchen Tsushima vorbei. Dabei bestand zwar die Gefahr, auf die japanische Flotte zu treffen, aber erstens bestand die auch auf der östlichen Route (spätestens, wenn man wieder nach Westen einschwenkte, um die Küste bei Wladiwostok zu erreichen, und dann wäre man im Falle einer Seeschlacht wegen Kohlemangels praktisch manövrierunfähig gewesen), und zweitens fürchtete man die Japaner nicht.

Den Verlauf der Schlacht kann man überall nachlesen; Dikigoros braucht sich hier nicht in Einzelheiten zu verlieren. Die Russen kämpften zwar meistenteils ebenso tapfer wie die Japaner, aber glücklos; und nachdem Roschestwenski schwer verwundet ausgefallen war, machten die anderen Kommandanten jeder für sich, was sie wollten. Das Geschwader zerfiel in Einzelteile, die von den Japanern verfolgt, nach und nach gestellt und schließlich versenkt wurden, bevor der Rest kapitulierte. (Ein paar kleinere russische Schiffe kamen davon, eines sogar bis nach Wladiwostok, die anderen nur ins "neutrale" China oder auf die "neutralen" Filipinen - eine US-Kolonie -, wo sie entweder zerstört oder interniert wurden. Kein Stoff für Heldensagen - außer auf der Leinwand einiger Maler, die nicht dabei gewesen waren.

Und welche Folgen hatte das Ganze? Nun, erstmal die üblichen persönlichen: Die Sieger wurden befördert und mit Orden ausgezeichnet. [Admiral Tōgō, der die völlig unwichtige Seeschlacht von Tsushima gewonnen hatte, nahm sie gerne an; General Nogi dagegen, dem die entscheidende Eroberung von Port Arthur gelungen war, lehnte sie ab; er betrachtete sich nicht als Held, sondern als Versager, weil die Eroberung fast 60.000 Mann gekostet hatte - darunter seine beiden eigenen Söhne -, was vor dem Ersten Weltkrieg als ungeheuer viel galt, und bat um die Erlaubnis, Seppuku (was die Deutschen infolge eines Lesefehlers meist "Harakiri" nennen :-) zu begehen; der Tenno verweigerte sie ihm, und er respektierte das Verbot - bis der Tenno starb, dann holte er es gemeinsam mit seiner Frau nach; aber das nur am Rande bemerkt, falls Ihr in Japan mal auf einen Nogi-Schrein stoßen und Euch fragen solltet, wer das denn wohl war. Tatsächlich hätte Nogi nicht auf Biegen und Brechen in wiederholten Frontalangriffen stürmen lassen müssen, sondern Port Arthur in aller Ruhe aushungern können: Das Wasserwerk war zerstört, die Russen litten an Hunger, an Durst und an Tyfus - von ihren 30.000 Toten gingen "nur" 10.000 auf das Konto der Kämpfe selbst -; und die Baltische Flotte war noch lange nicht da; vom Fall Port Arthurs bis zur Schlacht von Tsushima verging fast ein halbes Jahr - bis dahin hätte die belagerte Festung auch so kapituliert.] Der Verlierer wurde vors Kriegsgericht gestellt und unehrenhaft entlassen. [Man warf Roschestwenski vor, von seinem Krankenlager auf einem der letzten noch schwimmenden russischen Schiffe aus nicht verhindert zu haben, daß dieses an die Japaner übergeben wurde, statt sich ehrenvoll versenken zu lassen.] Politische Folgen hatte die Seeschlacht von Tsushima gar keine: Rußland hätte nach dem Verlust Port Arthurs und den Niederlagen in den Landschlachten in der Mandschurei auch dann Frieden machen müssen, wenn die Flotte unversehrt nach Wladiwostok durchgekommen wäre; und Japan hatte auch nichts von seinem Sieg: Im Gegensatz zu China zehn Jahre zuvor war Rußland so pleite, daß es nicht mal eine Kriegsentschädigung zahlen konnte, Korea hatte man de facto eh schon (und de iure bekam man es immer noch nicht - das holte man erst ein paar Jahre später nach), und ansonsten bekam man nur Süd-Sachalin (das man auch schon mal gehabt hatte, bevor es sich die Russen irgendwann unter den Nagel gerissen hatten), das damals nur als Stützpunkt für die Fischerei einen bescheidenen Wert besaß. (Von den riesigen Erdöl- und Erdgas-Vorkommen vor seiner Küste ahnte man noch 100 Jahre lang nichts :-) Allen weiteren territorialen Gewinnen schoben erneut die Westmächte einen Riegel vor. Und militärische Folge[runge]n für die Zukunft? Kein Schwein lernte daraus, weder aus der Seeschlacht von Tsushima noch aus den Landschlachten (was auch daran lag, daß Japan um seine eigenen Verluste lange Zeit ein großes Geheimnis machte - noch 1980 brachten sie den Film "Port Arthur" in die Kinos, der dieses sinnlose Verheizen nicht nur herunter spielte, sondern es sogar als große Heldentat darstellte); und als knapp zehn Jahre später der Erste Weltkrieg ausbrach, liefen die braven Landser noch ebenso frisch, fromm, fröhlich, frei(willig) ins feindliche Maschinengewehr-Feuer wie die Japaner bei Port Arthur. (Aber auch darüber schreibt Dikigoros an anderer Stelle; dort erfahrt Ihr auch, warum er das "willig" in Klammern gesetzt hat.)

Und wieder die Frage: Hätte die Schlacht von Tsushima denn irgendwelche Folgen für die Weltgeschichte haben können? Na und ob, ganz gravierende sogar, wenn die Deutschen nicht - auf persönliche Veranlassung von Kaiser Wilhelm dem letzten - so dumm gewesen wären, "wohlwollende Neutralität" zugunsten Rußlands zu bewahren. Dikigoros will hier gar nicht so weit gehen, die alte Geschichte vom Präventivkrieg wieder aufzuwärmen, den der deutsche Generalstab dringend empfahl, und der anno 1904 noch Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, anders als der Große Krieg von 1914, der für Deutschland eigentlich von Anfang an aussichtslos war. Nein, Deutschland hätte sich einfach nur so zu verhalten brauchen wie alle anderen Mächte, insbesondere wie England, d.h. Roschestwenskis Flotte keinen Zwischenaufenthalt in deutschen Kolonien zu gewähren, keinen Tropfen Wasser, keinen Bissen Lebensmittel und vor allem kein Stück Brennstoff zu liefern. In diesem Fall hätte Rußland nur die zwei Möglichkeiten gehabt, entweder das Unternehmen abzublasen - aber das hätte es nicht getan -, oder aber seinen Verbündeten Frankreich nachdringlich in die Pflicht zu nehmen. Wie wir sahen, hätten die Franzosen aus Angst vor England gekniffen; und in dem Augenblick wäre ihr Bündnis mit Rußland mausetot gewesen. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Der Generalstab meinte selbstverständlich keinen Präventivkrieg gegen Rußland - so niederträchtig wären allenfalls die Engländer gewesen -, sondern einen gegen Frankreich; gegen Rußland hätte man ja jederzeit einen führen können, wie sich jetzt heraus stellte: Wenn die Franzosen nicht mal den Mut hatten, ihren russischen Verbündeten im Krieg - den sie wohlgemerkt nicht angefangen hatten, sie waren von Japan angegriffen worden - ein paar Kohlen zu liefern (ja nicht einmal, die russische Flotte von deutschen Frachtschiffen gelieferte Kohle in den Häfen französischer Kolonien in Afrika übernehmen zu lassen - Roschestwenski mußte sich die Erlaubnis dazu wiederholt per Drohung mit Waffengewalt gegenüber den Hafenkommandanten erzwingen!), dann hätten sie ohne englische Rückendeckung (die sie 1914 selbstverständlich schon lange vor dem deutschen Einmarsch in Belgien hatten, der später als Vorwand für den Kriegseintritt Großbritanniens herhalten mußte) auch nicht den Mut gehabt, sie im Falle eines deutschen Angriffs militärisch zu unterstützen. Vielleicht wäre es dann nie zum Ersten Weltkrieg gekommen. (Aber dann müßte Dikigoros ja den nächsten Abschnitt streichen, und das wäre doch schade, nicht wahr, liebe Kriegsfreunde und Militär-Historiker :-)

* * * * *

Als Dikigoros als Bundeswehr-Rekrut in Norddeutschland stationiert war, verbrachte er seinen ersten Wochenend-Urlaub in Dänemark - zu mehr hätten weder Zeit noch Geld gereicht. Dort wurden gerade Pläne gewälzt, übers Skågerrak eine Brücke von Nord-Jütland nach Süd-Norwegen zu bauen, und das interessierte ihn. Außerdem hatte dort im Ersten Weltkrieg eine berühmte Seeschlacht statt gefunden, und naïv wie er damals noch war, dachte er, daß dort womöglich noch irgendwelche historische Reminiszenzen zu besichtigen sein könnten. Er wußte damals noch nicht, wie verhaßt die Deutschen sowohl bei den Dänen als auch bei den Norwegern waren und sind; allein in Schweden gibt es zwei Gedenkstätten, die aber weniger an die Schlacht im allgemeinen erinnern sollen als vielmehr an einen bei der Gelegenheit gefallenen deutschen Dichter, auf den wir gleich zurück kommen werden. Aber ganz nüchtern betrachtet: Was ging die skandinavischen Länder diese verdammte Schlacht denn an, die da vor ihren Küsten ausgefochten wurde? Kein Grund, dafür Denkmäler aufzustellen! Ja, wie kam es überhaupt dazu, daß dort so eine große Schlacht ausgefochten wurde zwischen der deutschen und der englischen Flotte - hätten die nicht so ziemlich überall anderswo eher auf einander treffen müssen? Ein Weltkrieg ist schließlich keine Fußball-Weltmeisterschaft, wo man sich gewissermaßen auf neutralem Boden zum Kampf trifft! Aber die deutsche Flotte des Ersten Weltkriegs nannte sich zwar so (während es bei den Landstreitkräften nur ein preußisches, ein bayrisches, ein sächsische und ein württembergisches Heer gab - kein "deutsches" -, jeweils mit Hilfs-Kontingenten aus anderen Bundesstaaten), war aber tatsächlich eine preußische Schöpfung, und Preußen lag nun mal an der Ostsee. (Man hatte zwar 1853 von Oldenburg ein Stückchen Land am Jadebusen gepachtet und dort Wilhelmshaven aufgebaut - aber dort konnte man keine ganze Hochseeflotte unterbringen.) Auch seinen größten und modernsten Kriegshafen hatte Preußen an der Ostsee gebaut, in Kiel, das es 1864 im Krieg gegen Dänemark gewonnen hatte. Die Ostsee aber war eine Mausefalle; und als man das endlich erkannte, versuchte man, Abhilfe zu schaffen. Doch die vermeintlich geniale Lösung, einen Kanal von Kiel an der Ostsee nach Hamburg an der Nordsee zu bauen (der ursprünglich "Kaiser-Wilhelm-Kanal" hieß - übrigens nicht nach Wilhelm II, sondern nach dessen Großvater, Wilhelm I, weshalb es eigentlich gar keinen Grund gab, ihn in "Nord-Ostsee-Kanal" umzubenennen) wurde viel zu bescheiden angegangen; und als der Erste Weltkrieg ausbrach, mußte man feststellen, daß er - trotz einer halbherzigen Erweiterung ein paar Jahre zuvor - zu klein war, um die großen, neuen Schlachtschiffe durchfahren zu lassen. (Ganz anders die Alliierten, die pünktlich zu Kriegsbeginn den Panamá-Kanal fertig stellten, der es ihnen ermöglichte, Schlachtschiffe jeden Kalibers problemlos zwischen Atlantik und Pazifik zu verschieben; aber über beides schreibt Dikigoros an anderer Stelle mehr.) Wat nu? Die Flotte in Kiel vor sich hin rosten lassen? Nein, wenn man kämpfen wollte, dann mußte man sie irgendwie in die Nordsee bekommen; und das ging nur durch das maritime Nadelör im Norden Jütlands, zwischen Dänemark, Schweden und Norwegen, das Skågerrak.

Wenn man kämpfen wollte... Viele "Historiker" zweifeln daran, daß Kaiser Wilhelm das tatsächlich wollte - vielleicht schonte er sein liebstes "Spielzeug" bewußt? Es sind dies übrigens die selben Historiker, die meinen, daß der Kaiser gar keinen entscheidenden Einfluß auf die Politik hatte - vor dem Krieg nicht, weil ihn die Regierung (die damals noch nicht so hieß, sondern "Reichsleitung", man sprach noch nicht Pseudo-Lateinisch, sondern Deutsch :-) wenn überhaupt, dann immer zu spät informierte, und im Krieg nicht, weil ihn die "Oberste Heeresleitung" genauso an der Nase herum führte. Das ist zwar in sich widersprüchlich und verträgt sich auch nicht mit der vor allem von den Kriegsfeinden, pardon, von unseren lieben Alliierten vertretenen These, daß Wilhelm II der "Hauptkriegsverbrecher" des Ersten Weltkriegs war, aber wie dem auch sei: Im Mai 1916 war es endlich so weit, daß man sich auf deutscher Seite zaghaft dazu durchrang, die Ostsee-Flotte auch mal in der Nordsee einzusetzen, selbst auf die Gefahr hin, damit in eine See-Schlacht zu geraten - was wohlgemerkt nicht der eigentlichte Zweck ihres Einsatzes war, sondern nur eine billigend in Kauf genommene Eventualität; man wollte vielmehr die gegnerische Handels-Seefahrt westlich Skandinaviens stören, d.h. mit den Kanonen schwerer Schlachtschiffe auf Spatzen, pardon Handelsschiffe schießen. Es wäre zwar viel gescheiter gewesen, das mit U-Booten zu tun (die auch in Wilhelmshaven, im Kaiser-Wilhelm-Kanal und an der Küste des besetzten Teils von Belgien Platz hatten) - die auch in der Lage waren, britische Überwasser-Streitkräfte wirksam zu bekämpfen; das hatten bereits in den ersten Kriegsmonaten die überraschend großen Erfolge von Kommandanten wie Otto Weddigen gezeigt -; aber die in großem Umfang zu bauen und einzusetzen traute man sich nicht, da die USA laut mit dem Säbel gerasselt hatten und es in Deutschland zu viele Narren gab, die im Ernst (?) glaubten, daß man die aus dem Krieg raushalten könnte, wenn man ihn nur mit halber Kraft führte. Und wenn die Hochseeflotte tatsächlich auf die britische Flotte treffen sollte, dann war geplant, ihr Heil möglichst in der Flucht, pardon, in einem strategischen Rückzug in die Ostsee zu suchen, und zwar notwendigerweise durch das Skågerrak.

Und auf englischer Seite? Dort hatte man erst recht kein Interesse daran, die Flotte aufs Spiel zu setzen - wozu auch? Britannia beherrschte die Weltmeere und unterband den Überseehandel der Neutralen mit Deutschland; dazu brauchte es keine große Seeschlacht! Und wenn man noch so überlegen war, war das noch lange kein Grund, seine Schiffe sinnlos in einer offenen See-Schlacht zu vergeuden - wer weiß, gegen wen man sie nach der Niederringung Deutschlands noch brauchte?! Aber nun war es so, daß die Briten den Funkcode der deutschen Marine geknackt hatten, und als sie im Mai 1916 von jener Operation gegen Handelsschiffe erfuhren, beschlossen sie, die Chance beim Schopf zu packen, den Deutschen mit überlegenen Kräften den Rückweg durchs Skågerrak zu versperren und ihre Flotte auf einen Schlag zu vernichten. Unter diesen Umständen konnte es am Ausgang der Schlacht keinen Zweifel geben, denn die materielle Ausgangslage war für die Briten noch viel vorteilhafter als etwa für die Italiner 1866 bei Lissa oder für die Franzosen und Spanier 1805 bei Trafalgar: Nicht nur wußten sie aus dem abgefangenen deutschen Funkverkehr über jeden Zug ihrer Gegner im voraus bescheid, sondern die britische Flotte war überdies der deutschen quantitativ und qualitativ haushoch überlegen. (Der viel zitierte "Rüstungswettlauf zur See" war in Wahrheit eine einseitige britische Aufrüstung gewesen; auf deutscher Seite hatte in den letzten Jahren vor dem Krieg praktisch gar keine Nachrüstung mehr statt gefunden; aber das ist eine andere Geschichte.) Wie die Briten es dennoch schafften, die deutsche Flotte nicht bis zum letzten Schiff zu vernichten, ist Dikigoros ein Rätsel - es muß wohl an der Unfähigkeit ihrer Admirale Jellicoe und Beatty gelegen haben. (Die heute vielfach vertretene Theorie, daß es an der Munition gelegen habe, welche die Briten so unvorsichtig lagerten, daß sie schon beim ersten Treffer mitsamt den Schiffen in die Luft flog, teilt Dikigoros nicht; bei geschickter Kampfführung hätten die Briten die deutschen Schiffe vernichten können, noch bevor die überhaupt einen Treffer bei ihnen landeten.) Aber er will sich nicht lange mit dem Verlauf der Schlacht aufhalten; der ist - wie der fast aller anderer hier vorgestellter Seeschlachten - bestens dokumentiert und überall nachzulesen: Die Flotten stolperten in die Schlacht hinein (während die Regierungen entgegen anders lautenden Gerüchten in den Krieg nicht "gestolpert" waren, sondern entweder konsequent auf ihn hin gearbeitet hatten - so die der Entente-Mächte - oder ihn zumindest billigend in Kauf genommen hatten - so die der Mittelmächte), versenkten soundso viel gegnerische Schiffstonnage, töteten soundso viele feindliche Matrosen (wobei sich die Deutschen noch den Luxus leisteten, 177 schiffbrüchige Briten aus dem Wasser zu fischen; umgekehrt retteten die Briten keinen einzigen schiffbrüchigen Deutschen; wenn sie einen sahen, dann hielten sie vielmehr mit allem drauf, was die Geschütze her gaben) und taten dann alles, um das Gefecht schnellstmöglich zu beenden und noch höhere Verluste zu vermeiden. Kein Stoff für Heldensagen - außer auf der Leinwand einiger Maler, die nicht dabei waren.

Ja, Dikigoros wiederholt sich hier ein letztes Mal; aber Euch ist sicher aufgefallen, daß er diesen Satz nicht bei allen Schlachten zitiert hat; doch zieht daraus bitte keine falschen Umkehrschlüsse: Manchmal besteht ein solcher Heldensagen-Stoff bei näherem Hinsehen bloß aus einer unverschämten Menge Glück, das nicht der Tüchtige, sondern der Tollkühne, ja der Dummdreiste hat, möge er nun Nelson, Tegetthoff oder Prat[t] heißen. Aber wir wissen ja spätestens seit Navarino, daß viel wichtiger als Verlauf und Ausgang einer Schlacht, zumal einer Seeschlacht (bei Landschlachten ist die Gefahr der Nachprüfung doch erheblich größer, denn erstens könnte jemand zugeschaut haben, und zweitens bleibt ja meist ein Schlachtfeld zurück, das nicht im Boden versinken kann wie Schiffe im Meer) ihre propagandistische Auswertung ist. Sowohl die englische Regierung als auch die deutsche Reichsleitung beeilten sich, das Treffen ihren Untertanen als großen Sieg zu verkaufen - in Großbritannien ist der 31. Mai als "Jutland Day" noch immer ein Feiertag (wenngleich kein "Bank Holiday"); in Deutschland wurde er immerhin bis 1944 als "Ehrentag der deutschen Flotte" bzw. "Skagerraktag" gefeiert.

Und dafür brauchte man Helden, wenn es schon keine echten Heldentaten zu vermelden gab. Aber im Zweifel gilt es ja bereits als Heldentat, zu sterben. (Deshalb eignete sich der biedere Vice-Admiral Scheer nicht wirklich zu Helden, denn der hatte die Schlacht, die er angeblich gewonnen hatte, ja überlebt :-) Man brauchte also wieder mal einen toten Helden, aber einen, der vorher schon bekannt war, etwa wie den U-Boot-Kommandanten Weddigen, der inzwischen den "Heldentod" gestorben war. Da traf es sich gut, daß der unter dem Namen Gorch Forck berühmt gewordene Mundart-Dichter Johann Kinau auf S.M.S. Wiesbaden gedient hatte und mit ihr im Skågerrak sein nasses Grab gefunden hatte. Seine Bücher wurden Bestseller - nicht wegen ihres genialen Inhalts oder wegen der originellen Sprache seiner Dialoge - die ohnehin nur noch ein paar Norddeutsche richtig verstanden -, sondern weil er, der ursprünglich Infanterist war (und Verdun überlebt hatte!), alles daran gesetzt hatte, zur Marine versetzt zu werden, um dort den Heldentod zu sterben wie sein Romanheld "Klaus Mewes" - das behaupteten jedenfalls seine Brüder Jakob und Rudolf, so vermarktete der Verlag ab sofort "Seefahrt ist not", und die Leser kauften es ihnen ab. Gorch Focks Erben verdienten sich goldene Nasen am Mythos Skågerrak.

Was bewirkte nun diese "größte Seeschlacht der Weltgeschichte" tatsächlich? Welche Seite hatte denn nun in Wahrheit "gesiegt"? Eigentlich keine von beiden, und dementsprechend bewirkte sie auch nichts: Den Deutschen war es nicht gelungen, die Seeblockade der Briten zu brechen; und den Briten war es nicht gelungen, die deutsche Flotte zu vernichten, um etwa ein Landemanöver an der deutschen Nordseeküste (oder auch an der dänischen, da hätten sie keinerlei Skrupel gehabt, ebenso wenig wie zu Zeiten Nelsons) zu unternehmen. Und was lernte man aus ihr für künftige Kriege? Wie üblich: auch nichts. Was hätte man denn aus ihr lernen können? Nun, z.B., daß die Zeit solcher Seeschlachten vorbei war; ein kleines Torpedo-Boot konnte ein großes Schlachtschiff mit einem einzigen Treffer außer Gefecht setzen; und ein U-Boot konnte das sogar bei Nacht und Nebel tun. Wozu sich da noch am hellichten Tage und über Wasser beharken? Das beantwortet zugleich die Frage, ob die Schlacht im Skågerrak kriegsentscheidend hätte sein können, etwa wenn es wider Erwarten den Deutschen gelungen wäre, die Teile der britischen Flotte, die an ihr beteiligt waren, komplett zu vernichten: Nein, denn um die völkerrechtswidrige Blockade der Nordsee gegen neutrale Handelsschiffe aufrecht zu erhalten, hätte es für die Briten immer noch gereicht, notfalls etwas weiter nördlich und mit Unterstützung US-amerikanischer "Hilfskreuzer"; und diese Blockade - keine Landschlacht, keine Revolution, kein anderes Ereignis zu Wasser oder zu Lande - war letztlich kriegsentscheidend.

Ach so - noch jemand war in der Schlacht im Skågerrak dabei; allerdings war er noch nicht bekannt und starb auch nicht den Heldentod, deshalb mußte er etwas anderes unternehmen, um berühmt zu werden; und damit sind wir wieder bei der leidigen Diskussion um die Segelschiffe. Jawohl, sie kamen auch im Ersten Weltkrieg noch immer zum Einsatz, wenngleich nur noch vereinzelt (und mit Hilfsmotor :-), als Episode am Rande, aber halt gut genug für Heldensagen. Graf Luckner, der selbst ernannte "Seeteufel", führte mit ihnen seine Kaperfahrten durch; und ob diese Sagen nun auf wahren Begebenheiten beruhten oder überwiegend Seemannsgarn waren, wird sich wohl nie genau feststellen lassen. Aber wenn sich Dikigoros zum Abschluß noch eine persönliche Bemerkung erlauben darf: Wahrheit oder Legende, sie sind ihm jedenfalls lieber als all die Berichte über als "wahr" verbürgte Seeschlachten, die letztlich für den Gang der Weltgeschichte auch keine größere Bedeutung hatten als die Bücher des schwulen Sachsen - oder seine eigenen Turnübungen als Kind am Schiffsgerüst auf dem alten Spielplatz in der Bonner Gronau (dort, wo heute der berühmt-berüchtigte "Schürmann-Bau" steht bzw. schwimmt ;-).

['Seeteufel' - Wahrheit und Legende] [Spielplatz in der Bonner Gronau 1958] [Schürmannbau in der Bonner Gronau - heute 'Rheinaue']


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